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Copywrite Das Dunkle in mir

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09.09.2015
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Das Dunkle in mir

Weiches Licht fällt durch die Dachfenster und verzaubert Marie in ein ätherisches Wesen. Sie hat die Haare nachlässig hochgesteckt, blonde Löckchen kringeln sich im Nacken, einige ruhen auf den nackten Schultern. Der Rock ist in kunstvollen Falten zwischen ihren gespreizten Beinen drapiert. Mit dem aufgestellten Fuß wippt sie unruhig. Sie bläst eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Halt doch mal still, Marie!“, sage ich und kaue auf dem Pinselstiel herum.
„Langsam tun mir die Knochen weh. Ich hab jetzt lang genug so gesessen.“ Sie dehnt sich ausgiebig und sendet mir einen Blick, der Funken schlägt.
„Nur noch ein paar Minuten, Kleines. Bitte!“ Ich schäme mich für meine Worte und den Tonfall, in dem etwas Flehendes, Verzweifeltes mitschwingt. Und ich hasse die Stimme in mir, die mir unablässig einflüstert, dass es mir nie gelingen werde, Maries Vollkommenheit zu konservieren, sie unvergänglich und unvergesslich zu machen. Nicht in hundert Jahren. Die Wirklichkeit würde meine Bilder immer Lügen strafen.
Dabei war ich mir sicher, dass mit dem Auftauchen von Marie die Wende in meiner Laufbahn begonnen hätte. Ich fand eine Galeristin, die an mich glaubt und meine Bilder ausstellt, und ich bin fest entschlossen, die Chance auf Erfolg und Liebe festzuhalten, die mir das Leben bietet.

Ich bringe das Raunen in mir zum Schweigen, indem ich mich auf den Schwung der dunklen Brauen und den leuchtenden Punkt in ihren Augen konzentriere. Der Punkt, in dem sich die Welt, das gesamte Universum spiegelt, und der die Marie auf der Leinwand zum Leben erwecken soll. Mit feinen Pinselstrichen tupfe ich das weiße Viereck in die Iris, aber Maries Ebenbild bleibt tot.
Ich lege den Pinsel weg, wische mir die Hände an einem Tuch ab und gehe zu Marie.
Sie lächelt und rafft den Rock hoch. „Ich hab mich schon gefragt, wie lange ich noch warten soll.“
Ich streichle ihre Schenkel, vergrabe mein Gesicht in ihrem Schoß. Sie wirft den Kopf zurück und stöhnt.
Dann trage ich sie zur Matratze, die in einer Ecke des Ateliers liegt, seit mir Marie Modell steht. Ich küsse Hals und Schultern. Maries Duft nach frischen Erdbeeren macht mich fast wahnsinnig.
„Liebst du mich?“ Ich schaue ihr tief in die Augen, als könne ich sie zwingen, das zu sagen, was ich hören will.
„Du kennst die Antwort“, sagt sie ernst.
„Du bist wunderschön.“
„Was hab ich davon? Neidische oder lüsterne Blicke. Keiner interessiert sich dafür, wer ich wirklich bin.“
„Doch, ich“, sage ich mit einer Feierlichkeit, die mir fremd ist.
„Schön sein macht einsam, David. Ich will aber nie wieder einsam sein.“
„Wirst du nicht.“ Ich halte dich in der Dunkelheit. “Ich liebe dich.“
„Auch, wenn ich mein Examen nicht schaffe, weil ich nur noch im Atelier sitze?“ Sie grinst mich an.
„Für immer und ewig.“

Als wir uns schwitzend und keuchend aus den Kissenbergen schälen, steht die Welt in Flammen. Marie tritt an die Fenster und betrachtet das Schauspiel. „Zum Fürchten schön“, sagt sie.
Wie sie so vor dem roten Feuer des Himmels steht, in ihrer Anmut und Zerbrechlichkeit, hinter der sich eine geheimnisvolle Kraft zu verbergen scheint, würde ich sie liebend gerne malen. Aber etwas lenkt mich ab, irritiert mich. Marie leuchtet ebenfalls. Die zarte Haut am Hals sowie Arme und Rücken sind von einer Landkarte aus leuchtend roten Pusteln überzogen.
Ach, du heilige Scheiße! „Was ist denn das?“
„Was denn?“, Marie dreht sich zu mir um.
„Sieht aus wie ein Ausschlag. Juckt das denn nicht?“ Ich will die Stellen berühren, überlege es mir aber anders.
„Wird schon nicht so schlimm sein. Vielleicht eine allergische Reaktion auf deine dämliche Ölfarbe.“
„Und die Vernissage?“
„Ach, bis dahin ist das längst weg.“ Marie grinst wieder und läuft ins Bad. „Aber wenn du mich wirklich liebst, …“ Den Rest verstehe ich nicht, weil sie schon die Tür hinter sich geschlossen hat.
Einer ersten Eingebung folgend, greife ich nach dem Handy, das mir beinahe aus den Händen gleitet.

Seit Stunden sitzen wir nun schon im Wartezimmer und sehen zu, wie Patient für Patient ins Sprechzimmer verschwindet. Ich habe meinen ganzen Charme aufbieten müssen, um kurzfristig den Termin bei dem Hautarzt zu bekommen. Und Marie hat sich erst kindisch geweigert und mir einen Vogel gezeigt, später aber mir zuliebe dem Besuch zugestimmt.
Außer uns wartet nur noch ein junger Mann, der Marie ungeniert anglotzt. Ich bin es gewohnt, dass Marie bewundernde Blicke auf sich zieht. Und normalerweise stört es mich nicht, im Gegenteil, ich finde es aufregend, ja sogar erregend und oft kann ich gar nicht erwarten, dass wir nachhause kommen. Aber dem Pickelgesicht würde ich am liebsten die Fresse polieren.
Marie rutscht auf dem Stuhl hin und her. Sie kratzt sich am Ellenbogen. Endlich wird sie aufgerufen. Marie schwebt über die Fliesen - als schreite sie über einen Laufsteg - und dreht sich noch einmal nach mir um. Sie wirkt amüsiert. Die Tür zum Sprechzimmer öffnet sich wie ein zahnloses Maul und verschluckt Marie.
Zum ersten Mal spüre ich eine diffuse Besorgnis, sie könne für immer entschweben.

Eine warme Hand liegt auf meinem Arm und rüttelt mich sanft. „Hallo! Aufwachen!“ Die dunkle Stimme gehörte der Sprechstundenhilfe. „Was machen Sie denn noch hier?“
Ich war weggedöst und antworte benommen. „Ich warte.“
„Die Sprechstunde ist längst vorbei.“
„Aber, wo ist denn …“
„Sie müssen jetzt gehen! Bitte! Ich muss abschließen.“
Während ich zum Fahrstuhl gehe, sehe ich, dass es bereits dunkel wird.

„Hier ist Marie. Stopp! Nur meine Stimme. Hinterlass mir einfach eine Nachricht!“
„Verdammt, Marie. Wo bist du denn?“ Gefühlte hundertmal habe ich auf die Mailbox gesprochen. Aber sie ruft nicht zurück. Die Wut kommt in kleinen Wellen, schwappt heiß über mich hinweg und lässt geballte Fäuste zurück, die nur noch zuschlagen wollen. Es fehlt nicht mehr viel und ich knalle das Scheißhandy an die nächste Wand und zermalme die Einzelteile unter meinen Sohlen zu Staub.
Die letzten Meter bis zu unserem Haus renne ich. In diesem Moment schwöre ich mir, wenn ich sie finde, dann gnade ihr Gott.
Schon von Weitem erkenne ich, dass in der Wohnung kein Licht brennt. Ich stürme ins Treppenhaus, rempele die Alte aus dem Parterre an, reiße die Wohnungstür auf und rufe Maries Namen. Das Echo wird von den Wänden zurückgeworfen.
Dass ich nicht gleich an mein Atelier gedacht habe. Ich hetze die Stufen nach oben und öffne mit zitternden Fingern das Schloss. Der Geruch von Terpentin liegt in der Luft. Ich lausche in die Finsternis und höre nur meinen fliegenden Atem. Dann ein Rascheln, ein Knistern.
Gerade als ich die Deckenleuchte anschalten will, dringt das Flüstern an mein Ohr. „Bitte lass das Licht aus!“
Marie. Nachdem sich meine Augen an die Düsternis gewöhnt haben, erkenne ich auf unserer Matratze eine Wölbung, einen dunklen Fleck im Grau der Schatten.
„Mir ist so kalt. Kannst du mich wärmen?“
Mit steifen Bewegungen gehe ich zu ihr und lege mich neben sie. „Was machst du denn für Sachen? Warum bist du ohne mich gegangen?“ Meine Worte klingen vorwurfsvoller, als ich es beabsichtigt habe. „Was hat denn nun der Arzt gesagt?“
Sie schweigt, legt den Kopf auf meine Brust und kuschelt sich an mich. Ab und zu wird ihr Körper von Zuckungen geschüttelt und ich glaube, ein Wimmern zu hören. Ich liege wie ein Brett und starre in die sternenklare Nacht.
Ich halte dich in der Dunkelheit.
Nach einer Ewigkeit sagt sie: „Die Antworten wirst du selber finden, David.“

