Das alte Landhaus
Er hatte das alte Landhaus in einem Katalog entdeckt. Klein und unscheinbar hatte es dort gestanden zwischen den mächtigen Ferienanlagen, die mit ihren riesigen Terrassen und ausladenden Balkonen an zu groß geratene Hochzeitstorten erinnerten. „Widerlich“ musste er sich damals im Stillen gedacht haben, die überdimensionalen Bettenburgen vor sich, und sein Blick war gleichsam als ob es das Natürlichste auf der Welt wäre an diesem unscheinbaren, englischen Landhaus hängen geblieben, das er noch in derselben Woche besichtigt und wenige Tage nach Unterzeichnung des Kaufvertrages bezogen hatte.
Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen: Das grauschwarze, lang gezogene Schieferdach, die backsteinfarbene Hauswand mit ihren winzigen Fenstern und der gemütliche, kleine Vorgarten mit Veranda – Genau wie er es sich schon immer gewünscht hatte. Der größte Trumpf aber, so hatte er jedenfalls befunden, lag in Ruhe und Abgeschiedenheit, die ihm seine neue Bleibe bescherte. Eine Ruhe, für die er bereit gewesen wäre auf nahezu alles in seinem Leben zu verzichten.
An jenem Spätsommertag im August saß er wie üblich in seinem kleinen Garten und ließ seinen Blick über die Landschaft schweifen. Bäume, so weit sein Auge reichte, tiefe, unendliche Wälder, die am Horizont mit dem Himmel verschmolzen und sich in dünnen, weißen Schlieren verloren – Vorboten des nahenden Gewitters. Den ganzen Tag über schon hatte eine unangenehme Schwüle in der Luft gelegen, das hatte er selbst in seiner Oase hier inmitten des Waldes gespürt und so überraschte es ihn nicht, dass sich zu den Dunststreifen jetzt allmählich auch dicke, weiße Wolken gesellten, die sich nach und nach zu verdunkeln begannen. Langsam und stetig, ohne etwas überhasten zu wollen, schoben sie sich vor die rötlich schimmernde Sonne und begannen mit den langen, durchsichtigen Dunststreifen zu kontrastieren - Ein Licht – und Schattenspiel, an dessen Ende die Dunkelheit siegen würde, dumpf und schwer wie eine Bleikugel.
Es hatte ungewöhnlich wenig geregnet in den letzten Wochen, die Flüsse zeigten mancherorts bereits Austrocknungserscheinungen und so wartete die Natur beinahe schon sehnsüchtig auf das bevorstehende Schauspiel – Immer in der Hoffnung, dass seine Akteure ihre Rollen nicht überzogen.
Ein Windstoß fuhr durch sein Haar. Noch immer saß er fast starr in seinem kleinen Lehnstuhl auf der Veranda, zufrieden, die Hände in seinen Schoss gebettet und den Blick auf das weite Meer in Grün gerichtet, welches vor seinen Augen sanft zu vibrieren begann, den langsamen, gleichmäßigen Bewegungen einer Rauchschwalbe folgend.
Die Zeit zog an ihm vorüber wie ein launiger Vogel. Stunden erschienen ihm wie Minuten, eine Minute füllte in seinem Empfinden gerade einmal den Moment eines Fingerschnippens – Einen jener Augenblicke, die er am Liebsten auf eine Leinwand gebannt hätte, um immer und immer wieder darin eintauchen und mit ihnen verschmelzen zu können, ein Ausdruck der absoluten Glückseligkeit jenseits von Raum und Zeit.
Er schloss die Augen. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er wohl noch den gesamten, restlichen Tag so verbracht – In seinem Lehnstuhl sitzend, vor sich hindösend, den Duft von Tannenreisig in der Nase und die unausgesprochene Gewissheit, mit sich und der Welt im Reinen zu sein. So aber spürte er einen plötzlichen Ruck, einen unangenehm heftigen Stoß gegen den Kopf und im Anschluss daran vernahm er ein lautes Krachen. Der Sonnenschirm war umgekippt und hatte ihn im freien Fall derart unsanft gestreift, dass er mit seiner Hand jetzt ein Taschentuch gegen die linke Stirnseite drückte, um seine Blutung zu stillen. Er fluchte kurz, wartete einen Augenblick, steckte das blutige Taschentuch wieder ein, bückte sich, spannte den Sonnenschirm ab, klemmte ihn unter den Arm und machte sich auf den Weg nach innen. Der Himmel hatte sich inzwischen in ein bedrohliches Schwarz verwandelt, ein weiterer Grund, seine Träumereien allmählich in die warme Stube zu verlegen. Er hörte, wie die Tür hinter ihm ins Schloss fiel und gleichzeitig der Wind an den Fensterläden zu rütteln begann.
