Was ist neu

Das Flüstern

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09.09.2004
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Das Flüstern

Das
Flüstern


Horst Schmittke veränderte sich. Er veränderte sich nicht nur allmählich, sondern rapide. Beängstigend war dabei, dass er sich in einer Art und Weise veränderte, wie er das vorher noch niemals erlebt hatte.
Zwar war diese Veränderung in ihrer Intensität einzig und in ihrer Qualität nur vage vergleichbar mit der Transformation seines Körpers, seiner Träume, Wünsche und Leidenschaften während der hormonellen Umstellung in der Pubertät; und in ähnlicher Weise präsentierte diese Veränderung auch eine lineare Abfolge von Überraschungen für ihn. Und manch weitere Konvergenz zu dieser relativ kurzen Lebensphase, während der ein Kind mit Riesenschritten ins Land der Geschlechtsreife abwandert, hätte man noch anführen können, doch war es völlig neu- und andersartig, was ihn jetzt heimsuchte. Die Veränderungen während seiner Pubertät waren hör- und sichtbare Phänomene für ihn und die Außenwelt gewesen, wie etwa der Quantensprung, den seine Jungenstimme während des Stimmbruchs in sehr kurzer Zeit vollzogen hatte. Aber nun vollzog sich die Wandlung, ohne dass seine Lebensführung, der Umgang mit anderen Menschen oder gar seine äußere Erscheinung sich änderte. Diese Veränderung kam nicht von innen und entlud sich nach außen, sondern sie kam von außen und drang vor in sein Innerstes, wie ein Spermatozoon in eine weibliche Eizelle vordringt. Die Pubertät war eine Kraft gewesen, die sich nach außen Luft gemacht hatte. Diese neue, aktuelle Kraft kam von außen, und nach innen trug sie Angst in ihrer reinsten Konzentration.
Horst Schmittke war schon weit über fünfzig. In solch einem Alter veränderte ein Mann sich nicht mehr so radikal – oder etwa doch? Steckte er gerade in den Krallen einer verspäteten Milife-crisis? Im männlichen Äquivalent zu den Wechseljahren? Oder war dies einfach das voranstürmende Alter? Die Antwort auf beide Erwägungen lautete klar und mit einem Wort: nein. Das Altern war ein schleichender Prozess, ein allmähliches, fast unmerkliches Nachlassen der Energie und der Belastbarkeit, welches einem Mann seines Alters nur in periodisch wiederkehrenden Momenten erneut und demütig bewusst wurde. Und Männer in der Midlife-crisis fingen meistens an, sich dämlich zu benehmen, und zwar ohne dies selbst zu merken. Horst Schmittke wusste genau, dass er sich nicht dämlich benahm. Er hatte sich völlig im Griff, und immer wieder fragte er sich, wovor er dann eigentlich so große Angst hatte.
Seit einem halben Jahrhundert kannte Horst die Straßen und Häuser seiner Stadt. Sie waren ihm samt ihren baulichen Metamorphosen im Lauf der Zeit fast so vertraut geworden wie sein eigenes Spiegelbild, denn er hatte nie länger woanders gelebt. Aber jetzt sahen sie ganz neu und verwandelt für ihn aus, wie sich eben alles gewandelt hatte in seinem inneren Erleben. Das hatte sich um ein Vielfaches intensiviert. (Das Alter? Ha!) Es war so, als sähe er die Dinge jetzt erst wirklich, als hätte er sein ganzes bisheriges Leben nur geträumt oder wäre jeden einzelnen Tag seines Lebens betrunken bis zum Filmriss gewesen und wäre jetzt zum ersten Male nüchtern und wach. Sein bisheriges Leben: ein einziger Filmriss, in den die Erinnerungen erst im Nachhinein installiert worden waren. Ein Leben, das zeitlich nie linear verlaufen war, denn alles Wichtige war ihm stets erst bei späterer, stiller Betrachtung bewusst geworden. Dagegen heute: eine punktgenaue, hellwache Präsenz in der Gegenwart! Horst Schmittke wusste, dass sich das anhörte wie eine leere Phrase aus irgendeinem Esoterik-Traktat, aber anders hätte er seinen Zustand nicht beschreiben können, und dieser Zustand war alles andere als eine leere Phrase, sondern erschreckend und beängstigend real. Manchmal erlebte er die Dinge so intensiv und plausibel, dass er glaubte, es nicht mehr länger ertragen zu können, aber gleichzeitig blieb seine äußere Präsenz gelassen, ruhig, gewohnheitsmäßig, wie ferngelenkt von einem kleineren Teil seines Bewusstseins, welches nur sehr wenig Energie verbrauchte. Ja, selbst die Art, wie er sich im Griff hatte, war beunruhigend!
Die nächste Überlegung war naheliegend: Möglicherweise litt er unter Wahnvorstellungen, erlebte einen psychotischen Schub. Aber Horst Schmittke, der seit über dreißig Jahren Psychiater war, kannte sich genügend in der Materie aus, um zu wissen, dass Psychosen immer mit Verhaltens-Auffälligkeiten einhergingen. Über Begriffe wie Dementia praecox, Alzheimer, Multiple Persönlichkeitsstörung oder Drogen-Abusus musste er ebenso wenig lange nachgrübeln. Seine einzige Achillesferse war, dass er ab und an gerne Kurzurlaub vom eigenen Rationalismus und kräftig einen zur Brust nahm; aber das war praktisch schon seit seinem Studium und während seiner gesamten Berufslaufbahn so gewesen und konnte daher als Ursache für seine Verwandlung ebenfalls eliminiert werden.
Eliminierte man alle Unmöglichkeiten, musste sich die Unmöglichkeit, welche am wenigsten von der Hand zu weisen war, mit größter Wahrscheinlichkeit als die korrekte Definition für seinen Zustand herausstellen. Aber wenn Horst Schmittke alle völligen Unmöglichkeiten ausschloss, war das, was übrig blieb, – nichts. Jedenfalls nichts, das er kannte oder einordnen konnte. Wäre er je ein auch nur ansatzweise religiöser Mensch gewesen, könnte er bestenfalls noch glauben, dass er gerade eine spirituelle Erfahrung durchlebte, etwa wie der unheilige Saulus auf dem Weg nach Damaskus. Aber selbstverständlich war das alles Humbug. Was übrig blieb, war also klar und mit einem Wort: nichts. Und genau dies glaubte er dann auch zu seiner zeitweiligen Erleichterung: Es ist nichts. Er bildete sich all das nur ein. Diese Erleichterung hielt aber nie lange vor. Er konnte sein neues Innenleben nie sehr lange vor sich selbst verleugnen. Es schien ihm von innen aus den Ohren zu flüstern. Dann begann er methodisch all diese Punkte von vorne zu repetieren, jeden einzelnen Gedanken hin und her zu drehen, um ihn von allen Seiten, aus jeder Perspektive zu betrachten. Und immer mit dem gleichen Ergebnis: Er drehte sich im Kreis. Und jedes Mal, wenn ihm dies klar wurde, suchte er Erleichterung in der Betäubung durch Alkohol. Dies war ein einziger Nebeneffekt und nur eine Folge seiner Veränderung: Er trank mehr als früher.
