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Crème de la Crème

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26.08.2007
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Crème de la Crème

Crème de la Crème​

Mein Tag ist meistens schon im Arsch, wenn ich morgens in diese beschissene Einöde fahren muss: eine ehemalige Kaserne, inmitten von Feldern. Scheiße, hier gibt es vermutlich in einem Umkreis von zehn Kilometern keine Wälder.

Hellgraue Wolken trüben den Tag ein und lassen Regentropfen gegen mein Bürofenster pochen.

Gut, hat ja nicht jeder so einen Hang zum Grünen wie ich. Ich meine, ne Büropflanze sollte dem modernen Mensch ja Naturerlebnis genug sein. Immerhin bin ich als Junge noch auf Bäume geklettert. Meine durch Umweltgifte zur Sterilität verkrüppelten Enkel werden mich bestimmt ehrfürchtig mit großen Augen ansehen, wenn ich ihnen meine Kindheitserlebnisse schildere.

„Hey Sebastian!“
Mit verzogenen Mundwinkeln, soll wohl sowas wie ein Lächeln darstellen, kommt einer der Vollpfosten aus der Qualitätssicherung hereingestapft. Keine Ahnung wer von diesen aufgeplusterten Nagetierfressen es ist. Nein, ehrlich, in Gebäude E scheinen sie Stereotypen zu züchten; dort wimmelt es nur so vor Tierimmitationen.
„Die Vorveröffentlichung der Version 5.2.1 hat zwei Testreihen nicht bestanden. Du weißt, das wir nächste Woche liefern müssen. Ich hab schon mit Klaus gesprochen. Da wirst du wohl über das Wochenende hier bleiben müssen, um die Einträge im Bugtracker runterzuackern.“

„Aber klar doch!“
Sein Vorname will mir nicht einfallen. Ich nehme ihm den Testbericht ab; wohl wissend, dass in der Firma niemand über das Wochende bleiben wird.
Um meine unbeschreibliche Abneigung zu überspielen, versuche ich ebenfalls ein solch idiotisches Grinsen aufzusetzen, aber meine Gesichtsmuskeln verweigern mir den Gehorsam. Irgendetwas in mir lässt sich seit geraumer Zeit nicht mehr unterdrücken.

Nachdem Putzi, der Zahnputzbiber, aus meinem Büro herausgewatschelt ist, überraschenderweise ohne Schreibtisch oder Türrahmen anzuknabbern, werfe ich einen Blick auf die gelisteten Fehler. Nichts Schwerwiegendes, ein paar Dateninkonsistenzen, aber vor allem Unschönheiten in der Benutzeroberfläche. Das könnte ich sogar noch vor dem Wochenende ausbessern. Ich bin für einen Moment tatsächlich versucht, hart zu arbeiten.
Eine Email rasselt in den Posteingang. „Lieber Kindergarten“ steht im Betreff. Man braucht nicht viel Fantasie, um die übliche Polemik der Geschäftsführung zu erkennen.

Lieber Kindergarten,

ich bin es echt leid mit euch. Gestern wurde Ausgang 11 über Nacht nicht verschlossen. Ich muss wohl extra darauf aufmerksam machen, dass wir hier sehr teure Gerätschaften stehen haben. Wenn so was noch einmal vorkommt, gibt es ohne weitere Schritte eine schriftliche Abmahnung.

Klaus Mehlfein

CEO ICycleSystems GmbH

Die bodenlose Frechheit ALLE Angestellten schwach anzureden, obwohl nur EINER verantwortlich ist, mischt sich ins übliche Verhalten der Chefetage. So wird auch jemand, der ordentlich krankgeschrieben war, bei seiner Rückkehr grundsätzlich als arbeitsfaul und drückebergerisch verleumdet.
Die Zeit scheint im 19. Jahrhundert stehen geblieben zu sein. Leider bemühen sich meine Chefs in dieser Firma nur um einen Mangel an Kultur. Durch das Missmanagement wird das Unternehmen niemals auf einen grünen Zweig kommen.

Einen Monat lang habe ich gesammelt. Ich musste mir natürlich Frischhaltemechanismen überlegen. Später werde ich dann die Mikrowelle zum Aufwärmen verwenden. Das sorgt für mehr Aroma.

