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Das erste Mal
Das erste Mal
Ich saß schon oft hier. Lüge!
Ich stand schon oft hier.
Hier, d. h. auf dem zweieinhalb Quadratmeter Balkon im zweiten Obergeschoss einer Fünfer-WG. Verschimmelte Blumen, mit Bier und diversen Spirituosen befleckter Kunstrasen, lose, schlaffe oder auch manchmal von der Wand abstehende Telefon- und Internetkabel, vom Schmutz strukturierte weiß-grau-schwarze Wände.
Außerdem: Nordseite. Nordseite in der Nordstadt.
Ich stand schon oft hier.
Rauchte die unvermeintliche Zigarette am Morgen, also so zwischen elf und vierzehn Uhr, bei der die schemenhaften Erinnerungen an die geil abgefuckte Nacht, mit Vorliebe auf irgendwelchen Lesbenparties oder im Spirit, wie die weiß-grau-schwarzen Qualmringe der Zigarette an den weiß-grau-schwarzen Wänden emporstiegen, rasch vom Wind weggeblasen wurden und Platz für die nächste Silhouette eines Gedankens machten.
Diese Tat in den persönlichen Morgenstunden muss eigentlich nie sein, denn der Teer in der Lunge ist längst noch heiß und flüssig.
Ich stand schon oft hier.
Schaute in den lieblosen Innenhof. Haus an Haus, Fenster an Fenster, Telefonkabel an Internetkabel, Balkon an Balkon. Und trotzdem weiß man und frau nichts. Man und frau und ich wissen nicht, wofür die Telefon- und Internetkabel auf den anderen Balkonen benötigt werden. Sexhotline oder der Großvater. Ahnungslosigkeit, was hinter diesen winzigen Balkonen und dreckigen Wänden passiert.
Heute Morgen bin ich auch wieder hier.
Die Sonne bleicht die Wäsche auf den Balkonen, die zur Südseite des Hauses angebracht sind, aus, doch die Wäscheaufhänger freuen sich, dass man oder frau an der frischen, fischigen, mit Abgasen verpesteten Luft seine oder ihre Tigertangas trocknen kann.
Ich bin hier.
Die Sonne scheint. Ich wäre auch gern in der Sonne denke ich mir beim Anblick der sonnigen Balkone. Und wenn es auch nur als trocknender Tigertanga oder Telefonkabel sei.
Das, was ich zur Zeit an Sonne in mir trage, hat nichts mit Sonne gemein, bis auf die Farbe. Es ist der gelbgraue, oder soll ich pastellfarbene sagen, Schleim aus Nase, Nebenhöhlen und Bronchien.
Drauf geschissen.
Nächster Kaffee. Nächste Kippe.
Heute Morgen bin ich nicht ganz hier.
Zumindest nicht bei mir. Mir ist nicht kalt im Schatten. In Gedanken versunken in der Sonne. Keine weißen Wolken am Himmelsgewölbe. Deshalb auch keine weiße Milch im Kaffee. Dafür einen ganzen Esslöffel Zucker. So süß ist dieser Morgen.
Ich saß
heute Morgen
das erste Mal
hier.