Das Innere des Landhauses konnte man grob in zwei Stockwerke unterteilen, in dessen Unterem sich der Hauptraum, ein lang gezogenes, großzügig angelegtes Wohn – und Speisezimmer, befand, das an seiner Westflanke in eine kleine Landküche mündete. Auf gleicher Höhe mit der Schwingtür, welche die beiden Räumlichkeiten voneinander trennte, führte in der Südwestecke des Zimmers eine schmale, alte Holztreppe in den ersten Stock, der zwei Schlafräume, seine Werkzeugkammer und ein Badezimmer beherbergte.
In der Mitte des Wohnzimmers thronte eine ca. zwei Meter breite und acht Meter lange Tafel, die ein antiker Kerzenhalter und ein Aschenbecher zierten. Rund herum standen jeweils in einem Abstand von zirka einem halben Meter zirka dreißig altmodische Holzstühle.
Gegenüber der Tafel, links neben der Eingangstüre, befanden sich an der Ostflanke des Raumes ein Glastisch, ein altmodisches Sofa und eine lang gezogene Sitzgruppe, daneben, in Richtung der südlichen Seitenwand, ein landhaustypischer Kaminofen und ein ca. 4 m langes Bücherregal.
Die Wände zeigten sich mit Ausnahme der Stirnwand, die ein paar Jagdbilder zierten, kahl. An der Südfront stand etwa auf gleicher Höhe mit dem Kerzenhalter und in einiger Entfernung vom Bücherregal ein massiver Einbauschrank aus Eichenholz, der ein wenig die Sicht auf die gegenüber liegende Treppe verdeckte. An der rechten Seitenwand gaben zwei schmale Fenster den Blick in den Vorgarten frei, unweit davon sprang die schwere Eichenholztüre ins Auge, an deren rechter Seite wiederum ein Lichtschalter angebracht war, der den von der Decke hängenden, mächtigen Luster bediente.
Genau diesen Lichtschalter betätigte er jetzt auch, bevor er sich an den Glastisch setzte, auf dem ein Becher und eine Flasche Rum standen. Er schenkte sich ein paar großzügige Schlücke davon ein und machte es sich am Sofa gemütlich. Ein Griff an seine Stirn zeigte ihm, dass seine Blutung inzwischen aufgehört hatte und so beschloss er, das Verbandszeug vorerst ruhen zu lassen. Stattdessen griff er zu seinem Lieblingsbuch und schlug die Seite 50 auf. In diesem Thriller, der von einer Studentengruppe erzählte, die sich während eines Gewittersturms in einem Wald verlaufen hatte und Opfer eines blutrünstigen Serienkillers geworden war, ging der Kommissar gerade einer Fährte, die zum Versteck des Mörders führen sollte, nach.
Zufrieden lehnte er sich zurück. Er liebte solche Bücher. Sie gaben ihm die Stärke, die innere Kraft, die er in seiner Abgeschiedenheit brauchte. Und die Gewissheit, nicht allein zu sein…
Er las ein paar Seiten – Bis zu der Stelle, an der der Kommissar das Versteck gefunden hatte – und legte das Buch dann beiseite. So würde ihm noch ein wenig Spannung bleiben.
Ein Blick auf die Uhr. 17.20. Da hatte er noch Zeit. Seine Spaziergänge unternahm er nie vor 18.00, zumindest im Sommer nicht, denn untertags trieben sich zu viele Leute im Wald herum und die konnte er nicht gebrauchen. So viel stand fest.
Er stand auf, ging zum Einbauschrank und entnahm ihm ein Feuerzeug und einen Aschenbecher.
Der Wind draußen hatte inzwischen Sturmstärke erreicht und drückte unentwegt gegen Fenster und Türen. Ein kurzer, flackernder Lichtschein streifte sein Gesicht. Er schüttelte den Kopf. Wenn es so weiterging, würde er heute wohl gar nicht mehr rauskommen. Der Gedanke daran bereitete ihm Kopfzerbrechen.
Fluchend stellte er den Aschenbecher auf den Glastisch, kramte in seiner Hosentasche nach einer Packung „Marlboro“ und zündete sich eine Zigarette an, als er plötzlich ein Knarren vernahm.
Seltsam. Was konnte das sein? Er glaubte, dass das Geräusch von innen kam. Von oben, um genau zu sein. Und oben müsste eigentlich alles ruhig sein, denn er hatte vor dem Hinausgehen sowohl Fenster als auch Türen geschlossen.
