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Das Foto
Als ich das erste mal bei ihm war hatte er die Jalousien runter. Es war nicht ganz dunkel aber alles in Dämmerblau getaucht, so dass ich wichtige Dinge nicht erkennen konnte: CD- und DVD-Titel, handgeschriebene Zettel und: ein Foto. Ein Foto klebte am Schrank, nur Umrisse waren erkennbar und das Geschlecht der Fotografierten. Weiblich. Die Schwester, die Mutter, die Tante. Egal: Die Bücher, das Foto und er: Gleichgültig.
Das zweite Mal bei ihm waren die Jalousien oben und die Gleichgültigkeit verschwunden: Trotz brütender Hitze schliefen wie aneinander geklebt ein, ich in seinem Arm. Irgendwann wurde ich wach und nachdem ich mich im Zimmer umschaute, erblickte ich erneut das Foto aber diesmal sprang es mir förmlich ins Gesicht.
"Was, seine Exfreundin, die Paula,die kennst du nicht? Na die Schwester von Julian. Also bei der krieg ich Komplexe, wirklich jetzt: Alles perfekt bei der: lange Haare, irgendwas asiatisches hat die auch. Mischung aus JLo und der einen da...Jessica Alba. Ja sei froh, dass du die noch nicht gesehen hast, da hättste gar kein Bock mehr. Also wenn die irgendwo hinkommt, dann is eh alles vorbei, alle Aufmerksamkeit ist bei ihr. Echt jetzt. Kein Wunder, kein Wunder. Die hat ihn aber auch mies behandelt, haste das nicht gehört? Aja, die hing ja als an ihrem Ex, ist wenn du mich fragst immer noch so. Und IHN wollte sie wohl von Anfang an nicht. Ständig zu dem Ex zurück, 3 mal Schluss gemacht oder sowas. Der Arme, der hat echt einen Schlag weg jetzt. Aber mit so einer Freundin setzt man Zeichen. Also wenn einer mit DER schönsten Frau was hatte, dann..."
Die Schlitzaugen auf dem Foto fraßen mich förmlich auf, mit einem Schlag war ich hellwach und wieder nüchtern. Sie blitzten mich an, ich erstarrte. Rechts neben mir lag er und links von mir, am Schrank, klebte also Paula. Nach, wie ich erfahren hatte, eine halben Jahr Beziehungsende. Das konnte nicht normal sein. Nachdem nach ein paar Treffen und einigen Gedanken an und über ihn die Gleichgültigkeit ihm gegenüber verschunden war und damit auch die Unbeschwertheit, hatte ich die ganze Zeit schon den Drang, sie mal zu sehen. Aber so? Und nach allem was ich gehört hatte wusste ich, dass nichts mehr so sein würde wie vorher, wenn ich sie tatsächlich einmal sehen sollte. ABER SO? Das debile Grinsen einer Zwölfjährigen in einem schwarzen Rollkragenpullover. Die Stirn verdeckt durch einen abgehackten Pony, der Hintergrund: das gemusterte Einheitsmetallicblau von Grundschulportraitfotos. Ich zog meinen Arm unter seiner Brust hervor und hasste ihn. Ganz kurz. Und dann fing ich an, ihn nur noch mehr zu mögen. Weil es mich rührte, dass er ein Kinderfoto besaß, von der Frau, die er wohl immernoch liebte. Ich sah, wie er abends alleine auf seinem Bett saß und das Foto am Schrank anstarrte:"Ich habe dich geliebt Paula, vom ersten Moment an. Seit ich dich das erste Mal bei Julian gesehen hatte. Das war bei keiner vor dir so und das wird bei keiner nach dir so sein. Lange Jahre habe ich um dich gekämpft und gekämpft und gewartet und so viele Männer gesehen und auf Julians Verbote geschissen, seine Schwester auch nur anzufassen. Ich habe alles für dich getan und du? Was hast du für mich getan? Nichts. Ich liebe dich trotz allem immernoch und irgendwann, eines Tages, kommst du zu mir zurück. Und alle Frauen, die da sein werden zwischendrin werden nur Übergang sein. Sie werden nichts bedeuten. Sie werden nur ausgenutzt. So wie du mich ausgenutzt hast. Ich warte trotzdem auf dich. Nur auf dich". Arschloch!
Ich setzte mich auf, zündete eine Zigarette an und fing an mich zu verabschieden: Die Nutellabrote, die Aufopferung der letzten Aspirintablette, diese Augen, sein Geruch. Paula, Du musst eine Idiotin gewesen sein, ihn gehen zu lassen. Und trotzdem hängst du noch am Schrank und er liegt daneben und schläft und in allem was er tut steckt letztendlich doch nur das Warten auf dich.
Paula, Paula, Paula. Alles um mich herum drehte sich, ich schlief wieder ein. Als ich aufwachte, hatte ich kurz alles vergessen, bis ich mich wieder nach links drehte und sah, wie Paula ihre Milchzähne fletschte. Sie war immernoch da. Er war schon wach und ich wollte eigentlich nur noch gehen. Und ihn bloß nicht ansprechen auf Paula. Wozu auch? Ich wusste ja bescheid. All das noch einmal aus seinem Mund zu hören würde ich zwar verkraften aber es wäre wahrscheinlich... traurig oder sowas.
"Was machst du später noch?"
Paula, wie konntest du ihn verlassen? Alleine diese Stimme!
"Pff, keine Ahnung, was weiss ich."
Nun, wo ich das Paula-Problem erkannt hatte, konnte ich mich daneben benehmen und zickig sein. War ja egal jetzt, ich war das letzte mal hier.
"Ich gehe mit Arik Fußball spielen. Íst mein Neffe."
"Mhm."
"Guck, das ist er:"
Er zeigt auf den Schrank, auf das Foto. Er zeigte auf PAULA.
"Hm, was?"
"Hast auch gedacht, das ist ein Mädchen, was? Du Arsch", er lachte,"denken viele irgendwie, armer Arik". Er holte noch 3 Fotos von Arik raus. Arik beim Fußballspielen, Arik bei der Einschulung, Arik mit Geburtstagskuchen. Ein kleiner Junge mit ein wenig zu langen Haaren und schmalen Augen. Vor ihm hätte ich beinahe kapituliert. Ich schämte mich und ging nicht zum Fußballspielen mit. Ich mag kein Fußball, ich hasse es. Ich musste aber grinsen und meine gedankliche Verbindung zu Paula blieb noch den Rest des Tages bestehen.