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- 30.06.2004
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Das Elixier des Lebens
Der Duft von Räucherwerk hing schwer in dem kleinen überheizten Raum. Dicke Schwaden grauen Rauches zogen durch die Luft, wogten Janik entgegen, als er das Tuch vor dem Eingang zurückschlug, drangen in seine Kehle und reizten ihn zum Husten. Nur mühsam beherrschte er sich und suchte, das Dämmerlicht in der Hütte mit seinen Augen zu durchdringen.
„Dein Plan ist zu Scheitern verurteilt, junger Kämpfer.“ Die Stimme der Hexe war hell und etwas rauchig, ihr Tonfall belehrend, genau wie Janik es sich als Kind immer ausgemalt hatte. „Es bringt Unglück, die Götter herauszufordern.“
„Ich tue es nicht für mich, weise Frau.“ Janik sprach aufs Geratewohl in die Rauchschwaden herein. Von einem Moment auf den anderen tauchte eine Gestalt vor ihm auf. Die Hexe war jünger als er es sich vorgestellt hatte, eine zarte kleine Frau vielleicht etwas jenseits der zwanzig Sommer. Vermutlich wäre sie sogar hübsch gewesen, wäre da nicht das unförmige grüngelbe Gewand gewesen, die verfilzten und verdreckten blonden Strähnen und die klobige Krücke, auf die sie sich stützte. Janik warf einen Blick auf ihr linkes Bein und stellte fest, dass der Fuß fehlte. Ein leichter Schauder lief seinen Rücken herab.
„Nicht für dich, sagst du?“ Der Zweifel in ihrer Stimme war überdeutlich. „Warum sollte einer das Elixier des Lebens suchen, wenn nicht für sich?“ Sie forderte ihn nicht auf, sich zu setzen, aber auf eine Handbewegung ihrerseits verflog der Rauch etwas und gab den Blick auf zwei runde verdreckte Sitzpolster direkt neben der Feuerstelle frei.
Mit einem Seufzer ließ sie sich auf eines davon sinken, griff mit der Rechten nach einem Schürhaken und stocherte damit in der Glut herum. Neue Flammen schlugen unvermittelt hoch, die Hitze schien noch weiter zuzunehmen. Janik spürte, wie ihm der Schweiß über die Stirn zu rinnen begann. Rasch ließ er sich auf dem anderen Polster nieder, sorgfältig darauf bedacht, so wenig wie möglich mit ihm in Berührung zu kommen.
Die Hexe ließ den Schürhaken los und streute stattdessen eine großzügige Handvoll Kräuter über die Kohlen. Erneut stiegen dicke Rauchschwaden auf und verhüllten ihre Gestalt. Ein penetrant süßlicher Geruch stieg Janik in die Nase.
„Sprich nun, für wen suchst du das Elixier.“ Die Stimme aus der Rauchwolke war immer noch genauso klar wie zuvor. Janik fragte sich, wie die Hexe das aushielt.
Mit einer Hand wischte er sich den Schweiß von der Stirn und holte dann tief Luft. Sofort musste er husten. Die Hexe kicherte von irgendwoher. „Mach deinen Geist frei, sonst wirst du nie offen sprechen können!“
Kluge Sprüche, genau das, was mir fehlte, Janik spürte eine leichte Verärgerung in sich aufsteigen, doch er schluckte sie herunter. Schließlich stand hier einiges auf dem Spiel. Und er wollte es sich auch nicht mit einer Hexe verscherzen. So etwas konnte gefährlich sein. Er atmete einige Male tief und ruhig durch. Der Geruch schien langsam schwächer zu werden. Dann endlich fand er seine Stimme wieder.
„Ich muss das Elixier finden, denn meine Liebste liegt im Sterben.“
Wieder das Kichern in der Dunkelheit. Diese Frau begann, ihm gehörig auf die Nerven zu gehen.
„Soso, deine Liebste, und du denkst, darauf falle ich herein? Seit wann gibt es denn wieder wahre Liebe? Solche, für die sich ein junger Kämpfer wie du aufopfern möchte?“
Janik seufzte. Er hatte sich beinahe gedacht, dass sie ihm nicht glauben würde. Schließlich handelte es sich bei ihr um die weiseste Frau südlich des Szianflusses, das hatten ihm alle bestätigt, die er auf seinem Weg gefragt hatte. Doch so leicht wollte er nicht aufgeben.
