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Das Café La Paix

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01.05.2004
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Das Café La Paix

Das Café La Paix befindet sich in einer Ruhephase. Es dümpelt vor sich hin wie ein Segler in der Flaute. Er versucht, den Vergleich zu rechtfertigen. Was verbindet das Café mit dem Segler? Beide warten. Das Café auf Kundschaft und der Segler auf Wind.
Die schwarz befrackten und weiß behemdeten Kellner stehen still wie Statuen an der Messingbrüstung, die den Barbereich vom eigentlichen Café trennt. Ab und zu verscheucht einer mit einer lässigen Bewegung der über den rechten Unterarm gelegten weißen Serviette eine Fliege. Dann kehrt er wieder zur Unbewegtheit zurück. Es sind sechs.
Wie die sechs Pin up Girls in dem Bild von Daniel Kaplan, unter dem er sitzt.

Auf dem Fenstersims hat eine schwarze Taube Platz genommen. Ihre schwarzen Federn sind stumpf vor Nässe. Sie sieht ihn starr an ohne sich zu rühren. Vögel haben angeblich scharfe Augen. Er fragt sich, was die Taube sieht, wenn sie ihn ansieht.
Die Taube ist das Symbol für den Frieden. Auch das Café La Paix macht seinem Namen im Augenblick alle Ehre. Die vor der gelb schimmernden Messingbrüstung aufgereihten Kellner behalten die wenigen Gäste im Auge und reagieren mit Erleichterung auf jede Handbewegung, sei es den Wunsch nach der Rechnung oder nach Aufnahme einer Bestellung ausdrückend, die sie aus ihrer Muße erlöst.
Er beschließt, daß es Zeit für eine Zigarette ist und geht vor die Tür.
Der Regen fällt samtig weich. Es ist eher ein Nieselregen. Er legt sich wie Spinnweben auf die Gesichter.
Auf einer großen Werbefläche, die vor der Fassade eines Hochhauses auf der anderen Straßenseite hängt, posieren ein Mann und eine Frau in Jeans. Die Werbung wird jetzt angestrahlt. Die Scheinwerfer konzentrieren sich auf die Hauptdarsteller, eine blonde Frau und einen schwarzhaarigen Mann.
Die Frau erinnert ihn an Bärbel. Zu den Jeans trägt sie eine eidottergelbe enge Bluse, die über ihrem Bauchnabel kunstvoll zusammengeknotet ist. Sie steht neben ihrem Partner und sieht auf ihn herab. Die Beine etwas gespreizt, die Hände herausfordernd in die Hüften gestützt. Ihr Gesicht liegt etwas im Schatten. Trotzdem hat es für ihn etwas Provokatives. Wegen der Augen. Die Augen sind halb geschlossen. Sie spähen ihn aus. Sie sind ein Angebot. Doch nur der kann es wahrnehmen, der die Jeans kauft, die die Frau trägt. Das ist Werbung.
Bärbel ist ein Brigitte-Bardot-Verschnitt. Er hat oft nach Ersatz für sie und ihre großen Brüste und Schmollippen gesucht. Seine letzte Eroberung ist eine Mulattin. Sie heißt Marie, aber er hat sie Dionaea getauft. Sie hat Bärbels Lippen. Lippen, die das Blut aus seinen Lippen saugen. Lippen wie die Dionaea Muscipulla, vulgär Venusfliegenfalle genannt, eine fleischfressende Pflanze.
Doch Marie will ihn verlassen. Sie hat José gefunden. Auch ein Mulatte.
„Wir passen besser zusammen“, hat Marie gesagt.
Er hat ihr Recht geben müssen.
„Wegen der Hautfarbe.“
Marie hat eine ärgerliche Handbewegung gemacht.
„Bah, doch nicht deswegen. Er will mich heiraten.“
Er muß zugeben, daß er Marie dieses Angebot nicht gemacht hat. Trotzdem ist er eifersüchtig. Er glaubt, Ansprüche erworben zu haben. Marie hätte ihn fragen können. Aber sie hat ihn vor vollendete Tatsachen gestellt. Ein Fait accompli. Er kennt José. Ein Blender. Er ist Polizist. Aber er ist jung, und die Uniform steht ihm. Sie haben ab und zu im gleichen Café Billard gespielt.
Der junge Mann auf dem Plakat hat ein sinnliches Gesicht. Es ist ein weiches Gesicht, das ein Versprechen für Männer und Frauen bereithält, das er nicht zu erfüllen braucht. Er hat lange schwarze Wimpern, sein schwarzes Haar hängt verschwitzt in die Stirn. Der Mund ist leicht geöffnet, so daß seine Lippen ein flaches O bilden. Auf seinen Wangen haben sich einige Schweißperlen gebildet. Der nackte Oberkörper ist die Brust eines Schwimmers. Man sieht ihm den regelmäßigen Besuch eines Fitneßcenters an. Sein Körper ist sein Kapital. Und seine Ausstrahlung: Sinnlichkeit und eine Mischung aus Weiblichkeit und Männlichkeit. Auf den Mix kommt es an. Er stützt sich auf die rechte Hand, während die linke auf seinem Oberschenkel ruht. Nicht weit von dem Reißverschluß der Jeans entfernt, der halb geöffnet ist. Darunter sieht man den Slip. Ein Slip von Calvin Klein. Ein leuchtend weißes Dreieck.
Er wirft die Zigarettenkippe auf den nassen Asphalt, wo sie zischend erlischt.
Marie ist nicht gekommen. Es sollte eine Aussprache sein. Er kann sich vorstellen, warum sie nicht gekommen ist. José liegt tot in seiner Wohnung über dem Billardcafé. Mit einem kleinen Loch in der Stirn, direkt über der Nasenwurzel.
Er wird zu seiner Beerdigung gehen. Immerhin kannten sie sich, und er wird Marie trösten. Immer wieder.