Kopfschüttelnd nahm er einen tiefen Zug aus seiner Zigarette, blies den Rauch aus und neutralisierte den Zigarettengeschmack in seinem Mund mit einem kräftigen Schluck Rum.
Der Sturm draußen wurde von Minute zu Minute stärker, erbarmungslos rüttelte er an Fenster und Türen. Er stand auf und überlegte sich, wie er das Fensterglas schützen könnte, das trotz seiner relativen Dicke angesichts der Naturgewalt jeden Moment zu bersten drohte.
„Die Lexika“, schoss es ihm durch den Kopf. „Ich werde die Lexika auf die beiden Fensterbretter stellen, das wird das Glas ein wenig stabilisieren“ Er wusste selbst, dass dieser Plan nicht besonders durchdacht war, aber etwas Besseres fiel ihm auf die Schnelle nicht ein.
Er steuerte auf das Bücherregal zu, als er erneut das seltsame Knarren hörte. Diesmal war er sich sicher, dass das Geräusch von innen kam. Wie angewurzelt blieb er stehen und blickte auf den Deckenleuchter. Es hatte sich so angehört, als ob jemand auf dem Schlafzimmerfußboden über ihm getreten wäre. Mit einer ausladenden Handbewegung wischte er diesen Gedanken beiseite. Das konnte nicht sein. Seit Jahren war niemand außer ihm im Haus gewesen.
Ein greller Lichtschein spaltete den Himmel, wenige Sekunden darauf folgte ein ohrenbetäubender Knall. Das Gewitter hatte die unmittelbare Umgebung erreicht.
Er hielt den Atem an. Wie auf Zehenspitzen schlich er zum Bücherregal und entnahm ihm zwei achthundertseitige Wälzer, zwei vergilbte, alte Lexika, die ihrem Aussehen nach bestimmt schon ein paar Kriege miterlebt hatten.
Vorsichtig bewegte er sich, die beiden Lexika unter dem Arm, in Richtung der Fenster, als er ein drittes Mal das seltsame Geräusch vernahm.
Schritte. Das Knarren von Schritten.
Schweißperlen traten ihm auf die Stirn. Was, wenn hier tatsächlich jemand eingedrungen war? Er erinnerte sich daran, dass er auf der Veranda zuvor kurz eingedöst war …
Beinahe augenblicklich legte er die Bücher auf den Tisch, drehte sich um und begann, in seiner rechten Hosentasche zu kramen. Auch das noch! Seine Knarre war verschwunden.
Das Herz klopfte ihm bis zum Hals. Jetzt nur nicht die Nerven verlieren. Es gab sicher eine logische Erklärung für diese Geräusche und auch dafür, dass er plötzlich keine Beretta mehr in seiner Hosentasche spürte.
Während der Orkan draußen einem neuen Höhepunkt entgegen strebte, überlegte er fieberhaft, wo er „seine schwarze Freundin“ hingelegt haben könnte. Es wollte und wollte ihm nicht einfallen.
Der Himmel hatte inzwischen seine Schleusen geöffnet, Wasserfontänen peitschten unaufhörlich gegen Fenster und Türen. Ein Blitz war gerade im Begriff, sich ein neues Opfer zu suchen, als es ihm schoß. Der Kopfpolster, ja natürlich. Warum hatte er nicht gleich daran gedacht? Es war ihm jetzt schon mehrmals passiert, dass er auf seinen abendlichen Steifzügen die Pistole vergessen hatte, deshalb hatte er beschlossen, sie auf den Kopfpolster zu legen. Um auf Nummer sicher zu gehen. Gewohnheitsmäßig wechselte er nämlich, bevor er außer Haus ging, die Kleidung und vergaß die Pistole dann in letzter Zeit öfters in der Schmutzwäsche. Am Kopfpolster, so war zumindest seine Überlegung, würde sie ihm ins Auge springen und nachdem er sie untertags ohnehin nie brauchte, erschien ihm dieser Ort auch sehr praktisch. Bis jetzt zumindest. Im Augenblick erwies er sich als äußerst unpraktisch für ihn, denn wenn es tatsächlich einen Eindringling gab, einen Verrückten oder - schlimmer noch - einen Bullen, dann war sie ihm jetzt wohl in die Hände gefallen.
Der Gedanke daran ließ ihn erschaudern. Was wollte dieser Kerl überhaupt von ihm? Hatte er irgendeinen Fehler gemacht?
Nahezu lautlos erhob er sich und schlich zur Küche. Auf Höhe der Tafel hielt er kurz inne. Kalter Schweiß rann ihm über den Rücken. Da war es wieder! Tap, tap, tap. Schritte, daran bestand kein Zweifel mehr. Jemand musste in sein Haus eingedrungen sein.
