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Das alte Haus
Seltsamerweise war ich nervös. Beim Frühstück fiel mir die Zeitung in viele Einzelteile, die wenig später genervt im Wohnzimmer landeten, weil ich sie dort energisch hinwarf. Also einen Freitagmorgen ohne Zeitung. Doch grimmig machte es mich schon. Nun, es half eh nichts und ich beschloss, ein wenig zu walken, das würde die innere Spannung lösen. Wenig später war ich fertig angezogen und machte mich auf den Weg.
Die kühle Oktoberluft blies mir ins Gesicht und tat augenblicklich ihre Wirkung. Sofort entspannte sich mein Gesicht und die innere Unruhe ließ spürbar nach. Locker und entspannt lief ich durch den Park, der sich vor meinem Haus erstreckte, und kam nach einer guten Stunde wieder. Eilig kam mir der Postbote entgegen. „Guten Tag Frau Seilert, na wieder fleißig?“
„So fleißig wie sie, jeden Tag – tschüss!“ Er hob noch mal die Hand und verschwand um die Kurve. Für mich war keine Post gekommen, was mich sehr freute, quoll mein Briefkasten doch fast über mit Werbung und Korrespondenz.
Fröhlich lief ich die Treppen zu meiner Wohnung hinunter. Meine Räumlichkeiten waren im Souterrain untergebracht, doch wer glaubt, Kellerwohnungen seinen kalt und dunkel, den muss ich enttäuschen. Meine Wohnung war wunderbar hell, Küche und Schlafzimmer hatten große Fenster, die jede Menge Licht reinließen. Die Morgensonne kam ins Wohnzimmer und die Abendsonne verabschiedete sich durch Schlaf– und Küchenraum. Nur das Badezimmer hatte keine Fenster, was nichts machte, denn dort waren gute Lüftungsschächte, die einwandfrei funktionierten und keinen Schimmel zuließen oder schlechte Gerüche. Fröhlich zog ich meine Turnschuhe aus und meine Hausschlurfen an, große Tigertatzen mit Krallen und ich ging ins Wohnzimmer. Dort lag immer noch die Zeitung, welche ich nun sortierte und in Ruhe durchlas. Vieles stand nicht drin, war es nur ein kleines Blatt, das regelmäßig einmal pro Woche kam und nur provinzartige Feste ankündigte. Doch dann fiel mein Blick auf eine große, fett gedruckte Anzeige, die inmitten einer Seite stand.
„Große, wunderschöne Altbauwohnung (Jahr 1846) zu 1.11 frei, 66m ² 445 Euro warm, Tel. Nr.
Ich stutzte. Die Adresse kam mir sehr bekannt vor, die Straße war nicht mal 5 Minuten von mir entfernt, das Haus war wirklich so alt? Doch der Mietpreis war unglaublich – fast wie ein Traum. Kurz entschlossen griff ich zu Telefonhörer. Es dauerte nicht lange und es meldete sich jemand, eine junge Frau, wie mir schien. Nach einigen Minuten hatte ich einen Termin ausgemacht, in einer Stunde konnte ich vorbei kommen. In mir tobte ein Sturm. Eigentlich hatte ich nicht vor umzuziehen, war ich doch mit meiner Wohnung zufrieden, also was sollte ich da? Eine Altbauwohnung kostete außerdem eine Menge mehr an Heizungskosten, da meistens die Decken viel höher waren. Renovieren konnte sich zum Albtraum entwickeln, da die Wände wahrscheinlich superschief waren. Warum sich also die Gedanken und Sehnsüchte antun? Energisch schüttelte ich den Kopf und verwarf die Gedanken. Gucken kostet nichts und unterschrieben habe ich ja auch noch nicht, also Schluss. Ich begann, abzutrocknen und Geschirr wegzuräumen, das vom Frühstück angefallen war. Binnen von wenigen Minuten war die Küche wieder sauber und ordentlich. Ich schaute auf die Uhr. Es waren nur läppische zwanzig Minuten vergangen und noch jede Menge Zeit. Also beschloss ich, meinen Schreibtisch von der Papierflut zu befreien, die sich dort wieder stapelte. Doch auch diese Arbeit hatte ich schneller erledigt, als ich gedacht hatte. So nahm ich zum guten Schluss den Staublappen und wedelte alles ab, was in meinen Augen staubverdächtig war. Diese Arbeit hatte nun die richtige Zeit in Anspruch genommen und ich machte mich zu dem schönen Haus auf.