An einem dieser Abende saß Horst wieder eine Weile nachsinnend an seinem Küchentisch, nachdem ihm Obiges in einer Endlosschleife durch den Kopf geschwirrt war wie eine Motte ums Deckenlicht, in einsamer und intimer Gesellschaft einer Flasche „Jackies“, die er nach und nach zur Hälfte geleert hatte; dann stülpte er sich seine alten Jeans aus vergangenen Hippie-Tagen über den Bauch, zog die (neuen) Cowboy-Boots an und drapierte den nostalgischen alten Leder-Hut über den nostalgisch ergrauten Pferdeschwanz und das ergraute Gesicht mit dem gepflegten, ergrauten Vollbart. Er erhob sich mit einem wehmütigen Seufzer und begab sich auf den Weg durch die Straßen seiner Stadt.
Als er durch die Haustür nach draußen trat, war es, als prallte er gegen eine Wand. Der Ausgang des Hauses führte tatsächlich zu einer weitläufig offenen Westfront hin, und die im Untergehen begriffene, grellhelle Sommersonne traf ihn wie ein Schlag vor die Stirn. Dazu diese Hitzewelle, als hätte jemand ein mannsgroßes Ofentor geöffnet. Am schlimmsten wurde es aber, sobald seine Augenlinsen die Blendung überwunden und sich der Helligkeit angepasst hatten. Farben, Töne und Gerüche hämmerten auf ihn ein wie Fluggeschosse. Da das rote Haus! Da das blaue! Dort das beige! Und der Himmel: so blau! Alle Fenster in tiefstem Schwarz. Nur in den aus Westen kommenden Fahrzeugen sah es durch die glitzernden Scheiben so aus, als würde darin ein Christbaum leuchten. Die Scheiben der Fahrzeuge aus Osten waren ein einziges explodierendes Glühen.
Das Surren der Insekten. Das Brummen der Motoren. Das Ächzen eines Omnibusses. Das Rattern der Straßenbahn. Ihr Bimmeln so glockenklar und doch so penetrant, als würde er zu nahe an einem Lautsprecher stehen.
Die Gerüche: Schwermetalle, menschliche Absonderungen, vielleicht bevorstehender Regen; all diese maßlos konkreten und plastischen Eindrücke vergewaltigten seine empfindsamen Sinnesorgane, die seit Kurzem mit einer neuen, viel feineren Transparenz der Wahrnehmung ausgestattet waren.
Horst angelte seine randlose Sonnenbrille mit kleinen runden Gläsern aus der Brusttasche, setzte sie auf und ging los. Im Gehen stopfte er – wie neuerdings üblich, wenn er im Freien war – zwei kleine Stückchen Watte in seine Ohren; gleichzeitig bemühte er sich durch den Mund zu atmen, genau wie beim Betreten einer öffentlichen Bedürfnisanstalt.
Früher war er auf diversen Bahnhofs- und Parkklos für Männer ein häufiger Besucher gewesen, um sexuell Gleichgesinnte für ein kurzes anonymes Stelldichein zu treffen. Seiner Frau hatte er immer erzählt, er würde mal kurz Zigaretten holen gehen – oder irgendetwas in der Art. Doch das war schon lange her. Seine Frau war nun schon seit acht Jahren tot und lag auf dem Friedhof. Seither befand sich seine Libido auf dem Null-Punkt oder hatte ihn, falls das möglich war, sogar unterschritten. Gestört hatte ihn das zu seinem eigenen Erstaunen nie. Seine Manneskraft war gleichzeitig mit seinem Verlangen gestorben und beide Attribute gleichzeitig mit seiner Frau. Seltsam eigentlich: Er hatte nur selten Sex mit seiner Frau gehabt, zuletzt etwa ein halbes Jahr vor ihrem Tod. Die Ehe war kinderlos geblieben. Doch all dies kümmerte ihn nicht weiter; es gab noch andere Dinge.
Seine Frau hatte sich durch eine in der Speiseröhre steckende, winzige Fischgräte eine schleichende Sepsis eingehandelt. Die ersten Symptome – Kratzen im Hals, leichtes Fieber – wurden vom Hausarzt (und von Horst selbst, der ja auch Arzt war, nur mit anderen Schwerpunkten) als grippaler Infekt missdeutet. Als schließlich die Anzeichen einer Blutvergiftung allzu deutlich wurden und Carmen mit dem Notarztwagen ins Krankenhaus gebracht wurde, war es schon zu spät für Antibiotika oder Blutwäsche. Ihre Organe, allen voran der Herzmuskel, waren bereits irreversibel geschädigt. Nach dem Ende einer langen Nacht und eines grässlich langen Vormittags war sie tot. Tot war sie geblieben, und die Jahre waren seither an Horst nur so vorbeigerauscht, keine Spuren hinterlassend, außer der Abnutzung durch Reibungsverlust im Fahrstuhlschacht der Zeit. Bis vor wenigen Wochen, als alles begonnen hatte, sich zu ändern.
Selbst seine Libido war wiedergekehrt, wenn auch auf seltsame Weise, nämlich völlig unmotiviert und orientierungslos. Wie als Sechzehnjähriger bekam er jetzt gelegentlich einen spontanen riesigen Ständer in der Hose, jedoch ohne Anregung durch irgendeine Fantasie, irgendeinen Anblick, ein Verlangen oder sogar irgendein Gefühl. Freilich genoss er das auf eine Art, aber der Genuss war rein organisch.
Jetzt dachte Horst Schmittke an seine Zeit mit Carmen zurück; und vom Magen über den Brustkorb bis hin zum Kehlkopf kroch dieses Gefühl von Angst wieder in ihm herauf. Auch seine Wahrnehmung der Zeit hatte sich geändert. Sie war linearer, echter geworden (wobei Horst sich im Klaren war, dass dies zwei unzulässige Komparative waren, aber auch hier fand er keine geeigneteren Termini). Gleichzeitig war Horst nunmehr dazu in der Lage, sich an jeden X- beliebigen Punkt auf der bisher zurückgelegten Linie zu begeben, oder besser gesagt wurde er manchmal ganz unfreiwillig an einen beliebigen Punkt der Zeitlinie versetzt. Jedes direkte Erinnern wurde zum Neu-Erleben, ähnlich einer Rückführungstherapie unter Hypnose, wie sie manche seiner Kollegen in Privatpraxen anwandten. Eine Technik, die Horst höchst fragwürdig fand. In letzter Zeit erfuhr er häufig ein analoges Phänomen am eigenen Leib. Wenn auch stets wissend, dass es sich dabei nur um Episoden aus der Vergangenheit handelte, so blieb diese Art des Erinnerns doch ein intensives Neu- und Wiedererleben.
Für Menschen, die ihn jetzt sahen, war er ein gewöhnlicher Passant, der zielstrebig seinen Weg einschlug, während er aufmerksam den Verkehr beachtete; aber vor seinem inneren Auge befand er sich an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit, gefangen in einem Ablauf, den er weder anzuhalten noch aus ihm auszusteigen imstande war, wenn auch seine äußeren Sinne unabhängig weiter funktionierten. Er schluckte zweimal trocken, aber die Angst krallte sich weiter hartnäckig an seiner Kehlkopfspitze fest und drückte mit ihrem Gewicht auf den Magen, während er dem Flüstern aus der Riesendatei seiner Erinnerungen lauschte.

