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Das explodierte Hinterteil
Der Herbst kam unaufhaltsam.
Das Laub an den Bäumen verfärbte sich, die Ernte wurde eingeholt und die Felder erinnerten an den geschorenen Kopf eines in die Jahre gekommenen Punks.
Es wurde ruhiger auf den Straßen. Die Motorräder wurden nach und nach winterfertig in ihren Winterquartieren verpackt, und warteten hier geduldig auf das nächste Frühjahr.
Bis auf die Maschinen einiger ganz harter, meist älterer Männer.
Jene Altrocker ließen ihre Motorräder das ganze Jahr über angemeldet.
Auch diese Männer wurden mit der Zeit immer älter, und je älter sie wurden umso schwerer fiel es ihnen, das Image eines harten Rockers aufrecht zu erhalten.
Die Maschinen dieser Altrocker besaßen beheizbare Griffe. Mann trug Handschuhe mit kleinen niedlichen Heizspiralen, welche zusätzlich die faltiger werdenden Hände, mit ihren Altersflecken, vor einem Wärmeverlust bewahren sollten.
Der letzte Schrei bei dieser vom aussterben bedrohten Spezies, war neben einer beheizbaren Lederhose, dem Lederleibchen mit integrierten Heizbriketthalterungen, der in die Sitzbank eingebaute Eierwärmer.
Eine Motorradsitzbank auf eine gewisse Temperatur zu bringen, damit sie sich auch bei minus zwanzig grad Celsius noch angenehm warm anfühlte, war bislang eine ziemlich komplizierte und risikoreiche Angelegenheit.
Besonders bei Maschinen einer bestimmten Marke war es derzeit mehr als heikel, die Elektroden der Heizspiralen in einer Reihenfolge an der Batterie anzuschließen, damit nicht die Sitzbank des Motorrads, samt dem auf ihr befindlichen Easyrider, bei Tempo achtzig und einer Belastung von mehr als 100 Kilo Lebendgewicht, in die Luft flog.
Trotz dieses nicht zu unterschätzenden Risikos ließen sich in letzter Zeit immer mehr Besitzer von Maschinen dieser Marke besagte Heizung in ihre Sitzbank einbauen.
Das Geschäft mit der Sitzheizung florierte, und so hatten sich einige clevere Geschäftsleute auf genau diese Klientel spezialisiert.
Einer dieser Geschäftsleute hatte den Ruf, dass bis dato bei ihm noch keine Sitzbank explodiert ist. Gerade in der Herbstsaison konnte er sich aus diesem Grunde kaum vor Aufträgen retten. Die Wartezeiten auf eine beheizbare Sitzbank beliefen sich mittlerweile auf mehrere Wochen.
Man sollte bei dieser Gelegenheit erwähnen, dass es auch unter den älteren Rockern wenige Männer gab, welche mit über hundert Kilo eine unschuldige Maschine durch die Lande quälten.
Eines Tages erschien in dieser erfolgreichen kleinen Sattlerei, in einer kleinen Stadt mitten im romantischen Bayern, in welcher die Heizspiralen in die Sitzbänke der Easyrider gebaut wurden, ein älterer, korpulenter, langhaariger, etwa ein Meter und siebzig großer Mann.
Er sah sich einen Moment um, bevor er den Besitzer der Werkstatt hinter einer ganzen Ladung von Sitzbänken ausfindig machen konnte.
Der Mann sah von seiner Arbeit auf und begrüßte freundlich den rundlichen Easyrider.
„Ich habe gehört, dass es für dich kein Problem ist, bei einer BMW eine Sitzheizung einzubauen“, kam der Langhaarige ohne Umschweife zum Thema.
„Probleme habe ich keine damit in irgendeine Maschine eine Sitzheizung einzubauen. Aber dir ist klar“, er musterte den vor ihm stehenden Easyrider „dass es bei deinem Gewicht nicht ganz ungefährlich ist, wenn ich eine Heizung in deine Sitzbank integriere“.
„Heißt das, du integrierst hin und wieder nicht funktionstüchtige Sprengsätze?“ sagte eine lachende rothaarige Frau, welche just in diesem Moment den Laden betrat.
Die beiden Männer sahen die Frau an, welche sich frech an die Werkbank lehnte.
„Wenn es dir Spaß macht, dein Hinterteil in die Luft zu sprengen, dann will ich dich nicht daran hindern“, scherzte sie, knuffte den Rocker in die Seite und zwinkerte dem äußerst attraktiven Besitzer dieser Werkstatt zu.
„Wenn ich will, funktionieren meine Sprengsätze immer“, erwiderte der Sattler.
„Es wundert mich, dass du dann so viele Aufträge hast“. Die Frau zeigte scherzend auf den Stapel Sitzbänke, welcher sich als ungeordneter Haufen auf der Werkbank ausbreitete.
„Bis wann kann ich meine Sitzbank haben?“ mischte sich der Easyrider ins gerade beginnende Gespräch.
„Vielleicht will ich meine Kunden nicht in die Luft jagen?“ Der Sattler schaute die Frau an und ignorierte den langhaarigen Altrocker, welcher Besitz ergreifend den Arm um sie legte.
„Musst doch nicht gleich jeden Kunden in die Luft jagen“. Sie löste sich aus dem Griff des Rockers und sah ihrem Gegenüber unverwandt lächelnd an.
„Wann kann ich meine Sitzbank haben?“ drängte sich abermals der Mann, welcher seine Eier nicht der Kälte des Winters aussetzen wollte, ins Gespräch.