„Es ist wahr, weise Frau. Ich habe mich beim König verdient gemacht und im letzten Jahr habe ich das Mittsommerturnier gewonnen und somit die Hand der Prinzessin errungen. Seit einem halben Jahr sind wir nun verheiratet und ich habe nie jemanden so geliebt, wie sie. Doch nun ist sie schwer erkrankt, und die Ärzte haben sie schon aufgegeben. Ich weiß nicht, was ich tun soll, wenn sie stirbt.“ Er bemühte sich, seiner Stimme einen betrübten Klang zu geben.
Der Rauch verzog sich langsam und Janik konnte gerade wieder die Gestalt der Hexe erahnen, als sie mit einer raschen Handbewegung eine ölige Flüssigkeit ins Feuer goss. Die aufsteigenden Wolken waren dieses Mal schlohweiß, rochen scharf und irgendwie minzig. Janik spürte, wie sich in seinem Kopf alles zu drehen begann.
„Mach deinen Geist frei, junger Kämpfer, damit ich sehen kann, ob du die Wahrheit sprichst!“
Vor diesem Moment hatte man ihn gewarnt. Die Seelenprüfung. Du darfst dich nicht von ihr einlullen lassen, sonst wird sie alles sehen, was in dir vorgeht und sie verrät dir nie den Weg zum Elixier.
Er kämpfte gegen das Schwindelgefühl an, versuchte, so flach wie möglich zu atmen, nur wenig von dem weißen Dampf aufzunehmen. Er schloss die Augen und füllte seinen Geist mit Jasmines Bild, wie sie krank in ihrem Bett lag, blass, schmal, mit dunklen Ringen unter den Augen. Ein Anblick, der Steine erweichen könnte. Er musste das Herz der Hexe rühren. Jasmine, immer nur Jasmine, ihr dunkles lockiges Haar, ihre vollen roten Lippen, ihre blauen Augen. Es kam Janik so vor, als hätte er nie an etwas anderes gedacht als an Jasmine.
Wieder das leise Kichern. Dann sprach die Hexe erneut. „Deine Geist erscheint rein, dein Vorhaben ehrlich. Ich werde dir helfen.“
Erleichtert atmete Janik auf und öffnete die Augen. Er hatte es geschafft. Bald würde er sein Ziel erreicht haben. Freudig lächelte er die Hexe an, die ihn wiederum nachdenklich betrachtete. Der Rauch hatte sich vollständig aus der Hütte verzogen.
„Ich danke dir für deine Güte, weise Frau.“ Niemand hätte ehrlicher aussehen können, als Janik in diesem Augenblick. Die Hexe machte eine abwehrende Handbewegung.
„Schon gut, junger Kämpfer, ich sage dir nun, was du tun musst.“
Janik lehnte sich entspannt zurück und lauschte den Schilderungen der Hexe.
***
Sattle dein schnellstes Pferd, die Worte der Hexe noch im Kopf schritt Janik die Pferde in den königlichen Ställen ab. Der Rappe, den ihm sein Schwiegervater zur Hochzeit verehrt hatte, war das beste Tier weit und breit. Feurig, leichtfüßig, unermüdlich. Ein wahrhaft wertvolles Geschöpf. Mit einem Lächeln führte Janik es auf den Hof und sattelte es. Es schnaubte voller Erwartung. Beruhigend klopfte ihm Janik auf den Hals. Wenn ich erst einmal König bin, werde ich eine ganze Zucht solcher Pferde aufmachen, und du wirst Stammvater, mein Lieber.
Schwungvoll saß er auf. Es war ein perfekter Morgen, wie gemacht zum Reisen. Die Sonne schien, aber es war nicht zu warm und eine leichte Brise kühlte Janiks Gesicht. Noch immer lächelnd lenkte er das Tier aus der Burg und stieß ihm dann die Fersen in die Flanken.
Auf nach Westen, auf zum Elixier des Lebens!
Sieben Tage lang folgte Janik der Sonne. Wenn sie sich morgens erhob, stand auch er auf, sattelte den Rappen und begleitete sie auf ihrer Wanderung. Erst abends gestattete er es sich, Halt zu machen, zu essen und zu trinken, ganz so wie es die Hexe gesagt hatte. Er schlief in keinem Gasthof und sprach mit keinem Menschen. Wenn ihn ein Bauer fragte, wo er hin wollte, schüttelte Janik nur den Kopf und schwieg.