Carmen: „Wo kommst du jetzt her? Du wolltest doch nur mal schnell zum Kiosk?“
Horst hängt seine Jacke an einen Messinghaken neben der Eingangstüre der Wohnung. „Hab unterwegs Freddie getroffen. Wir sind dann noch auf `ne Halbe bei ‚Stavros’ eingekehrt.“

Das geschieht nicht wirklich, ich erinnnere mich nur daran, sagte sich Horst selbstsuggestiv wieder und wieder vor. Etwa zehn Meter entfernt biss eine junge Frau krachend in die Waffel ihres Eisbechers. Trotz der Watte in den Ohren war das Geräusch so eindringlich, als würde es sich in seinen Ohren ereignen. Das half für einen kurzen Moment, lenkte ihn ab. Gedankenlos zündete er sich eine Zigarette an und schlug instinktiv die Richtung zu "Stavros' Taverne" ein.

Carmen wirkt müde. „Was findest du immer nur in dieser Spelunke?“
„Normale Menschen“, antwortet Horst prompt. Obwohl er gar nicht bei „Stavros“ gewesen ist, ärgert ihn die Frage. Sie kratzt wie ein vorwitziger Fingernagel an seinem Recht auf das Bedürfnis nach Normalität.
„Quatsch!“ Carmen lacht kurz, abgehackt und völlig humorlos auf. „Das Publikum da drin ist mindestens genauso verrückt wie manche deiner Patienten in der Klinik.“
Diese Antwort bringt Horst zum Nachdenken. Sein Ärger verfliegt so rasch, wie er gekommen ist. Er stellt sich eine Frage, und ihm wird etwas klar. Das hat er schon immer so an Carmen geliebt, ihre Art, ihn auf manche Dinge mit der Nase zu stoßen. Ob sie das wissentlich und absichtlich tut, hat er bis heute nicht herausfinden können.
„Keiner da drin weiß, dass ich Psychiater bin“, sagt er leise. „Vielleicht geht’s mir gar nicht darum, dass die Leute normal für mich sind, sondern ich will normal für die Leute sein, will, dass sie normal mit mir reden.“
„Langweilt dich die Normalität mit mir?“ Carmens Augen so schwarz, so traurig, so wissend, so unergründlich und jenseits aller Hoffnung. Sie wendet sich von ihm ab und erwartet keine Antwort.
Als Horst Carmen kennen lernte, erschien sie ihm tatsächlich wie die „Carmen“ aus der Oper von Bizet. Das Gesetz der Schwerkraft und zwanzig Ehejahre haben ihren weiblichen Reizen mittlerweile manchen Tribut abgefordert. Aber für Horst ändert das nichts. Er hat Carmen immer geliebt, ohne dass ihr Körper und ihr Aussehen dabei eine große Rolle gespielt haben. Trotzdem ist sie unglücklich. Horst sieht es wieder einmal, und insgeheim weiß er auch, warum das so ist.
„Gönn’ mir doch mal ein bisschen Spontaneität und ein bisschen Abwechslung"
Die abgewandte Carmen dreht ihm mit einer betont langsamen Halsbewegung nur ihr Gesicht zu; und nun ist sie es, die ihre Stirn runzelt. „Abwechslung? Abwechslung? Seit so vielen Jahren leben wir in diesem Trott, und du redest von Abwechslung? Wo bleibt meine Abwechslung?“
Horst zuckt die Schultern. Ihr Blick ist nicht vorwurfsvoll. Carmen ist nur müde und seiner Reden satt. Sie wartet seit Jahren auf eine Antwort, nicht etwa auf die Fragen, die sie gerade gestellt hat, sondern nur auf eine einzige Frage.