Um den Geschmack des Cafeteria-Fraßes aus meinem Mund zu spülen, brühe ich mir in der kleinen Betriebsküche einen Kaffee auf.
„Immer wenn ich an ihrem Büro vorbeigehe, höre ich kein Tippen. Bei allen anderen Softwareentwicklern kann man es tippen hören; Da weiß ich dann schon, wer fleißig ist.“
Der Vertriebschef hat sich von hinten herangeschlichen. Ein Unbeteiligter könnte meinen, er hätte bloß einen schlechten Tag. Ich kann ihnen aber versichern, dass dieser Mensch sämtlichen Angestellten ständig solche Sprüche an den Kopf wirft.
In meinem Büro halte ich ihm den Ausdruck des letzten Systemmodells vors Gesicht. Für ihn wohl nur ein Meer aus horizontalen und vertikalen Linien.
„So ein Modell kann man wohl kaum nur mit der Tastatur erstellen, nicht?“ frage ich ihn.
Das mit dem gestellten Lächeln kann ich heute einfach nicht hinbekommen. Er wendet sich den zwei Programmierern auf dem Gang zu und gackert mit ironischem Unterton: „Jetzt wird er uns bestimmt gleich erzählen, was für ein Genie er ist.“
Tippen hören, pah. Für den werde ich mir eine Extraportion aufsparen.

An sich habe ich ja nichts gegen unser politisches System oder den Kapitalismus. Wenn man keine Mauertoten oder Folteropfer in der Familie hat, vergisst man gerne schon mal, was Freiheit und Demokratie eigentlich bedeuten. Gut, man könnte den aus der fortschreitenden Automatisierung resultierenden Wohlstand gerechter verteilen. Die Schere zwischen Arm und Reich verkleinern, anstatt sie zu vergößern. Aber wer härter oder qualifizierter arbeitet, sollte dafür schon auch entsprechend gut bezahlt werden. Mich stört jedenfalls nicht, dass ich mir keine Villa oder einen tollen Sportwagen leisten kann. Das will ich doch gar nicht. Als Softwareingenieur, mit Hochschulabschluss, verdiene ich auch nicht so schlecht wie die Hamster aus der Qualitätssicherung. Am liebsten würde ich mich ständig im Wissen, in Kunst, Musik oder Literatur der Menscheit baden. Das bedeutet für mich Reichtum. Mich stört nur, dass andere den Hals nicht vollkriegen können. Es sollte eine Obergrenze geben. Nachrichten von Spitzenmanagern, die dafür ein Millionengehalt einheimsen, dass sie den Karren voll gegen die Wand fahren, lassen einem diesen ganzen Neoliberalismus schon bitter auf den Magen schlagen. Würden sie den Planeten etwas weniger vergewaltigen, könnte ich es ja noch ertragen. Na, ja. Palmen an der Ostsee sind bestimmt auch hübsch. Und man muss an sich nicht mehr so weit zum Meer hoch fahren. Hat ganz klar auch seine Vorteile, die globale Erwärmung.

Flatsch. Hihi, genau ins Gesicht. Ich glaube, sie arbeitet im Controlling. Auf den Kopierer sind auch einige Scheißespritzer geflogen, das wollte ich nicht. Man kann ihre Schreie nur als dumpfes Gespotze wahrnehmen. Ich musste mich zu einer harten Diät zwingen, um meinen Exkrementen neben einem derartigen Gestank auch hinreichende Geschmeidigkeit zu verleihen, das kann ich ihnen sagen.

Im Dunkel der Nacht konnte ich gestern mein Munitionsarsenal hereinbringen. Ich hatte vorher alles vakuumverpackt. Wäre ja sonst keine Überraschung mehr gewesen, nicht?

Den Herrn Bartels vom Marketing nehme ich erst mal in den Schwitzkasten, während ich sein Gesicht mit Scheiße einschmiere. Ist ja noch genügend da. Unsere halbfertigen Produkte in Messehallen als letzten Schrei anzupreisen, dafür muss er einfach büßen. Dafür, dass er sich zu einem willenlosen Werkzeug der Lüge machen ließ. Sein Ellenbogen trifft mich in die Seite, er befreit sich und rennt in Richtung Ausgang. Dabei tropft er den schönen Marmorboden voll. Ich kann ihm zum Glück noch ordentlich was auf den Rücken werfen, bevor er um die Ecke verschwindet.