Es machte bei Weitem nicht den Eindruck, als sei es dreihundert Jahre alt, doch beim näheren Hinsehen wurde es allzu deutlich. Der Eigentümer hatte die Außenfassade vor Zerfall zu retten versucht, waren überall Reparaturstellen zu sehen. Die Haustür war erneuert worden, doch war der Rahmen des 20. Jahrhunderts wohl zu hoch gewesen und so war ein einfaches Fenster eingebracht worden. Beim Raufgehen der Treppen wurde ich nicht enttäuscht, jede Stufe krachte und ächzte unter meinem Gewicht, wie ich es erwartet hatte. Im zweiten Stock hörte ich etwas lauter Musik, dort war die Wohnung, welche vermietet werden sollte. Zügig ging ich auf die Geräusche zu und lag richtig mit meiner Vermutung, dort stand eine Frau, ca. dreißig Jahre alt und schaute neugierig zu mir hin. „Frau Seilert?“ Ich nickte deutlich. Sie ließ mich ein und wies mir den Weg.“Ganz geradeaus durch, dort ist das Wohnzimmer.“ Ich ging wie beschrieben durch den Flur, der fast genauso aussah, wie es mir vorgestellt hatte.
Die Decke war bestimmt vier Meter hoch und sah schief aus. Hinzu kam, dass seit Ewigkeiten der Flur nicht gestrichen worden war und nach oben einen widerlich bräunlichen Farbton hatte. Das Wohnzimmer sah genauso aus, alt und irgendwie schmutzig. Offenbar war diese Frau nicht die ordendlichste, einige Kleidungsstücke lagen quer auf der großen, braunen Couch und ihr Wohnzimmer war belagert von Zigaretten, Tabakkrümel und Papieren.“Schauen Sie sich nur nicht allzu sehr um, ich hatte gestern eine Party und bin noch ein wenig verkatert, bitte nehmen Sie Platz.“ Wie es mir angeboten wurde, tat ich es, obwohl ich am liebsten wieder rausgelaufen wäre. Diese Wohnung war ein Albtraum. „Wahrscheinlich klingelt das Telefon wohl den ganzen Tag, auch ziemlich anstrengend, nicht wahr?“
„Ne – Sie sind eigentlich die Erste.“ Staunend sah ich die Frau vor mir an und musterte sie ein wenig. Sie war kaum älter als ich, aber um einen Kopf größer. Ihre Haare waren gut gestylt, doch ihre Kleidung passte nicht dazu, eine kunterbunte Patchwork–Hose und einen blauen Pullover hatte sie an. Die Hose knalleng, der Pulli locker und leger. Plötzlich hörte ich ein dumpfes Aufprallen, in einen Eimer, so glaubte ich zumindest. „Was war das für ein Geräusch?“ Ein fragender Blick traf mich. „Es klang so, als sei irgendwas irgendwo hineingefallen.“ Ihr Gesicht lockerte sich. „Ach das, ja das sind die Spinnen.“ Zunächst dachte ich, falsch gehört zu haben, doch dann traf mein Blick an die Decke, wo ein sehr großes Loch war und just in dem Moment ein rundes, schwarzes etwas herabfiel. „Wo kommen die her?“
„Das weiß ich nicht, aber diese Spinnen sind so was von lieb – spinnen keine Netze, beißen nicht und lassen sich mühelos anfassen.“
Nicht, dass ich was gegen Spinnen hätte, doch war ich plötzlich am zweifeln. Denn wenn diese Erscheinung wirklich eine Spinne war, dann hatte sie schon die Größe einer Streichholzschachtel. „Schauen Sie selbst, Frau Seilert, vollkommen friedfertig!“ Sie griff in den Eimer und holte zu meinem Entsetzen eine ganze Hand voller Spinnen heraus. Sie gab sich nicht einmal die Mühe, sie sanft anzufassen, was den Tieren mit Sicherheit nicht gut tat. Sichtlich unerschrocken ließ sie die Arachniden auf den Tisch fallen, die dort wieder ihre Beine auseinander breiteten, als hätte man auf einen Knopf gedrückt. Und sie rannten nicht davon, sondern bewegten nur langsam ihre Gliedmaßen.