Schweigen ist wichtig, klang die Stimme der Hexe in seinen Ohren nach. Nur, wenn du schweigst, kannst du das Meer der Ewigkeit erreichen.
Die Landschaft war eintönig, sanfte Hügel mit Kornfeldern, Weinberge, ab und zu ein kleines Flüsschen, das sich munter durch die Szenerie schlängelte. Weit und breit nur des Königs Land mit des Königs Bauern. Kein Anzeichen dafür, dass es hier irgendwo ein Meer geben sollte. Janik ließ sich davon nicht entmutigen. Das Elixier des Lebens zu finden war hohe Magie, er konnte nicht erwarten, dass er begriff, wie sie wirkte.
Als er am siebten Morgen schließlich erwachte, waren die Hügel und Felder verschwunden. Statt dessen erstreckte sich eine sandige Ebene vor Janiks Augen, so weit er blicken konnte. Der alte Baum, zu dessen Fuß er sein Lager aufgeschlagen hatte, war einem rötlichen Felsen gewichen. Die Hufe des Rappen, der nahebei stand, versanken in orangefarbenem Sand, der nur ab und zu von kleinen violetten und roten Gräsern durchbrochen wurde. Ein warmer Wind fegte über die Ebene und trieb winzige Sandkörnchen in Janiks Gesicht. Es roch nach lauen Sommerabenden und Sehnsucht.
Das Land der sinkenden Sonne, ging es Janik durch den Kopf. Die Hexe hatte ihn nicht belogen. Nun konnte es nicht mehr weit sein zum Meer der Ewigkeit. Obwohl am Horizont keine Spur der Sonne zu erkennen war, beschloss Janik, loszureiten. In dieses Land kommt die Sonne schließlich nur zum Untergang. Natürlich ist sie da tagsüber nicht zu sehen.
Den ganzen Tag herrschte ein mildes rotorangenes Licht über der sandigen Ebene. Zuerst hatte Janik Schwierigkeiten, den Westen zu finden, so ohne Sonne, aber bald traf er auf einen rotgepflasterten schnurgeraden Weg, in den tiefe Fahrrillen eingegraben waren. Hoffnungsvoll lenkte er den Rappen auf die Straße und folgte ihr.
Stunde um Stunde verstrich. Janik hörte kein Geräusch bis auf das leise Klappern der Hufe des Rappen auf den roten Steinen. Außer dem seltsam gefärbten Gras schien es im Land der sinkenden Sonne keine Pflanzen zu geben, und Tiere konnte er überhaupt nicht entdecken. Es war ziemlich trostlos.
Er wusste nicht, wie lange er geritten war, als er zum ersten Mal das leise Rauschen von Wellen in der Ferne vernahm. Es kam ihm vor, wie mehrere Jahre. Angespornt durch das ungewohnte Geräusch in der Stille des Landes trieb er sein Pferd zu einem schnelleren Schritt an. Nur wenige Augenblicke später überquerte die Straße eine flache Sanddüne und Janik sah das Meer der Ewigkeit vor sich liegen.
Es war schwarz, schwärzer als die finsterste Nacht, die er je gesehen hatte, und nichts spiegelte sich in seiner düsteren Oberfläche. Seine Wellen rollten träge auf einen orangefarbenen Sandstrand auf, der sich nach links und rechts in Unendlichkeit erstreckte. Die Straße unter den Hufen von Janiks Rappen führte bis kurz vor die Wasserlinie und endete dann abrupt.
Er saß ab und führte sein Pferd die letzten Meter bis zum Wasser hinunter. Dort ließ er es laufen und trat selber an den Spülsaum heran. Welle um Welle lief bis knapp vor seine Stiefelspitzen und sickerte wieder zurück. Keine Muschelschalen, keine Schnecken, kein Treibholz. Das Meer der Ewigkeit war so leblos wie es unendlich war. Aus reiner Neugier bückte sich Janik und schöpfte etwas Wasser in seiner hohlen Hand. Es war so kalt, dass es regelrecht in seine Haut biss. Sofort breitete sich ein taubes Gefühl in seiner Hand aus. Erschrocken goss Janik das Wasser aus und trocknete die Finger rasch an seinem Hemd ab. Das taube Gefühl schwand. Janik trat vom Wasser zurück und griff wieder nach den Zügeln seines Rappen, der sich nicht einen Schritt von der Stelle gerührt hatte.