Jetzt hieß es schnell handeln. Flink wie ein Wiesel glitt er stumm an der Tafel entlang. Sein Herz hämmerte mit den dicken, schweren Regentropfen um die Wette, begleitet vom dumpfen Heulen des Windes und dem unsteten, grellen Flackern der Blitze, die die Landschaft draußen Sekunde für Sekunde in ein schreiendes Gelb tauchten.
Er versuchte, die Geräusche zu abstrahieren, Außen von Innen für sich zu trennen, doch angesichts der Bedrohung und des dröhnenden Lärms gelang ihm das immer weniger.
Hatte er sich die Schritte am Ende vielleicht nur eingebildet? War er Opfer einer Sinnestäuschung geworden? Mit diesen und ähnlichen Gedanken versuchte er sich zu beruhigen.
Ein oder zwei Meter trennten ihn noch von der Schwingtür zur Küche, als er plötzlich einen ohrenbetäubenden Knall vernahm. Beinahe gleichzeitig ging das Licht aus.
Er blieb stehen und lauschte. Regen und Wind, sonst nichts. „Der Strommast“, fuhr es ihm durch den Kopf. Der Sturm musste den Strommast geknickt haben.
Seine Hände vibrierten. In der Dunkelheit war er ein Nichts, da würde er den Kampf verlieren. Schon als Kind hatte er sich im Keller ohne Licht immer gefürchtet. Sein Orientierungssinn erwies sich schon bei Helligkeit als nicht besonders ausgeprägt, im Dunkeln aber, und das wusste er, würde er ein Spielball seiner Umgebung sein. Einer Umgebung, in der sich jetzt ein bewaffneter Einbrecher befand.
Er fluchte in sich hinein. Mit einem Mal erschien ihm seine sonst so friedvolle Umgebung wie ein zähnefletschendes Ungeheuer, aus dessen Schlund gelbe Feuerstreifen entwichen und dessen einziges Ziel darin bestand, alles zu vernichten, das ihm in die Quere kam.
Zu allem Überdruss schien jetzt auch noch eine Fensterscheibe geborsten zu sein, jedenfalls spürte er, wie Wind und Feuchtigkeit in den Raum drangen.
Sein Puls bewegte sich in schwindelerregenden Höhen , als er vor der Küchenlade stand und beinahe lautlos ein langes, scharfes Messer herauszog.
Trotz des Lärms, der durch das undichte Fenster jetzt noch erbarmungsloser nach innen drang, hörte er die Schritte inzwischen so deutlich, dass es ihm die Kehle zuschnürte. Das Messer dicht an seine Brust gepresst, tastete er sich in Windeseile zur Küchentür zurück, schob sich so leise er konnte hindurch und arbeitete sich wieder in Richtung Ofen vor.
Die Schritte näherten sich der Treppe. Leise, etwas undeutlicher jetzt, denn Sturm und Regen verwischten die Geräusche so sehr, dass man sie kaum noch voneinander unterscheiden konnte und obendrein war auch noch ein stetes Donnerrollen zu hören.
Sein inneres Fluchen verschmolz mit dem Jammergeheul des Windes, als er in der Dunkelheit gegen eine Tischkante stieß. Der Schrei erstarb ihm in der Kehle, sodass nur ein undefinierbarer, abgehackter Laut entwich, ein Fragment jenes Schmerzes, der in diesem Augenblick seinen ganzen Körper durchzuckte.
Die Schritte wurden wieder lauter. Sein Atem gefror zu Eis. Robbend bewegte er sich am Boden entlang zum Einbauschrank.
Der Einbauschrank. Der würde seine einzige Chance darstellen, das hatte er sofort erkannt. Bücherregal und Sofa schienen ihm zu klein, er musste sich hinter dem Einbauschrank verstecken und warten, bis der Angreifer über die Treppe herunter kam. Alles andere wäre zu gefährlich, zumal er mit seiner Waffe klar im Nachteil war und ein gezielter Schuss aus seiner Beretta genügte, um ihn niederzustrecken.
