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- 11.11.2007
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Das Geräusch
Der Träumer streifte über die weiten, grünen Wiesen, wie er es seit den Jahren seiner Kindheit nicht mehr getan hatte. Die rote Sonne stand hoch am Himmel, schien heiss und hell auf die Erde herab. Das hügelige Grasland erstreckte sich bis zum Horizont, niedrige Bäume mit weisser Rinde und dichtem Blätterdach wuchsen überall. Das kleine Häuschen seiner Eltern stand nicht weit entfernt am Rande eines geduckten Hügels, doch es war kein Mensch und kein Tier zu sehen, eine tiefe Stille lag über dem Land. Ein friedliches, lang vergessenes Gefühl breitete sich in ihm aus und erfüllte ihn, ein Gefühl, das er zutiefst vermisst hatte. Doch nun war es wieder da, und er war glücklich.
Ohne Sorgen wanderte er über das Land, an kleinen Flüssen vorbei, sanfte Hügel auf und ab, lange Zeit, Stunde um Stunde, so schien es ihm, und die Sonne wollte ihren hohen Sitz nicht aufgeben.
Mitten in seinem Glück und der Ruhe keimte ein Gedanke in ihm auf wie eine lange vergessene Erinnerung. Etwas fehlte. Wo sind Mutter und Vater? Wo ist meine kleine Schwester? Wo ist der Hund? Er sah sich um, doch es war niemand zu sehen. Plötzlich schien ihm die Stille nicht mehr wie ruhiger Friede. Eine seltsame Bedrohung schien von ihr auszugehen, unfassbar, unsichtbar. Doch sie war da, irgendwo im Schein des brennenden Lichtes der Sonne. Unruhig starrte er zum Haus, doch nichts rührte sich. Er blickte zur Sonne hinauf. Geblendet senkte er seinen Kopf, Schweiss bedeckte seine Haut, ihm wurde schwindelig. Werde ich krank? Stand ich zu lange im heissen Sonnenschein?
Er begann eine Leere zu fühlen, die alles Glück aufzufressen schien, und doch nicht satt wurde. Die Hitze wurde unerträglich. Nicht weit entfernt erhob sich der hohe Baum, der alle anderen überragte und die der Träumer vor Jahren oft zu besteigen versucht hatte. Unter seinen Blättern lagen dunkle Schatten. Mit schmerzendem Kopf und von Schweiss brennenden Augen ging er mit hastigen Schritten auf das Dunkel zu, den Blick unaufhörlich darauf gerichtet. Erleichtert wollte er in den Schatten treten, als ein seltsames Geräusch ertönte. Er blieb stehen, wandte sich um. Niemand stand hinter ihm. Wieder hörte er diesen Laut, leise, kaum hörbar, als wurde jemand gierig Luft durch die Zähne einsaugen. Der Träumer starrte vor sich in die finsteren Schatten. Etwas raschelte, etwas am grauen Baumstamm bewegte sich rasch und huschend, doch bevor er erkennen konnte, was es war, war es mit den Schatten verschmolzen. Sein Herz hämmerte. War das ein Eichhörnchen? Ein Marder? Eine Katze? Schweiss rann in seine Augen, brannte und liess seine Sicht verschwimmen, doch er blinzelte nicht. Wieder sah er die Bewegung, dieses Mal deutlicher. Der Schatten wand sich schnell und ruckartig durch das graue Zwielicht, das sich um ihn herum zu bewegen schien wie Wasser. Es verschwand im Blätterdach. Wieder ertönte der saugende Laut, als würde ein Erstickender verzweifelt nach Atem ringen. Die Hitze wurde schlimmer, immer schmerzhafter, doch nun schien sie nicht mehr von der Sonne zu stammen, sondern aus seiner Brust. Ein wütender Brand schien dort zu wüten, verschlang sein Inneres. Jeder Atemzug liess das Feuer erstarken, der Druck auf seinen Lungen schwoll an. Er sank zu Boden, sog verzweifelt die lodernde Luft in sich ein.