Nun gut, dann werde ich jetzt bis zum Abend warten, wie sie gesagt hat. Ich frage mich, wann das sein wird in diesem Land ohne Zeit.
Er führte sein Pferd einige Schritte von der Straße weg und setzte sich dann dort in den Sand.
Eine Unendlichkeit verging, in der nichts geschah. Schließlich, als Janik schon knapp davor war, die Geduld zu verlieren, vernahm er ein fernes Grollen, wie Gewitter in einer Sommernacht. Doch dieser Donner verging nicht einfach, sondern wurde im Gegenteil immer lauter, näherte sich mit rasender Geschwindigkeit. Rasch schwang sich Janik wieder auf den Rücken seines Pferdes.
Die Sonne, sie kommt. Eine seltsame Erregung ergriff ihn, während das Grollen immer dröhnender wurde, der Boden zu beben begann und selbst der glatte Spiegel des Meeres sich kräuselte. Der Rappe wieherte, stieg und ließ sich nur mit Mühe beruhigen. Gerade als Janik ihn wieder unter Kontrolle hatte, raste er heran, der Sonnenwagen.
Noch nie in seinem Leben hatte Janik so etwas Gewaltiges gesehen. Die Brüstung des machtvollen Streitwagens erhob sich gut einen Meter über Janiks Kopf, das gesamte Fahrzeug bestand aus einem gleißenden rotgoldenen Metall, umlodert von mannshohen Flammen. Sechs riesenhafte Pferde, gegen die sich der Rappe wie eine Schindmähre ausmachte, waren vor den Wagen gespannt. Ihr Fell leuchtete rot und gelb, orange und golden, purpurn und tiefviolett, ihre Mähnen und Schweife bestanden aus Feuer, aus ihren Nüstern stiegen Flammen auf und von ihren Hufen sprühten Funken. Ein Wagenlenker war nicht zu sehen.
Das Gefährt strahlte so hell, dass Janik den Blick abwenden musste. Er befürchtete, sonst zu erblinden. Der Sonnenwagen passierte ihn in einer Hitzewoge, die den Rappen erneut scheuen ließ. Für einige Momente kämpfte Janik mit dem Tier, während der Sonnenwagen ungebremst auf das Meer zuraste. Als die Hufe der Rosse das Pflaster verließen, flammte die Luft über dem Meer kurz auf, und gleich darauf schimmerte eine bronzene Brücke über dem Wasser, die genau dort entsprang, wo die rote Straße endete. Unbeirrt stürmte der Sonnenwagen weiter.
Janik zwang den Rappen unter seinen Willen und trieb ihn mit wilden Flankenstößen auf die Brücke zu. Er musste sich beeilen. Nur für kurze Zeit würde dieser Weg für ihn gangbar sein. Hinter dem Sonnenwagen schwindet die Brücke wieder dahin, hatte die Hexe gesagt. Du musst schnell sein, und mutig. Aber nimm dich in acht, dass du nicht zu nahe an den Wagen heran reitest. Die Hitze würde dich verzehren.
Die bronzene Brücke dröhnte wie eine riesige Glocke, als die Hufe des Rappen darauf hämmerten. Der Sonnenwagen selber rollte nun völlig lautlos dahin, als handele es sich um ein Gespenst. Allein die höllische Glut, die von ihm ausging, überzeugte Janik, dass er überhaupt existierte.
Jetzt war er froh, den Rappen genommen zu haben. Ein anderes Tier hätte mit der rasenden Geschwindigkeit des Sonnenwagens wohl kaum mithalten können. Auch so musste Janik sich anstrengen, nicht zurück zu fallen. Immer wieder wollte der Rappe in eine langsamere Gangart wechseln, immer wieder trieb Janik ihn aus Neue an. Das schwarze Meer flog unter ihnen dahin, die eisige Kälte, die von ihm aufstieg bildete einen seltsamen Kontrast zu der Hitze des Sonnenwagens.
