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Das Ende einer Freundschaft

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14.10.2001
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Das Ende einer Freundschaft

Bei einer Theateraufführung sah ich sie wieder. In der Pause, kurz nach dem zweiten Schellen, entdeckte ich sie plötzlich im Foyer. Ich erkannte sie sofort. Ihr Haar war inzwischen grau geworden, so wie meins, und sie machte immer noch diesen verhuschten Eindruck. Während ich Hilde beobachtete, hob sie nicht ein einziges Mal den Blick. Sie stand nur da, stocksteif, die Schultern leicht hochgezogen, und starrte vor sich hin. Ich glaube, sie hat mich auch bemerkt, aber sie tat so, als würde sie mich nicht kennen ...

Dabei waren wir früher – genauer gesagt vor einem halben Jahrhundert – sehr gut befreundet gewesen. Damals wohnten wir in derselben Straße. Wir trafen uns fast jeden Tag, kicherten und tratschten, gingen spazieren, bummeln oder ein Eis essen.

In der Kleinstadt, in der wir lebten, kannte jeder jeden. Uns beide sowieso, denn wir galten als sogenannte „höhere Töchter“. Ihr Vater war der Apotheker und meiner Direktor einer kleinen Fabrik am Ort. Wir wussten, was die Leute von uns erwarteten: nämlich tadelloses Benehmen, Sitte und Anstand. Kurze Röcke, tiefe Ausschnitte oder gar Männergeschichten wären undenkbar gewesen.

Und dann kam jener Nachmittag ... Wir müssen so Anfang oder Mitte zwanzig gewesen sein. Ich weiß noch, es war herrliches Wetter. Wir schlenderten die Hauptstraße entlang, nur im leichten Sommerkleid. Ich trug keine Strümpfe. Zu der Zeit war ich ziemlich eitel. Ich merkte sehr wohl, wie die Leute uns – vor allem mir – hinterherschauten und so mancher Blick eines Mannes mich bewundernd streifte. Das gefiel mir. Mit hoch erhobenem Kopf stöckelte ich anmutig auf meinen hohen Absätzen daher und ließ meine Hüften schwingen. Nicht zu stark natürlich, das wäre unangenehm aufgefallen.
Hilde dagegen fühlte sich gar nicht wohl in ihrer Haut. Sie hakte sich bei mir unter und schlich mit gesenktem Kopf neben mir her. Sie wollte nie auffallen, das konnte sie nicht ertragen.

Wir näherten uns einem voll besetzten Straßencafé. Der Druck von Hildes Arm verstärkte sich. Sie hasste es, an Menschen vorbeizugehen.
Mich dagegen störte das nicht. Im Gegenteil! Ich war mir bewusst, wie attraktiv ich aussah. Mein blondes Haar glänzte im Sonnenlicht und das Kleid mit dem engen Gürtel unterstrich meine Oberweite und meine schlanke Taille. Ich hatte eine Sonnenbrille aufgesetzt – der letzte Schrei damals, wodurch meine vollen, rot geschminkten Lippen besonders gut zur Geltung kamen.

Auf einmal verspürte ich ein leichtes Kribbeln an den Hüften, an den Oberschenkeln. Es hörte nicht auf, jetzt kitzelte es ein Stückchen tiefer. Und dann durchfuhr es mich wie ein elektrischer Schlag. Ich begriff, was da im Gange war und dass ich nichts, aber auch gar nichts tun konnte, um es zu verhindern.
„Hilde!“, stieß ich zwischen den Zähnen hervor, „bleib stehen!“
Sie hielt inne und blickte mich erstaunt an.
Wir standen genau vor dem Straßencafé. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass an jedem Tisch Leute saßen.
Ich griff in meinen Rock, drückte den Stoff zusammen und presste die Faust gegen meinen Oberschenkel. „Der Taillenbund“, wisperte ich. „Er ist gerissen.“
Passanten gingen vorüber. Ein Mann stieß mich an. „Oh, Entschuldigung“, sagte er im Weitergehen.
Das gab meinem Schlüpfer den Rest. Unaufhaltsam rutschte er an meinen Schenkeln entlang, über die Knie, die Waden, wurde unterhalb des Saumes sichtbar und glitt sanft auf den Asphalt. Noch heute sehe ich im Geiste vor mir, wie er sich um meine Schuhe mit den Pfennigabsätzen drapierte.
Hildes Arm löste sich aus meinem. Sie war bleich, ihr Blick richtete sich nach vorn, wurde unbeteiligt. „Ich kenne dich nicht“, sagte sie tonlos und ließ mich stehen. Ließ mich einfach stehen, vor all den Leuten, mit meinen Füßen in den Beinöffnungen eines Schlüpfers!
„Die Frau hat ihre Buxe verloren!“, schrie ein Kind und lachte hell auf.
„Psst!“ Die Mutter versuchte, es zum Schweigen zu bringen.
Ein Mann mit einem Dackel näherte sich. Der Hund bellte und zog an der Leine in meine Richtung.
Hastig stieg ich aus meiner Hose, stopfte sie in die Handtasche und floh, so schnell es meine hochhackigen Pumps erlaubten.