Noch bevor ich die Augen aufschlage, steigt mir ein fremder Geruch in die Nase. Nach faulen Eiern, nach undichtem Siphon.
Ich schiebe die Decke weg, erhebe mich ungeschickt und taumle rückwärts. Ich will schnell eine große Distanz zwischen mich und das stinkende Bündel bringen, das auf der Matratze zusammengerollt schläft. Ich stoße an die Staffelei, der halbfertige Akt von Marie kracht auf den Boden. Die Gestalt zwischen den Kissen erwacht und kriecht auf allen Vieren auf mich zu. Die Haare hängen aschfahl und strähnig herab. Gesicht, Hals und Schultern sind von eitrigen Pusteln übersät. Ein perverses Meisterwerk aus Körpersäften.
„Du bist schon wach, David?“
Die Augen starren mich aus schmalen Schlitzen an. Die winzigen Spiegel in den Iriden suche ich vergeblich. Ich kann nur zurückstarren.
„Was ist mit dir, hast du einen Geist gesehen?“, fragt das Monster.
„Du siehst gefährlich aus. Tut das denn nicht weh?“ Ich widerstehe dem Drang, mich zu schütteln.
Das Monstrum schiebt die Ärmel des Shirts hoch, tastet über sein Gesicht und verschwindet wortlos im Bad. Ich höre nur ein Stöhnen, obwohl ich mit einem Schrei der Verzweiflung gerechnet habe.
Dann öffne ich ein Fenster, ein zweites, aber der Gestank steht wie festverwurzelt im Raum und legt sich bereits wie ein schmieriger Film auf meine Haut. Abwaschen, denke ich nur, bevor er in jede Pore eindringt und mich infiziert. Wie ein Irrer falle ich über das Bettzeug her, es muss schnellstens abgezogen und verbrannt werden. Alles soll in Flammen aufgehen. Ich verheddere mich in den Decken, die ich in den Hof werfen will, und stürze. Das Ölbild liegt vor mir und Marie schaut mir tief in die Augen. Mit einem Mal legt sich Scham über meine Raserei. Die Übertreibung ist die kleine Schwester der Paranoia, sage ich mir und werfe die Zudecken zurück auf unser Lager. Sicher gibt es eine einfache Erklärung für Maries Krankheit und bestimmt wird sie bald wieder gesund und sowieso werden Äußerlichkeiten total überschätzt und vielleicht hat alles einen tieferen Sinn und … Die ganze Welt kann mich mal. Außerdem hat Marie nur mich. Ich halte dich in der Dunkelheit. Eine ausgiebige Dusche kann Wunder bewirken.
Marie steckt den Kopf aus dem Bad. „Sieht nicht so rosig aus, was?“
„Na ja, das wird schon wieder.“ Es ist mir nicht möglich, ihr ins Gesicht zu schauen.
„Was machen wir denn jetzt? Heute Abend muss ich wohl passen“, entschuldigt sie sich. „Schade.“
„Die nächste Vernissage kommt bestimmt“, sage ich. Selbst daran kann ich nicht glauben.

Durch die Ausstellungsräume wabert Gemurmel. Es ist warm und eine unangenehme Feuchtigkeit hängt wie eine dichte Wolkendecke aus Parfüm und menschlichen Ausdünstungen über den geladenen Gästen. Sie stehen in kleinen Gruppen, plappern, kichern, schlürfen Sekt oder deuten mit ausgestreckten Fingern auf meine Werke. Niemand hat mein Erscheinen bemerkt.
Mit Marie an meiner Seite wäre es natürlich ein spektakulärer Auftritt geworden. Marie, die Sensation des Abends, die alles bisher Dagewesene in den Schatten gestellt hätte. Aber ich habe sie in der Wohnung eingeschlossen. Es ist die einzige Möglichkeit, um zu verhindern, dass sie mir folgen und mich zum Gespött machen kann.
Ruth, die Besitzerin der Galerie, stakst mit zwei Gläsern Sekt auf mich zu und reicht mir eins davon. Mit ihren hohen Pfennigsabsätzen überragt sie mich um einen halben Kopf.
„Wo hast du denn deine Muse gelassen?“
„Irgendetwas ist ihr nicht bekommen.“
„Weißt du, was man munkelt?“ Ihr Blick erinnert mich an einen Raubvogel, der seine Beute schon im Visier hat. „Du würdest ihr bald den Laufpass geben.“
„Gerüchte. Darauf würde ich keinen Pfifferling wetten.“ Ich leere das Glas in einem Zug.
„Auf deinen Erfolg!“ Sie prostet mir zu. „Die Leute sind ganz versessen auf deine erotischen Skizzen. Ich hab’s gewusst, deine kleinen Schweinereien schlagen ein wie eine Bombe.“ Ihr Lachen klingt wie das Klirren der Sektflöten. Sie beugt sich zu mir, kommt nah an mein Ohr und raunt: „Es knistert, spürst du das, David?“
Ich lasse sie stehen und hole mir vom Büffet noch ein Glas, dessen Inhalt ich hinunterstürze.

Wohin ich schaue, die Wände lückenlos mit Marie behängt, der makellosen Marie, sitzend, stehend, liegend. Ihr sinnlicher Mund lächelt, die weichen Hände streicheln ihren Körper. Marie, zart, unerschütterlich, unverbraucht. Die Sehnsucht nach dieser Frau bringt mich fast um den Verstand. Ich habe keine Mühe, sie mit all den fremden Menschen zu teilen. Ich ertrage die gierigen Blicke auf Maries entblößter Haut, spüre, wie sie ihr den letzten Fetzen Stoff von Leib reißen und in sie eindringen.
Ein unvernünftiger Stolz wuchert in mir. Schaut nur ihr Bastarde, das ist die Frau an meiner Seite, will ich rufen. Bis mir klar wird, dass Marie vielleicht nie mehr dieselbe sein wird. In Zukunft bekäme ich eitrigen Schorf und tiefe Krater zu sehen. Ein Netz aus lila Spinnfäden würde das helle, wulstige Narbengewebe auf Gesicht, Hals und Schultern bedecken.
Die Marie auf dem Gemälde, neben dem ich stehe, beginnt sich zu bewegen, sie streift sich lasziv einen Träger von der Schulter, fährt sich mit der Zunge über die Lippen, flüstert unverständliche Worte. Dann kratzt sie sich. Ihre Augen funkeln. Die hellen Punkte blitzen. Marie lebt. Die Punkte blähen sich auf, die getrocknete Farbe dehnt sich aus, so dass tiefe Risse entstehen, aus denen gelber, fetter Eiter quillt.
Ein Gestank von faulem Fleisch verbreitet sich, nimmt mir die Luft. Die Kreatur auf der Leinwand lacht. Mir wird schwindelig und ich stütze mich an der Wand ab. Die Farben beginnen zu verschwimmen und ineinanderzufließen, sich mit Blut zu vermischen. Die Schlieren laufen über die Leinwand, tropfen aufs Parkett, wo sie eine stinkende Pfütze bilden. Ein Aquarell des Grauens.

Mein Schaffen löst sich vor meinen Augen auf. Fassungslos spüre ich, wie sich der Raum um mich dreht und mich in die Tiefe reißen will. Ich muss hier raus.
„David“, höre ich Ruth hinter mir rufen, oder vielleicht ist es Marie. Fahrt zur Hölle, alle!

Marie, oder das, was die Seuche von ihr übrig gelassen hat, wartet auf mich in der Wohnung, sie sitzt auf dem Boden und beobachtet die Flamme einer einsamen Kerze. Das flackernde Licht lässt die Schatten tanzen.
Sie sieht zu mir auf und flüstert: „Küss mich, David!“
Das funktioniert im Märchen, da verwandeln sich Frösche in Prinzen, aber in meiner Welt kann ein Kuss aus einem Monstrum keine begehrenswerte Nymphe machen.
„Du musst mich küssen!“
Als ob uns ein Kuss von dem bösen Fluch erlösen kann. „Sag mal, spinnst du? Hast du dich schon mal im Spiegel betrachtet?“ Meine Stimme zischt gefährlich. „Ich kann dich nicht mehr riechen.“
„Morgen werde ich ausziehen“, sagt sie ruhig.
„Morgen“, schreie ich, „morgen geh’n wir noch mal zum Arzt. Und wenn ich dich an den Haaren hinzerren muss. Aber vorher werde ich dich gründlich waschen.“ Ich packe sie an den Handgelenken und schleife sie über den Boden ins Bad. Immer wieder entgleitet sie mir, die Haut fühlt sich heiß und glitschig an. Ich zerre ihr Shirt und Slip herunter, stelle sie unter die Dusche und drehe das heiße Wasser auf. Alles würde ich abwaschen: die Krankheit, den Gestank, die Gefühle. Ich schrubbe Schultern, Arme, Rücken. Ohne Seife. Nur mir meinen Händen. Nur mit meinen Nägeln. Marie wimmert, doch sie wehrt sich nicht. Erst als sich das Wasser, das in den Abfluss gurgelt, rot färbt, lasse ich von ihr ab.
Mit letzter Kraft flüstert sie: „Ich liebe dich, David.“
Ich sinke neben sie und weine lautlos.

