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Da ist man selbst sich Feind genug
Schon heute in der Früh ließ es sich erahnen.
Beim Frühstück fiel das Brot vom Tisch auf die Marmeladenseite und beim Versuch es in der Luft aufzufangen, erwischte ich mit dem Ärmel den Kaffeebecher. So nahm das Unglück seinen Lauf.
Schlecht gelaunt und hektisch riss ich beim ersten Telefonat das Kabel samt Stecker aus der Wand.
Das Telefon landete mit einem gezielten Wurf und dem dazugehörigen „Scheiße“ in der hintersten Ecke.
All das, zehn Minuten nach dem Aufwachen hätte mir Warnung genug sein sollen: Zurück mit der Zeitung ins Bett und auf den nächsten Tag warten.
Jedoch ließen mir die angesammelten Aggressionen keine Ruh und ich flüchtete mich unter die heiße Dusche.
Nun stehe ich hier und sinniere vor mich hin, während der Strahl wohltuender Wärme meinen Körper entlang strömt.
Ich bin so gut wie versöhnt.
Schmunzele über das Marmeladenbrot, den Kaffee und das Telefon. Überlege mir beim Einschäumen, wie erholsam das Leben wäre ohne ständige Erreichbarkeit. Ohne Telefon, Handy oder Internet.
Ein beißender Geruch holt mich jäh aus meinen Gedanken zurück in das Jetzt.
Was kann das sein? Es erinnert mich an Reinigungsmittel. Irgendwelches scharfes Zeug.
Bekannt und unangenehm zugleich.
Dann durchzuckt es mich.
Meine Haare!
Hatte mich gewundert, dass der Schaum nicht so auftrat, wie gewohnt. Wie gewöhnlicher Schaum. Eben der Schaum, wie er sonst immer durch mein Shampoo und Reibung hervorgerufen wird.
Oh nein! Den Kopf nach vorne gebeugt um den Wasserstrahl der von meinem Kopf auf meine Brust trifft zu beobachten. Es läuft mein Gesicht entlang. Treibt mir die Tränen in die Augen.
Nicht reiben, nicht reiben.
Mir fällt` s wieder ein.
Toilettenreiniger!
Ich hatte gestern den Rest in die kleine Flasche abgefüllt. Hasse Platzverschwendung im Reinigungsregal. Kleiner Tick von mir.
Meine Augen brennen.
Klares Wasser, ich brauche klares Wasser. Strecke meinen Hals und vergesse, dass der Massagestrahl eingestellt ist.
Hart trifft er mein Gesicht.
Versuche, mich so zu verbiegen, dass das ablaufende Wasser aus meinen Haaren nicht weiter über meinen Körper fließen kann.
Gedanken über ein Leben in Blindheit gehen mir durch den Kopf. Dann sehe ich erst Umrisse und kurz darauf schemenhaft die Wand der Duschkabine. Drehe mich um und da steht sie. Tut so unschuldig, diese Drecksflasche.
Was machst du hier, schreie ich sie in Gedanken an. Der Geruch sitzt tief in meiner Nase. Ich möchte raus.
Ruhe bewahren, sage ich mir. So giftig kann das Zeug nicht sein. Ätzende Reinigungsmittel kommen mir doch nie in die Tüte.
Ich betrachte meine Hände. Sie sind weder rot, noch löst sich Haut. Also gut. Ich konzentriere mich, das richtige Shampoo zu finden und suche die Dusche ab.
Alles auf Anfang.
Ich rieche an der Flasche und lasse eine Hand voll auf meinen Kopf fließen.
Es fängt direkt an zu schäumen, doch beruhigt bin ich nicht.
Das Shampoo kann es nicht sein. Irgendwie fühlen sich meine Haare so... so anders an.
Wo ist ein Spiegel verdammt noch mal, wo ist der Spiegel.
Ich springe aus der Dusche, den Kopf voller Schaum.
Natürlich ist der Spiegel beschlagen! Reiße das Handtuch vom Haken, wische wie wild am Spiegel herum. Der erste Blick verrät nichts.
Also gut, zurück in die Dusche und ausspülen.
Ich vermeide weitere Berührungen mit meinen Haaren um mich nicht verrückt zu machen.
Was hat das Scheißzeug mit meinen Haaren gemacht?
Wieder raus aus der Dusche. Binde mir ein Handtuch um, drehe mich herum und sehe mich mit vor Entsetzen weit aufgerissenem Mund vor dem Spiegel stehen.
Das Tuch rutsch langsam meinen Körper herab, Tränen schießen mir in meine rotglänzenden Augen und ich springe hysterisch schreiend, nackt in meinem Badezimmer herum.
Das kann nicht sein! Diesen Anblick selbst erschaffenen Grauens gönne ich nicht einmal meinem Todfeind, hätte ich einen.
Das geht nicht! Alles, aber nicht meine Haare.
`Frisch gefilzt` ist noch untertrieben.
Mit einem Griff nehme ich das Fläschchen und gieße es ins Klo aus.
Renne zum Telefon und suche im Telefonbuch nach der Nummer meiner Friseurin.
Mit einer Hand an meinen Haaren, versuche ich ihr, mein Unglück zu beschreiben.
Es kostet mich Kraft, nicht zu schluchzen. Keine Minute später habe ich einen Termin.
Nicht fönen, nicht kämmen ist die Ansage vom anderen Ende der Leitung.
„Wie dann?“, schreie ich in den Hörer.
„Mütze:“, die gelassene Antwort.
Mütze! Ich bin erleichtert. Lege auf.
Dankbar richte ich meine Augen gen Himmel und blicke direkt in das Gesicht meines überaus sympathischen Nachbarn eine Etage höher, im Haus gegenüber.
Er lächelt wissend und ich bin für weitere zwei Sekunden bewegungsunfähig.
Bewegungsunfähig und nackt.
Nun bin ich seit einer Stunde wach und mein Leben ist im Arsch.