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Das dritte Gehölz
Ein leuchtendes Warndreieck, dachte ich, als ich im Clubhaus auf sie zuging, sie trug es auf dem Rock, in Schocklila. Sie schwenkte einen Block und ein abgerundetes Knie, und den Block drückte sie gegen ihr Kinn und ihr Knie gegen den Tisch.
Sie war umringt.
Sie trug den Igel-Look. Blond hingen Strippchen in die Stirn. Kurzgeschnitten war sie – wie Spalierobst im Frühherbst. Ihre Nase zog sich beim Lachen kraus:
Segeln?
Morgen nicht, morgen gehe ich ins Gehölz.
Alles lachte. Die Bewegung, mit der sie den Tisch heranzog, hatte die Anzugskraft einer Diesel-Lok.
Drei Augen schien sie zu haben. Irritierend war das. Nie sah sie mich an. Aber sie sah auch nicht geradeaus.
*
Wo traf man sich sonst im winddurchwehten Hamburg, - in Winterhude, am Kanal, wo es nach ein paar Schritten still ist, in der Nähe der U-Bahnstation, oder, rotbezeltet, am Jungfernstieg in Peter Ahrweilers Automatencafé?
Ein leuchtendes Warndreieck hätte man aufstellen sollen, dachte ich, als ich von der Wandsbeker Chaussee in die Schlossstrasse einbog.
Ich hörte das Pochen des Motors, das Klirren des Zündschlüssels.
Treffpunkt: Wendekreis der Straßenbahn.
Ein Parkplatz fand sich. Auch eine Straßenbahn. Aber sie war leer. Für mich sind es nur ein paar Schritte, hatte sie gesagt.
Aus einem Vorgarten kam sie. Sie trug einen stichgelben Rock, einen weißen Pullover und eine schwarzbrotgroße Handtasche.
Der Pullover war wie ein Signal. Auf der Brust leuchtete ein in seiner Exaktheit gestörtes Parallelogramm.
Gehen wir ins Gehölz? fragte sie. Ihre Zähne waren nicht zu übersehen. Ihre Lippen hatten Mühe, sich darüber zu schließen. Das gab ihrem Gesicht etwas Zerplatzendes, als sie lachte, - sehen sie diese komische Insel in der Mitte mit dem Laternenpfahl? – er steht nicht in der Mitte.
Exzentrisch, sagte ich.
An den Weg schoben sich Villen heran mit Erkern von vornehmer Blässe. Marienthal, - hohe Bäume, Drosseln laubraschelnd in den Hecken. Das zweite Gehölz nahm uns auf. In den Häusern gingen Lichter an.
Sie haben gar keinen Mantel an, sagte ich.
Im Gehölz flammten die schlanken Milchzylinder der Laternen auf.
Hier ist es noch zivilisiert, sagte sie. Im dritten Gehölz gibt es keine Laternen.
Am Regendach machten wir Halt. Unter dem strohgedecktem Kegel schob sie die schwarzbrotgroße Tasche auf ihr vorgesetztes Knie und holte eine Zigarette vor.
Hier haben wir unsere Puppen ausgezogen, sagte sie.
Ich gab ihr Feuer.
Es ist so feucht, dass wir nichts entzünden werden, sagte sie mit ihrer kehligen Stimme, als wir weitergingen und ich mir eine Pfeife angezündet hatte. Wollen wir noch ins dritte Gehölz? fragte ich.
Wir haben noch nicht über das Thema gesprochen, sagte sie. Wir überquerten die Asphaltstraße und drangen ins dritte Gehölz. Gebüsch rückte an den Weg, Zweige streiften uns.
Laternen fehlten, das stimmte, der blässliche Himmel war das Hellste, dann sah man noch etwas schimmern,- milchige Knallerbsen im Gesträuch.
Die knacken nicht mehr, sagte sie, als ich einige pflückte und auf den Weg streute, - sie sind schon mulschig.
Dass müssen Sie doch fühlen, dass mir nicht kalt ist, sagte sie. Wir standen am Rand des eingetrockneten Teiches, auf den Blätter fielen. In der Mitte war noch ein Wasserloch. Ein Erpel tappte darauf zu.
Ich habe noch Fotos da, sagte sie. Ich ließ mein Gasfeuerzeug aufleuchten. Sie lachte und hatte Mühe, die Lippen wieder zu schließen.
Sie war so blond wie möglich. Übergroß, dicht, sah ich ihre blauen Augen. Über den Augen und darunter standen die Wimpern Parade wie die Zinken zweier Gartenharken.
Die zierfischbunten Lidschatten leuchteten. Sie strahlten Optimismus aus.
Sie sind okay, sagte ich und dachte an das Titelbild.
Sie haben den Hamburg-appeal.