„David!“
Es fällt mir unendlich schwer, den Kopf zu heben und die Augenlider zu öffnen. Das Hemd klebt tropfnass am Körper. Mein Verstand versucht verzweifelt, aus Satzfetzen, farbigen Schnipseln und Gefühlssplittern ein Bild zusammenzusetzen. Allmählich tröpfelt Begreifen ins Hirn.
Nur ein böser Traum.
„Komm lass uns gehen!“ Die Stimme ist hell. Sie sitzt in meinem Kopf und hämmert an die Schädeldecke, bevor sie sich in einen harten Wasserstrahl verwandelt und auf mich einprasselt. Erschrocken fahre ich hoch. Marie liegt neben mir, sie schläft, nackt und blass. Ich drehe das Wasser ab, dabei fällt mein Blick auf meine Hände, feingliedrig und schmal, mit dunkelbraunen Rändern unter den Fingernägeln.

 
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Hallo weltenläufer,

schön, dass dich meine Geschichte interessiert hat und dass du mich an deinen Gedanken teilhaben lässt. Danke dafür.

ich weiß noch genau, wie mich damals die Geschichte von Markus umgehauen hat.
Von daher ist die Messlatte recht hoch für mich.
Ja, da bist der nicht der Einzige, dem diese Geschichte noch gegenwärtig ist. Hab’s schon an anderer Stelle erwähnt, dass ich sie auch aus mehreren Gründen sehr außergewöhnlich finde, außergewöhnlich gut. Sie hat einfach zu mir gesprochen: Nimm mich, als ich durch Markus KGs gestreift bin. So muss es sicher beim Copy sein, dachte ich.

Was natürlich irgendwie unfair ist, aber auch nicht einfach ausblendbar, da meine Gedanken immer wieder zum Original schwenkten.
Ich find es nicht unfair, das permanente Vergleichen mit der Vorlage, ehe verständlich. Aber dessen war ich mir bewusst. Das Copywrite sollte ja ein Experiment der besonderen Art für mich sein, mit Herausforderungspotential.

Dass mir deine Geschichte dennoch gut gefallen hat, darfst du als großes Kompliment werten.
Ich mein, die Idee ist dieselbe, die geht jetzt nicht auf dein Konto, du gibst dem ganzen ein neues Setting, einen anderen Anstrich, um mal im Bild deiner Geschichte zu bleiben. Aus diesem Grund reißt mich die Geschichte nicht so sehr wie das Original, denn es bleibt dem Thema treu, kopiert es eben. Aber das ist nicht wirklich eine Kritik - welche Geschichte ist denn nicht bereits geschrieben worden, und außerdem sind wir hier ja beim copywrite.
Danke. Das Kompli nehm ich gerne entgegen.
Es war ja gerade das Thema, was mich so fasziniert und angezogen hat. Fliege meinte auch, dass ich die Geschichte einfach nacherzählt hätte. Ich hingegen sah beim Schreiben öfters die Gefahr, dass ich mich eventuell schon zu weit weg vom Original bewege. Kann man mal sehen.
Und mal ganz unter uns: Diese berühmte Lücke, in die ein Kopierer eintauchen kann, irgendeine „Mangelerscheinung“ ausfabulieren kann, die existiert doch gar nicht bei Eigentlich egal. Also, ich konnte da nix erkennen. Und aus Maries Perspektive zu erzählen, wäre wenig sinnvoll gewesen. Wäre nur die Variante geblieben, die Geschichte weiterzuspinnen, das ist mir allerdings erst nach dem Abgabetermin eingefallen.

Bei Markus' Geschichte gab es für mich den Unterschied, dass ich gelitten habe beim Lesen. Ich wollte, dass das alles ein Traum ist, dass die beiden wieder zueinander finden. Dass sich alles zurückfaltet.
Das ist die Stelle, an der ich lachen musste. Du nimmst mir das nicht krumm. Aber bei meiner Version hatte alle Kommentatoren die einhellige Meinung: Hilfe, bloß kein Traum, wie einfallslos ist das denn. Nein, Scherz beiseite. Ich kann deine Meinung nachvollziehen, wenn du sagst:
Dein David ist mir nicht nah genug, um mit ihm zu leiden. Ein Teil in mir findet es gut, dass er die Rechnung bekommt für seine oberflächige Art, die in meiner Lesart in erster Linie vollkommen ich-bezogen ist. Er will Marie haben, sie besitzen, von ihr Besitz ergreifen und nutzt sie, prostituiert sie, wenn man es eng nimmt, um seinen Erfolg voranzutreiben. Das mag er als Liebe verstehen, und das gefällt mir auch an deiner Geschichte. Seine Wahrnehmung ist nachvollziehbar und recht konsequent umgesetzt.
Die Beschreibung der Marie ist recht eindimensional. Aber das passt eben zu Davids Wahrnehmung. Dass sie unter dieser Wahrnehmung leidest, machst du am Anfang sehr schön deutlich.
Diese Figuren wirken mehr wie Schablonen, haben kaum besondere Eigenheiten, leben nicht in der gleichen Intensität wie Personen, die ich sonst für meine KGs erschaffe, denke ich.

Maries Duft nach frischen Erdbeeren macht mich fast wahnsinnig.
Als Andeutung kann man hier getrost das fast streichen
Bin mir nicht sicher. Ist doch noch früh im Text. Obwohl ich solche Füllsel versuche zu vermeiden, erscheint es mir hier noch angebracht. Mal warten.

„Du kennst die Antwort“, sagt sie ernst.
den Begleitsatz würde ich streichen. Bremst den Lesefluss, wirft Fragen auf, das ernst, die du hier nicht haben willst.
Drüber muss ich nachdenken. Was wollte ich mit ernst aussagen und was macht es mit dem Leser? Marie sollte als jemand dargestellt werden, für den Liebe kein Spiel ist, der die die Beziehung zu David ernst nimmt. Außerdem war mein Bestreben, insgesamt schon etwas mystische, verwirrende Aussagen zu streuen. Doch, ich will in diesem Teil des Textes Fragezeichen beim Leser erreichen. Nachdem nun meine Idee gescheitert ist, verschiedene Lesearten zu ermöglichen (mittlerweile ich habe den Schluss verändert), bleibt wirklich zu hinterfragen, brauche ich das ernst noch.
Da muss noch Zeit verstreichen, bis ich das eindeutig beurteilen kann.

Als wir uns schwitzend und keuchend aus den Kissenbergen schälen, steht die Welt in Flammen. Marie tritt an die Fenster und betrachtet das Schauspiel. „Zum Fürchten schön“, sagt sie.
sehr schön gesagt mi, denn es passt herrlich auf die nun folgende Situation. Plötzlich steht die perfekte Welt in Flammen
Das ist wirklich ein schönes Bild und ein passender Ausruf, mag ich auch.

Einer ersten Eingebung folgend, greife ich nach dem Handy, das mir beinahe aus den Händen gleitet.
der Satz ist wirr und bringt ins Grübeln, würd ein rausnehmen. fehlt dann etwas? Nein. Also weg damit.
Das arme Mädchen kriegt ein paar niedliche Pickelchen und David hat nix eiligeres zu tun, als einen Termin beim Hautarzt zu vereinbaren. Ist dabei so zappelig, dass er das Handy nicht halten kann. Fand ich deutlich. Vielleicht kann ich den Satz geschmeidiger machen.

Marie schwebt über die Fliesen als schreite sie über einen Laufsteg und dreht sich noch einmal nach mir um.
weniger ist mehr. Schweben reicht. Was bringt der Laufsteg für ein neues Bild? Du willst ihre Erhabenheit beschrieben. Eins von beiden reicht.
Ja, da wollte ich ihr Äußeres mit einem Modell gleichsetzen, ohne es explizit auszusprechen. Und Schweben ist wieder ein so schön unheimliches, gruseliges Wort in diesem Kontext.

Die Tür zum Sprechzimmer öffnet sich wie ein zahnloses Maul und verschluckt Marie.
Zum ersten Mal spüre ich eine diffuse Besorgnis, sie könne für immer entschweben.
Ich mag ja sowas, hier finde ich das zahnlose Maul aber etwas weit hergeholt. Der zweite Satz ist wieder sehr gut, unterstützt er wieder Davids Denken
In letzter Zeit lese ich unter meinen Geschichten öfters mal, ich sollte meine Bilder sparsamer einsetzen. Und ich hänge so an ihnen :lol: . In diesem Fall denke ich, dass eine Tür auf einen kranken Geist schon wie ein Maul wirken kann. Und da der Türrahmen einen klaren Umriss hat, also nichts, was an Zähne erinnert, bin ich auf das zahnlos gestoßen. Oder beiße ich mich da total fest.


Ich stürme ins Treppenhaus, rempele die Alte aus dem Parterre an, reiße die Wohnungstür auf und rufe Maries Namen, dessen Echo von den Wänden abprallt und mir wie Schrotkugeln um die Ohren pfeift.
das gehetzte passt sehr gut. Aber nach Namen würd eich einen Punkt setzen. Stell es dir wie in einem Film vor. Alles in Hektik: Die Figur rennt, sie rempelt jemand an, reißt eine Tür auf, ruft den Namen.
Dann würde die Hektik erstmal anhalten, weil jetzt die Spannung in die Höhe getrieben word - ist jemand da? Antwortet jemand? Nein, nur das Echo.
So hab ich das noch nie gesehen, aber es stimmt, nach der Atemlosigkeit erst mal kurz innehalten.
Schrotkugeln finde ich in diesem Zusammenhang kein sonderlich gelungenes Bild.
Davon kann ich mich trennen.

