Das Böse mitten unter uns
Eigentlich liebte Beth diese freien Tage, an denen sie sich einfach nur zurücklehnen und dabei einen kalten Eistee trinken konnte, während sie sich in der Sonne bräunte. Doch dieser freie Tag war im Winter, weshalb sie nichts mit sich anzufangen wusste. Also nahm sie ihren dunklen, langen Ledermantel, zog sich die langen Latexstiefel mit den spitzen Hacken über die dicke Baumwollstrumpfhose, knallte die schwere Holztür ihrer Wohnhaushälfte hinter sich zu und stapfte durch den leichten Vorhang aus Schnee, der sanft auf die Erde rieselte.
Es war schon dunkel und Beth konnte schon den Vollmond am Himmel sehen, obwohl es noch recht früh war. Angst hatte sie nicht, die hatte sie nie. Wovor denn auch? Es gab nichts gefährliches für sie, niemand, der ihr gefährlich werden konnte.
Eine weiße Katze, die im Schnee nur durch die gelben Schlitzaugen zu erkennen war, folgte Beth auf Samtpfoten. „Na du? Hast du dich schön dem Schnee angepasst, ja?“, fragte Beth die Katze mit leicht ironischem Unterton und lächelte sie dabei an. Die Katze gab ein „Miau!“ als Antwort, bevor sie auch schon verschwunden war.
Beth zuckte nur die Schultern und ging weiter. Sie begegnete einigen Leuten auf der Straße, deren Lippen von der Kälte bereits so violett wie die Tulpen im Frühling waren, für die Beth nur ein müdes Lächeln übrig hatte. Ihr selber war im Winter nie kalt und im Sommer nie warm.
Der Schnee begann dichter zu fallen, doch Beth störte das nicht. Sie kannte den Weg im Schlaf. Die Katze folgte ihr wieder, was Beth sofort bemerkte. „Da bist du ja wieder!“, begrüßte sie die Katze, „Rate mal, wo wir hingehen? Ja, genau! Zu den Kleinen, ich habe sie schon eine Ewigkeit nicht mehr besucht und ich glaube du treuloses Schaf auch nicht.“ Vor Kälte (oder vor Scham?) zog die Katze ihren Kopf ein und blickte beinahe schuldbewusst nach unten.
An einer riesigen Kreuzung wählte Beth die rechte Abzweigung, die immer schmaler wurde, bis die einst breite Straße nur noch ein matschiger Feldweg war. Weit und breit war nichts zu sehen, keine Häuser, keine Bäume, keine Sträucher. Nur eine ebene Fläche, die der Schnee in der Dunkelheit aufhellte. Kinder waren nicht mehr auf den Feldern, doch es waren wohl welche da gewesen, denn mitten auf einem Feld stand ein mächtiger Schneemann, der sogar eine Wintermütze auf dem Kopf hatte.
Langsam näherte sich Beth dem Platz, zu dem sie wollte, einer kleinen, mit großen Felsen besetzten Lichtung, die von riesigen Tannen und Fichten umgeben war. Beth konnte diese Nadelbäume nicht ausstehen. Wenn sie unter ihnen hindurch ging, war ihr komplettes Outfit mit Nadeln übersäht, was an sich kein Problem wäre, doch das Zeug klebte immer wie verrückt in ihren pechschwarzen Haaren und manchmal fand Beth nach Tagen noch eine Tannennadel im Haar.
Doch eigentlich machte es nichts. Beth musste unter diesen Bäumen durch, sie hatte es schon längst aufgegeben sich darüber zu beklagen, vor allem aber, weil ihr keiner zuhörte.
Als sie sich nun also zwischen den Felsen befand, die etwas gewachsen zu sein schienen, als sie das letzte Mal hier war, flüsterte sie etwas und drehte sich zu der Katze um. Diese kletterte nun auf einen der Felsen und miaute erfreut.
„Kommt runter!“, rief Beth und der Katze folgten zwei kleine Kinder, die einfach den Felsen hinunter rutschten, als wäre er ein Schneehügel und sie würden Schlitten fahren.