Am Abend kam Hilde, um sich zu entschuldigen.
„Du hättest mir wenigstens Rückendeckung geben können“, sagte ich vorwurfsvoll.
„Es war mir so peinlich“, stotterte sie, „ich konnte nicht anders. Es tut mir wirklich leid.“
Irgendwie verstand ich sie. Ich nahm ihre Entschuldigung auch an. Trotzdem wurde es nie wieder wie vorher zwischen uns.
Kurz darauf zog ich in eine andere Stadt und verlor sie ganz aus den Augen. Bis heute.

Die Vorstellung war zu Ende und die Theaterbesucher drängten zum Ausgang. Ich kämpfte mich durch die Menge, suchte Hilde.
Plötzlich stand sie vor mir.
„Hallo, Hilde!“, sagte ich.
„Guten Tag.“ Sie schaute mich kurz an, ein wenig erschrocken, wie mir schien. Dann glitt ihr Blick an meinem Gesicht ab und wanderte hinunter bis zu meinen Füßen. Ich wusste genau, woran sie in diesem Augenblick dachte.
Plötzlich musste ich kichern.
Hilde hob den Kopf. Auch um ihre Mundwinkel zuckte es.
„Weißt du noch?“, fragte ich.
Sie nickte.
Und dann lachten wir Tränen.

 

Moin Jakobe,


Mir hat die Geschichte ganz gut gefallen.
Stilistisch ist das ganze sehr routiniert und flüssig geschrieben, Anmerkungen oder Verbesserungsvorschläge hab ich darum keine. Inhaltlich fand ichs auch gelungen, eine eher leise Geschichte, die aber einen gewissen Charme versprüht und damit unterhält. Das Ende gefällt mir sehr, wirklich. Ich weiß nicht, ob die Wirkung, die das Ende auf mich hatte, die war, die du beabsichtigt hast, aber mich hat es sehr angesprochen.

Ich habe nur ein Problem mit dem Text: er ist nicht wirklich lustig. Wie gesagt, ich halte die Geschichte für gelungen, und die Szene vor dem Cafe hat durchaus Schmunzelpotential - aber ich glaube, sie würde in einer anderen Rubrik einfach besser zur Geltung kommen.
Darum würde ich eine Verschiebung nach Gesellschaft vorschlagen.

 

Hallo, Gnoebel,

vielen Dank für deinen Kommentar.

Ich hatte auch überlegt, in welche Rubrik ich die Geschichte stellen sollte. Auf "Gesellschaft" bin ich nicht gekommen, ich dachte eher an "Alltag". Oder ob man "Sonstige" nehmen sollte? Damit kann man ja nichts verkehrt machen! ;-)

Viele Grüße
Jakobe

 

Hallo Jakobe,

die Erinnerung einer alten Frau an eine längst vergangene Episode. Sehr glaubhaft, sehr routiniert erzählt - aber was für die sich Erinnernde wahnsinnig komisch sein mag, wirkt auf mich als Leser eigentlich nur belanglos. Wohl weil es eine dieser Situationen ist, die den Betreffenden selbst zwar stark beeindrucken, die aber in der Erzählversion nicht so wirklich prickeln. So wie in einen Hundehaufen treten.

Persönlich mochte ich das Ende nicht so sehr, bin eher unangenehm berührt, ohne das begründen zu können. Mir wäre ein Schluß bei 'bis heute' lieber gewesen.