 

Hallo,

ohne die letzten beiden Zeilen wäre der Text besser dran, glaube ich. Die geben dem ganzen so einen höchst dramatischen Schlußpunkt, der nicht zu dem Text passt. Zumal ihm diese Mulattn doch eher egal zu sein scheint, so eine Übergangsfrau, er ist ja gedanklich noch vollauf mit Bärbel beschäftigt. Und das ist auch ein wenig ein Problem dieser Geschichte. Also da wird sich ja schon in den Posen gesuhlt. Ein Cafè in Paris und die Reklame und alles und auch die Sprache mit "eidottergelb" und diese Orgelpfeifen von Kellnern und Brigitte Bardot und dann heißt die angebetete Frau "Bärbel".

Also das ist so wie wenn man Kerzen anzündet und Sekt kalt stellt und eine wunderschöne Frau in rotem Ballkleid empfängt und dann macht man die Stereoanlage an und da kommt "Ich bin der Anton aus Tirol".

Die beiden letzten Zeilen passen also nicht, aber auch wenn man sich vorstellt, sie wären nicht da, hätte man einen relativ anstrengenden Text, der außer diesen "Männlichkeits"-Posen wenig zu bieten hat. Die Reflektion über ein Werbe-Plakat (die eigene Nicht-Perfektion, das Alter) - das ist schon alles nett gemacht, aber man kennt das einfach. Das war alles schon mal da und mit solchen Ideen ist es so, wenn man das einmal gesehen oder gelesen hat, dann bleiben die hängen. Und wenn man's dann noch mal liest, ist es schon fast langweilig, das müsste dann alles peppiger rüberkommen, aufregender, frischer - auch im Schalen dieser Gedanken. Aber nackt servierte Gedanken, an denen sonst nichts hängt, keine Persönlichkeit, kein Espirt, kein Geist - die ziehen wirklich nur schwer. Schade eigentlich.

Gruß
Quinn

 

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