Auf allen Vieren kroch er zum Tisch. Er überlegte kurz, ob er nach dem Feuerzeug greifen sollte, verwarf diese Idee aber rasch wieder, da er nicht das geringste Risiko eingehen durfte. Er musste seinen Eindringling im Dunkeln überraschen und dabei hatte er vielleicht sogar bessere Karten, als es ihm anfänglich schien, denn wenn der Typ das Haus verlassen wollte, das wusste er, würde er durch diesen Raum und wohl auch am Schrank vorbei müssen - Es sei denn, er wagte den Sprung aus einem der Schlafzimmerfenster, was angesichts der Höhe aber nicht ohne gröbere Verletzungen abgehen würde. Oder er nahm den Weg um die Tafel herum. Daran hatte er nicht gedacht. Verdammt! Obwohl, wenn er den Weg um den Tisch herum nahm, begab er sich in die Gefahr, in der Dunkelheit dagegen szu stoßen, ja vielleicht sogar zu stürzen, und jeder Sturz bedeutete einen Zeitvorsprung für seinen Gegner. Dieses Risiko würde der Typ nicht eingehen, da war er sich sicher. Wenn er sich überhaupt so gut auskannte.
Ha! Plötzlich fühlte er sich wieder stark. Er blieb eben doch der Hausherr in seinem kleinen Schloß.
Die Schritte kamen jetzt die Treppe herab, langsam und bedächtig näherten sie sich ihrem Opfer. Er spürte, dass der Eindringling geradeaus gehen würde.
Jetzt nur nichts verraten. Der kleinste Hinweis konnte über Leben und Tod entscheiden. Der Angreifer konnte nicht wissen, wo er war. Er würde es vielleicht erahnen, aber was bedeutete das schon in der vollkommenen Dunkelheit, in der selbst ein Holzsessel noch ausreichenden Sichtschutz bot.
Seine Haut fühlte sich wie eine leere Hülle an, unter der ein brodelnder Vulkan schlummerte. Dunkelheit und Nässe rissen Löcher in den Raum, die nur das unstete, grelle Flackern der Blitze gelegentlich zu füllen vermochte.
Die Schritte hallten durch das Treppenhaus, als wollten sie es mit dem Donner aufnehmen. Auf einmal, urplötzlich und zum ersten Mal in seinem Leben, begann er die Dunkelheit zu lieben. Dieselbe Dunkelheit, die ihm eine solche Furcht eingejagt hatte als Kind. Die Dunkelheit, die ihm jetzt rettend zur Seite stehen würde. Die Dunkelheit, mithilfe der er jetzt seinen Eindringling bezwang..
Er hielt das Messer fest umklammert. Sein ganzer Körper schien auf Kampf programmiert, jeder Muskel verriet Angriffssignale. Angst und Schweiß lagen in der Luft. Die Spannung - nahezu unerträglich.
Genau zwei Meter trennten ihn noch von seinem Angreifer. Er konnte seinen Atem förmlich riechen, als er, das Messer noch immer fest umklammernd, in einer ausholenden Bewegung seine rechte Hand über den Kopf hob.
Er sah seinen Eindringling im Geiste bereits taumeln und zu Boden gehen, als es ihm urplötzlich schoss. Sein Atem.
Noch bevor er den Gedanken zu Ende führen konnte, spürte er einen Windhauch. Ein gellender Schrei und ein Schuss. Und dann…
… ging das Licht an.
Eine dumpfe Männerstimme ertönte . „Nein, nein, nein!!!“ Tiefes Aus – und Einatmen.
„Das ist jetzt das dritte Mal, dass wir diese Szene drehen und Sie verlieren schon wieder die Nerven! Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie müssen den SCHUSS abwarten.“
Entnervt fuhr sich der Regisseur durch sein Haar und gab den Blick auf sein Kamerateam frei, das hinter der sorgsam aufgebauten Kulisse zum Vorschein trat.
Wind – und Lichtmaschine verstummten, die Gießkanne fieberte ihrer Verschnaufpause entgegen. „Jetzt haben wir uns solche Mühe gegeben, die ganze Sequenz in einem durchgedreht und Sie kippen in der letzten Sekunde! Ein bisschen bessere Nerrrrrven, mein Herrr“
Der Regisseur rollte das „rrr“, als wollte er sich seine Zunge beschädigen. „
„Ein Hauch hätte noch gefehlt und Sie wären tot gewesen, Herr Fuchsberger. Hin, kaputt. Verstehen Sie. Das, was Sie den ganzen Nachmittag lang schon wollen.“
Er stieß einen Seufzer aus. Die Lichtmaschine blinkte, als wollte sie Herrn Fuchsbergers entnervten Blick durchbohren und ihm zu verstehen geben, dass er sich augenblicklich wieder in den Lehnstuhl auf der Veranda setzen wird müssen.
„Eine kurze Pause, das hält ja sonst keiner aus“, wimmerte der Regisseur vor sich hin, nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Amarettoflasche und begann die Szenerie zu begutachten. Das letzte Mal für heute, das schwor er sich, denn das nächste Mal würde Herr Fuchsberger sterben – So oder so, wenn es sein musste.