Der Träumer ging auf die Hütte zu. Die dunklen Fenster starrten blind in eine andere Welt. Das weite, flache Land schien verlassen von jedem Wesen, nichts rührte sich, kein Laut war zu hören. Selbst die Vögel, die sonst immer in den Bäumen oder auf dem Dach des Hauses misstrauisch auf den Träumer hinabblickten, sassen nirgends, flogen nicht durch die Lüfte.
Als er sich dem Haus näherte, sah er, dass die alte Holztür nicht geschlossen war. Wo sind meine Eltern? Wo ist meine Schwester? Wieso begrüsst mich der Hund nicht? Eine ziellose Furcht ergriff ihn, doch sie zog ihn nicht vom Haus weg, sondern auf es zu. Mit langsamen, zögernden Schritten erreichte er die Türe. Mit eisiger Angst blickte er durch den schmalen Spalt, doch im Zwielich dahinter konnte er nichts erkennen ausser undeutlichen Umrissen und reglosen Schatten. Alles war still. Mit wachsendem Entsetzen öffnete er das Tor zu seinem Heim, geräuschlos schwang sie auf, das fahle Sonnenlicht fiel in den länglichen Raum dahinter und versuchte vergebliche das träge Dämmerlicht zu verbannen. Ein Streifen schwachen Sonnenlichtes fiel auf ein bleiches, grinsendes Gesicht. Der Träumer atmete auf.
"Schwester!", rief er erleichtert. Das Geräusch ertönte schrill und laut in der totenstillen Welt. "Wo sind Vater und Mutter? Ich habe sie nirgendwo gesehen."
"Sie sind hinter dem Haus. Sie hacken Holz.", antwortete das bleiche Gesicht lächelnd, die grauen Augen blickten dem Träumer ruhig entgegen. "Hast du Hunger, Bruder? Wir haben gegessen, während du weg warst. Doch wir haben etwas für dich übrig gelassen." Der Träumer lächelte dankbar, nickte und setzte sich in der Finsternis an den kleinen Tisch aus grob gehauenem Holz. Das junge Mädchen mit dem langen, weissen Haar wandte sich um, griff nach einer Schüssel und stellte sie auf den Tisch. Der Träumer ass die kalte Suppe, das Mädchen beobachtete ihn schweigend. Die Schüssel war leer, sein Hunger gestillt. Er beruhigte sich, die Aufregung fiel von ihm ab, Müdigkeit überkam ihn.
"Wo ist eigentlich der Hund?", fragte er beiläufig, sah sich um, doch konnte ihn nicht sehen. Die Schwester grinste.
"Kannst du ihn denn nicht hören?", fragte sie in gespielter Verwunderung. Der Träumer lächelte unsicher, glaubte an einen Scherz des Mädchens, doch dann hörte er die Laute, ganz in der Nähe. Unter dem Tisch drangen sie hervor, seltsam, unbekannt, ein keuchendes Saugen. Ein Grauen erfüllte ihn, lähmte Gedanken und Körper. Er fühlte, wie etwas seine Füsse berührte, seine Beine betastete, ein kaltes Ding, doch war es nicht die Schnauze eines Hundes.
"Hier ist er doch!", rief die Schwester fröhlich, bückte sich unter den Tisch und packte etwas. Als sie sich wieder erhob, erblickte der Träumer, was sie in den Händen hielt. Kreischendes Entsetzen schnitt durch seinen ganzen Körper, liess seine Arme versteifen, sein Herz zu Eis gefrieren, doch sein Blick verschwamm nicht, von Grauen gepackt konnte er nur mit weit, schmerzhaft aufgerissenen Augen auf das Ding starren, das seine Schwester sanft, liebevoll in den Armen trug. Wieder fühlte er den Druck auf seiner Brust, der ihm den Atem stahl. Er wusste, er erstickte, sein Inneres brannte wie Feuer, doch er konnte sich nicht bewegen, seine Augen starrten noch immer auf das Ding, er konnte sie nicht abwenden. Starr und steif sass er auf dem Stuhl, während seine Besinnung schwand und das Grauen alle seine Gedanken erfüllte.