Janik konnte nicht beurteilen, wie lange der Ritt dauerte. Zeit erschien so nebensächlich in dieser Gegend. Er ritt eine Ewigkeit, und doch nur einen Augenblick. Ein Augenzwinkern später knirschten die Hufe des Rappen im Sand. Sie hatten das andere Ufer erreicht. Der Sonnenwagen vor ihnen rollte nun langsam auf eine breite Spalte in einem schwarzen Felsen zu und verschwand darin. Janik beachtete ihn nicht weiter. Er glitt aus dem Sattel und ließ sich in den Sand fallen. Eine endlose Erschöpfung übermannte ihn und er fiel beinahe sofort in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Er erwachte nach einer unbestimmten Zeit. Jetzt erst machte er sich die Mühe, zu erforschen, wo er sich befand. Er lag an einem ebenso endlosen Strand, wie es ihn am anderen Ufer gegeben hatte, nur war dieser fahlgrau statt orangefarben. Schwarze zackige Felsen sprenkelten hier und dort den Sand und etwas weiter landeinwärts begann ein struppiger Wald aus verkrüppelten schwarzen Bäumen. Nicht weit von seinen Füßen entfernt leckte das Meer der Ewigkeit an dem grauen Strand, ruhig und unerbittlich. Über der ganzen Szenerie lag ein diffuses graues Zwielicht, das noch während Janik sich umsah langsam verebbte und einer nachtschwarzen Finsternis Platz machte.
Das Land der Nacht, dachte Janik, während er sich erhob und sich den Sand aus den Kleidern klopfte. Nun bin ich schon fast am Ziel.
Der Rappe stand einige Schritte entfernt und rupfte an den spärlichen Grasbüscheln, die zwischen dem Sand wuchsen. Janik ging zu ihm herüber, streichelte und lobte ihn einige Zeit lang, bevor er sich wieder aufschwang. Direkt neben der Felsspalte, in der der Sonnenwagen verschwunden war, begann ein schmaler Fußpfad, der sich in vielen Windungen Richtung Wald schlängelte. Ihm folgte Janik zwischen die dunklen Bäume.
War das Land der sinkenden Sonne ruhig gewesen, so sprudelte das Land der Nacht vor Leben. Zwar konnte Janik nicht das Geringste erkennen, doch um ihn herum war der Wald erfüllt von Geräuschen. Das nächtliche Geraschel von Tieren im Dickicht, dann und wann seltsame Rufe in der Dunkelheit, das Zirpen von Grillen, immer gerade so weit entfernt, dass es sich außerhalb des Lichtkreises seiner inzwischen entzündeten Laterne befand. Doch der Rappe trabte ruhig dahin, ohne sich stören zu lassen und so schloss Janik darauf, dass keine Gefahr für sein Leben bestand.
Die Reise war nicht weit. Schon nach kurzer Zeit konnte Janik einen Lichtschimmer zwischen den Zweigen der schwarzen Bäume erspähen. Immer wieder ein Funkeln und Blitzen, je nachdem, wie der Weg sich wendete. Schließlich wichen die Bäume vor ihm zur Seite und er blickte auf die Quelle des Lebens.
In einem kleinen runden Becken, begrenzt durch silbrig schimmernde Steine sprudelte eine niedrige Fontäne klarer Flüssigkeit leise plätschernd vor sich hin. Ein heller Schein ging von dem Wasser aus, als bestände es aus reinem Licht. Direkt neben dem Becken ruhte ein schwarzer Panther, der Janik mit starrem Blick entgegensah. Seine Augen leuchteten unheimlich grün in der Farblosigkeit des Waldes.
Der Wächter der Quelle gewährt jedem nur einen Schluck. Janik saß ab und ging mit langsamen Schritten auf die Quelle zu. Er versuchte, den Panther nicht anzusehen, doch er ertappte sich immer wieder dabei, wie sein Kopf zur Seite zuckte und er in diese tiefen grünen Augen sah. Das Tier rührte keinen Muskel. Unbehelligt erreichte Janik das Becken, hielt inne und zog aus der Tasche seines Gewandes die kleine grüne Kristallphiole, die ihm die Hexe gegeben hatte. Diese Flasche wird das Wasser frisch halten, bis du zurück gekehrt bist.
Er beugte sich vor, entkorkte das Fläschchen und hielt die Hand in die sprudelnde Fontäne. Das Wasser war zugleich kühl und warm auf seiner Haut und fühlte sich so an, als wäre es gar nicht vorhanden. Perlend füllte es die kleine Flasche, ließ sie grün erglühen. Janik zog die Hand zurück und drückte den Korken in den Hals. Im selben Moment verschwamm der Wald um ihn herum, bebte wie heiße Luft in der Sonne, und als sich sein Blick wieder klärte, stand Janik erneut an dem grauen Sandstrand zwischen den schwarzen Felsen. Der Rappe hielt geduldig neben ihm und drehte seine Ohren. Janik hätte an einen Traum geglaubt, wäre da nicht die matt schimmernde Phiole gewesen und die Tatsache, dass der Pfad in den Wald verschwunden war.