Dieses Zurückblicken machte Horst jedes Mal so tief traurig wie einen Mann, der nach vielen Jahren seine Heimatstadt besucht und erleben muss, wie plötzlich alles wieder da und lebendig ist, wovon er geglaubt hat, sich emotional befreit, es vergessen zu haben. Dann ist er wieder an den Orten seiner Erlebnisse, die Erlebnisse werden fast sichtbar präsent, und gleichzeitig weiß der Mann, wie viele Jahre all dies nun her ist, und dass die Orte nur Grabsteine einer toten, unveränderbaren Vergangenheit sind, die lediglich in der Erinnerung lebendig wird. Ein emotionales Paradoxon, das dem Mann sprichwörtlich das Herz zerreißen kann. Genauso erging es Horst jetzt mit dieser intensivierten Erinnerung. Er wollte nicht mehr konfrontiert sein mit all den verpassten Gelegenheiten, Zügen, die abgefahren waren, Worten, die nie ausgesprochen worden waren, aber hätten ausgesprochen werden müssen.
Die Sonne, zuletzt ein blutroter Ballon, war mittlerweile hinter der Linie der Dächer verschwunden. Der Himmel verfärbte sich jetzt violett und schwarz von heraufziehenden Wolken. Ferner Donner war zu hören. Horst registrierte diese Veränderung des Wetters gleichzeitig mit der Tatsache, dass er sich nicht mehr auf dem Weg zu „Stavros’ Taverne“ befand. An der letzten Kreuzung hatte er vor wenigen Minuten eine andere Richtung eingeschlagen. Sie führte ihn nach Westen, wo sich vom Horizont her die dunklen Wolken auftürmten und der Donner leise und dumpf heranrollte. Er blieb nicht stehen, sondern hielt sich in Bewegung, als könnte er weglaufen vor dem, was sich in seinem Kopf abspielte. Er wusste nicht, warum er diesen Weg eingeschlagen hatte und wusste, dass er es nicht wusste. Es war eine instinktive Entscheidung gewesen. Schließlich hatte er eine halbe Flasche Whiskey in der Blutbahn, und ein solches Quantum verleitete ihn häufig zu spontanen, unüberlegten Unternehmungen. (Was war es doch gleich, das sich dort im Westen befand?) Er nahm jetzt seine Sonnenbrille blinzelnd ab. Der Weg führte ihn zum Rand der Stadt und zur Stadt hinaus. Ein erfrischend kühler Wind kam auf. Die ersten dicken Regentropfen klopften schon auf seinen Leder-Hut, vereinzelt und nur die Vorhut einer übermächtigen Kavallerie, und am Horizont zuckte ein Blitz, als ihm wieder einfiel, wohin dieser Weg ihn führte. Dort draußen hinter dem Westrand der Stadt lag der West-Friedhof, dort war Carmens letzte Ruhestätte, die er jahrelang nicht mehr besucht, die er insgeheim sogar gemieden hatte.

"Du weichst mir immer nur aus, sagt Carmen und seufzt resigniert. "Sag mir einfach Bescheid, falls du eines Tages beschließen solltest, damit aufzuhören."
"Carmen, willst du jetzt ernsthaft über Kinder reden? Du bist fast vierzig, und ich schon weit drüber. Ich hatte `nen harten Tag und schon ein paar Bier und bin müde.“
„Ich will nicht über Kinder reden, sondern über dein permanentes Ausweichen. Und eigentlich will ich nicht mal darüber reden. Ich wünschte mir, du würdest einfach damit aufhören. Ein vergeblicher Wunsch.“
So ist Carmen, denkt Horst. Sie wollte von Anfang an keine Diskussion. Sie ist selber müde. Aber sie kann einfach nicht aufhören, ihm Contra zu geben. Da ist eine latente Wut auf ihn in ihr. Vor wenigen Jahren noch war diese Wut temperamentvoller, ausdrücklicher. Und Carmen hat bis heute Grund, auf ihn wütend zu sein. Sie gab ihr eigenes Medizin-Studium auf, um Hausfrau zu spielen. Das war vor zwanzig Jahren schon ein arger Anachronismus, aber beide entschieden sich so – und sie wollte Kinder. Wenn er will, dass der Abend ein harmonisches Ende nimmt, sollte er jetzt ein Zugeständnis machen.
„Tut mir Leid“, sagt er, darauf achtend, ihr direkt in die Augen zu blicken (kein Ausweichen!), "dass nicht ales so gelaufen ist, wie wir uns das vorgestellt hatten."
"Nicht so gelaufen?" Ihr Gesicht verzieht sich zu einer hässlichen Fratze. "Du hast mich um mein Glück betrogen, hast kaltlächelnd mein Leben zerstört, hast mich in dieser Wohnung lebendig begraben, während Du einfach Dein gewohntes Leben weiter gelebt hast ..."Während Carmen weiter spricht, wird ihre Stimme zu einem heißeren, trockenen Krächzen.


Moment mal, dachte Horst irritiert, kopfschüttelnd, indem er immer eiliger dem Friedhof zustrebte. Ihr Gesicht verzieht sich zur hässlichen Fratze? Ihre Stimme wird zum Krächzen? Lebendig begraben? - Dies hatte sich niemals so zugetragen! Nie waren solch harte Worte zwischen ihnen gefallen. Dies war keine Erinnerung! Eine solche Art von "Rückblende" hatte er bis jetzt noch nicht erlebt, dies war etwas völlig Neues und Unerklärliches, ein weiterer Zyklus seiner Veränderung.
Im nächsten Moment hellte sich sein Gesicht auf. Er hatte einen Geistesblitz: Die einzige Erklärung für alles, die Erklärung, nach der er seit Wochen gesucht und sich dabei im Kreis gedreht hatte, die Erklärung für all dies Unerklärliche und Widersinnige war, dass er diese ganze Geschichte nur träumte. Er hatte schon früher Alpträume gehabt, sie für Realität gehalten und sich gleichzeitig über zahlreiche Logikbrüche in deren Dramaturgie gewundert - aber nie die richtige Schlussfolgerung daraus gezogen! Erst im Wachsein hatte er diesen simplen logischen Schritt vollziehen können . - Vielleicht hatte es nie eine Crmen Schmittke gegeben. Oder vielleicht war er noch immer glücklich mit ihr verheiratet und lag gerade schlafend neben ihr im Ehebett. Dies war die einzig plausible Erklärung für alle Ungereimtheiten. Zuletzt wird mir das zustoßen, dachte er, was ich am meisten befürchte, und dann wache ich auf.

„Nein, du träumst nicht! Warum guckst du jetzt so betrübt? Weil ich dir endlich die Wahrheit ins Gesicht sage, oder weil dir die Wahrheit bis jetzt noch nicht mal bewusst war? Was bist du doch für ein Schlappschwanz!“
„Carmen, Carmen! Wie redest du?“, fragt Horst. Er fühlt sich seltsam ruhig und gefasst, wenn auch gekränkt. „Du hast noch nie so geredet! Du hast noch nie so ausgesehen! Was ist mit dir?“
Aus einem von Carmens Nasenlöchern schlängelt sich jetzt ein langer rotbrauner Regenwurm. Dunkle Erde klebt an ihm.
„Jawohl, lebendig begraben hast du mich“, krächzt die Frau, die plötzlich nicht mehr Carmen ist. „Dann hast du mich getötet und noch einmal lebendig begraben.“
Horst tritt erschrocken einen Schritt zurück. Carmens Gesichtszüge scheinen ineinander zu zerfließen, aber dann erkennt er, dass es ihre Gesichtshaut ist, die sich immer enger an den Schädelknochen und in sich selbst zurückzieht, die mit zunehmender Geschwindigkeit austrocknet. Ihr ganzer Körper trocknet aus, sodass ihr marineblauer Morgenmantel an ihr
herunterhängt und -flattert wie an einem zum Leben erwachten Kleiderständer. Horst ist nicht erstaunt, er hat es ja vorher geahnt. Er hat geahnt, dass genau das passieren wird. Ein weiterer Beweis dafür, dass alles nur ein Traum ist.

