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Damals

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01.07.2004
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Damals

Sie lächelt als sie erwacht und zum Fenster blickt, weil zwischen den Häuserreihen ein kleiner Fleck blauer Himmel zu sehen ist. Dieses Stückchen blauer Himmel ist wieder einmal die Bestätigung dafür, dass sie es damals richtig gemacht haben. Es ist gut gewesen, im Frühjahr zu heiraten. Sie hatten Glück. Bis auf wenige Ausnahmen hatte an ihrem Hochzeitstag immer die Sonne geschienen, und die Vögel zwitscherten, wie jetzt, geheime Botschaften in die Frühlingsluft. Ja, so ist es gut.
Um ihn nicht zu wecken, verlässt sie behutsam das Bett, schließt leise die Tür und brüht in der Küche Kaffee auf. Einmal im Jahr trinken sie den Kaffee im Bett. Seit neunundvierzig Jahren. Mit Besuch oder Anrufen ist nicht zu rechnen. Die engsten Freunde wurden bereits zu Grabe getragen. Und die Kinder, die in Amerika, Neuseeland oder um die Ecke wohnen könnten, haben sie nie gehabt.
Als sie mit dem Kaffee zurück kommt, ist er aufgewacht. Seine Augen leuchten, und noch immer beherrscht er dieses verschmitzte Lächeln, das es ihr damals so angetan hatte. Sie stellt das kleine Tablett ab und hilft ihm beim Aufrichten. Es ist leicht. Inzwischen wiegt er wenig. Wie üblich, zieht sie die Schublade seines Nachttischchens auf, und gibt ihm Stift und Papier. Mit zittrigen Fingern schreibt er „Guten Morgen“ und „Herzlichen Glückwunsch“. Die Schrift ist kaum lesbar. Etliche Schuhkartons sind voll mit seinen Zetteln. Sie hat sie alle aufgehoben.
Anfangs schrieb er noch ganze Seiten voll, doch im Laufe der Jahre wurden die Mitteilungen kürzer und die Schrift unleserlicher. Das Schreiben strengte ihn an. Schließlich beschränkte er sich auf einen Satz pro Tag. Zum Beispiel: In meinem nächsten Leben werde ich Musiker, oder, in meinem nächsten Leben werde ich Schriftsteller, oder, in meinem nächsten Leben werde ich Maler. Häufig sprach er von seinem nächsten Leben. Auffällig ist, dass er sich immer Tätigkeiten aussuchte, bei denen das gesprochene Wort keine große Rolle spielt. In diesem Leben war er Verkäufer in einem Schuhgeschäft. Da musste er viel sprechen. Den ganzen Tag begrüßte und verabschiedete er Menschen. Den ganzen Tag über dozierte er über die Vorzüge eines Schuhs oder die Beschaffenheit einer Sohle.
Sie war immer stolz auf ihn, denn er war ein guter Verkäufer. Immer freundlich, gut aussehend und gepflegt. Dann begann er über Hals- und Ohrenschmerzen zu klagen. Als sie ihn endlich zu einem Arztbesuch überreden konnte, ging alles sehr schnell. Überweisung in die Klinik, Operation, Bestrahlungen. Da verlor er seine Zunge und seine Sprache. Die Ärzte sagten, es handele sich um einen sehr seltenen Tumor und gaben ihm maximal fünf Jahre. Das ist jetzt achtzehn Jahre her.
Am Nachmittag verlassen sie die Wohnung und nehmen den Bus, der sie hinaus zu den Hügeln bringt. Mit kleinen Schritten und vielen Pausen erreichen sie die Anhöhe mit der alten Bank und den Blick auf das Tal. Hier her kommen sie jedes Jahr wenn es das Wetter zulässt. So sitzen sie da und betrachten Händchen haltend das zarte Grün des Frühlings. Und sie sagt: „Weißt du noch, damals im Harz?“

 

Hallo Falky,

ehrlich gesagt hat deine Geschichte mir nicht so gut gefallen. Sie wirkt auf mich beinahe wie ein Entwurf für eine eigentlich wesentlich längere Geschichte.

Schön an deiner Geschichte fand ich, dass dieses Päärchen trotz seiner Probleme sehr glücklich ist - unschön fand ich, dass du es nicht geschafft hast diese Gefühle tatsächlich einzufangen.
Deine Charaktere bleiben mir viel zu leblos, als dass ich mit ihnen empfinden könnte.


Und die Kinder, die in Amerika, Neuseeland oder um die Ecke wohnen könnten, haben sie nie gehabt.

Hm... der Satz hakt für mich irgendwie. Ich persönlich würde einfach nur schreiben: Und Kinder haben sie nie gehabt.

Das Schreiben strengte ihn an.

Hier würde ich schreiben: Das Schreiben strengt ihn an.
(Schließlich dauert dieser Zustand noch immer an.)

LG
Bella

 

Hallo Bella,

danke erst einmal für's Lesen.
Schade, dass dir die Geschichte nicht gefällt.
Bei einer Lesung kam sie sehr gut an. Es flossen sogar Tränen. Darauf hin hab ich sie mal ins Netz gestellt.
Aber es gibt, glaube ich, Geschichten, die funktionieren laut gelesen besser.
Diese scheint so eine zu sein. Denn ich finde, du hast durchaus recht. Die Charaktere kommen ein bisschen blass daher.
Den Satz mit den Kindern find ich ok. Und ich schrieb "strengte" ihn an, weil es ja damals auch schon so war.

Liebe Grüße
falky

 

Hallo Falky,

ja, ich glaube solche Geschichten gibt es wirklich - die besser funktionieren, wenn man sie laut liest.
Ich werde das mal testen, sie mir selbst laut vorlesen und dir dann nochmal Feedback geben.

LG
Bella

 

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