- Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
- Kommentare: 4
Das Archiv
Ich will ihnen eine kleine Geschichte erzählen, die mir erst kürzlich passiert ist.
Ich war wie immer bei der Arbeit, und mein Vorgesetzter hielt mich an, einige Akten aus dem Archiv zu holen.
Ich ging also hinunter in den Keller, wo sich das Archiv befindet und betrat den Raum.
Um hier direkt mal falsche Vorstellungen zu vernichten, das Archiv hat so in etwa die Größe eines Imbisswagens.
Unserer Firma ist nicht sonderlich groß, ehrlich gesagt bin ich neben meinem Chef der einzige Mitarbeiter.
Ich betrat also den Raum ohne Fenster und nestelte an dem Lichtschalter herum, während hinter mir die Tür ins Schloss fiel. Und dann war es dunkel.
Sehr dunkel.
Die verstaubte Birne verweigerte auch nach dem zehnten Mal Schalter drücken ihren Dienst, also tat ich mich daran, diesen Raum wieder zu verlassen, bevor ich mir an einem der Regale eine schmerzhafte Beule zuziehen würde.
Ich drückte die Klinke, aber die Tür ließ sich nicht öffnen, was eigentlich unmöglich war, denn diese Tür besaß nicht einmal ein Schloss.
Wahrscheinlich klemmte sie nur, aber soviel ich auch rüttelte und drückte, sie gab nicht einen
Millimeter nach.
„Na toll“, sagte ich laut und fing dann an, gegen die Tür zu hämmern und lautstark nach meinem Chef zu rufen.
Dass dieser mich hörte war allerdings eher unwahrscheinlich, da ich mich wie schon gesagt im Keller befand, während er wahrscheinlich gerade in der Kaffeeküche im ersten Stock seinen Cappuccino schlürfte.
„Schöne Scheiße“, sagte ich und ließ mich mit dem Rücken an der Tür hinab gleiten und beschloss zu warten. Früher oder später würde er schon kommen, wenn ich nicht zurückkehrte.
Also da saß ich nun und dachte an meine Freundin und was für Sachen ich heute Abend mit ihr anstellen würde, als ich plötzlich ein komisches Geräusch hörte.
„Blop“.
Es klang so, als würde ein ziemlich großer Regentropfen auf ein Wellblechdach schlagen, aber da es hier unten weder Regen noch Wellblech gab, schied diese Möglichkeit wohl aus, und ich wollte es gerade als Halluzination abtun, als ich es wieder hörte.
„Blop“, klar und deutlich.
Auf meinem Rücken machte sich eine Gänsehaut breit, auch wenn ich eigentlich eher nicht der ängstliche Typ bin.
Aber ich saß nun mal alleine in einem pechschwarzen Raum und es herrschte Stille, und das sollte es auch, wenn ich alleine in diesem Raum gewesen wäre. Und da dieses unüberhörbare „Blop“ wieder erklang, kam ich zu der Schlussfolgerung, dass ich eben nicht alleine in diesem Raum war, und das erzeugte bei mir unweigerlich eine Gänsehaut.
„Ähm, hallo?“ sagte ich in etwas brüchiger Stimme, bekam aber natürlich keine Antwort.
Stattdessen fiel mir auf, dass es hier ungewöhnlich kalt drin war.
Nun gut, in Kellern ist es meistens kühl, aber dieser hier wird immer etwas beheizt, damit die Akten nicht faulen.
Wahrscheinlich war einfach nur der Strom ausgefallen. Aber das würde die Kälte auch nicht erklären.
Ich fühlte mich jedenfalls zunehmend unwohl und hatte das Gefühl, schon mindestens eine halbe Stunde hier zu hocken, in Wirklichkeit waren es aber insgesamt nur zehn Minuten gewesen, die ich in diesem Raum verbrachte.
Plötzlich spürte ich etwas an meinem Hosenbein, etwas kroch an meinem Knöchel hinauf. Etwas Kaltes, Glitschiges. Erschrocken schrie ich auf, schlug auf mein Bein ein und rutschte gleichzeitig nach links, weg von dem Ding.
Dann hörte ich es wieder.
„Blop“.
Es war direkt vor mir. „Ahhhh!“ kreischte ich und schlug im Dunklen um mich.
Alles was ich damit erreichte war, dass einige Akten aus dem Schrank vor mir fielen und dabei so viel Krach veranstalteten, dass ich mich noch mehr erschreckte und noch lauter schrie.
Ich drängte mich in die linke Ecke des Raumes und hielt meine Hände schützend vor mein Gesicht. Zu unheimlich war diese Berührung gewesen.
Wahrscheinlich habe ich gezittert wie Espenlaub, deswegen bemerkte ich es wohl auch erst, als es schon an meinem Oberschenkel angekommen war.
Dünne, glitschige Fäden zogen sich über mein Bein und sie waren so furchtbar kalt.
Voller Panik versuchte ich es abzuschütteln, aber es klebte an mir wie Pattex. Schmerzen verspürte ich nicht, aber das war wahrscheinlich der Schock.
Mir war als könnte ich einen warmen, fauligen Atem an meinem Gesicht spüren, etwas beschnupperte mich. Ich kreischte und schrie.
In meinen Ohren erklang ein zynisches Lachen.
Die Fäden hatten sich inzwischen bis zu meinem Bauchnabel hochgearbeitet, ich spürte sie überall, sogar an meinem Hintern.
Gerade, als ich in hoffnungsloser Resignation mit meinem Leben abschließen wollte, wurde die Tür aufgestoßen.
Gleißendes Licht erfüllte den Raum und mein Chef sah verwirrt auf mich hinab.
„Was ist denn hier los?“, fragte er beängstigt, als er in meine wahrscheinlich sehr irren Augen sah.
Der Druck an meinem Bein war verschwunden, kein Lachen, kein Atem, kein Blop mehr.
Alles was auf mir lag war ein feuchter Wischmob.
Ich brauchte einige Minuten, bis ich aufstehen konnte. Niemals hatte ich mich bisher vor der Dunkelheit gefürchtet. Heute schlafe ich nur noch mit Licht.
Später an diesem Tag, nachdem ich meinem Chef die Sache erzählt hatte, lachten wir beide über meinen Kampf mit dem Mob. Hier oben kam mir alles richtig albern und auch etwas peinlich vor. Bis meine Freundin mich abends auszog und mich fragte, woher denn die Streifen an meinem Bein kommen würden.
An Sex war da nicht mehr zu denken. Für die nächsten Wochen.
Ich habe den Keller nie wieder betreten. Ich hatte immer eine andere Ausrede, wenn es darum ging, etwas von dort zu holen.
Das war meine Geschichte, etwas wirr, was?
Jetzt sitze ich hier. Mein Chef ist vor achtundvierzig Minuten hinunter gegangen. Ich werde dort nicht hinunter gehen.
Mir war, als hätte ich einen Schrei gehört, aber niemand wird mich noch einmal dort hinbekommen. Niemand. Ich warte noch fünf Minuten, dann rufe ich die Polizei an.
Vielleicht bewerte ich die ganze Sache auch über. Aber Moment. Hören Sie das auch?
„Blop“.