Wieder etwas Neues, dachte Horst nüchtern, noch ein Paradoxon: Ich erinnere mich an einen Gedanken aus der Vergangenheit, den ich aber gerade eben erst gefasst habe. Zeitlich umgekehrte Kausalität? Oder erweist sich der Gedanke, dass alles nur ein Traum ist als „sich selbst erfüllende Prophezeiung“?
Mittlerweile war es zunehmend dunkler geworden, und ein angenehm warmer Regen prasselte über die karge Landschaft am Stadtrand herab. Horsts Hut fing die Härte ab, mit der die schweren Tropfen im Stakkato auf seinen Kopf prallten.
Vor ihm lagen die hohen, grauen Mauern des alten Westfriedhofs. Hier wurden seit etwa fünf Jahren keine Toten mehr beigesetzt, da der Friedhof unter Denkmalschutz gestellt worden war. Ein Großteil der Gräber mit ihren kunstvollen Grabsteinen und Skulpturen war noch aus dem vorletzten Jahrhundert, ein kleinerer Teil noch älter. Auch die meisten Bäume, die jetzt ihre hohen Wipfel von Wind und Regen peitschen ließen, waren Hunderte von Jahren alt. Der größte Teil der jüngeren Gräber – darunter vermutlich auch Carmens Grab – sollte in den zentralen Stadtfriedhof verlegt werden. (Von wegen letzte Ruhestätte!) Aus dem Westfriedhof würde schließlich eine Art Park werden.
Den Eingang bildete ein großes, bogenförmiges, schmiedeeisernes Tor, das mittlerweile Tag und Nacht geöffnet war. Horst trat eilig hindurch. Er musste nicht erst überlegen, wo er Carmens Grab zu suchen hatte, obwohl der auf einem runden Hügel errichtete Friedhof sehr groß und weitläufig war: er musste nur seinen Schritten folgen. Er ging, wohin ihn seine Füße trugen. Er dachte dabei: Und auch das ist jetzt wieder wie im Traum.
Als er zu seiner Rechten einen schon etwas baufälligen Geräteschuppen der Friedhofsgärtner passierte, schien auch das wie von einem Engel der Vorsehung so arrangiert. Ohne lange zu zögern, trat er auf ihn zu. Selten in seinem Leben hatte er sich so nüchtern, so pragmatisch und souverän gefühlt. Der erste Alptraum seines Lebens, dessen Verlauf er selbst bestimmen und kontrollieren konnte. Die Tür war mit einem Vorhängeschloss gesichert. Er trat einmal kräftig mit dem Fuß dagegen. Das nasse, morsche Holz zersplitterte, und die Tür sprang nach innen auf.

„Doktor Schmittke! Setzen! Sechs!“, kreischt die Kreatur, die kein Mensch mehr ist. Ihre Augenhöhlen sind schwarz und fast leer, bis auf ein winziges inneres Leuchten. Weiße Maden kriechen aus ihnen hervor. Horst denkt spontan an griechische Reisnudeln zu gebackenem Lammfleisch und ist mehr erstaunt über die prägnante Ähnlichkeit als darüber, wie er in dieser Situation überhaupt solchen Vergleich ziehen kann.
„Du hast eine Blutvergiftung mit einer Erkältung verwechselt, was bist du für ein Doktor?“, lästert das Wesen weiter und hopst dabei von einem krummen, dürren Bein auf das andere
. „Aber das beste war, wie ich im Krankenhaus diesen Herzstillstand hatte. Ojemine, ihr Pfuscher hattet den Pulsometer, das Beatmungsgerät und alle anderen Apparate schon abgeschaltet, bevor meine Pumpe wieder anfing zu arbeiten.“
Durch seinen Beruf wird Horst häufig mit irrationalen Denkvorgängen, Desorientiertheit und Zwangsvorstellungen von Patienten konfrontiert. Gewohntermaßen reagiert er auch jetzt mit sachlicher Gelassenheit
:
„Ich soll also zugelassen haben, dass du scheintot begraben wurdest. Meine Liebe, du redest über etwas, von dem du annimmst, dass es in der Zukunft geschehen wird, als wäre es schon geschehen. Aber das hier ist die Vergangenheit, genauer gesagt: nur ein Traum von der Vergangenheit ...“
„Hu, hu, setzen, sechs, Doktor Schmittke“, kichert die Zombiefrau. „All dies ist längst geschehen, längst, längst geschehen. Ich bin tot und begraben. Aber du weißt noch längst nicht alles! Du kennst noch nicht deine größte Schuld.“

