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Darkness
In den Gesetzen der Liebe
In den Gesetzen der Liebe
Es müssen Gase verwesender Bioorganismen gewesen sein, die da aus der Tiefe kamen.
Man musste schon genau hinsehen, das durch torfigen Schlamm so schwarz gefärbte Wasser stand still: Wie unzählige Horden angriffslustiger Ameisen stiegen sie ununterbrochen hinauf.
Ihr Eintritt in die Atmosphäre hinterließ diesen beißend faulen Geruch, modrig und abgestanden, mit einem Hauch von Amoniak .Die winzigen Gasbläschen hatten es in sich.
Produkt sterbender Organe, Produkt solcher Pflanzen, die abschließenden Empfangs letzter Sonnenstrahlen seichten Weges zu Grunde sanken und faulend des Todes verweilten.
Die Herbstluft war kühl und sie war frisch. Die Herbstluft roch.
Weniger nach kalter Kotze, eher nach kaltem Tod.
Gelagert hinter einer kühlen Theke.
Das Moor umfasste 370 Hektar, war Naturschutzgebiet und sich selbst überlassen.
Sumpfhühner bauten ihre Nester, Frösche hüpften in die schlafenden Tümpel und Schilf wuchs wo es wollte. Hin und wieder ließen Bäume ihre Wurzeln ins festere Erdreich wandern.
„Komm Baby, jetzt mach keinen Unfug, flieg weiter!“
Der Steuerknüppel spielte verrückt, Qualm schoss im heftigen Zugwind auf die Scheiben.
Der Propeller hatte aufgehört zu laufen.
Der Schwerkraft ausgesetzt, verfiel die einmotorige Chester in einen starken Linksdreher und stürzte scheinbar lautlos in die Tiefe. Sinan überkam Panik, die Tür klemmte.
Seine Frau wartete auf ihn, die Kinder waren in der Schule, mit Freunden wollte er am Wochenende Kegeln gehen, er wollte leben.
Nicht sterben, nicht in diesem Flugzeug. Die feinen Äderchen seiner Augen verästelten und glänzten rot auf. Adrenalin strudelte in alle Winkel seines Körpers.
Sinan schrie auf. Hammerschlagartig schwankten seine Angstgefühle ins Eiskalte, ein lustiges
Konzert von kalten Blitzen durchzuckte ihn, die klemmende Tür, in mechanischer Abfolge riss er sie aus der Verankerung, sprang heraus und zog mit letzter Kraft die Fallschirmschnur.
Über ihn hereinbrechende Bewusstlosigkeit.
Ihre Schönheit ließ die Interessen für sein Studium zeitweilig abschweifen.
Das war damals, zu Anfang des ersten Semesters.
Hier half nur eine zufällige Begegnung. Und sie lächelte nur.
Der Kaffee war ein Genuss, die Unterhaltung schmeckte noch mehr.
Eine existierende Liebe, beruhend auf Gegenseitigkeit.
Sie ein Engel, dem man die Flügel gestohlen hatte.
Er ein Suchender, der nun gefunden hatte, der sie mit ihrem Lächeln auf seinen Händen trug.
Nervös blickte Martha auf die Wanduhr. Sie stand in der Ecke des Wohnzimmers.
Ihr sonst so unauffälliges Ticken war in der Stille des Vormittages deutlich zu hören.
Seit einer halben Stunde kam es ihr mehr als eintönig vor. Wann endlich würde es sich mit den Läutlauten des Telefons vermischen?
Eine chaotische Tonfolge, die etwas drängelndes von sich gab, schreckte sie auf.
Zwei bunte, sich bewegende Flecken hinter der milchgläsernen Haustürscheibe.
Die niedlichen Gründe für den Abbruch ihres Medizinstudiums waren nach Hause gekommen.
Phillip hielt einen Packen gesammelter Herbstblätter in der Hand.
Lisa vermatschte mit ihren Stiefelchen den halben Flurteppich.
Nach ihrer Geburt zogen sie in dieses kleine Häuschen am Rande der Großstadt.
Sein Biologiestudium führte Sinan zu Ende. Sofort trug sein makelloser Abschluss erste Früchte. Ein auf unbestimmte Zeit festgelegtes Forschungsprojekt, zu dessen Beteiligung man ihn da einlud...ja ihn sogar darum bat.
Hatte es auch etwas mit seinem Flugschein zu tun? Doch das anzusprechen, so wusste er, würde seiner anfänglichen Prestige nicht gerade den Rücken stärken.