Ich will schnell eine große Distanz zwischen dem stinkenden Bündel, das auf der Matratze zusammengerollt schläft, und mich bringen.
das ist ein sperriger Satz
Besser so?: Ich will schnell eine große Distanz zwischen mich und dem stinkenden Bündel bringen, das auf der Matratze zusammengerollt schläft.

Oh, die Zeit - ich brech hier mal ab. Sind noch ein paar Dinger drin, aber das ist alles Gemecker auf hohem Niveau.
Alles in allem liest es sich sehr gut.
Na ja, im Großen und Ganzen denke ich schon, dass ich mich tapfer geschlagen habe.
Vielen Dank für deine interessanten Anregungen.

Liebe Grüße von peregrina

 
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Ach je. Ich habe deine Geschichte, liebe peregrinaheute das erste Mal gelesen und dann auch noch einmal die Ursprungsfassung von markus, die ich damals - lang ists her - sogar kommentiert hatte.

Ich sehe, dass du dich ganz schön rumplagst und vielleicht sogar ein bisschen haderst? Dich überzeugen musst, das und ob deine Geschichgte gelungen ist? Ich finde, sie ist es.
Ich mag deine Geschichte. Sie ist aus meiner Sicht ein Copy, weil sie die Ursprungsvoraussetzungen und -ideen aufnimmt, sich aber trotzdem weit vom Copy entfernt hat, weil sie etwas Neues macht. Da ist zum einen die Transformierung in die Malerei und zum anderen die Verwandlung des David in einen Menschen, der anders als in Markus Text nicht an der Verwandlung seiner Liebsten verzweifelt, weil er sie wirklich liebt, sondern weil er von ihr profitiert. Wird sie hässlich, glaubt er zu scheitern. Das ist finde ich ein gewaltiger Unterschied und ziemlich spannend, gerade aber im Kontrast zu dem ursprünglichen Text hab ich das wirklich gerne gelesen. Das war nicht wie eine normale Ergänzung, also sozusagen eine andere (fehlende) Perspektive, einer anderen Person aus geschildert, das war auch nicht einfach eine neue Geschichte mit den Grundzutaten (das hat es natürlich auch in deiner Geschichte, diese Grundzutaten), es war eine neue Sicht auf die Thematik.
Da geht es nicht um das Verhältnis Schönheit und Äußerlichkeit und Liebe, sondern um das Profitieren von der Schönheit. Und was dieser Umgang mit einem Menschen machen kann. Mit Marie einerseits, aber eben auch mit David.
David ist schon ein ziemlicher Stinkstiefel, dem ich viele schlechte Dinge gönne. Ich finde ihn widerlich und unsympathisch, sein Charakter ist eine Hölle schlechter Gerüche (du siehst, ich vergesse mich gerade mit viel Hingabe) trotzdem ist er nachvollziehbar. Wenn seine Muse weiterhin funktioniert hätte, wäre niemandem in seiner Welt aufgefallen, wie instrumentell er eigentlich denkt und liebt. Das hätte wie eine große Liebe gewirkt. Und dabei ist es nichts weiter als Hingabe an den Erfolg. Und das rächt sich. Wenigstens jedenfalls in einer Kurzgeschichte. Und das ist ja auch schon mal was wert. :D

Und was mir noch auffällt, das ist der Übergang in den Horror. Da sind schon ein paar sehr leckere Stellen im Text drin, die für sich sprechen. Es ist aber nicht nur die Verwandlung Maries in ein Monster - hier zum Beispiel, das ist schon toll beschrieben:

Ich schiebe die Decke weg, erhebe mich ungeschickt und taumle rückwärts. Ich will schnell eine große Distanz zwischen mich und dem stinkenden Bündel bringen, das auf der Matratze zusammengerollt schläft. Ich stoße an die Staffelei, der halbfertige Akt von Marie kracht auf den Boden. Die Gestalt zwischen den Kissen erwacht und kriecht auf allen Vieren auf mich zu. Die Haare hängen aschfahl und strähnig herab. Gesicht, Hals und Schultern sind von eitrigen Pusteln übersät. Ein perverses Meisterwerk aus Körpersäften.
(Anbei: Muss das nicht heißen: ich will schnell eine Distanz zw mich und das stinkende Bündel bringen.)
Sondern es ist auch die Szenerie bei der Vernissage.
Mit Marie an meiner Seite wäre es natürlich ein spektakulärer Auftritt geworden. Marie, die Sensation des Abends, die alles bisher Dagewesene in den Schatten gestellt hätte. Aber ich habe sie in der Wohnung eingeschlossen. Es ist die einzige Möglichkeit, um zu verhindern, dass sie mir folgen und mich zum Gespött machen kann.
So schnell geht das, die arme, zum Geschwür verkommene Marie passt nicht mehr ins Konzept. Sie macht ihn zum Gespött und will das auch. Er entwickelt einen geradezu paranoiden Blick auf die Freundin. Hier WILL sie ihn ja zum Gespött machen durch die pure mögliche Anwesenheit.

Dann das Gespräch mit der Galeristin - da hast du aus meiner Sicht einen verdammt guten Blick auf die Situation. Sie ist von Sensationslust, Geilheit und dem Interesse getrieben, was man aus den menschlichen Katastrophen oder Gelüsten anderer mit Gewinn herausschlagen kann.
„Wo hast du denn deine Muse gelassen?“
„Irgendetwas ist ihr nicht bekommen.“
„Weißt du, was man munkelt?“ Ihr Blick erinnert mich an einen Raubvogel, der seine Beute schon im Visier hat. „Du würdest ihr bald den Laufpass geben.“
„Gerüchte. Darauf würde ich keinen Pfifferling wetten.“ Ich leere das Glas in einem Zug.
„Auf deinen Erfolg!“ Sie prostet mir zu. „Die Leute sind ganz versessen auf deine erotischen Skizzen. Ich hab’s gewusst, deine kleinen Schweinereien schlagen ein wie eine Bombe.“ Ihr Lachen klingt wie das Klirren der Sektflöten. Sie beugt sich zu mir, kommt nah an mein Ohr und raunt: „Es knistert, spürst du das, David?“
Das wirkt übertrieben, fast schon überzeichnet. Aber es gefällt mir, weil es bizarr ist. Man merkt, wie zynisch der Schoß ist, der solche Kreaturen wie David gebiert.
Um zum roten Faden zurückzukommen, ich wollte ja auf den Horrorfaktor deiner Geschichte rauskommen zitiere ich einfach noch einmal die tolle Stelle, wie David die Verwandlung seiner Marie im Bilde sieht.
Die Marie auf dem Gemälde, neben dem ich stehe, beginnt sich zu bewegen, sie streift sich lasziv einen Träger von der Schulter, fährt sich mit der Zunge über die Lippen, flüstert unverständliche Worte. Dann kratzt sie sich. Ihre Augen funkeln. Die hellen Punkte blitzen. Marie lebt. Die Punkte blähen sich auf, die getrocknete Farbe dehnt sich aus, so dass tiefe Risse entstehen, aus denen gelber, fetter Eiter quillt.
Ein Gestank von faulem Fleisch verbreitet sich, nimmt mir die Luft. Die Kreatur auf der Leinwand lacht. Mir wird schwindelig und ich stütze mich an der Wand ab. Die Farben beginnen zu verschwimmen und ineinanderzufließen, sich mit Blut zu vermischen. Die Schlieren laufen über die Leinwand, tropfen aufs Parkett, wo sie eine stinkende Pfütze bilden. Ein Aquarell des Grauens.
Das ist echt superscheiße geschrieben. Und das meine ich jetzt als sehr großes Kompliment. Eigentlich wirkt es so, aks finde da ein Kampf statt. Als würde das Opfer der Instrumentalisierung, Marie, sich wehren und ihn, den Maler, bedrohen, indem es aus dem Bilde tritt. Eigentlich ein Zauberlehrlingmotiv. David hat es sich angewöhnt, genau so auf die Frau an seiner Seite zu schauen - sie ist ein Faustpfand seines malerischen Erfolgs. Und genau auf diese Weise iiebt er sie auch. So taktisch und unehrlich und instrumentell. Sie ist ihm Garant des Aufstiegs. Ein Repräsentationsschmuckstück. Keine Frau, mit der man ein Leben teilen würde.

Markus bearbeitet in seinem Text die Frage danach, wie sehr die äußerliche Schönheit eine Rolle in der Liebe spielt. Die Frage ist in deinem Text längst entschieden. Dein Text bearbeitet in meiner Lesart eher die Frage, wie sehr man die Schönheit eines Menschen benutzen und sich vormachen kann, man würde ihn lieben. Und dann in der Kehrtwende, ob das Objekt sich nicht rächt. Nicht absichtlich, nicht bewusst oder inszeniert, ganzb einfach nur durch seine Verwandlung. Sein Bildnis wendet sich gegen ihn. Mitten in der Ausstellung.
Ganz schlimm dann fand ich die Szene, als er die arme verunstaltete Marie zu Tode wäscht. Als wollte er mit ihr auch all seine Gemälde und Zeichnungen abwaschen.
Das Aufwachen danach habe ich nicht als reines Erwachen nach einer Traumsequenz verstanden, sondern als Realität, die ihm nur als Traum erschienen ist. Marie hat zwar wieder ihre normale Gestalt, aber weiß man, ob sie wirklich schläft oder tot ist? Ob er also nicht seine Muse zerstört hat? Wie auch immer, er ist ihr vor dem Traum tatsächlich so mies und fies zu Leibe gerückt mit all dem Waschen und Reinigen und Abreiben, dass er sie egal ob als Monster oder normale Frau bis aufs Blut verletzt hat, sonst wären seine Fingernägel ja nicht braun.