Ich würde mich nicht als Chauvinisten bezeichnen. In meinem Freundeskreis befinden sich ganz liebenswerte Frauen, die sich gerne in meiner Gegenwart aufhalten. Nur diese Intrigen spinnenden Biester aus der Übersetzungsabteilung bilden schlichtweg das hassenswerte weibliche Gegenstück zu unserer Chefetage. Nach einem Treffer werfen sie die Hände herrlich angeekelt in die Luft. Das Kreischen befreit sehr, muss ich sagen. Ich treibe sie ein paar Bürotüren lang vor mir her. Dafür, dass sie recht hochhackige Schuhe tragen, können sie ganz schön zügig flüchten. Ich gebe ihnen aber noch ein ganzes Paket durch die halboffene Autotür mit. Die verweinten Gesichter sind wegen der scheißebesprenkelten Fenster kaum zu erkennen. Mein Güte, die heizen ja mit annähernder Lichtgeschwindigkeit über das Betriebsgelände. Wo man hier wegen des Kindergartens doch nur dreißig fahren darf. Also wirklich.

„KANN MAN ES JETZT TIPPEN HÖREN?“ schreie ich.
Die Tastatur des Vertriebschefs habe ich zu einem Golfschläger umfunktionert. Der Köttel fliegt … und … ich habe schon wieder ein „Hole-in-one“! Das vermerke ich natürlich schön säuberlich mit meinen Kackfingern im großen Kalender. Ein Werbegeschenk. Wer hätte gedacht, dass sich auf dem Gesicht des ansonsten großmäuligen Mitarbeiterschrecks auch Züge des blanken Entsetzens abzeichnen können?

Tatüü. Tataa. Die Herren in Grün fahren lautstark vor. So gerne ich meinen Besuch im Vertrieb noch ausdehnen möchte, jetzt muss mich aber beeilen; sonst lasse ich womöglich noch den Geschäftsführer aus.

Der Drecksack von Mehlfein hat sich in seinem Büro eingeschlossen. Ich muss tatsächlich die Tür eintreten, dabei wollte ich doch Schäden vermeiden. Für den CEO habe ich mir den Durchfall vom Dienstag aufgehoben. Was ich da alles an Unschönheiten in mich reinstopfen musste, um einen so wundervoll bestialischen Gestank herzustellen, will ich ihnen lieber nicht anvertrauen.
So hat er sich das jedenfalls bestimmt nicht vorgestellt: Sein Allerheiligstes, sein gediegen ausstaffiertes Büro einmal mit infernalisch riechendem, grün-gelbem Matsch beschmiert zu sehen. Nun, genau genommen sieht er momentan gar nichts, denn der Großteil der Crème de la Crème befindet sich auf ihm. Das Zeug fliegt beim Aufschlagen in alle Richtungen davon, so dass nur eine Silhouette an der Wand hinter ihm ohne Kackspritzer geblieben ist. Ich glaube, er bekommt gerade so etwas wie einen Anfall, jedenfalls bin ich dieses hilflose Gefiepe von ihm gar nicht gewohnt. Goldig, wie er mit den Händen versucht, sein Gesicht frei zu wischen. Flatsch! Da wird wohl nichts draus. Diesmal aus fünf Metern Entfernung. Ich werde immer besser!

Bevor der Arm des Gesetzes in das Zimmer eilt, lasse ich noch meinen Munitionsbeutel fallen und streife Handschuhe, Schutzmaske und Regenmantel ab. Ich will ja nicht, dass Unschuldige wegen mir schlecht riechen müssen.
Mit vorgehaltener Pistole werde ich von dem wohl etwas übereifrigem Polizeibeamten dazu aufgefordert, mich auf den Boden zu legen und die Arme hinter dem Kopf zu verschränken. Na, toll. Dann werden wir eben doch noch alle dreckig. Man legt mir Handschellen an. Ich verstehe gar nicht, weshalb so ein Aufstand um die ganze Sache gemacht wird. Schließlich musste ich in dieser Firma auch ganz schön viel Scheiße ertragen.
Ich werde von mehreren Polizisten den Flur entlang geschleift. Die Belegschaft wagt sich wieder aus ihren Verstecken heraus und wirft mir hasserfüllte Blicke zu.