Er hob das Fläschchen in seiner Hand vor seine Augen. Das Elixier des Lebens. Den Kranken und Verletzten gewährt es Heilung, die Gesunden jedoch macht es unsterblich.
Lange stand er da und sah die Phiole an. Hier war die Heilung für Jasmines unheilbare Krankheit. Hiermit würde sie wieder gesund werden und könnte in Zukunft an seiner Seite Königin sein. Für einen langen Augenblick war er versucht, seinen ursprünglichen Plan fahren zu lassen, die Flasche einzustecken und zu Jasmine zu bringen. Doch dann…
Hier ist dein Schlüssel zum ewigen Leben. Du wirst König sein, nachdem der Alte gestorben ist, und das für immer. Janik entkorkte das Fläschchen und leerte es in einem Zug.
Wärme durchfloss seine Adern, füllte seinen Körper, stieg in seinen Kopf. Eine wunderbare Leichtigkeit ergriff von ihm Besitz und er konnte fühlen, wie sich seine Glieder streckten, seine Muskeln zusammenzogen und dann wieder entspannten, als wäre es das erste Mal. Er fühlte sich jünger, kräftiger, geschmeidiger und lebendiger, als je zuvor. Das Blut in seinen Adern hatte sich in reines Leben verwandelt.
Übermütige Freude ergriff ihn, er lachte laut auf, schrie, jubelte, dass der Rappe scheute und die Geräusche des nächtlichen Waldes für einen Moment verstummten. Nie, nie würde er sterben. Für immer reich, berühmt und beliebt. Er musste nach Hause, musste allen kundtun, was er vollbracht hatte. Er, Janik, der König für die Ewigkeit.
Doch wie sollte er nach Hause kommen? Janik grub in seinem Gedächtnis nach den Worten der Hexe. Wenn du zurück am Strand bist, musst du dich in Geduld üben, hatte sie gesagt. Der Mond steigt jeden Abend mit seinem Wagen aus dem Nachtwald auf. Du musst aber warten, bis er voll ist. Nur ein voller Mond kann dich über das Meer der Ewigkeit tragen. Schwing dich auf sein Trittbrett, wenn er an dir vorbei kommt. So wirst du sicher nach Hause gelangen.
Janik schüttelte unwillig den Kopf. Wie konnte er jetzt noch warten, bis der Mond wieder voll war? Er hatte keine Ahnung, wie lange das dauern würde. Tage bestimmt, vielleicht auch Wochen. So lange wollte er nicht warten. Außerdem musste er dann seinen treuen Rappen zurücklassen. Das konnte er nicht tun. Es musste einen anderen Weg geben.
Die Brücke, schoss es ihm durch den Kopf. Die Brücke taucht doch jeden Abend auf. Wenn ich mich beeile, erreiche ich die andere Seite bestimmt, bevor sie wieder verschwindet. Und wenn nicht, nun, ich bin unsterblich. Selbst, wenn ich ins Wasser falle und einen kleinen Weg schwimmen muss, es kann mir gar nichts geschehen. Dann muss ich zwar trotzdem den Rappen aufgeben, aber wenigstens bin ich schnell zu Hause.
Rasch schwang er sich wieder in den Sattel und lenkte sein Pferd zu der Stelle, wo die bronzene Brücke geendet hatte. Er konnte unmöglich sagen, wie spät es jetzt war und wie lange er warten musste, bevor sie wieder erschien, doch er wollte auf keinen Fall den richtigen Zeitpunkt verpassen.
Die Brücke tauchte schließlich mit einem machtvollen Glockenton über dem Wasser auf. Sofort ließ Janik dem Rappen die Zügel schießen und lenkte ihn aufs Meer hinaus. Das Tier lief wohl noch schneller als auf dem Hinweg, es war beinahe, als hätte die Zeit angehalten und nur Janik und der Rappe wären in Bewegung. Die fliegende Mähne schlug Janik ins Gesicht und über allen anderen Lauten vernahm er das Keuchen des Pferdes. Eine wilde Freude erfüllte seinen Körper. Dies war so wie das Leben sein sollte. Wild, abenteuerlich, frei.