Also peregrina, ich habe eigentlich nur zwei Einwände. Der erste ist recht allgemein. Mir erscheint das Einführen des Horrorelements folgerichtig, aber noch nicht konsequent durchdacht. Noch ein wenig mäandernd und ungenau. Genauer kann ich das leider nicht sagen. Ich musste selbst überlegen, wie alles zusammenhängen könnte und irgendwie wirkt der Zusammenhang noch diffus.
Und das zweite ist. Davids fiese, jähzornige Art kam mir zu überraschend:

Die Wut kommt in kleinen Wellen, schwappt heiß über mich hinweg und lässt geballte Fäuste zurück, die nur noch zuschlagen wollen. Es fehlt nicht mehr viel und ich knalle das Scheißhandy an die nächste Wand und zermalme die Einzelteile unter meinen Sohlen zu Staub.
Die letzten Meter bis zu unserem Haus renne ich. In diesem Moment schwöre ich mir, wenn ich sie finde, dann gnade ihr Gott.
Vorher ist er ja immer recht besorgt und seine Agressivität richtet sich gegen andere. Zum Beispiel gegen den jungen Mann, der Marie in der Praxis betrachtet. Hier geht mir jetzt einfach die Wut zu rasch und zu unvorhersehbar gegen sie über die Bühne. Das hätte sich aus meiner Sicht ruhig langsamer steigern können.

So und jetzt bewege ich mich mal zu meiner verdienten Bettruhe.
Gute Nacht Pergrina. Schöner Text.

 
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Sorry, Liebe Novak, dass ich auf deinen ausführlichen und wohlwollenden Komm erst jetzt reagiere, aber ich war verreist, verloren und anderweitig verhindert. Aber nun soll unserem Austausch nichts mehr im Wege stehen.

Ich sehe, dass du dich ganz schön rumplagst und vielleicht sogar ein bisschen haderst? Dich überzeugen musst, das und ob deine Geschichgte gelungen ist?
Hadern ist das richtige Wort, aber nur mit meinen eigenen strengen und unrealistischen Ansprüchen, die Geschichte möge verschiedene Lesearten ermöglichen und dem Leser viel Freiraum in der Interpretation lassen. Mittlerweile habe ich erkannt, dass ich nicht immer nach den Sternen greifen muss. :lol:

Ich finde, sie ist es. Ich mag deine Geschichte. Sie ist aus meiner Sicht ein Copy, weil sie die Ursprungsvoraussetzungen und -ideen aufnimmt, sich aber trotzdem weit vom Copy entfernt hat, weil sie etwas Neues macht. Da ist zum einen die Transformierung in die Malerei und zum anderen die Verwandlung des David in einen Menschen, der anders als in Markus Text nicht an der Verwandlung seiner Liebsten verzweifelt, weil er sie wirklich liebt, sondern weil er von ihr profitiert.
Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie froh ich bin, dass du den Copy-Gedanken als umgesetzt und gelungen beurteilst. Ich dachte ja ursprünglich auch, dass ich keine reine Nacherzählung von Markus KG geschrieben habe, weil sich schon die Prämissen grundlegend unterscheiden. Ich hab Eigentlich egal so gelesen, dass sich David in sein Schicksal ergibt, sich mit der Veränderung seiner Liebsten abfindet und das in einer starken Abhängigkeit von der Meinung anderer. Mein David zerstört, was er nicht so haben kann, dass es ihm Nutzen bringt. Aber vielleicht spielen in der Gesamtbeurteilung ob gelungen oder weniger zu viele subjektive Erwartungen eine Rolle.

Das ist finde ich ein gewaltiger Unterschied und ziemlich spannend, gerade aber im Kontrast zu dem ursprünglichen Text hab ich das wirklich gerne gelesen.
So einfach kann ein Komm den Tag versüßen. Doch, das lese ich wirklich gerne.

Das war nicht wie eine normale Ergänzung, also sozusagen eine andere (fehlende) Perspektive, einer anderen Person aus geschildert, das war auch nicht einfach eine neue Geschichte mit den Grundzutaten (das hat es natürlich auch in deiner Geschichte, diese Grundzutaten), es war eine neue Sicht auf die Thematik.
Da geht es nicht um das Verhältnis Schönheit und Äußerlichkeit und Liebe, sondern um das Profitieren von der Schönheit. Und was dieser Umgang mit einem Menschen machen kann.
An anderer Stelle hab ich schon geschrieben, dass es keinen Sinn für mich gemacht hätte, eine Geschichte mit dieser Thematik aus Maries Sicht zu erzählen (wobei, je länger man über solche Möglichkeiten nachdenkt, umso erfolgversprechender erscheinen sie). Und auch einen „Schwachpunkt“ konnte ich in Markus Geschichte nicht finden, diese berühmte wunde Stelle, in die ich den Finger legen konnte. Also blieb mir nichts anderes übrig, als die Situation Davids zu verschärfen, weil nicht nur die Liebesbeziehung ins Wanken gerät, sondern auch Davids Karriere (seiner Meinung nach) den Bach runter geh, als sich sein Vorzeigemädchen verändert.

David ist schon ein ziemlicher Stinkstiefel, dem ich viele schlechte Dinge gönne. Ich finde ihn widerlich und unsympathisch, sein Charakter ist eine Hölle schlechter Gerüche (du siehst, ich vergesse mich gerade mit viel Hingabe) trotzdem ist er nachvollziehbar.
Na ja, ein Sympathieträger sieht wirklich anders aus.

Wenn seine Muse weiterhin funktioniert hätte, wäre niemandem in seiner Welt aufgefallen, wie instrumentell er eigentlich denkt und liebt. Das hätte wie eine große Liebe gewirkt. Und dabei ist es nichts weiter als Hingabe an den Erfolg. Und das rächt sich. Wenigstens jedenfalls in einer Kurzgeschichte. Und das ist ja auch schon mal was wert.
Das ist immer wieder ein beruhigender Gedanke, dass wir Autoren in der Position sind, uns die Geschehnisse, die Geschichte Untertan zu machen.

Die Gestalt zwischen den Kissen erwacht und kriecht auf allen Vieren auf mich zu. Die Haare hängen aschfahl und strähnig herab. Gesicht, Hals und Schultern sind von eitrigen Pusteln übersät. Ein perverses Meisterwerk aus Körpersäften.
(Anbei: Muss das nicht heißen: ich will schnell eine Distanz zw mich und das stinkende Bündel bringen.)
Sieht aus, als wäre der durchgängige Akkusativ - das Bündel - die bessere Wahl. Wäre ich selber nicht drauf gekommen. Hab's geändert.

Aber ich habe sie in der Wohnung eingeschlossen. Es ist die einzige Möglichkeit, um zu verhindern, dass sie mir folgen und mich zum Gespött machen kann.
So schnell geht das, die arme, zum Geschwür verkommene Marie passt nicht mehr ins Konzept. Sie macht ihn zum Gespött und will das auch. Er entwickelt einen geradezu paranoiden Blick auf die Freundin. Hier WILL sie ihn ja zum Gespött machen durch die pure mögliche Anwesenheit.
Ja, das WILL ist bewusst gesetzt, der „arme David“ leidet unter einer bestimmten Form von Verfolgungswahn. Tatsächlich ist Marie nicht daran interessiert, mit ihrem „Ausschlag“ auszugehen.

Dann das Gespräch mit der Galeristin - da hast du aus meiner Sicht einen verdammt guten Blick auf die Situation. Sie ist von Sensationslust, Geilheit und dem Interesse getrieben, was man aus den menschlichen Katastrophen oder Gelüsten anderer mit Gewinn herausschlagen kann.
Deine Sicht auf die Szene und deine Beurteilung gefällt mir natürlich.
Das wirkt übertrieben, fast schon überzeichnet. Aber es gefällt mir, weil es bizarr ist. Man merkt, wie zynisch der Schoß ist, der solche Kreaturen wie David gebiert.

Die Marie auf dem Gemälde, neben dem ich stehe, beginnt sich zu bewegen, sie streift sich lasziv einen Träger von der Schulter, fährt sich mit der Zunge über die Lippen, flüstert unverständliche Worte. Dann kratzt sie sich. Ihre Augen funkeln. Die hellen Punkte blitzen. Marie lebt. Die Punkte blähen sich auf, die getrocknete Farbe dehnt sich aus, so dass tiefe Risse entstehen, aus denen gelber, fetter Eiter quillt.
Ein Gestank von faulem Fleisch verbreitet sich, nimmt mir die Luft. Die Kreatur auf der Leinwand lacht. Mir wird schwindelig und ich stütze mich an der Wand ab. Die Farben beginnen zu verschwimmen und ineinanderzufließen, sich mit Blut zu vermischen. Die Schlieren laufen über die Leinwand, tropfen aufs Parkett, wo sie eine stinkende Pfütze bilden. Ein Aquarell des Grauens.
Das ist echt superscheiße geschrieben. Und das meine ich jetzt als sehr großes Kompliment. Eigentlich wirkt es so, aks finde da ein Kampf statt. Als würde das Opfer der Instrumentalisierung, Marie, sich wehren und ihn, den Maler, bedrohen, indem es aus dem Bilde tritt. Eigentlich ein Zauberlehrlingmotiv.
Das ist natürlich ein großes Lob von deiner Seite, schließlich bist du die unumstrittene Meisterin im Schreiben von subtilen Horrorszenarien.