Hinzu bot die Dringlichkeit Größe und der das Projekt „Moor“ leitende Professor ließ ihn innerhalb weniger Tage einreisen.
Martha fühlte sich überrumpelt!
Mache ich mir nur zu viel Sorgen? Sie zog ihrem kleinen Phillip das bunte Jäckchen aus.
Lisa konnte das ganz alleine, sie war ja auch schon eine richtige Dame. Auch wenn ihr die großen Stöckelschuhe von Mutter eine noch große Herausforderung waren.
„Mensch, Phillipmäuschen, lass doch die Blätter los, Mami muss dir erst mal deine nasse Jacke ausziehen.“
Mit dem Blick eines trotzigen Vorschulkindes, öffnete der Kleine seine rechte Hand und ließ die bunten Herbstblätter auf den Teppich fallen.
Bei seinem Aufprall schlug die Wiese in kleinen Wellen aus.
Unter dem wolkenlosen Himmel, an dessen Kühlblau die Sonne wie eine gefrorene Zitronenscheibe wirkte, gab sie ein üppig grünes Leuchten von sich.
Die Szenerie wirkte äußerst frisch und klar. Die klaffende Stirnwunde ließ feine Blutschleier ihren Weg nach unten suchen, fast alle dieser Wege machten oberhalb der Wangenwölbung halt, wobei vereinzelte Tropfen den Blau unterkühlten Handrücken seines angewinkelten Armes erreichten, um dort entgültig zu kristallisieren.
Es verstrichen Stunden, bis sich langsam die Lieder öffneten.
Knapp über dem Gefrierpunkt schien ihn die Kälte regelrecht wachpeitschen zu wollen.
Bevor der Gedanke an eine Bewegung erfasst werden konnte, schob sich die neue befremdende Situation zitternd vor seine Augen. Allmälig sackte seine Orientierungslosigkeit zu Boden, behutsames Begreifen brach hervor.
Handeln! Wo ist das Flugzeug...,das Funkgerät!
Beim Aufraffen machten sich einige Prellungen bemerkbar, zur Kategorie der kleinen Kratzer zählte die Platzwunde am Kopf.
...“auch wenn sie diese in ihrer Position ohnehin schon tragen, so erfordern die uns vorliegenden Angaben eine noch höhere Aufmerksamkeit. Sie haben Schweigepflicht!“
Verantwortlicher Leiter, Professor Santer, bestand bei seiner Aufgabenverteilung auf absolute Geheimhaltung. Er verfluchte das Reporter und Pressegesocks. Schlechte Erfahrungen waren es, die ihm diese Einstellung während seiner Laufbahn beibrachten, was in dieser Sache aber nicht der ausschlagende Punkt war.
Folgende Ergebnisse waren nüchtern auszuarbeiten und in der aufgestellten Kette entsprechend weiterzuleiten. Als erster in dieser Kette stand der frischgekürte Biologe Sinan Byrton.
Die Zeit seiner Kontrollflüge verbrachte Sinan in einer einfachen Holzhütte seitlich des betreffenden Waldgebietes, mit anliegender Start und Landebahn. Er war alleine.
Ausgerüstet mit Faxgerät, Telefon und diversen Messinstrumenten. Hin und wieder waren für
einzelne Bodenproben längere Fußmärsche notwendig. Holz für Feuer musste auch gehackt werden. Die wöchentlichen Auswertungen seiner Kontrollflüge waren jeweils Donnerstags per Fax bei seinen entfernt stationierten Kollegen einzureichen. Zwei Geophysiker und ein Geologe. Dritter und letzter Schritt der geheimen Forschungskette, erging aus den ergebnisresultierenden Angaben Santers, Professor der Biologie und Chemie. Er saß am Hebel. Die Regierung stand hinter ihm.
Für einen sich im Laufe der Zeit anbahnenden Ernstfall war alles vorbereitet.
Das gewohnte Leben der unwissenden Bürger ging also weiter.
So wie es immer schon war, ohne größere Vorfälle.
Alles hatte damals begonnen, als ihn bei einem seiner Spaziergänge der sonst so heimische Nadelwald das Fürchten lehrte. Schwer nachzuvollziehen, was der alte, erfahrene Förster dort zu sehen bekam. Ihm war jeder der umherliegenden Baumstämme bekannt, ob gesund oder krank.
Nur war keiner mehr da. Die Bäume, seine guten, alten Fichten, seine Tannen, weg waren sie.