„Ihr sollt uns doch öfter besuchen kommen, Uns ist langweilig hier!“, rief eines der Mädchen und schaute grimmig drein. „Ich musste da auch durch.“ „Halt uns keinen Vortrag. Ich will endlich wieder leben!“, sagte das selbe Mädchen patzig. „Komm, bald ist es doch geschafft, dann sind wir wie Tante Beth.“, erklärte das andere Mädchen beruhigend, doch es schien nicht zu helfen.
„Pass auf, das die böse nicht siegt, vor allem, weil Dombra kein schöner Name ist. Setz dich durch, das ist immer am besten, ich will nicht, das ihr so werdet wie eure Mutter. Ich möchte, das ihr Liz heißt, dann wird es euch viel besser gehen.“, fing Beth an, doch sie wurde unterbrochen.
„Halte dem Kind keine Predigten, es ist nicht deins. Die Kleine wird zu mir gehören, ob du willst oder nicht. Der böse Teil von ihr wird siegen, wer will denn schon gut sein? Du! Du bist aber auch eine Missgeburt, eine Schande für die Familie, unter Menschen zu leben. Es gibt nicht viele von deiner Sorte und ich will das es auch so bleibt!“, ertönte eine forsche Stimme.
„Gasthe, du verstehst es nicht. Sie werden die Familie ausrotten, sie wird sterben wie unsere Eltern und unsere Onkels und Tanten. Wir müssen uns dem Guten anschließen. Überlass deine Kinder mir. Es wir ihnen besser gehen. Schau wie viele dich jagen, willst du, das deine Kinder auch einmal so in Angst leben müssen?“, versuchte Beth die junge Frau mit den weißblonden Haaren zu beschwichtigen, doch die gab keine Ruhe.
„Ich habe eine Idee!“, erklärte Beth, als sie das Gemecker und Gejammer von ihrer Schwester Gasthe nicht mehr ertragen konnte. „Lass unsere Katzen kämpfen, wessen Katze gewinnt, der entscheidet was aus den beiden wird. Dann können sie sich schon jetzt vereinigen und ich hab eine Nichte, die mir folgt...“ „Das hättest du wohl gerne! Mein Kater ist viel schlauer und stärker als dein mickriges etwas.“ „Also nimmst du die Herausforderung an?“ „Ja!“
Die weiße Katze mit den gelben Augen setzte sich seelenruhig neben Beth und blickte in die hellblauen Augen eines Katers, der soeben neben Gasthe aufgetaucht war.
„Weg, Kinder, wir müssen aus der Schussbahn!“, befahl Beth und die zwei Mädchen gehorchten.
Plötzlich sprang die Katze mit den blauen Augen nach vorne und wollte die mit den gelben beißen, doch diese war schon längst ausgewichen und auf den Felsen gesprungen.
Der Kampf war schnell vorbei. Er dauerte schon seine fünf Minuten, doch die Katze mit den gelben Augen hatte die andere schnell im Griff und biss ihr schließlich die Kehle durch.
„NEIN!“, schrie Gasthe und verlor sich im Schnee.
Die beiden Mädchen wurden von einer unsichtbaren Kraft aneinander gezogen und nachdem ein lauter Knall, den nur die Leute auf dem Platz hören konnten, ertönte, fand sich ein kleines Mädchen, mit pechschwarzem Haar und ebenso pechschwarzen Augen auf dem boden wieder. Die Augen glänzten gefährlich, doch dieser Blick wurde sofort von einem normalen abgelöst.
„Geht doch. Also Liz. Oder?“, erkundigte sich Beth, worauf das Mädchen nickte
„Na, dann ist ja gut. Verhalte dich unauffällig, ruhig. Da ist deine Mutter, sie wird dir jetzt dienen. Du hast Glück auf meiner Seite zu sein. Wir werden...“ das Mädchen unterbrach Beth aufgeregt. „Ich weiß das alles, können wir nicht gehen und unseren Höchsten besuchen, damit er mir denjenigen zeigt, den ich als erstes...“ Beth nickte. Sie war damals auch so aufgeregt gewesen. Sie kannte genau dieses Kribbeln in den Fingern und wusste wie es Liz ging. Es war Zeit für Liz, ihren ersten Menschen zu töten.
Eine graue Katze rieb sich an Liz’ Beinen. „Komm Mama, wir wohnen jetzt bei Tante Beth und Oma!“, sagte Liz zu der Katze und folgte ihrer Tante durch die Nadelbäume.