Der Träumer erwachte. Schweiss brannte in seinen Augen, panisch sog er die kalte Luft zwischen seinen Zähnen ein. Sein Herz hämmerte. Schreckliche, endlose Augenblicke lag er starr in seinem Bett, während sich Traum und Wirklichkeit noch immer nicht entwirrt und getrennt hatten und das Grauen ihm als wahre Erinnerung schien. Irgendwann erwachte er auch aus seiner Starre und blickte sich bebend um. Es war vollkommen dunkel, doch er wusste nicht, ob es Tag oder Nacht war, denn schwere Vorhänge hingen vor den Fenstern in seinem Zimmer. Die Bilder des Dinges hingen in seinen Erinnerungen, er sah es vor sich in der Schwärze, als wäre es tatsächlich da. Schaudernd zog er seine Füsse unter die schwere, schweissnasse Decke, hielt den Atem an und horchte in die Dunkelheit hinaus. Das schreckliche Saugen hallte in seinen Gedanken weiter, doch in seinem Zimmer blieb es stumm. Erleichtert atmete er tief ein, stieg aus seinem Bett, lief mit grossen Schritten zum nächsten Fenster und schob den dunkelblauen Vorhang beiseite. Trübes Zwielich drang fahl durch das Glas des Fensters, das weit über den anderen Häusern lag, der Mond stand noch am Himmel, ein schwacher, blutroter Schein über den Dächern der unzähligen geduckten Häuser kündigte die Ankunft der Sonne an. Die Stadt lag noch in grauem Schlaf, kein Wesen war auf den Strassen und Gassen zu sehen. Bald würden ungezählte, gesichtslose Menschen über die Strassen strömen, Rauch würde aus den Kaminen fliessen und eintöniger, ermüdernder Lärm in der Luft liegen. Der Träumer wandte sich vom Fenster ab und im fahlen Schein sah er nun, dass er alleine in seinem Schlafgemach war, doch es beruhigte ihn nicht. Er fühlte etwas, das ihn zu beobachten, das er mit sich zu tragen, das ihm aus seinen dunklen Träumen gefolgt zu sein schien. Wieder sah er das Ding vor sich und schloss schnell die Augen, doch nun erblickte er es nur noch deutlicher in seiner ganzen Widerlichkeit.
Unruhig und voller düsterer Gedanken verliess er sein Zimmer, ging den düsteren Gang entlang, stieg die lange, gewundene Treppe hinunter und betrat wie jeden frühen Morgen den Speiseraum des grossen, einsamen Herrenhauses. Als die Tür aufschwang erblickte er die Dienerin, die mit ängstlich gesenktem Blick bereit stand.
"Bring mir etwas zu essen.", befahl der Träumer, setzte sich alleine an den langen Tisch und wartete. Es dauerte nicht lange, da verliess die Dienerin die Küche wieder und setzte die Speisen ihres Herrn auf dem Tisch ab, Fleisch, Gemüse und eine Schüssel heisser Suppe. Mit geschickten Händen nahm sie etwas Salz aus einer kleinen Dose und streute es in die Suppe. Der Träumer ass alles, die Dienerin verharrte schweigend.
Der Träumer erwachte. Die Sonne schien gerade ihr erstes, fahles Licht durch die Fenster der Hütte zu senden. Verwirrt und voller dunklen Gedanken stieg er aus dem einfachen Bett, zog sich an und stieg die Treppe hinunter. Das alte, kalte Holz unter seinen nackten Füssen knarrte laut. Er trat in die kleine Küche. Seine Schwester war bereits aufgestanden und stand neben dem Tisch.
"Ich hatte seltsame Träume, Schwester.", sprach der Träumer und rieb sich die Augen. "Von einem finsteren Herrenhaus, einer grauen Stadt und einem grauenhaften Schatten, das schaudernde Geräusche von sich gibt." Das Mädchen lächelte und fragte:
"Hast du Hunger, Bruder? Wir haben gegessen, während du noch geschlafen hast. Doch wir haben etwas für dich übrig gelassen." Der Träumer lächelte dankbar, nickte und setzte sich in der Finsternis an den kleinen Tisch aus grob gehauenem Holz. Das junge Mädchen mit dem langen, weissen Haar wandte sich um, griff nach einer Schüssel, streute ein weisses Pulver in die Suppe und stellte sie auf den Tisch. Der Träumer ass alles, das Mädchen beobachtete ihn schweigend. Als die Schüssel leer und sein Hunger gestillt war, überkam ihn ein seltsames Gefühl, zuerst schwach, unbeschreiblich, dann wurde es immer stärker, deutlicher, schmerzvoller. Ein grauenvoller Druck lastete plötzlich auf seiner Brust, seine Lungen schienen in Flammen aufzugehen. Geräusche, die ihm seltsam vertraut anmuteten, und ihn doch vor Grauen erstarren liessen, ertönten von irgendwo her. Ein dunkler Schatten zog an seinem verschwommenen Blick vorbei.