Im Schuppen war es dunkel. Es dauerte eine halbe Minute, bis die geisterhaften Umrisse sich zu erkennbaren, alltäglichen Gegenständen manifestierten: mehrere Schubkarren, Schaufeln, Spitzhacken, Spaten, ein Benzinkanister (ein Benzinkanister in einem Geräteschuppen der Friedhofsgärtner?), mehrere Regale mit kleineren Werkzeugen, Krimskrams. Horst wusste genau, was er brauchte. Er schulterte einen Spaten, eine Schaufel und ein Stemmeisen. Dann machte er kehrt und trat wieder nach draußen.
Frauen(!), dachte Horst. Er würde sie niemals wirklich verstehen. Zeit seines Berufslebens war er immer ein Befürworter der Frauenbewegung gewesen, hatte immer – zumindest nach außen – die Meinung vertreten, dass Männer und Frauen so verschieden gar nicht waren. Dieselben Gefühle, dieselben Bedürfnisse, Wünsche, Motive, Beweggründe, Träume. Verschieden waren nur die Feinabstimmungen, es wurden jeweils verschiedene Melodien gespielt. Aber es spielte bei beiden Geschlechtern dasselbe Orchester. Insgeheim musste er sich jedoch eingestehen, dass er tatsächlich nicht imstande war, die Melodie der Frauen, diese absurde Komposition, mitzusummen. Carmen! Was dachte sie sich dabei, ihm auf diese Weise Schuldgefühle machen zu wollen? In was hatte sie sich da verstiegen? Er würde der Sache auf den Grund gehen.
Der Regen war mittlerweile dünner, sanfter aber auch dichter geworden, das eigentliche Gewitter war vorübergezogen. Horsts steifer Leder-Hut saugte sich voll und wurde zum Schlapphut. Horst schleuderte ihn gedankenverloren in die Szenerie aus dunklen Grabsteinen. Er selbst war ebenfalls ziemlich durchnässt und feixte in sich hinein: Ich werde mir hier draußen noch den Tod holen, und freute sich über die Doppelbödigkeit dieses Gedankens. Er stapfte entschlossen weiter den leicht ansteigenden Kiesweg hinauf, und zweifelte keinen Moment lang an der Folgerichtigkeit und Rationalität seines Handelns. Der einzige Weg, um alles zu einem Ende zu bringen, war die endgültige Konfrontation. Zumindest soviel verstand auch er als medizinischer Therapeut von Psychoanalyse. Er hatte die Kontrolle und würde sie behalten.
Als er an Carmens verwilderter Grabstelle begonnen hatte zu graben und immer wieder kraftvoll den Spaten in das glitschige Erdreich trat, spürte er, wie er eine dieser neuen, spontanen Erektionen bekam. Das Ganze wird doch wohl nicht als feuchter Traum enden, dachte er amüsiert, mit einer peinlichen kalten Pfütze auf dem Bettlaken – und lachte laut auf bei dem Gedanken. Ja, das wäre dann wohl der Hammer, im wahrsten Sinne des Wortes. Horst stützte sich auf den Spaten und begann Tränen zu lachen. Der Hammer! Das war irrsinnig komisch. Nach kurzer Überlegung fand er es dann doch nicht mehr so komisch – dieser kurze Anfall von Hysterie wurde von seinem neuen Selbst einfach verschluckt – und er grub weiter, während sein Penis weiter anschwoll und dessen Spitze sich schmerzhaft am Hosenbund rieb. Dennoch verlieh der Ständer ihm Kraft und Entschlossenheit zum Graben. Er grub wie besessen. Wer weiß, Carmen, dachte er grimmig, vielleicht mache ich dir posthum doch noch ein Kind. Natürlich wäre mir ein knackiger Männerhintern jetzt lieber, aber was soll’s. Mit diesem Gerät in der Hose bin ich zu allem fähig. Und im Traum ist schließlich alles möglich.

Die un-tote Frau steht jetzt still, verschränkt ihre Arme, die aussehen wie Zweige eines kahlen Baumes. Sie sagt: „Na los, zeig’s mir!“

Horst hatte schon eine beachtliche Grube ausgehoben. Er arbeitete jetzt in unvermindertem Tempo abwechselnd mit Spaten und Schaufel. Neben der Grube türmte sich ein Berg von schwarzer Erde auf. Horst trat den Spaten erneut ins weiche Erdreich, und stieß auf Widerstand. Es gab ein dumpfes hohles Geräusch. Er setzte den Spaten darauf im Winkel von dreißig Grad an und trug die letzte Erdschicht über dem Sargdeckel ab. Dann schleuderte er Spaten und Schaufel nacheinander in hohem Bogen in die Landschaft und griff nach dem Stemmeisen am Grubenrand. Er schöpfte Atem. Der Augenblick der Wahrheit.
Um den Sargdeckel herauszustemmen, brauchte Horst seine ganze Kraft und den Einsatz seines gesamten Körpergewichts. Holzkrachen und Nägelknirschen, und er ließ sich endlich abheben. Horst stellte ihn mit der Innenseite zu sich gekehrt an die Grubenwand. Der Deckel würde sich später beim Klettern aus der Grube noch als nützlich erweisen. Er langte in die Hosentasche und entzündete sein Sturmfeuerzeug.
Er leuchtete das Innere des Sargdeckels aus. Kein Zweifel: Kratzspuren. Abgebrochene Fingernägel.
Ebenso nüchtern sein Blick nach unten in den Sarg selbst: Die gesamte Wirbelsäule des Gerippes, die Gliederknochen seltsam verdreht wie Fragezeichen, ein lautlos kreischender Toten-Schädel. Letzterer hielt seinen Blick eine Weile gefangen, und er entdeckte erst Augenblicke später das viel kleinere menschliche Skelett oberhalb des Beckenbereichs. Es lag dort in einer embryonalen Position, die Fingerknochen des Daumens im Gebiss steckend. Horst dachte daran, wie er mit Carmen am Anfang ihrer Ehe häufig in der Löffelchen-Position eingeschlafen war. Oft hatte sie dann seine Hand genommen und sich seinen Daumen in ihren Mund gesteckt, so unschuldig, so kindlich, so fraulich, so sinnlich, so warm und intim. Doch das alles war nun längst vorbei.
Noch nie in seinem Leben hatte Horst sich so klar im Kopf gefühlt. Sein Körper fühlte sich an wie fast nicht mehr vorhanden, als wäre er aus ihm herausgeschlüpft wie aus einem unbequemen, zu engen und schwitzigen Anzug, um ein Bad im Meer zu nehmen. Das also war die Antwort auf alle Fragen: Carmen war lebendig und schwanger gewesen, als er sie unter die Erde gebracht hatte. Und er hatte es geahnt, all die Jahre geahnt. Er würde dafür in der Hölle schmoren, daran gab es keinen Zweifel. Sein Penis war erschlafft. Das Flüstern hatte aufgehört – für immer, auch dessen war er sich sicher. Es hatte ihm die ganze Zeit nur sagen wollen, was er tief im Innern längst wusste. Aber warum wachte er jetzt nicht auf? Hier musste doch alles enden, in diesem Moment umfassender Erkenntnis.
Sollte dies die Hölle sein? Ewige Verbannung in den finalen Höhepunkt eines schrecklichen Alptraums? War dies die Hölle? Nein! Nein, es gab noch etwas für ihn zu tun. Dies war noch nicht das Ende, noch nicht der Zeitpunkt des schweißgebadeten Aufwachens. Dies war noch nicht die Hölle. Er machte sich an den Aufstieg aus der Grube. Das obere Ende des Sargdeckels benutzte er dabei als festen Halt für einen eher kümmerlichen Klimmzug mit viel Beinarbeit an der rutschigen Grubenwand. Schließlich schaffte er es, sich über den Rand zu ziehen, außer Atem, erschöpft und verdreckt.
Als er den Kiesweg wieder bergab stapfte, fühlte sich sein Kopf nunmehr nicht nur klar sondern auch vollkommen leer an, was er ebenfalls als Befreiung empfand: keine Hoffnungen, keine Zweifel, keine Ängste, keine Fragen. Keine Fragen zur Vergangenheit, schon gar keine zur Zukunft. Beide waren festgeschrieben, irrelevant, nur die Gegenwart war es nicht. Er spürte seine Beine gar nicht mehr, sie bewegten sich wie mechanische Anhängsel seines fadenscheinigen Körpers, und es war, als ob er schwebte.
Er schwebte auf den alten Geräteschuppen zu und landete direkt am Eingang, trat durch die Tür. Im Innern war es mittlerweile stockdunkel, sodass er wieder sein Sturmfeuerzeug entzünden musste. Dort stand der Benzinkanister. Horst löschte sein Feuerzeug, nahm den Kanister und schraubte ihn auf. Er schnupperte an der Öffnung. Dann hob er den Kanister über seinen Kopf, schüttete ihn komplett über sich aus, schleuderte den Kanister in die Dunkelheit. Es rumpelte, wo er auftraf. Horst hielt einen Moment inne.
Obwohl er schon seit einem Vierteljahr versuchte, das Rauchen zu reduzieren, entschied er, dass dies genau der richtige Moment war, um sich eine Zigarette zu genehmigen.