Dann erblickte er ein Lodern in der Ferne. Flammen, die sich rasend schnell näherten. Der Sonnenwagen schoss auf ihn zu. Einen kurzen Moment lang stieg Panik in Janik auf. Die Brücke war zu schmal, als dass er den Sonnenwagen passieren konnte. Doch dann lachte er auf. Er war ja unsterblich. Ihm würde nichts geschehen. Allein um das Pferd tat es ihm leid.
Kurz entschlossen zügelte Janik den Rappen und glitt aus dem Sattel. Mit einem Klaps auf den Hintern schickte er ihn dorthin, woher sie gekommen waren. Das Tier, das das nahende Feuer witterte, jagte davon wie von Teufeln gehetzt. Janik unterdessen schritt lächelnd auf der Brücke weiter dem Sonnenwagen entgegen. Sein Herz klopfte vor Freude. So nahe wie er war wohl noch niemand dem Sonnenwagen gekommen und hatte überlebt. Er, Janik, der ewige König, konnte sogar der Sonne die Stirn bieten.
Die Pferde rasten heran. Funken stoben, Flammen leckten an ihren Fesseln empor. Die riesigen Wagenräder glühten. Unbekümmert blieb Janik in der Mitte der Brücke stehen, verschränkte die Arme und ließ den Wagen herankommen. Er lächelte noch, als er unter den gewaltigen Hufen zertrampelt wurde.
***
Nachdem der junge Kämpfer ihre Hütte verlassen hatte, löschte Rheana das Feuer, streifte das verdreckte Kleid ab und ging nackt nach draußen, um im Bach ein Bad zu nehmen. Die beiden Sitzkissen nahm sie mit, um sie wieder in der Kohlenkiste zu verstauen. Genug Mystizismus für heute, lächelte sie bei sich.
Als sie wieder sauber war, ihr Haar gekämmt und säuberlich zusammengebunden, die Hütte gereinigt und gelüftet, kauerte Rheana sich wieder an ihre Feuerstelle, das verkrüppelte Bein unter das andere geschlagen. Sie griff nach ihrer Silberschüssel und goss aus einer bereitgestellten Karaffe Kristallwasser herein. Nachdenklich rührte sie einige Minuten lang mit dem Finger in der klaren, eisigen Flüssigkeit herum, bis sie sich besann und seufzend die magischen Worte sprach.
Sofort verliefen sich die kleinen Wellen auf der Oberfläche und das Wasser nahm einen silbernen Glanz an. Undeutlich tauchte Jasmines hübsches Gesicht in der Schale auf.
„Was gibt es, Rheana?“ Ihre Stimme perlte, aber wahrscheinlich lag das an dem noch immer nicht ganz beruhigten Wasser. Ich sollte das nächste Mal weniger damit herumspielen, wies Rheana sich selber zurecht.
„Ich denke, auch dieser wird dich betrügen, Jasmine. Auch er sinnt nach dem ewigen Leben.“ Rheana hatte Schwierigkeiten, den rauchigen Klang aus ihrer Stimme heraus zu halten, den sie extra für Kunden anschlug.
Jasmine seufzte. „Wir werden es sehen“, erwiderte sie dann. „Vielleicht ist er auch aufrecht.“
Rheana schüttelte besorgt den Kopf. „Er hat so verkrampft an dich gedacht, deine Gesundheit liegt ihm nicht im geringsten am Herzen. Er ist nicht der Richtige, Jasmine.“
„Wenn das so ist, dann wird er sich selber vernichten.“
„Es gibt nur eines, das ihn töten kann, wenn er erst einmal von dem Elixier getrunken hat. Wenn er klug ist, kann er ihm entgehen.“
„Das sagst du jedes Mal. Doch noch nie hat es einer geschafft. Sie sind alle an ihrem Hochmut zugrunde gegangen.“ Wieder seufzte Jasmine. „Aber wir werden noch einen ehrlichen Mann finden, Rheana, einen, der dir das Heilmittel für dein Bein besorgt.“
Und der dir ein guter Ehemann ist, dachte Rheana, doch das Wasser in der Schüssel war bereits wieder klar geworden und Jasmines Bild war verschwunden. Seufzend schüttete sie das Wasser in den nächsten Kochtopf. Es wurde Zeit, das Abendessen zuzubereiten.