„Interessant, aber sagen Sie Frau …“
„Tolkert, Sabine Tolkert.“ Ich hatte den Faden verloren durch ihre Unterbrechung, als ich wieder dieses dunkle Aufprallen hörte. „Wie viele sind das denn ungefähr? Kommen die alle aus dem Mauerwerk?“ Frau Tolkert zuckte schweigend die Achseln, nahm wieder eine Spinne und setzte sie sich auf die Hand. Das Tier machte nicht die kleinsten Anstalten, weglaufen zu wollen. Die Spinne war kohleschwarz, hatte fast einen kugelrunden Körper und ziemlich dicke Beine. Sabine schloss plötzlich die Hand und die Spinne begann, sich zusammen zu falten, ganz verdreht und krumm. Als sie die Hand wieder öffnete, faltete sich dieses schwarze Wesen auseinander und blieb ruhig sitzen. Viel von Spinnen verstand ich nicht, doch in einem war ich mir sicher, normal war das nicht, keine Spinne konnte sich so mit den Beinen verbiegen. „Die sind nicht von dieser Welt,“ sagte ich leise vor mich hin, doch schien mein Gegenüber es gehört zu haben. „Wer weiß, vielleicht kommen sie ja vom Mars!“ Sie lachte, brachte das achtbeinige Wundertierchen zu dem Eimer zurück, der schon sehr voll war. Nun wurde es mir doch zu viel – ich ließ mir rasch die anderen Räume zeigen und verließ dann zügig die Wohnung, mit der Beteuerung, dass ich mich melden würde, was jedoch zum Himmel erstunken und erlogen war. Die Wohnung war nicht nur alt, sondern absolut nicht gepflegt.
Viele Wochen vergingen und die Wohnung war immer noch nicht vermietet, was in meinen Augen kein Wunder war, denn viele hatten gegen Spinnen einen absoluten Ekel. Plötzlich fiel mir wieder die absolute Beweglichkeit der Spinnen ein und rief kurz darauf in dem nächsten Zoo an, der in der Nähe war und auch Spinnen hatte. Der Herr am anderen Ende hatte mir vieles erzählt, doch von einer Gattung, die sich biegen und drücken ließ, hatte er noch nie etwas gehört. Und anhand seiner Stimme merkte ich deutlich, dass er mir kein Wort glaubte. Ich nahm es ihm nicht übel, doch ließ mich die ganze Sache nicht los. Schließlich ging ich nochmal zu Frau Tolkert. Ich klingelte vergebends, niemand öffnete die Tür, doch plötzlich kam mir eine andere Mieterin entgegen und ich fragte sie kurzerhand nach den Spinnen. „Diese Spinnen kommen bei uns allen durch die Decke, wahrscheinlich hat eine große irgendwo ihr Nest oder was auch immer zwischen den Balken, ich erschlag die Brut, nutzt aber nichts, die Viecher kommen wie Ratten.“ Ich war mehr als erstaunt. „Dann muss es vielleicht gar nicht das Mauerwerk sein, sondern eventuell der Speicher …“
„Keiner hat einen Schlüssel zu dem, was sollen wir da oben auch, jeder nutzt den Trockenraum, ist viel größer und bequemer.