Jetzt werden hier wohl alle Büropflanzen eingehen. Ich war der letzte, der immer daran gedacht hat, sie regelmäßig zu gießen.

 

Hallo Naitsabes,

ein pubertärer Amoklauf, leider nicht so gut gegart wie das Produkt, um das es geht. Nicht, dass die Idee nicht witzig wäre, aber du hast durch Plattitüden die Chance verpasst, etwas daraus zu machen, den Amoklauf plausibel aufzubauen. Nur ein paar übertriebene Beispiel, wo die Realität normalen Alltags ausgereicht hätte. Gerade in der IT-Branche, die sich so gern mit flachen Hierarchien brüstet, aber in den meisten Fällen keine Betriebsräte hat, wäre es sicherlich ein gefundenes Fressen, wenn man sich darum bemühen würde. Aber der Tonfall passt nicht. So hat man beim Lesen den Eindruck, der Autor (nicht der erzählende Protagonist) wollte mal ordentlich mit Scheiße rumsauen, hat sich aber ansonsten kaum Gedanken gemacht, sondern nur notdürftig eine Geschichte um das Bedürfnis konstruiert.

dort wimmelt es nur so vor Tierimmitationen.
Tierimitationen (stimmt natürlich auch nicht, wenn gezüchtet, dann Tierklone. Tierimitatoren würden sich nur als Tiere verkleiden (so wie die zahlreichen Elvis- und Michael Jacksonimitatoren sich als Elvis oder Michael Jackson verkleiden).
Du weißt, das wir nächste Woche liefern müssen. Ich hab schon mit Klaus gesprochen. Da wirst du wohl über das Wochenende hier bleiben müssen, um die Einträge im Bugtracker runterzuackern.
Das überschreitet nun wirklich die Kompetenz eines Qualitätssicherers. Der macht auf Bugs aufmerksam, aber über die Arbeitskalkulation und Dienstpläne (Wochenendschichten) bestimmt der Projektleiter (der auch die Entscheidungsmöglichkeit hat, das Produkt trotz Fehler auszuliefern, auf den Fehler aber hinzuweisen und einen Zeitraum zur Behebung avisieren). Auch erfasst der Qualitätssicherer in einem Dokument nach Prioritätsstufen. Sich extra zum Kollegen zu bemühen wird er nur, wenn sie entweder nah zusammenarbeiten oder es zu der Testreihe noch offene Fragen gibt (wie etwa: Hast du schon eine Version 5.2.2, in der das Problem behoben ist?)
Die bodenlose Frechheit ALLE Angestellten schwach anzureden, obwohl nur EINER verantwortlich ist, mischt sich ins übliche Verhalten der Chefetage.
Die mischt sich nicht rein, sie ist höchstens typisch oder entspricht der üblichen Haltung.
Immer wenn ich an ihrem Büro vorbeigehe, höre ich kein Tippen.
Okay, ist wörtliche Rede, aber Vertriebsmenschen wissen damit umzugehen. Warum nicht "Ich höre Sie nie tippen, wenn ich an Ihrem Büro vorbeikomme. Bei allen anderen Softwareentwicklern höre ich die Tastatur klappern. Da weiß ich schon, wer fleißig ist."?
Ich kann ihnen aber versichern
Ihnen
Am liebsten würde ich mich ständig im Wissen, in Kunst, Musik oder Literatur der Menscheit baden. Das bedeutet für mich Reichtum.
ein merkwürdiger Satz für einen Icherzählenden Protagonisten, der sich bemüht auf dem intellektuellen, sprachlichen und künstlerischen Niveau eines Möchtegernbohlen zu erzählen (bei Menschheit fehlt ein h).
Im Grunde ist aber dieser ganze Absatz mit politischem Rundumschlag absolut überflüssig für die Geschichte.

Nee, hat mir leider nicht gefallen.

Lieben Gruß
sim

 

Hallo Sim,

Danke für die ausführliche Kritik!

Könntest du dich noch in ein paar Worten zu Schreibfluss/Schreibstil äußern? Da arbeite ich gerade dran.

 

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