Mit zitternden Händen schob er die Zweige beiseite. Eine Form von majestätischer Größe.
Hier war eine unheimliche Macht am Werk. Tag für Tag ließ sie den Radius größer werden.
Nachts dann dieses Geräusch.
Jedesmal wenn sich die Wurzeln lockerten und die Stämme gemächlich in den zähen Brei aus schwarzem Schlamm sackten, dann war es zu hören,dieses grauenhafte Geräusch des Malmens.
Diese Moorlandschaft lebte, war hungrig, fraß sich in den Wald hinein.
Sie war das böse in Person.
In Drei Tagen erwarten sie den nächsten Bericht.
Im schlimmsten aller Fälle wäre ich bis dahin auf mich alleine gestellt. Kann Martha reagieren? Wird sie reagieren? Die beißende Kälte durchdrang seinen Flugoverol.
Kein Feuer. Kein Messer. Nichtmal einen Kompass.
Sonst hatte er das Zeug immer bei sich, nur nicht heute, gerade heute.
Die letzte Flugrichtung ging in den Südwesten. Prüfender Blick zur Sonne, festen Orientierungspunkt am Horizont erspäht, eine Tanne, und losmarschiert.
Innerhalb dieser Strecke musste die Chester in Sichtweite liegen, sollte sie nicht schon gesunken sein.
Die Sonne wanderte in den späten Nachmittag und malte den einst gefrorenen Himmel in ein Meer warmer Röte.
Vielleicht noch eine Stunde Tageslicht. Noch eine Stunde leben.
Nur noch wenig Zeit.
Sinan wusste, was es mit dem nächtlichen Malmen auf sich hatte.
Er wusste auch, was ihn erwarten würde wenn...
Aber daran wollte er keinen Gedanken verschwenden.
Er hörte nur sein Keuchen, den weichen Boden unter sich herfliegen, sein pochendes Herz, den rasenden Pulsschlag. Geschickt umlief und übersprang er jede noch so mindergefährlich aussehende Stelle. Direkt zu, auf die am Horizont stehende Tanne.
Immer wieder der Blick nach links und rechts, die Ausschau nach seiner Chester, nichts.
Mit jedem weiteren Meter, den er so zurücklegte, sank die Wahrscheinlichkeit, sie zu finden.
Wenigstens musste er die große, einsame Tanne erreichen. Für die Nacht.
Mit einem kecken Laut flatterten zwei erschrockene Sumpfhühner empor. Obwohl die Situation ausweglos erschien, konnte er sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Warum er es tat, wusste er nicht. Vielleicht die versteckte Ironie des Schicksals, die ihm da während seines hastigen Laufens entgegeneilte. Mag sein das er die Tanne in einer halben Stunde erreicht haben würde. Immer wieder sah er sich um, das Flugzeug schien nie abgestürzt zu sein. Seine Stiefel waren durchnässt. Der faule Gestank machte ihn müde, betäubte seinen Verstand.
Sinan lief um sein Leben.
Das Flugzeug samt Funkgerät hatte er längst abgeschrieben.
Als er die tiefhängenden Zweige der Tanne ergriff, um hinauf in die Krone zu klettern, hörte er es. Er spürte es. Mit einem heftigen Ruck packte es sein rechtes Bein.
Sinan liebte seine Kinder. Sinan liebte seine Frau.
Es biss in seinen Oberschenkel. Ein kurzer Laut des Malmens. Tiefes Seufzen überkam ihn.
Mit lautem Rumps schließenden Tores war die Nacht eingebrochen. Die Nacht zur Hölle.
Seine Armmuskeln, seine Gesichtszüge. Das innerlich zähe Knurren, das Nichtaufgebenwollen.
Sinan hörte das verspielte Lachen seiner Kinder unter dem Planschbrunnen. Martha schaute ihm in die Augen, tief hinein. Es war so schwer.
„Herr Santer, gut das ich Sie erreiche.“ „Guten Abend, Frau Byrton.“ Sie zitterte. „Es geht um meinen Mann.“
Lisa und Phillip saßen am Mittagstisch und aßen ihren Spinat.
„Ich mache mir Sorgen.“
„Wie soll ich das verstehen?“
„...nach jedem seiner Kontrollflüge wollte Sinan anrufen, mir einfach nur Bescheid geben, dass alles in Ordnung ist, verstehen sie!“
„Jetzt beruhigen Sie sich doch erst einmal. Wie lange liegt der Anruf denn überhaupt schon in Verzug?“
„...eine Stunde.“
Eindringlich fügte Martha hinzu,“...und wenn mir mein Mann etwas verspricht, dann hält er es auch!“
Das vom Professor ausgehende Schweigen zeugte von Nachdenklichkeit.