Der Träumer erwachte. Er fühlte den nassen Angstschweiss unter der schweren, heissen Decke. Zitternd stieg er aus dem Bett, seine nackten Füsse berührten den eisig kalten, steinernen Boden seines Gemaches. Seine Gedanken voller unklarer Bilder und nebelhaften Erinnerungen und Geräuschen stieg er die finstere Wendeltreppe hinunter, öffnete das Tor zum Speisezimmer und trat ein. Die Dienerin war nirgends zu sehen, und kein Laut war zu hören, sein eigener Atem hörte sich unwirklich laut an in der Stille des dämmernden Tages. Verwirrt wartete er, doch nichts geschah. Sein Blick wanderte unruhig umher, bis er an der geschlossenen Türe zur Küche hängen blieb, die bis zu diesem Tage jeden Morgen weit offen gewesen war. Mit langsamen, unsicheren Schritten näherte er sich der Türe, nun vernahm er gedämpfte Laute, die durch das Holz zu dringen schienen. So leise wie möglich öffnete er sie, finsteres Zwielicht erwartete ihn an diesem Ort, den er noch fast nie betreten hatte. Es roch nach Feuer und Fleisch, doch es leuchtete keine Flamme. Rauch lag in der Luft, der dem Träumer in den Augen brannte. Durch die Tränen hindurch blickte er sich um, sah Töpfe, Krüge, Teller und rohes Fleisch auf einem Tisch. Dann erblickte er die Dienerin. Sie hatte ihn nicht bemerkt, kniete vor der Feuerstelle, wo noch die Asche fahl in der Finsternis glimmte.
Wie eingefroren beobachtete der Träumer das Mädchen, und als er das saugende, keuchende Geräusch hörte, erstarrte auch sein Blut zu Eis. Es drang aus der Asche hervor. Die Dienerin strich über den schwarzen Haufen, brachte hervor, was sich darunter verborgen hatte. Das Entsetzten schnitt durch seinen Körper wie ein eisig kalter Dolch, er wollte schreien, doch es gelang ihm nicht. Zärtlich streichelte das Mädchen das Wesen. Das grausige Geräusch wurde lauter, das Ding erbebte und keuchte, immer lauter und lauter, bis es eine milchige, dickflüssige Masse erbrach, die sich träge auf dem Boden verteilte. Das Mädchen sammelte sie in einen Krug ein, leerte sie in den Topf über der Feuerstelle und entzündete diese. Nach wenigen Augenblicken nahm sie den Topf vom Haken, stellte ihn auf den Tisch und kippte ihn um. Ein weisses Pulver kam hervor.
Der Träumer erwachte. Er lag nicht in seinem Bett, fühlte kalten Stein unter sich. Ein ohrenbetäubendes Geräusch erschütterte ihn, bis er bemerkte, dass er aus voller Kraft schrie. Erschrocken verstummte er, in seinem Kopf wanden sich Erinnerungen und Bilder wie die Schatten des finsteren Herrenhauses. Er versuchte sie zu ordnen, versuchte herauszufinden, was Wahrheit und was Illusion war, doch es gelang ihm nicht. Von unvorstellbarer Verwirrung ergriffen erhob er sich, Übelkeit und Schwindel ergriffen ihn, verzweifelt versuchte er, nicht wieder zu Boden zu stürzen. Er erkannte nicht, in welchem Zimmer er sich befand, alles drehte und verrenkte sich, verzerrt hörte er hastige Schritte, immer lauter und lauter. Eine Türe öffnete sich, das Licht einer Kerze blendete in seinen Augen. Vor ihm stand die Dienerin, und nun sah er, dass er sich in der Küche befand.