Ganz schlimm dann fand ich die Szene, als er die arme verunstaltete Marie zu Tode wäscht. Als wollte er mit ihr auch all seine Gemälde und Zeichnungen abwaschen.
Das Aufwachen danach habe ich nicht als reines Erwachen nach einer Traumsequenz verstanden, sondern als Realität, die ihm nur als Traum erschienen ist. Marie hat zwar wieder ihre normale Gestalt, aber weiß man, ob sie wirklich schläft oder tot ist? Ob er also nicht seine Muse zerstört hat? Wie auch immer, er ist ihr vor dem Traum tatsächlich so mies und fies zu Leibe gerückt mit all dem Waschen und Reinigen und Abreiben, dass er sie egal ob als Monster oder normale Frau bis aufs Blut verletzt hat, sonst wären seine Fingernägel ja nicht braun.
Genau, du hast den Schluss in der veränderten und ich denke, mittlerweile in der endgültigen Form gelesen. Ich glaube schon, dass es nun ziemlich eindeutig ist, David hat während der gesamten Zeit in seiner Wahnvorstellung ein Monster gesehen, das er im letzten Abschnitt zu Tode schrubbt. Wir lesen keinen Traum, sondern die Geschehnisse, wie David sie wahrgenommen hat. Nachdem mein Vorhaben nicht funktioniert hat, dem Leser mehrere Interpretationsmöglichkeiten (Traum oder Wahnsinn oder beides) anzubieten, habe ich mich für Eindeutigkeit entscheiden müssen. Das wird wohl in Zukunft ein Spielfeld sein, auf dem ich mich so richtig austoben kann. Wie sagt man so schön? Dem Leser Raum für seine eigenen Projektionen geben.

Also peregrina, ich habe eigentlich nur zwei Einwände. Der erste ist recht allgemein. Mir erscheint das Einführen des Horrorelements folgerichtig, aber noch nicht konsequent durchdacht. Noch ein wenig mäandernd und ungenau. Genauer kann ich das leider nicht sagen. Ich musste selbst überlegen, wie alles zusammenhängen könnte und irgendwie wirkt der Zusammenhang noch diffus.
Diese Aussage verwirrt mich ein bisschen. Meine Absicht war schon, den Horror ganz allmählich einzuführen. Ich dachte, dass die unglaublichen Wahrnehmungen Davids Stück für Stück (er sieht Marie kurzzeitig als Monster) das Grauen steigern, das in der Galerie seinen Höhepunkt erreicht. Und es ist ja auch nicht vorbei, als er Marie vernichtet hat, hört er noch immer ihre Stimme.
Ich hab keine Idee, wie das konsequenter ausgeführt werden könnte.
Hier mal chronologisch dezente Hinweise, dass es schaurig werden könnte.
Aber etwas lenkt mich ab, irritiert mich. Marie leuchtet ebenfalls. Die zarte Haut am Hals sowie Arme und Rücken sind von einer Landkarte aus leuchtend roten Pusteln überzogen.
Die Tür zum Sprechzimmer öffnet sich wie ein zahnloses Maul und verschluckt Marie.
Die Gestalt zwischen den Kissen erwacht und kriecht auf allen Vieren auf mich zu. Die Haare hängen aschfahl und strähnig herab. Gesicht, Hals und Schultern sind von eitrigen Pusteln übersät. Ein perverses Meisterwerk aus Körpersäften.
Und dann stecken wir als Leser in Wahnfantasien eines kranken Kopfes fest, bis zum bitteren Ende.:D

Und das zweite ist. Davids fiese, jähzornige Art kam mir zu überraschend:
Die Wut kommt in kleinen Wellen, schwappt heiß über mich hinweg und lässt geballte Fäuste zurück, die nur noch zuschlagen wollen. Es fehlt nicht mehr viel und ich knalle das Scheißhandy an die nächste Wand und zermalme die Einzelteile unter meinen Sohlen zu Staub.
Die letzten Meter bis zu unserem Haus renne ich. In diesem Moment schwöre ich mir, wenn ich sie finde, dann gnade ihr Gott.
Vorher ist er ja immer recht besorgt und seine Agressivität richtet sich gegen andere. Zum Beispiel gegen den jungen Mann, der Marie in der Praxis betrachtet. Hier geht mir jetzt einfach die Wut zu rasch und zu unvorhersehbar gegen sie über die Bühne. Das hätte sich aus meiner Sicht ruhig langsamer steigern können.
Das ist interessant zu wissen. Weil auch hier dachte ich, dass ich seine Tobsucht und die cholerischen Ausbrüche schön allmählich vorbereitet hätte. Marie lässt David einfach allein in der Praxis zurück und die Enttäuschung schlägt in Wut um, als sie nicht ans Handy geht. Und ich hatte mir vorgestellt, dass ein cholerisches Naturell durchaus so reagiert.
Zu Beginn der KG, im Atelier, wollte ich ursprünglich David den Pinsel wegwerfen lassen, als Marie rumgezappelt hat. Dann fand ich aber den Übergang zur Liebesszene schwierig zu gestalten. Also ließ ich es sein. Vielleicht wäre das doch eine glaubwürdigere Einführung seiner Zornesausbrüche, die nur einen winzigen Anstoß nötig haben. Ich lass es mir noch mal durch den Kopf gehen.

Liebe Novak, ich danke dir vielmals für deinen umfassenden Kommentar. Über deine Einwürfe werde ich noch etwas grübeln. Und bitte sieh es mir nach, dass ich mit absoluter Verspätung reagiert habe.

Ein schönes Wochenende und einen ruhigen Adventssonntag wünscht dir peregrina

 
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Ach, du heilige Scheiße! „Was ist denn das?“

Hab ich nicht gesagt, dass ich noch mal vorbeikäme? Und ja,

liebe peregrina,

jetzt schau ich noch mal vorbei, dank Peeperkorn mit einer etwas abgewandelten Sicht der Dinge als Totentanz auf dem Vulkan, und zwar angeregt durch den ersten Satz,

Weiches Licht fällt durch die Dachfenster und verzaubert Marie in ein ätherisches Wesen.
der mich dann am 27.10. zu der Behauptung (noch ganz ohne peeperkornschen Einfluss) verleitete
und plötzlich stimmt nix mehr an ihr, wie bei den isolierten Leprakranken oder von einer Pest Befallenen, Aussätzige halt ...
was damit beginnt, dass sie nicht mal mehr "still" halten kann.

Es ist der Vulkan, auf dem wir derzeit leben, wo ein da Vinci für unsägliche Millionen - an welche die armen und kleine Staaten nicht mal mit ihren Staatshaushalten herranreichen - untern Hammer gerät und weggesperrt wird - Volksgut und Welterbe sozusagen, privatisiert - gegen das der alte und große Künstler sich nicht mehr wehren kann.

Einer anderen Art von Zensur und Bestätigung eines Wortes von Karl Kraus, dass Satiren, die der Zensor verstehe, zu Recht weggesperrt werden.

Deine Geschichte ist eine mindestens doppelte Dreiecksgeschicht

vordergründig zwischen dem Icherzähler David und Marie als doppeltem Objekt der Begierde als Freundin (sag ich mal so, obwohl ja mal mehr gewesen sein muss) und Modell -

zwischen die sich der Markt schiebt in der Beziehung
des Davids und der Nachfrage nach seiner Kunst, personifiziert durch die Galeristin, Ruth, nicht die biblische, sondern eine, die den (kapitalisierten) Kunstmarkt vertritt, zu deren geschäftstüchtigsten "Meistern" derzeit ein Jeff Koons zählt, der buchstäblich Kindskram zu Geld macht und der Mist wird öffentlich zur Verdummung der Konsumenten ausgestellt, auf öffentlichen Plätzen installiert.

Koons' Werk kann also keine Zeitkritik enthalten und keine Satire sein, sondern Bestätigung des Ist-Zustandes. Sonst würde er ja weggesperrt.

Und die Dialektik des Markttausches schlägt zu, unter dessen Schema das Dreieck Icherzähler - Marie - Galeristin fällt und das bereits alttestamentarische Züge trägt (nicht allein wegen der Namen) in der Geschichte, wenn Gott (unter neoliberalen Verhältnissen können wir behaupten, der Markt als sich selbstregulierend sei zumindest gottgleich) von Abraham die Opferung seines Sohnes (ob Ismael oder Isaak, Jacke wie Hose) verlangt.

Von scheinbar Gleichen (Beziehungskiste Künstler, Objekt - Geschäftsinteresse Künstler, Galeristin, wobei alle drei zugleich Konsumenten sind, wie Finanzier und Arbeiter ja allemal Konsumenten sind - da sind wir alle gleich wie bei Pest und Cholera und erst recht vorm Tod) werden wechselseitig Leistungen übertragen, die aber nur gleichwertig erscheinen, keineswegs gleichwertig sind.