Viele Grüße vom gox

 

Hallo Jakobe!

Mir hat deine Geschichte recht gut gefallen, auch wenn ich den Humor darin nicht entdecken konnte. Wenn das mit dem Schlüpfer der humoristische Höhepunkt sein soll... naja. Ich musste schmunzeln, aber irgendwie wars nicht so der Lacher. Nur weil mal kurz was zum Lachen in einer Geschichte vorkommt, muss die noch nicht gleich zu Humor gepostet werden. Vielleicht eher zu Sonstige?
Dein Titel lautet "Das Ende einer Freundschaft" - das wurde in der Geschichte aber nicht so richtig deutlich. Sie haben sich ja wieder vertragen - Zeitsprung - am Ende lachen sie beide. Wo war da ein Ende der Freundschaft? Offensichtlich war eine große Lücke zwischen diesen beiden "Sich-wieder-vertragen", aber wie die Freundschaft auseinander gedriftet ist, das hat mir ein bisschen gefehlt.
Ansonsten habe ich aber nichts zu meckern, stilistisch bist du sicher, Rechtschreibfehler konnte ich auch keine entdecken.
Hat mir also gut gefallen.

Liebe Grüße,
apfelstrudel

 

Hallo, Gox,

die Erinnerung einer alten Frau an eine längst vergangene Episode. Sehr glaubhaft, sehr routiniert erzählt - aber was für die sich Erinnernde wahnsinnig komisch sein mag, wirkt auf mich als Leser eigentlich nur belanglos.

Na ja, wenn jemand stolz einherschreitet und dann die Unterhose verliert - ich find's komisch, und ich würde auch hingucken. Natürlich ist das kein weltbewegendes Ereignis, aber darf es nur Geschichten über Katastrophen, Sensationen und SKandale geben?

Wohl weil es eine dieser Situationen ist, die den Betreffenden selbst zwar stark beeindrucken, die aber in der Erzählversion nicht so wirklich prickeln. So wie in einen Hundehaufen treten.

Das ist so eine Sache mit dem Prickeln. Der eine mag Champagner, der andere trinkt lieber Brause.

Persönlich mochte ich das Ende nicht so sehr, bin eher unangenehm berührt, ohne das begründen zu können. Mir wäre ein Schluß bei 'bis heute' lieber gewesen.

Mir nicht. Wenn ich am Anfang einer Geschichte lese, dass sich Leute nach vielen Jahren wiedersehen, möchte ich als Leser lieber erfahren, wie diese Begegnung ausgegangen ist. Warum du "unangenehm berührt" warst, dafür ist mir trotz langer Überlegung leider auch kein Grund eingefallen.

Viele Grüße
Jakobe

 

Hallo, La_vaca_loca,

Schlecht finde ich deine Geschichte nicht

Vielen Dank!

nur würde ich sie nicht in das Genre HUMOR einordnen, wie schon mal gesagt wurde! :)

Tja - wohin also mit der Geschichte?

- Es handelt sich um ein kleines Malheur --> Alltag?

- Ich habe versucht, das Lebensgefühl der fünziger Jahre ein bisschen rüberzubringen --> Historik?

- Warum nicht Humor? Weil sich keiner nach der Lektüre die Lachtränen aus den Augen wischt? (Wenn das ein Kriterium wäre, müssten wir diese Rubrik wohl schließen, denn bei jeder Geschichte würde mindestens einer auf den Plan treten und verkünden: "Ätsch bätsch, ich hab aber beim Lesen nicht gelacht!")

- Rubrik "Sonstige"? Dabei könnte man doch eigentlich nichts verkehrt machen. Oder vielleicht doch. Menschen würden sich zu Wort melden: "Deine Geschichte gehört in die Rubrik X oder Y."

- Langer Rede kurzer Sinn: Ich frage mich, ob es nicht mehrere Schattierungen von Humor gibt, die diesen Namen verdienen. Und wenn dem so ist: Warum dann nicht doch die Rubrik "Humor" für "Das Ende einer Freundschaft"?

Viele Grüße
Jakobe

 

Hallo, apfelstrudel,

dir wollte ich natürlich auch noch danke sagen fürs Lesen und Kommentieren!

