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- 13.07.2010
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Das geistige Auge
Das geistige Auge
Es war einer dieser Momente, in denen er genau wusste, dass es ihm nicht gut tun würde, seinem Denken und Fühlen, die abträglichen Fantasien und schlechten Gedanken, die es auslösen würde, doch er wollte es, zumindest verspürte er innerlich das drängende Bedürfnis, das ihm keine Ruhe ließ, es erfahren zu müssen. Er konnte nicht anders. Selbst wenn er gewollt hätte. Er stellte es sich vor, nicht weil er es musste, sondern weil er nicht anders konnte. Seine Gedankengänge übernahmen die Kontrolle über sich selbst und plagten ihn mit unerwünschten Bildern vor seinem geistigen Auge. Es war unmöglich für ihn wegzuschauen, es war in ihm drin, vor seinem selbst konnte er nicht fliehen und so begegnete er seinem eigen inszenierten Schauspiel, das ihm seine eigenen Gedanken grausam vorspielten. Doch waren das nur Fantasien, Bilder die durch den Kopf schossen, die wage versuchten in seiner Vorstellung das auszudrücken, was die Realität in erschreckenden Tatsachen längst bereit hielt. Aber so entsetzlich die Gedanken auch waren, wie fürchterlich er sich die Tatsächlichkeit ausmalte, so wollte er doch trotzdem die Wirklichkeit in ihrer realen Grausamkeit erfahren, sie sehen, mit eigenen Augen, sich von der Qual der Gewissheit überzeugen lassen, dass es nicht schlimmer kommen kann.
An einem Punkt angelangt, an dem die Neugierde ein Maß erreicht, dem man nichts mehr an Unbeugsamkeit entgegen zu setzen hat und man den Entschluss fasst, der eher aus den plagenden Gedanken als aus Rationalität hervorgeht, dass man sich lieber mit der Wahrheit konfrontiert, anstatt sich weiterhin von den zermürbenden Erfindungen seines Geistes foltern zu lassen, überwand er sich und stellte die Frage der Fragen.
Nun da sich ihm die Antwort als schauderhafte Tatsache in seine Erinnerungen brannte, realisierte er, dass die Wahrheit ihn vor einen klaren Tatbestand führte, deren reale Existenz er nun nicht mehr leugnen konnte und er nun im Strudel seiner Gedanken gefangen war, die immer und immer wieder um die eine Sache kreisten. Nun mehr wusste er es, sah das reale Bild der Wirklichkeit vor seinem geistigen Auge und nimmer mehr nur Erzeugnisse seiner Fantasie. Die zur Ewigkeit verfluchten Gedanken kreisten umher, immer und immer wieder und ihm wurde bewusst, dass die grausame Wirklichkeit um vielfaches barbarischer ist, als sich die Wirklichkeit grauenhaft vorzustellen. So denn musste er fortan damit leben, mit der Gewissheit, dass die Realität noch schlimmer und unerträglicher ist, als er sie sich vorgestellt hatte.