Im idealen Falle glaubt jeder, ein Schnäppchen gemacht zu haben, schätzt er doch die eingetauschte Leistung höher ein als die, die er weggibt. So ist dem ganzen immer auch eine religiöse Dimension zuzusprechen, und in der Tat: bereits das erste und älteste Opfer ist bloße Ware. Denn auch der Gott, der versucht, wird betrogen, dem das Opfer gilt, wenn das Ungenießbare - Gedärm und Knochen - geopfert wird. Wär’s denn nicht allzu blöde, Genießbares in Rauch und Qualm aufgehen zu lassen, statt es selbst zu genießen?

Der Gott (und der Markt is es ja inzwischen) könnte ja gestörten Sinnes sein wie der süchtige Raucher: es muss stinken, Rauch entwickeln, brennen! Für den Gott bleibt’s beim Nullsummenspiel. Das spiegelt sich noch in der Sprache: Das Verb tauschen geht zurück aufs mhd. tuschen, dem „unwahr reden, lügnerisch versichern, anführen“, was seine Nähe zum tiuschen (nhd.: täuschen) nicht verleugnet. „Die heute allein übliche Bedeutung ‚Waren oder dergleichen auswechseln, gegen etwas anderes geben’, in der das Verb zuerst im 15. Jh. bezeugt ist, hat sich demnach aus ‚unwahr reden, in betrügerischer Absicht aufschwatzen’ entwickelt“, was mit der „Präfixbildung vertauschen“ zum „‚irrtümlich oder unabsichtlich auswechseln’“ führt und von dort zurück zum mhd. vertuschen. (Original hierorts unter http://www.wortkrieger.de/showthread.php?46935-Der-Moses-Roman-des-Sigmund-Freud)

Triviales

Ich schäme mich für meine Worte und den Tonfall, in dem etwas Flehendes, Verzweifeltes mitschwingt. Und ich hasse die Stimme in mir, die mir unablässig einflüstert, dass es mir nie gelingen wird, Maries Vollkommenheit zu konservieren, sie unvergänglich und unvergesslich zu machen. Nicht in hundert Jahren. Die Wirklichkeit würde meine Bilder immer Lügen strafen.
Im "dass es mir nie gelingen wird" würde ich "wird" durch "werde" ersetzen, weil es offener wirkt und Zweifel am Zweifel zulässt. Denn was ist heutzutage offener als die Zukunft - wobei das "würde" (der Konjunktiv hat nix mit der Zeitlichkeit/Zeitenfolge zu tun, es gibt nur Wahrscheinlichkeiten an zwschen Konj. I und II und gewinnt damit auch quasi eine religiöse Dimension, die Paul Tillich im Gegensatz Potentialität und Aktualität mal ausührlicher dargestellt hat, als es der eine Satz von mir hier kann).

Hier nun kann ein Komma wegfallen, das wir dann auf kurzem Wege wieder einsetzen können

Dabei war ich mir sicher, dass mit dem Auftauchen von Marie[...] die Wende in meiner Laufbahn begonnen hätte. Ich fand eine Galeristin, die an mich glaubt und meine Bilder ausstellt[,] und ich bin fest entschlossen, die Chance auf Erfolg und Liebe festzuhalten, die mir das Leben bietet.
(Der erste Nebensatz bedarf keines Kommas, "die Wende ..." leitet keinen Relativsatz ein, den Du wahrscheinlich unterstellt hast. Dagegen ist "die an mich glaubt ..." vor der Konjunktion am Ende und "und" führt den Hauptsatz fort)

Ähnlich hier

Marie schwebt über die Fliesen, als schreite sie über einen Laufsteg[,] und dreht sich noch einmal nach mir um.
(wobei hier tatt der KOmmas Gedankenstriche eine größere Wirkung für den Vergleich hergäben,nur mal so gesagt)

„Was hat denn nun der Arzt gesagt.“
Klingt das nicht nach mehr als einer bloßen Aussage?

Und letztlich ein Gezeitenwechsel im Sturz ...

Ich verheddere mich in den Decken, die ich in den Hof werfen will, und stürzte.

Das war's für heute!

Ein schönes erstes Adventswochenende und nebelichte Grüße aus'm Pott vom

Friedel

 

Also peregrina, ich habe eigentlich nur zwei Einwände. Der erste ist recht allgemein. Mir erscheint das Einführen des Horrorelements folgerichtig, aber noch nicht konsequent durchdacht. Noch ein wenig mäandernd und ungenau. Genauer kann ich das leider nicht sagen. Ich musste selbst überlegen, wie alles zusammenhängen könnte und irgendwie wirkt der Zusammenhang noch diffus.
Diese Aussage verwirrt mich ein bisschen. Meine Absicht war schon, den Horror ganz allmählich einzuführen. Ich dachte, dass die unglaublichen Wahrnehmungen Davids Stück für Stück (er sieht Marie kurzzeitig als Monster) das Grauen steigern, das in der Galerie seinen Höhepunkt erreicht. Und es ist ja auch nicht vorbei, als er Marie vernichtet hat, hört er noch immer ihre Stimme.
Ich hab keine Idee, wie das konsequenter ausgeführt werden könnte.
Liebe peregrina, da habe ich mich wohl schlecht ausgedrückt. Du hast den Horror allmählich und sich steigernd eingeführt. Der Hinweis mit den nicht konsequent durchdachten Horrorlementen bezog sich nicht auf die Elemente insgesamt, also die Liste, die du zusammengestellt hast in deiner Antwort, sondern nur auf den allerallerletzten Teil. Wenn er mit dem Braun unter den Fingernägeln erwacht. Andere haben diese Szene als, er habe ja NUR einen Traum gehabt, ausgedeutet. Weiß nicht mehr, wo das zu finden war. Ich habe das zwar nicht so empfunden, sondern ihn als unzuverlässigen Erzähler gedeutet, aber ich konnte/kann nachvollziehen, dass und warum es anderen so erging. Dieses Braun unter den Fingernägeln (die genaue Form. weiß ich einfach nicht mehr) verlangt glaube ich schon eher einen horrorerfahrenen Leser.
Aber egal, vielleicht täusch ich mich ja auch.

Und zu dem langsameren Aufbau des Jähzorns kann ich nichts weiter sagen, ich empfand das halt als zu plötzlich. Aber auch das ist aus meiner Sicht letztendlich wurscht. Man muss ja immer schauen, ob der Einwand eines Kommentators zu einem spricht. Wenn er das nicht tut, dann ist es eben so und der Text bleibt wie er ist.

Liebe peregrina, bis bald, ich freu mich auf deine nächste Geschichte.
Novak

 

Ach, du heilige Scheiße! „Was ist denn das?“
Das ist die Antwort auf deinen Komm, erst hab ich sie verschleppt und dann (fast) vergessen.

Hallo Friedrichard,
schön, dass du dich hier noch mal hast blicken lassen. Bei Gelegenheit solltest du mir mal anvertrauen, wie du das mit den häufigen, umfangreichen Kommentaren und den wie aus der Pistole geschossenen Kurzgeschichten so auf die Reihe kriegst. Vielleicht kann ich mir ein Scheibchen abschneiden.

Es ist der Vulkan, auf dem wir derzeit leben, wo ein da Vinci für unsägliche Millionen - an welche die armen und kleine Staaten nicht mal mit ihren Staatshaushalten herranreichen - untern Hammer gerät und weggesperrt wird - Volksgut und Welterbe sozusagen, privatisiert - gegen das der alte und große Künstler sich nicht mehr wehren kann.
Ja, es ist diese Versteigerung, die meine Geschichte um den wahnsinnigen Künstler David wieder neu beatmet. Und man kann von einem irren Tanz auf dem Vulkan sprechen, oder von Hohn und Spott: In den Bankfilialen ist den Kunden die christliche Nächstenliebe abhanden gekommen, es brodelt und kriselt auf dem Globus, in einigen Landstrichen verhungern und verdursten Menschen, Egomanen sonnen sich in der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit (die Liste könnte ich bis ins Unendliche weiterführen) und da gibt einer utopische Beträge für den „Erlöser der Welt“ aus. Kunsthistoriker sprechen von einer „Machtdemonstration“ des Geldes. Im Grunde ist der Gedanke, dass die Macht des Geldes (Profit, Profit, Profit!) kontra Erlösung steht, eben so gruselig wie die Geschehnisse auf der Vernissage meiner KG.
Angeblich soll das Gemälde (nicht das von David) irgendwann in Abu Dhabi ausgestellt werden, warten wir’s ab. Vielleicht steht die Versteigerung symbolisch für eine neue Form der Kriegsführung zwischen Islam und Christentum. Gruselig.

Deine Geschichte ist eine mindestens doppelte Dreiecksgeschicht

vordergründig zwischen dem Icherzähler David und Marie als doppeltem Objekt der Begierde als Freundin (sag ich mal so, obwohl ja mal mehr gewesen sein muss) und Modell -

zwischen die sich der Markt schiebt in der Beziehung
des Davids und der Nachfrage nach seiner Kunst, personifiziert durch die Galeristin, Ruth, nicht die biblische, sondern eine, die den (kapitalisierten) Kunstmarkt vertritt, zu deren geschäftstüchtigsten "Meistern" derzeit ein Jeff Koons zählt, der buchstäblich Kindskram zu Geld macht und der Mist wird öffentlich zur Verdummung der Konsumenten ausgestellt, auf öffentlichen Plätzen installiert.