Mir hat deine Geschichte recht gut gefallen, auch wenn ich den Humor darin nicht entdecken konnte. Wenn das mit dem Schlüpfer der humoristische Höhepunkt sein soll... naja. Ich musste schmunzeln, aber irgendwie wars nicht so der Lacher. Nur weil mal kurz was zum Lachen in einer Geschichte vorkommt, muss die noch nicht gleich zu Humor gepostet werden. Vielleicht eher zu Sonstige?

Dazu habe ich ja in meiner vorigen Antwort schon was gesagt. Nur noch eins: Wenn du schmunzeln musstest, dann reicht mir das! ;-)

Dein Titel lautet "Das Ende einer Freundschaft" - das wurde in der Geschichte aber nicht so richtig deutlich. Sie haben sich ja wieder vertragen - Zeitsprung - am Ende lachen sie beide. Wo war da ein Ende der Freundschaft? Offensichtlich war eine große Lücke zwischen diesen beiden "Sich-wieder-vertragen", aber wie die Freundschaft auseinander gedriftet ist, das hat mir ein bisschen gefehlt.

Da muss ich dir widersprechen. In der Geschichte steht eindeutig, dass sie sich zwar sofort wieder vertragen haben, dass es aber nach diesem Ereignis nie mehr so war zwischen den beiden wie vorher, dass sie sich bald darauf aus den Augen verloren haben und ein halbes Jahrhundert keinen Kontakt hatten. Und ob sie wirklich wieder zueinander finden werden, bleibt offen.

Ansonsten habe ich aber nichts zu meckern, stilistisch bist du sicher, Rechtschreibfehler konnte ich auch keine entdecken.

Na, das ist doch prima!

Viele Grüße
Jakobe

 

Hallo Jakobe!

Ich weiß, du wirst wieder dagegenhalten, aber ich muss dazu nochmal was sagen: Wenn wir alle unsere Geschichten, nur weil ein zwei humoristische Details drin vorkommen, gleich zu Humor posten würden, dann wären alle anderen Rubriken leer. Es geht in der Geschichte ja nicht in erster Linier darum, dass ein Mädel ihre Buxen verloren hat und das so witzig sein soll, sondern darum, dass eine Freundschaft aufgrunddessen auseinander gegangen ist. Das ist mMn eine viel tiefgreifendere Problematik. Für mich ist das deshalb keine Humorgeschichte, tut mir Leid, da kannst du sagen was du willst. Eigentlich fand ich sie sogar ein bisschen traurig.

Liebe Grüße,
Apfelstrudel

 

Hallo, Apfelstrudel,

nein, dagegenhalten werde ich nicht. Schließlich kann man keinem Menschen vorschreiben, wie er ein Ereignis oder einen Text wahrzunehmen hat. Dass eine Geschichte von verschiedenen Lesern unterschiedlich aufgefasst wird, ist ja eigentlich auch nichts Ungewöhnliches.

Noch mal viele Grüße
Eva

 

Hallo Jakobe,

richtig lustig an der Geschichte fand ich nur das Kind, das laut gerufen hat:"Die Frau hat ihre Buxe verloren!"
Ein größeres Problem bereitet mir die Vorstellung, dass so ein relativ banales Erlebnis die Freundschaft zerstört haben sollte. Hmm, wie gesagt, kann ich schlecht nachfühlen.
Dein Schreibstil fand ich sehr gut, es hat Spaß gemacht zu lesen. Du bist sehr sicher in Ausdruck und Rechtschreibung.
Liebe Grüße,
jurewa

 

Hallo, Jurewa,

mir gefiel besonders der Hund. Oder dass die Freundin "Ich kenne dich nicht" sagt, ehe sie weitergeht. So hat jeder eben seine Vorlieben.

Der Titel soll übrigens nicht auf eine dramatische Geschichte hinweisen. Es geht nicht wirklich um das tragische Ende einer Freundschaft. Die Freundschaft zwischen den beiden Mädchen ging ja auch nicht nur wegen der Buxe in die Brüche. Es wurde bloß "nicht mehr so, wie es vorher war". Und dann verloren sie sich aus den Augen, wie es so oft im Leben passiert.

Wenn es dir Spaß gemacht hat, den Text zu lesen, bin ich zufrieden. Mehr wollte ich mit dieser harmlosen Geschichte nicht erreichen. Sie sollte den Leser nur unterhalten.

Viele Grüße
Jakobe

 

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