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Das Buch
Mein Name ist Anton Wegener. Ich schreibe dieses E-Mail mit letzter Kraft. Ich hoffe ich kann es beenden bevor ich eines grausamen Todes sterben werde. Es ist eine Warnung an die Nachwelt vor einem Buch und dessen wahnsinnigen Autor.
Ich wollte gerade meine Wohnung verlassen, als ich die Eingangstür öffnete sah ich meine Nachbarin Frau Sander vor mir stehen. Es sah so aus als wollte sie gerade bei mir anklopfen. Ihr Gesicht, nein ihre ganze Gestalt, ich kann es hier gar nicht richtig beschreiben, es war so las würde eine alte ausgetrocknete Mumie vor mir stehen. Ich konnte es zuerst gar nicht fassen, sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst, ihre krumme Haltung als hätte sie keine Kraft mehr, trotzdem versuchte sie mir etwas zu sagen, aber ich konnte ihr leises, von Schwäche hervorgerufenes, Wispern nicht verstehen. Ich beugte mich näher heran, da sah ich erst, daß sie aus Nasen, Ohren und Mund blutete und gleich darauf fiel sie in sich zusammen. Sofort wollte ich ihr helfen, ich erfasste sie an ihrem Handgelenk, aber ich schreckte sofort zurück, das was ich berührte fühlte sich nicht wie normale Haut an, es war wie Papier, das bei der kleinsten Berührung zu zerreißen drohte und dem war auch so, zwischen ihrer Haut erblickte ich das Weiß eines Knochen. Aber was mich wirklich erschrecken ließ, war daß es unter ihrer Haut kribbelte, als würden lauter kleine Ameisen in ihr verweilen. Ich konnte mich nicht überwinden sie nochmals zu berühren. Langsam kam Panik in mir auf, aber ich hatte mich noch im Griff und ging nochmals in meine Wohnung um die Rettung anzurufen. Als ich die Notrufnummer wählte, hörte ich ein leises Schlurfen, ich war kurz davor total durchzudrehen, aber ich hatte mich noch so weit unter Kontrolle, daß ich mich langsam umdrehen konnte. Nun war es soweit, als ich meinen Blick den Flur entlang durch die Wohnungstür hinaus warf, erstarrte ich total, es wurde ganz still um mich und die Panik hat voll und ganz den Besitz von mir ergriffen. Ich starrte wie durch einen engen dunklen Tunnel auf die Stelle wo Frau Sander lag, sie war leer. Das einzige was noch übrig war, war ein kleiner Rinnsal von Blut am Boden. Durch die unheimliche Stille hörte ich eine leise Stimme, die aber immer lauter wurde und meinen Panikzustand durchbrach. Es war die Person am anderen Ende der Telephonleitung, die mich wüst beschimpfte, da ich den Notruf schon länger blockierte, daraufhin legte ich perplex auf. Nun da ich wieder meine Sinne unter Kontrolle hatte, hörte ich das Einschnappen der Eingangstür von Frau Sander. Ich zwang mich dazu an ihrer Tür zu klopfen, da ich trotz meiner Erleichterung, daß sie noch am Leben war Angst hatte. Nach mehrmaligen klopfen gab ich es auf und informierte den Hausmeister, damit er ihre Tür aufsperren konnte. Wir fanden sie tot am Boden liegen. Der Anblick war grauenvoll. Neben ihr lag ein Buch und da fiel mir erst auf, dass sie genau dieses in der Hand hielt als sie vor meiner Tür stand. Es sah so aus als wollte sie es zurück in das Bücherregal schieben bevor sie tot zusammenbrach. Als der Hausmeister ging um die Rettung zu holen, betrachtete ich das Buch ein wenig näher. Wie es mir schien war es ein sehr altes Exemplar, gebunden in dunkelbraunes Leder. Der Titel des Buches war in einem alten arabischen Dialekt geschrieben, den ich aber zu diesem Zeitpunkt nicht entziffern konnte. Aber es dürfte das Buch sein, welches sie vor einigen Monaten erworben hatte und zu entschlüsseln versuchte. Der alte arabische Dialekt dürfte nicht einmal ihr geläufig gewesen sein, denn sie war eine Expertin auf diesem Gebiet. Da kurz darauf die Rettung eintraf konnte ich mich nicht noch näher mit dem Buch auseinander setzen. Der Notarzt konnte nur noch den Tod von Frau Sander feststellen, aber er mußte selbst zugeben, daß er so etwas noch nie in seinem Leben gesehen hatte.