Koons' Werk kann also keine Zeitkritik enthalten und keine Satire sein, sondern Bestätigung des Ist-Zustandes. Sonst würde er ja weggesperrt.

Deine Gedanken schlagen Kapriolen, ich folge ihnen, werde aber nur auf einen Bruchteil eingehen.
Die Werke Koons werden in meinen Augen durch ihre Preise, die sie auf dem Kunstmarkt erzielen, zur reinen Satire. Ich hab noch die Worte eines lieben Menschen im Ohr, die u.a. auf solche unglaublichen Phänomene passen: „Het hoeft niet gekker te worden!“

Und die Dialektik des Markttausches schlägt zu, unter dessen Schema das Dreieck Icherzähler - Marie - Galeristin fällt und das bereits alttestamentarische Züge trägt (nicht allein wegen der Namen) …
Ja, doch, das musste mal gesagt werden, die Namen sind … ja, was sind sie denn? Omen?
Marie ist klar: unbefleckt, rein, sie verkörpert alles Positive,
David hatte ich, bevor ich mit dem Schreiben begann, nachgelesen: Der Liebling Gottes, aber was heißt das nun für die Geschichte, hat er Gottes Segen für sein Tun, seine Raserei, und ist das Abgleiten in den Wahnsinn seine Rettung, immerhin ist er ein Totschläger? Da muss ich noch ein paar Gedanken ordnen.
Ruth wir als die Tüchtige (geschäftstüchtige) gehandelt, das passt wieder wie die berühmte Faust aufs Auge.
… in der Geschichte, wenn Gott (unter neoliberalen Verhältnissen können wir behaupten, der Markt als sich selbstregulierend sei zumindest gottgleich) von Abraham die Opferung seines Sohnes (ob Ismael oder Isaak, Jacke wie Hose) verlangt.

Ja, lieber Friedel, du bist der Experte. Unser tägliches Leben scheint voller Parallelen zu biblischen Geschehnissen zu sein. Im Gegensatz zu dir bin ich nicht bibelfest, so dass sich mir viele Gleichnisse nicht erschließen.
Danke für dein aufmerksames Auge, auch was das Aufspüren der grammatikalischen Trivialitäten anbelangt. Ich hab vollumfänglich eingesehen, dass es so nicht geht und alles korrigiert. Allerdings wird es mir immer ein Rätsel bleiben, warum ich diese „Flusen“ nicht selbst erkenne.

Das soll es für heute gewesen sein.
Einen guten Rutsch (feuchtfröhlich mit Maibock?) wünscht dir peregrina, die für die Reise in’s Jahr 2018 eine Menge guter Vorsätze in ihren Rucksack gepackt hat

Liebe Novak,

danke, dass du den Faden noch mal aufgreifst:

Du hast den Horror allmählich und sich steigernd eingeführt. Der Hinweis mit den nicht konsequent durchdachten Horrorlementen bezog sich nicht auf die Elemente insgesamt, also die Liste, die du zusammengestellt hast in deiner Antwort, sondern nur auf den allerallerletzten Teil. Wenn er mit dem Braun unter den Fingernägeln erwacht. Andere haben diese Szene als, er habe ja NUR einen Traum gehabt, ausgedeutet.
Nein, dieses Ende, das du gelesen hast, hat niemand als Traum ausgedeutet. Die Kommentare bezogen sich auf eine andere Version, die so aussah.
Mit letzter Kraft flüsterte sie: „Ich liebe dich, David.“ Sie blieb reglos liegen.
Ich sank neben sie und weinte, still und beiläufig.

„David! Hast du gepennt?“
Erschrocken fuhr ich hoch. Hände und Gesicht waren schweißnass, das Hemd klebte am Rücken. Mein Herz raste und mein Verstand versuchte verzweifelt, aus Satzfetzen, farbigen Schnipseln und Gefühlssplittern ein Bild zusammenzusetzen.
„Komm, lass uns gehen, David! Ich bin so weit.“
Ein Hauch frischer Erdbeeren lag in der Luft.

So sah mein erster Versuch aus, dem Leser mehrere verschiedene Interpretationsmöglichkeiten der KG zu präsentieren. Sehe ich jetzt ein, ist total in die Hose gegangen.
Dann hab ich geringfügig verändert, dieses „gepennt“ und den Hoffnungsschimmer „Erdbeerduft“ entfernt. War wohl nicht der Bringer, stiftete nur Verwirrung.

Ja, und dann hab ich es aufgegeben, verschiedene Lesearten zu ermöglichen und bin nur in eine Richtung marschiert. Hier die letzte und sicher endgültige Schlussvariante, auf die sich deine Anmerkungen beziehen.

Es fällt mir unendlich schwer, den Kopf zu heben und die Augenlider zu öffnen. Das Hemd klebt tropfnass am Körper. Mein Verstand versucht verzweifelt, aus Satzfetzen, farbigen Schnipseln und Gefühlssplittern ein Bild zusammenzusetzen. Allmählich tröpfelt Begreifen ins Hirn. Nur ein böser Traum.
„Komm lass uns gehen!“ Die Stimme ist hell. Sie sitzt in meinem Kopf und hämmert an die Schädeldecke, bevor sie sich in einen harten Wasserstrahl verwandelt und auf mich einprasselt. Erschrocken fahre ich hoch. Marie liegt neben mir, sie schläft, nackt und blass. Ich drehe das Wasser ab, dabei fällt mein Blick auf meine Hände, feingliedrig und schmal, mit dunkelbraunen Rändern unter den Fingernägeln.
Zitat von Novak:
... Ich habe das zwar nicht so empfunden, sondern ihn als unzuverlässigen Erzähler gedeutet, aber ich konnte/kann nachvollziehen, dass und warum es anderen so erging. Dieses Braun unter den Fingernägeln (die genaue Form. weiß ich einfach nicht mehr) verlangt glaube ich schon eher einen horrorerfahrenen Leser.
Aber egal, vielleicht täusch ich mich ja auch.
Das kann ich nicht beurteilen, ich hoffe aber, dass du dich täuscht.
Du bist die Einzige, die sich zu diesem neuen Schluss geäußert hat. Ich hoffe einfach nur, dass der Hinweis mit den braunen Nägeln und die blasse, stille Marie als Hinweise, dass das Grauen nicht zu Ende ist, ausreichend und eindeutig sind, auch für Leser, die sich in diesem Genre für gewöhnlich nicht tummeln.

Liebe Novak, noch mal ein großes Dankeschön für die Auseinandersetzung mit meinem Text und deine klugen Gedanken dazu.
Auch dir einen guten Rutsch und sicher bis bald.
Liebe Grüße von peregrina

 

Jetzt wirkt's wie'n Abo ... Ich halt nochma',

liebe peregina,

David hatte ich, bevor ich mit dem Schreiben begann, nachgelesen: Der Liebling Gottes, aber was heißt das nun für die Geschichte, hat er Gottes Segen für sein Tun, seine Raserei, und ist das Abgleiten in den Wahnsinn seine Rettung, immerhin ist er ein Totschläger? Da muss ich noch ein paar Gedanken ordnen.
David ist an sich der ideale Beleg für Luther, dass Gottes Gnade - ich tu mal so, als hieße ich Deo Loge - nicht erworben werden kann (da wäre mir jetzt Calvin voll in die Seite getreten), sondern tatsächlich von dieser eher will- oder will-eben-nicht-kür Gnade abhinge. Schließlich ermöglicht die erste Heldentat die Gründung des Reiches fürs Volk Gottes - logisch? Aus dieser Gnade heraus erklärt Siggi Freud dann auch lapidar den Antisemitismus: Wenn der Vater einen bestimmten Lieblingssohn bevorzugt - was werden die anderen Söhne (Bruderreligionen) wohl davon halten?

Aber genug zur heiligen Familie,

guten Rutsch und bis bald

Friedel

 

Das kann ich nicht beurteilen, ich hoffe aber, dass du dich täuscht.
Du bist die Einzige, die sich zu diesem neuen Schluss geäußert hat. Ich hoffe einfach nur, dass der Hinweis mit den braunen Nägeln und die blasse, stille Marie als Hinweise, dass das Grauen nicht zu Ende ist, ausreichend und eindeutig sind, auch für Leser, die sich in diesem Genre für gewöhnlich nicht tummeln.
Liebe peregrina, ich weiß jetzt selbst nicht mehr, ob ich deinen Text überhaupt gelesen habe. :D

Nein, im Ernst, vielleicht hatte ich die Kommentare der anderen falsch bezogen und dadurch missverstanden. Und bin deswegen auf die Idee gekommen, das wäre vielleicht nichts für Horrorunerfahrene. Ich denke mittlerweile auch, das müssen die abkönnen.
Lass das Ende so, es ist wunderbar.
Guten Rutsch wünsche ich dir.

 

Liebe peregrina,

dein Text erfährt weiterhin großes Interesse. Das ist ein richtiger Dauerbrenner.
Darf ich dir mitteilen, dass private Nachrichten gar nicht mehr bei dir ankommen, weil dein Postfach voll ist?

Gruß zwischen den Jahren von
wieselmaus

 

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