N.H. 08. 05

 

Sorry Leute, aber ich komm einfach nicht mit eurem Textbearbeitungsprogramm klar. In meinem Programm funktioniert das anders. Die Absätze ab "Das geschieht nicht wirklich ..." und "Moment mal, dachte Horst ..." sollten natürlich in normaler Schrift und nicht in Kursiv erscheinen. Aber ich kriege das einfach nicht mehr weg, selbst wenn ich die betreffenden Textstellen lösche und sie ganz neu eintippe.
Ich bitte um Nachsicht. Vielleicht kann mir ja auch jemand nen Tipp geben.

Gruß: Splat

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Old Splatterhand,

Zuerst zu deinem Kampf mit der Kursivsetzung. Ich sehe, dass da bei einigen Itallic Tags (I mit Eckiger Klammer) entweder der Querstich oder ein Teil der Klammer fehlt. Du mußt alle Tags incl. Klammer vervollständigen und immer darauf achten, dass zu einem angefangenen ein [/I]gehört.
Hab jetzt selbst fünfmal ändern müssen, weil diese Tags ein ziemliches Eigenleben entwicklen ;)

Der Text selbst zeith sich leider recht, obwohl du ja am Ende ein grausames Detail enthüllst. ZWar kann ich mit dem Prot mitfühlen, Spannung und Lust zum Weiterlesen kam bei mir aber Anfangs überhaupt nicht auf (wobei die ersten Zeilen aber sehr gut als Einstieg waren.)
Die GEdankengänge des Protagonisten sind zu viel und teilweise auch recht kompliziert. Da nichts im eigentlichen Sinne passiert, wurde mir schnell langweilig. Um den Text zu verbessern, rate ich dir, seine Gedanken auf das absolute Minimum zu kürzen und bei den Rückblenden eine dunkleh Ahnung des Verbrechens einzubringen, das er mitverursacht hat (vielleicht hat wollte er insgeheim, dass sie stirbt und war aktiv an ihrem raschen Begräbnis beteiligt)

Die Idee als solches finde ich recht gut, wenn auch die Auflösung recht profan wirkt (vor allem, weil er nach deinem Text nicht unbedingt der Schulidge war (Psychiater sind nicht umbedingt erfahrene Allgemeinmediziner)

Zwar war diese Veränderung in ihrer Intensität einzig und in ihrer Qualität nur vage vergleichbar mit der Transformation seines Körpers, seiner Träume, Wünsche und Leidenschaften während der hormonellen Umstellung in der Pubertät; und in ähnlicher Weise präsentierte diese Veränderung auch eine lineare Abfolge von Überraschungen für ihn.
viel zu komplizierter Satz
Sie waren ihm samt ihren baulichen Metamorphosen im Lauf der Zeit fast so vertraut geworden wie sein eigenes Spiegelbild, denn er hatte nie länger woanders gelebt.

Diese Antwort bringt Horst zum Nachdenken. Sein Ärger verfliegt so rasch, wie er gekommen ist.
Da er sich gerade in einer geistigen Rückblende befindet, ist dieser Satz zu distanziert
Der Himmel verfärbte sich jetzt violett und schwarz von heraufziehenden Wolken.
Die Formulierung finde ich unglücklich. Die Wolken können nicht den ganzen Himmel verfärben

Er wusste nicht, warum er diesen Weg eingeschlagen hatte und wusste, dass er es nicht wusste.
unnötiger Einschub. Eh klar, dass er es nicht weiß.

Wieder etwas Neues

Gruß
Bernhard

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Bernhard,

Zu meiner Entschuldigung will ich nur sagen, dass dieser Text nicht nur mein 1. posting in dieser Rubrik "Horror" sondern auch mein 1. Ausflug ins Horror-Genre überhaupt ist. Aufgrund meiner diesbezüglichen Unerfahrenheit hab ich versucht, mich an klassischen Vorbildern zu orientieren. Z.B. Lovecraft, Poe, James: oft ahnt der Leser längst, wo der Hase lang läuft, aber der Autor zögert die Auflösung fast bis zum ltzt. absatz der Erzählung hinaus. Komlizierte Sätze, endlose Beschreibungen, um Atmosphäre aufzubauen, tun ihr Übriges, um das Ganze in die Länge zu ziehen.

Durchaus möglich, dass durch meinen etwas unbeholfenen Versuch, diesen Vorbildern gerecht zu werden, der ganze Text etwas zu langatmig geriet.