Das Begräbnis fand fünf Tage später statt. Bei der darauf folgenden Testamentsverlesung erfuhr ich zu meiner Überraschung, daß mir ein beträchtlicher Teil ihrer Büchersammlung, wo auch unter anderem das besagte Buch vorkam, zugesprochen wurde. Eine Woche danach kam der Gerichtsvollzieher und ich konnte mir die Bücher holen, ich ergatterte, nach einer kurzen Diskussion mit dem Gerichtsvollzieher, auch noch das Manuskript, das Frau Sander geschrieben hatte. Ich machte mich gleich daran dieses Manuskript zu lesen.
Manuskript von Frau Sander:
Diese Aufzeichnungen behandeln das Buch eines arabischen Alchemisten Namens Abdul Naldir. Dieses Buch fiel mir durch Zufall bei einer Reise in Persien auf einem Bazar in die Hände. Ich konnte es zu einem günstigen Preis kaufen, da der arabische Bazarhändler nicht wußte, was er für ein altes und seltenes Exemplar besaß. Meinen ersten Eindrücken zu folge wurde das Buch in einem arabischen Dialekt geschrieben, der ungefähr vor tausendachthundert Jahren in Südpersien gesprochen wurde. Ich konnte es gar nicht erwarten nach Hause zu kommen um mit meinen Nachforschungen zu beginnen.
Beginn der Aufzeichnungen:
Heute war ich auf der Universität, bei einem früheren Kollegen von mir, um das genaue Alter des Buches zu bestimmen. Durch ein spezielles chemisches Verfahren konnten wir bestimmen, daß das Buch im Jahre 40 bis 120 nach Christus geschrieben wurde. Der Einband selbst wurde aber erst später, zwischen 200 und 280 nach Christus hergestellt. Es war anscheinend ein sehr wertvolles Buch, wenn es hundert Jahre später in einen aufwendigen Einband gebunden wurde. Da ich nun genau das Alter wußte, konnte ich mich in der Universitätsbücherei mit arabischen Philologiebüchern eindecken, um mit meiner Übersetzung zu beginnen.
Jetzt sitze ich schon einige Wochen an diesem Buch, aber anscheinend reichen meine Kenntnisse in den alten arabischen Dialekten doch nicht soweit wie ich dachte, selbst die Bücher aus der Universität helfen mir nicht weiter. Ich werde wohl eine Pause einlegen um mehr Abstand zu bekommen, aber nicht nur deswegen, denn ich dürfte auch zuviel gearbeitet haben. Meine Niedergeschlagenheit wird von Tag zu Tag großer, obwohl ich jede Nacht wie ein Toter einen traumlosen Schlaf genieße, trotzdem fühle ich mich am Morgen so als hätte ich die ganze Nacht durchgearbeitet. Ich werde wohl einpaar Tage in meinen kleinen Gartenhäuschen am Rande der Stadt meine Seele baumeln lassen, um wieder Energien zu sammeln.
Meine Erholungsphase dauerte nicht lange, erstens da ich mich nach zwei Tagen wieder so kraftvoll fühlte wie vor langer Zeit nicht mehr und zweitens da ich auf einen Gedanken gekommen bin, der mir hoffentlich weiter hilft.
Zu meiner Erleichterung war mein Gespür richtig. Das Buch ist zwar in einem nicht so geläufigen Dialekt geschrieben, aber die größte Schwierigkeit liegt darin, daß es noch dazu verschlüsselt ist. Ich dürfte aber auch einen Teil des Codes gefunden haben. Nach einer Woche Recherche, konnte ich herausfinden, daß auf dem Einband nicht der Titel stand sondern ein Name, der anscheinend nicht dechiffriert war, wie ich aus anderen Geschichtsbüchern erfahren habe. Der Name ist Abdul Naldir und er war ein arabischer Alchemist der zur gleichen Zeit lebte als das Buch geschrieben wurde. Er war eine große Persönlichkeit und auch ein äußerst genialer wie wahnsinniger Wissenschafter. Naldir war auf der Suche nach dem ewigen Leben. Er war auch das Oberhaupt eines Kultes, über den ich aber bis jetzt nichts Näheres erfahren konnte. Ich weiß nur, dass die damaligen religiösen Herrscher den Kult zerschlugen und Naldir zu Tode verurteilten. Sein Sohn und sein Enkel konnten den Kult noch zweimal aufleben lassen, und seine Nachforschungen weiter führen, aber sie ereilte das gleiche Schicksal und somit wurde es still um die Familie Naldir. Nun konnte ich mir auch endlich erklären warum das Buch erst über ein Jahrhundert später gebunden wurde.