“ Die alte Frau ging an mir vorbei und auf die Straße, die vor dem Haus lag, hinunter. Als die Dame außer Sichtweite war, betrat ich den Hausflur, meine Tasche hatte ich geschickt zwischen die Tür geklemmt, damit sie nicht zufiel. Schnell lief ich die knarrenden Treppen hinauf und hoffte innerlich, dass sich irgendwo eine normale Tür oberhalb der letzten Etage befinden würde und keine Klappe, die man mit einem Haken hinunterziehen sollte. Ich wurde nicht enttäuscht, nach der letzten Etage ging ein langer Gang an der Wohnung vorbei und dort am Ende war eine ganz normale Tür mit einer sehr alten Klinke. Ich drückte sie hinunter – sie war nicht verschlossen. Mit klopfendem Herzen betrat ich den Speicher und schaute mich vorsichtig um. Der Raum war riesig, ich hatte ihn mir nur halb so groß vorgestellt. Das Dach wurde von gewaltigen Balken gestützt, die sehr sauber waren, kein Flaum von Staub war zu sehen. Mein Blick wanderte zu einer Ecke, wo Fässer aus Holz standen. Neugierig und vorsichtig ging ich zu ihnen hin und erstarrte. Hinter den Fässern war eine riesige Spinne, so groß wie ein Bett. Sie war hellbraun am Körper und schwarz an den Beinen, die eckig und staksig aussahen. Auch sie erblickte mich und sah mich an. Ich bewegte mich nicht, sondern versuchte, ruhig ein – und auszuatmen. Doch ich war außerstande, ordentlich Luft zu holen. Meine Beine gingen plötzlich rückwärts und in mir regte sich Panik.
Mir schoss plötzlich durch den Kopf, wie harmlos und friedlich die kleinen, schwarzen Spinnen waren. Sie ließen sich ja ganz grob anfassen und waren gelenkig ohne gleichen. Eine normale Spinne wäre mit Sicherheit zerquetscht worden. Und noch was fiel mir auf. Diese Spinne hatte zwar Fühler, jedoch keine Klauen oder andere Beißwerkzeuge, ich sah jedenfalls direkt keine. Und bei einer Spinne solcher Größe konnte man die eigentlich nicht übersehen. Zögernd ging ich auf dieses Tier zu, das völlig regungslos mitten im Raum stand, und berührte vorsichtig den Körper. Doch ich konnte nicht herausfinden, wie sich der Torso anfühlte.
Er war irgendwie weich und pelzig, wie der Körper einer Ratte. Doch fehlte die Wärme, dieser Körper war gänzlich kalt.
Mit einem Mal ruckte der Körper der Spinne hoch und nun stand das Tier in voller Größe vor mir, was erschreckend war, denn nun war ich winzig klein.
Plötzlich senkte sich der Hinterleib der Spinne und es plumpste eine kleine, runde Kugel heraus. Binnen weniger Minuten entfalteten sich acht dünne, struppige Beine und eine kleine Spinne begann langsam, sich auf mich zu zu bewegen. Ich stand immer noch wie gelähmt da, mit dem Hintergedanken, dass diese Tierchen ganz friedlich wären und ich keine Angst haben brauchte. Doch die große Spinne gebar nun im Sekunden-Takt die kleinen Spinnen und nun war im Speicher ein reges treiben, das sich immer auf mich zu bewegte. Innerhalb weniger Augenblicke krabbelten die Tiere an mir herauf und platzierten sich an verschiedenen Stellen meines Körpers. Einige Hundert waren es inzwischen schon bestimmt. Nun krabbelten einige Spinnen mir in meinem Gesicht herum, was mir plötzlich die Besinnung nahm. Ich sackte zusammen und blieb regungslos liegen.
Wie lange ich bewusstlos war, wusste ich nicht, aber als ich aufwachte, war irgendwas anders. Ich konnte nicht mehr aufstehen und alles um mich herum war größer. Die Fässer, die in der Ecke standen, waren plötzlich viel riesiger und massiger. Und auch der Abstand zu den Dachbalken war immens hoch."Willkommen Schwester."