Sinan`s Körperhaltung zeugte von Bewusstlosigkeit.
Aber nicht lange. Der Boden der Tatsachen kam herbei.
Ein behutsames Begreifen brach hervor.
Handeln!
„Können Sie ihre Kinder in Obhut geben und zum Flughafen kommen?“
Wo ist das Flugzeug...,das Funkgerät?!
Für Verzweiflung hatten sie alle nichts übrig.
...“Mami fährt euch jetzt zur Oma.“
In den runden Knopfaugen spiegelte sich Freude geliebte Enkelkinder wieder.
Jeder trug die Bindung des anderen in sich. Und doch waren sie getrennt.
Ein Getrenntsein, das beiderseits auf die Grenzen des menschlich Machbaren zu verweisen drohte.
Bei der Geburt ihres zweiten Kindes sagte sie es ihm,
„...der Herzschlag unserer Liebe wird unser Leben erhalten...“
Mit tiefdumpfen Pochen durchhallte jeder einzelne Rotorblatthieb die flutlichtgetränkte Finsternis.
Alles wirkte so stumm, wie in Watte gehüllt. Benommen schaute er hoch. Dieses Pochen, in und über sich. Der Schmerz, die Kälte. Einzelne Zeitlupenfetzen, die er dann noch sah.
Das verschwommene Winken seiner Frau, der konzentrierte Blick des Piloten.
Sinan Byrton griff nach dem Seil.
Seine Reflexe griffen danach. Reflexe, die noch einen Rest an Überlebenswillen in sich trugen.
Der mächtige Bug des russischen Kampfhubschraubers drehte und schlug den Nordwesten in Richtung Militärkrankenhaus ein.
Über der Pritsche hingen Infusionsflaschen. Zwei Ärzte waren mit der Verpflegung seiner Wunde beschäftigt.
Sorgevoll streichelte ihn Martha mit der warmen Hand über das unterkühlte Gesicht. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Zärtlich umarmte sie seinen Kopf.
Professor Santer saß nur da und sagte nichts.
Sein besorgter Blick entwich einer tiefen Erleichterung.
„Was in Gottes Namen, so frage ich, passiert hier eigentlich, was!?“
„Frau Byrton, Ihr Mann ist erschöpft, er braucht jetzt Ruhe.“
Sie ließ von ihm ab. „Aber sagen Sie mir doch, was ihm diese Wunde zugefügt hat..“
Just in diesem Moment geschah es. Sein Dämmerzustand hätte es gar nicht zulassen dürfen. Und doch hob er sich.
Sein Arm hob sich von der Pritsche. Die Faust war geballt. Der blutige Zeigefinger fuhr aus und richtete sich auf die Nachttischlampe. Mit verzerrter Stimme kamen seine Worte,... “Licht, dem nächtlichen Malmen graut es vor Licht...“
Sein tiefes Schlucken brach in der verstummten Atmosphäre als würgender Laut hervor.
Als der Arm wieder auf die Pritsche fiel und der mit Schläuchen verbundene Kopf zur Seite nickte, überkam allen ein tiefes Schaudern.
„Sein Zustand ist kritisch“, vermerkte einer der Ärzte mit leisem Ton. Als wolle er vorsichtig daran erinnern, dass hier noch ein menschliches Leben vorhanden sei.
Der Professor ließ seinen Blick über alle Gesichter wandern, stand auf und verließ den Krankenraum.
Die Regierung erhielt die Erklärung umgehend. Wie unzählige Horden angriffslustiger Hornissen standen sie am kühlfinsteren Nachthimmel.
Fest positioniert, mit großen Scheinwerfern. Diese Hubschrauber hatten es in sich.
Viel mehr als diese Gasbläschen aus dem schwarzen Moor.
Es zog sich zurück. Mit jeder lichterhellten Nacht ein Stück mehr.
Und bald war es dann soweit, Sinan Byrton konnte das Krankenhaus verlassen.
Als gesunder Mensch, liebender Familienvater und............neuer Held.
„Martha, es gibt Dinge, die kann man nicht verstehen. Man muss sich nur in ihnen zurechtfinden.“
Letzte Sonnenstrahlen trafen auf die Veranda.
Ihre Gemüter erhellten sich.
Friedrich