So jetzt habe ich die ersten Buchstaben entziffert, aber es sind noch zu wenige um den Text lesen zu können. Ich habe zwar schon einpaar sinnvolle Wörter bilden können, aber mir fehlen noch zu viele andere Buchstaben, so daß der Text einen Sinn ergeben könnte. Außerdem bin ich seit meiner Rückkehr in die Wohnung wieder so niedergeschlagen, daß ich nur langsam mit meiner Arbeit vorankomme. Ich kann es aber nicht verstehen, daß ich so lasch bin, mein Schlaf ist so ungestört wie noch nie und dauert immer gute neun Stunden, trotzdem werde ich von Tag zu Tag immer träger. Ich wollte schon einen Arzt aufsuchen aber die Arbeit an dem Buch läßt mich nicht mehr los.
Jetzt sind schon mehrer Monate seit dem Kauf des Buches vergangen und ich bin so weit, daß ich den Text lesen kann. Leider werde ich immer schwächer und das Lesen bereitet mir schon große Schwierigkeiten, aber ich habe schon die Hälfte des Buches hinter mir.
Es ist vor allem eine Abhandlung der Versuche, die Abdul Naldir anwendete um mehr über die Lebensenergie zu erfahren. Anfangs erprobte er seine Wißbegier an Tieren aus, die oft elendig zu Grunde gingen. Er hatte aber auch Erfolge, zuerst konnte er die Lebenserwartung von Eintagsfliegen fast verzehnfachen, aber sein größter Triumph war, daß er es schaffte das Leben einer Maus bis auf 23 Jahre zu erhöhen. Das Töten von Lebewesen machte ihm immer mehr Vergnügen. Die Abhandlung bleibt trotzdem sehr wissenschaftlich, aber man kann erkennen, daß ihm das Töten und Quälen von Tieren immer mehr Spaß bereitete. Es blieb aber nicht nur bei Tieren, mittlerweile experimentierte er auch an Menschen. Naldir war wirklich eine abartige Person, er konnte nicht mehr genug bekommen seine so genannten wissenschaftlichen Morde wurden immer abscheulicher. Er glaubte das lebende Gewebe anderer Menschen absaugen zu können um sie dann in sich selbst zu injizieren. Dies dürfte dann auch dazu geführt haben, daß er zu Tode verurteilt wurde. Jetzt bin ich schon bei der Hälfte angelangt, aber da mir mein Körper nicht mehr mitspielt, werde ich mich zu Bett begeben. Morgen werde ich das Buch hoffentlich zu Ende bringen.
Dies war das Ende des Manuskripts von Frau Sander. Ich nehme an der Tag an dem sie das Buch fertig lesen wollte, war der wo ich sie vor meiner Wohnungstür vorfand. Ich wollte sofort mit dem Buch beginnen, aber schon auf der ersten Seite sah ich, daß meine arabisch Kenntnisse zu sehr gelitten haben. In den darauf folgenden Wochen führte ich mich wieder in die arabische Sprache ein. Mein Körper dürfte in diesen Wochen eine seltsame Wandlung durch gemacht haben, aber ich wußte zu diesem Zeitpunkt noch nicht in welcher Gefahr ich mich befand. Vor allem verlor ich einiges an Gewicht, obwohl mein Appetit zugenommen hatte. Aber nicht nur der Gewichtsverlust machte mir zu schaffen, ich wurde auch immer träger, es dürften die gleichen Symptome sein, die Frau Sander beschrieben hatte. Ich konnte aber zu keinem Arzt gehen, da mich das Buch magisch anzog, es war wie einer Droge, deren Besitz alleinig schon eine Abhängigkeit hervorrief. Meine arabisch Kenntnisse waren aber schon so weit, daß ich mich in das Buch vertiefen konnte. Ich wußte gar nicht wie abscheulich die Taten von Naldir waren, Frau Sanders hatte in ihren Bericht sehr Sachlich gehalten, aber nun offenbarten sich mir die schrecklichsten Mörderphantasien. Es waren schon die beschrieben Tierversuche am Rande der Unerträglichkeit, aber was er den Menschen antat waren Gräueltaten die weit über den schlimmsten Abartigkeiten standen, die von der menschlichen Geschichte aufgezeichnet wurden. Naldir baute eine Apparatur mit der den Menschen, unter unglaublichen Torturen, das lebende Gewebe absaugte, um es dann in sich zu injizieren. Anfangs verstarben ihm seine Patienten, so nannte er sie, an diesen unermesslichen Qualen sehr schnell, aber er konnte ein Mittel finden mit dem er sie am Leben erhielt bis nur noch Haut und Knochen übrig blieben. Dieses Mittel entwickelte er dann weiter in Kleinstlebewesen, von denen einpaar den Körper am Leben hielten und andere die das Gewebe abbauten und seinem Körper zuführten.