Zum Inhalt: Wie viele Horror-Stories handelt er von Tod, Schuld, Verdrängung, Angst - und letztendlicher Bestrafung. den Witz hatte ich eigentlich darin gesehen, dass der Prot, ein selbsterklärter Rationalist und Psycho-Doktor - also ein scheinbarer Profi für seelische Abgründe - seinem eigenen Rationalismus auf den Leim geht und dem Wahnsinn verfällt. deshalb erschien es mir auch unabdingbar die Gedankengänge des Prots im Detail darzustellen. Entscheidend fand ich dabei übrigens nicht, ob er nun wirklich schuld am Tod der Frau ist, sondern dass er letztlich diese Schuld erkennt und für sich anerkennt. Darüber hinaus ist er ein verkappter Schwuler, der dies aber nicht frei und emanzipiert auslebt, sondern er schleicht sich heimlich nachts in öffentliche WCs. Dabei versteht er sich selbst als weltoffen und emanzipiert! Unverantwortlich lässt er sich auf die Ehe mit einer lebenslustigen, schönen Frau ein und zerstört diese Frau. Er beachtet diese Frau so wenig, dass er nicht mal mitkriegt, dass sie im letzten Halbjahr ihres Lebens schwanger ist. - Apropos: Soweit ich weiß, müssen auch Psychiater ein ganz normales Medizin-Studium durchlaufen.

Tut mir jedenfalls Leid, dass durch die Langatmigkeit des Textes dieses eigentliche "Gerüst" der Geschichte offenbar an Dir vorbeigerauscht ist. Die ungewollten Kursiv- Absätze haben vielleicht noch ihr Übriges getan, um Verwirrung zu stiften. Werde nochmal einen Versuch unternehmen, das zu korrigieren. Mit Deinem Hinweis auf die sog. Itallic Tags konnte ich leider wenig anfangen, hatte schon im Vorfeld endlos an ihnen herumgemurkst. Schließlich hatte ich dann die betreffenden Stellen im Text sogar ganz gelöscht und neu eingetippt. Als sie dann in der Textvoschau WIEDER in Kursiv erschienen, ist mir echt der Kragen geplatzt.

Danke jedenfalls für Dein Interesse und Deine detaillierte Kritik. Falls ich mal wieder einen Ausflug ins Horror-Genre unternehmen sollte - was ich längerfristig eigentlich vorhab - hoffe ich, dass Du mehr Spass daran haben wirst.

Grüße: Splat

 

Hi Old Splatterhand,

Zuerst noch ein Erklärungsverusch zu den Itallic Tags (weiß nicht wie weit du in HTML Programmierung vertraut bist)
Diese Tags sind kurze Befehle, die du in diesem Fall direkt eintippen oder über die MEnüleiste einsetzen kannst. Die Regel lautet immer dass das I in Eckigen Klammern von ein em /I in eckigen Klammern beendet wird. Ich schreibe jetzt hier keine eckigen Klammern, weil sonst der Text Kursiv erscheinen würde.
Wird ein Itallic Tag nicht mit einem /Itallic beendet, dann erscheint er im Text; korrekt gesetzt, ist er im Text nicht zu sehen.
Hier Beispiele für unvollendete Tags:

Sie wendet sich von ihm ab und erwartet keine Antwort.
Antwort.
]Als Horst Carmen

Ein vergeblicher [/ Wunsch.“
So wie du es erklärt hast, ist der Plot sehr schön, für mich müßte es noch deutlicher werden. Besonders, die Tatsache dass er die Schwangerschaft trotz vortgeschrittenem Stadium nicht bemerkt, ist mir ganz entgangen. Es hätte ja sein können, dass es ihm die Frau verheimlicht hat und es kam für mich nicht klar genug heraus, dass sie im sechsten Monat gewesen war.

Jetzt wo du es sagst, sehe ich doch eine gewisse Ähnlichkeit mit Lovecrafts Stil. Manche mögen ihn ja, meines ist es leider nicht

Grüße
Bernhard

 

Hi Bernhard,
da bist Du ja schon wieder. das war ziemlich prompt. Bin auch noch da. hab gerade wieder versucht, den Text zu bearbeiten - mit dem Erfolg, dass alles viel schlimmer wurde, Teile plötzlich gelöscht oder versetzt wurden, sodass es letztlich noch mehr zu reparieren gab. Shit.

Mit HTML Programmierung, überhaupt mit PC kenn ich mich gar nicht aus, arbeite zuhause einfach mit meinem Word-Programm, das ziemlich simpel funktioniert. Man markiert die Textpassagen, tippt auf Kursiv und gut. Überhaupt lesen sich die Texte dann im Blocksatz und mit kürzeren Zeilen viel flüssiger, als sie hier auf Kg. de erscheinen, will sagen viel weniger langatmig; und prägnante Stellen kommen viel deutlicher rüber.
Zum Beispiel die Textstelle, wo klar gesagt wird, dass Horst nur selten Sex mit seiner Frau gehabt hat, zuletzt etwa ein halbes Jahr vor ihrem Tod.(Völlig klar, dass es nur da zur Zeugung gekommen sein kann.) Warum die Frau von ihrer Schwangerschaft nix erzählt, bleibt bewusst offen. Aber es gibt noch eine weitere Stelle während einer Rückblende, als Horst feststellt, dass die Figur seiner Frau erheblich nachgelassen hat, dass ihm dies aber nichts ausmacht (aus begreiflichen Gründen), eine kleine Stelle zugegeben ...

Lovecraft hab ich nur als ein Extrembeispiel genannt. Seinen speziellen Stil fand ich auch häufig nervend. Und seinen Rassismus fand ich schon immer abstossend.

Die nächsten Tage hab ich noch Nachtdienst, aber irgendwann nächste Woche werd ich nen Kumpel treffen, der sich mit PC auskennt. Solange muss der Text eben in dieser verkrüppelten Form so stehenbleiben.

Nochmals Danke und schönen Gruß: Splat

 

Hi Old Splatterhand,
Letzter Versuch meinerseits:
Du mußt in die Rohfassung deines Textes gehen und nach I bzw /I in eckigen Klammern suchen.
Zwischen diesen zeichen wird kursiv geschrieben. Die Zeichen (=Tags) selbst werden dann nicht mehr angezeigt. Wenn sie dann im Vorschautext auftauchen, heißt dass, dass du nicht rechtzeitig nach einem I ein /I gesetzt hast (alles natürlich in eckigen Klammern)

L.G.
Bernhard

 

@Bernhard,

O.K., geschafft, der Text ist jetzt endlich in seiner so gemeinten Formatierung, falls das jetzt noch jemand interessiert. Jedenfalls konnte ich ihn so online nicht stehen lassen.

Grüße: Splat

 

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