„Ich habe im Moment eine Wartezeit von mehr als sechs Wochen“, antwortete der Sattler endlich.
„Das ist aber sehr schade“, sagte die Frau nachdenklich.
„Wieso?“ der Sattler musterte sie von oben bis unten.
„Weil es in sechs Wochen bestimmt schneit, und wer fährt schon bei Schnee Moped“.
„Fährst du selber?“ wollte der Sattler mit einem Seitenblick auf sie wissen.
„Bestimmt nicht auf einer Maschine, welche du vorher präpariert hast und auf der einem irgendwann das Hinterteil explodiert“.
„Das wäre auch mächtig schade“, antwortete der Sattler Augenzwinkernd.
In diesem Moment legte der Rocker seine Hand auf den Po der Frau.
Das war der Moment, welcher alles änderte.
„Ich denke, es lässt sich was machen mit deinem Sitz“, sagte der Sattler zu dem Rocker. „Vielleicht kann ich dir die Heizung schon nächste Woche einbauen“, er warf einen unauffälligen Seitenblick auf die Frau, welche immer noch an der Werkbank lehnte.
Der Easyrider bedankte sich, drehte sich um und wollte die Werkstatt verlassen, als er merkte, dass die Frau keinerlei Anstalten machte ihm zu folgen.
„Willst du hier Wurzeln schlagen?“
Wortlos drehte sie sich um und folgte dem Easyrider. Auf dem Weg nach draußen streifte ihre Hand wie zufällig den Arm des Sattlers und sie hauchte ihm ein flüchtiges „Danke“ entgegen.
Verstehend lächelte der Mann. Er sah ihr noch lange nach.
Am darauf folgenden Montag brachte der Altrocker die Sitzbank seines Motorrades in die kleine Sattlerei um sie dort für die kalten Wintertouren her richten zu lassen.
Er redete einige Minuten mit dem Inhaber der Werkstatt, verabschiedete sich und erwähnte nebenbei, dass er nun Gott sei dank wieder solo sei.
Es gäbe nichts schlimmeres, so behauptete er, als ein Weib an der Seite eines Mannes, welche niemals das zu machen pflegt, was Mann ihr sage.
Der Sattler ließ sich zu ein paar männerverstehenden Bemerkungen hinreißen und sicherte dem Altrocker süffisant grinsend zu, seinen Sitz innerhalb der nächsten acht Tage fertig präpariert zu haben.
Keine fünf Tage später war die Sitzbank des Easyriders neu bezogen und mit einer luxuriösen Sitzheizung ausgestattet. Er ließ sie sich am selben Tag, an welchem er die Sitzbank in Empfang nahm, auf seiner Maschine anschließen.
Noch am gleichen Abend entschloss er sich zu einer Fahrt in die untergehende Sonne auf seiner neu präparierten Maschine.
Langsam fuhr er auf die Autobahn.
Es fiel ihm nicht schwer die ersten Kilometer Richtung Regensburg nicht über 80 Stundenkilometer Geschwindigkeit zu kommen.
Peu a peu wurde es auf der Maschine wärmer und angenehmer zu fahren. Nach etwa zwanzig Kilometern Autobahn wurde er langsam mutiger und immer schneller. Auf der Autobahnbrücke bei Sinzing hatte er im Augenblick der Explosion eine Geschwindigkeit von knapp 98 Stundenkilometern.
Am nächsten Morgen stand im Wochenblatt der hiesigen Zeitung:
Bombe unterm Arsch!
Altrocker genoss letzten heavy Bikeausflug.
Easyrider bei Tempo 100 auf der Sinzinger Autobahnbrücke von der Sitzbank seines Motorrades gesprengt.
Er flog geschossähnlich, mit der Wucht einer Kanonenkugel, direkt an den Brückenpfeiler. Mit einem letzen Reflex krallte sich der Rocker am Brückenpfeiler fest.
Es dauerte nicht lange bis ihn die ersten Geier umkreisten.
In seiner Panik sprang er in die reißenden Fluten der unter ihm fließenden Donau, in welcher seit einiger Zeit ein Rudel Krokodile ihr Unwesen treibt.
Der reißende Fluss zog ihn mit sich. Bis lang konnte der Easyrider noch nicht geborgen werden. Man hofft immer noch, dass er eventuell am Pfaffensteiner Wehr stecken bleibt.
Das Motorrad wurde nebst Sitzbank von der Regensburger Polizei sichergestellt.
Nach einer eingehenden Untersuchung wurde folgende Pressemitteilung heraus gegeben:
Die Polizei warnt davor in die Sitzbank eines Motorrades bestimmter Marken mit einer Sitzheizung auszurüsten. Der TÜV entzieht mit sofortiger Wirkung jeder dieser Maschienen, welche mit einer Sitzheizung ausgestattet sind die allgemeine Betriebserlaubnis. Die Versicherungen teilen mit, dass bei einem Unfall, welcher nachweislich durch eine Sitzheizung bei einem Motorrad betreffender Marken ausgelöst wurde, kein Versicherungsschutz besteht. Jeder Betreiber einer solchen Maschine mit Sitzheizung ist für die entstehenden Schäden zur Verantwortung zu ziehen.
Das Requiem fand auf der Autobahnbrücke in Sinzing statt.
Über die leere Autobahnbrücke fuhr in diesem Moment ein schwarzes Cabrio, aus welchem laut
„Born to be wild“
zu hören war.