Am Ende des Buches wurde auch auf den Kult eingegangen, von dem Naldir der Anführer war. Bei diesem Kult ging es nicht, wie man es erwartete, um die Anbetung irgendwelcher Götter oder anderer Götzenbilder, sondern nur um das reine Töten von Menschen. Er wurde erschaffen als Naldir immer mehr Gefallen am Töten empfand. Der Kult war wie ein Club, dessen Mitglieder lauter wahnsinnige Massenmörder waren, die sich gegenseitig zu immer grausameren Taten anspornten. Als aber die Opfer auch aus der oberen Bevölkerungsschicht kamen wurde der Kult zerschlagen und Naldir zu Tode verurteilt.
An diesem Abend konnte ich nicht mehr weiter lesen, mein Geist und Körper waren schon zu schwach um fortzufahren. In jener Nacht hatte ich wieder einen überaus tiefen und traumlosen Schlaf, bis mich eine laute Polizeisirene aus dem Schlaf riß. Das was ich sah ließ mich an meinem Verstand zweifeln. Zuerst glaubte ich von lauter Flöhen bedeckt zu sein, aber dann bemerkte ich, daß ein Wolkenstrom von lauter kleinen schwarzen Punkten aus dem Buch zu mir floß und in meine Hautporen eindrang und ein weiterer Strom, der aus mir durch die Wand, in die Wohnung von Frau Sander drang. Nachdem ich aber sofort mein volles Bewußtsein zurück erlangt hatte, zog das Buch den schwarzen Wolkenstrom in sich ein. Ich stürzte sofort zum Buch, um zu sehen was den eigenartigen Vorfall zugrunde liegt. Das Buch lag aber unverändert an seinem Platz und zeigte keine veränderten Merkmale, deshalb schrieb ich den Vorfall zuerst meiner überschwänglichen Phantasie zu.
Aber nun da ich das Buch beendet habe, zeigt sich mir die entsetzliche Wahrheit, weswegen ich diesen Bericht verfasse. Abdul Naldir konnte wirklich sein Leben verlängern, aber nicht nur daß, er war auch befähigt nach seinem Tode wieder zu kehren. Was er auch tat, denn Naldir hatte weder einen Sohn noch einen Enkel, es war er selbst der sich als diese ausgab als er nach seiner Hinrichtung wiederkehrte. Dies bewerkstelligte er, da die Tinte mit der dieses Buch geschrieben wurde, aus den Kleinstlebewesen besteht, die er erschaffen hat. Sie wurden darauf programmiert auch nach seinem Tod, die Körper in der nächsten Umgebung zu befallen und mit deren Substanz seinen eigenen Körper aufzubauen, welcher sich anscheinend jetzt in der Wohnung von Frau Sander befindet. Je länger man diesen Lebewesen ausgesetzt ist um so mehr dringt man in eine Abhängigkeit ein, die einem nicht mehr zuläßt die Nähe des Buches zu verlassen. Diese Abhängigkeit führt im Endstadium zu Beherrschung des eigenen Körpers durch Naldir. Deswegen stand Frau Sander mit dem Buch vor meiner Wohnungstür, Naldir hatte die Herrschaft über ihren Körper gewonnen und wollte mir das Buch zukommen lassen, da der alte Körper von Frau Sander nicht genügend Substanz übrig hatte um seinen eigenen aufzubauen. Frau Sander erlangte aber wieder die Kontrolle über sich selbst und wollte das Buch im Kamin vernichten und nicht wie ich zuerst glaubte zurück in das darüber liegende Regal stellen, aber die Folgen ihres Gewebeverlustes waren zu groß und brachten sie folglich um.
In meinem Kopf macht sich schon die Stimme Naldirs breit, ich setze meine letzte Willenskraft ein um diesen Bericht zu beenden. Aber da, meine Eingangstür, sie öffnet sich, ich erkenne nur einen großen Schatten, der sich langsam auf mich zu bewegt. Es ist Abdul Naldir, sein Körper ist fertig gestellt. Oh Gott nein er wurde nun vom Lichtschein erfasst, der abscheuliche Anblick läßt mich fast in Ohnmacht fallen. Der Prozess ist noch nicht beendet, man kann die einzelnen Muskelstränge sehen, es fehlt ihm vollkommen die Haut. Mit langsamen schlurfenden Schritten bewegt er sich auf mich zu. Je näher er kommt desto mehr Details werden von seiner schrecklichen Unvollkommenheit deutlich. Er will mich, nein er will meinen restlichen Körper um sich zu vervollständigen. Sein Wille schwappt immer mehr auf mich über, ich kann mich nicht mehr von der Stelle bewegen, wo ist die Send-Taste, ich muß dies endlich abschicken und alle vor diesem kranken Massenmörder warnen bevor mich diese Abscheulichkeit aussaugt und nur noch eine leere Hülle Haut von mir übrig läßt.
SEND.