"Herr!", rief sie, tiefe Furcht lag in ihrem Blick. "Was tut Ihr hier?!" Der Träumer antwortete nicht, stolpernd ging er an dem Mädchen vorbei aus der Kammer und setzte sich mit schmerzhaft hämmerndem Schädel an den Tisch. Aus allen Schatten schien ihn das Ding anzustarren, er hörte nur noch diesen grässlichen, saugenden Laut, der ihn zur Verzweiflung trieb. Er wusste nicht, wieviel Zeit vergangen war, doch irgendwann stellte die Dienerin etwas vor ihm auf den Tisch, und er sah einen Teller mit Brot und Fleisch vor sich, und eine Schüssel heisser Suppe. Neues Grauen packte ihn. Rasend schlug er die Schüssel vom Tisch, klirrend zerschellte sie auf dem steinernen Boden, die Suppe verteilte sich in den Ritzen zwischen den grossen Bodenplatten. Das Mädchen war erstarrt vor Schreck, mit weit aufgerissenen Augen starrte sie auf die tausenden Scherben am Boden.
"Ich weiss, dass du mir jeden Tag Gift ins Essen gemischt hast, Hexe!", brüllte der Träumer und erhob sich so hastig, dass er den Stuhl umwarf. "Ich will aus diesen Träumen entkommen, ich will fiehen! Zeig mir den Ausweg! Zeig ihn mir!"
Er griff nach der Dienerin, von Todesangst erfüllt wich sie seinen Händen aus und floh in die Küche, versuchte, die Tür zu schliessen, doch der Träumer hatte sie bereits eingeholt. In brennender Wut zerrte er sie an den Haaren zur Feuerstelle, deren Flammen noch immer lebten. Mit eiserner Kraft warf er sie um, so dass sie vor den Flammen kniete und die Flammen ihr Gesicht streichelten. Ihr langgezogener, spitzer Schrei schnitt in sein Fleisch, doch er hielt sie weiter über dem Feuer. Rauch brannte in seinen Augen, er roch verkohltes Fleisch. Irgendwann verstummte ihr Schrei.
Der Träumer erwachte. Er fühlte den nassen Angstschweiss an seiner Haut kleben, doch keine Decke lag auf ihm, sie musste im Schlaf heruntergefallen sein, während der Träumer sich gewunden und gedreht hatte. Unzählige Bilder waren in seinen Kopf, alle gleichermassen unwirklich und von schrecklicher Wahrheit, während er von ihnen überwältigt auf dem Rücken liegen blieb. Er meinte einen leisen Schrei von weit her zu hören, doch er war sich nicht sicher. Er horchte in die Dunkelheit nach dem Mädchen, doch er hörte nichts in der Stille. Seine Gedanken waren erfüllt von seltsamen Fragen, und keine von ihnen konnte er beantworten. Er fürchtete sich davor, aufzustehen und herauszufinden, was wirklich war und was nicht. Was, wenn dies ein Traum war und er sich wieder in eine Illusion begeben würde?
Lange verharrte er so, unbewegt, versuchte seine Welt zu begreifen, doch er vermochte es nicht. Eine tiefe Dunkelheit lag auf seinen Augen, die regungslos vor sich hinstarrten. Ist die Sonne noch nicht aufgegangen? Oder habe ich schwere, kostbare Vorhänge vor meinen Fenstern? Ist meine Decke mit Stroh oder mit Federn gefüllt?
Plötzlich hörte er hastige, tapsende Schritte. Haben mich diese Laute aufgeweckt?, fragte er sich. Der Träumer hörte weder das Knarren der Holzbretter noch das kalte Hallen des steinernen Fussbodens. Die Geräusche erstarben am Fussende des Bettes. Ist es mein Hund?, fragte sich der Träumer, doch irgendetwas hinderte ihn daran, sich zu erheben und das Wesen anzublicken, das in sein Zimmer getreten war. Dann hörte er den saugenden, keuchenden Laut, der seinen Körper durchdrang und lähmte, etwas Kaltes berührte seine nackten Füsse. Er wollte sie zurückziehen, doch er war erstarrt vor Grauen. Er wünschte, er würde aus diesem schwarzen Traum an einem sicheren Ort erwachen, doch es geschah nicht. Das Ding kletterte langsam seinen Körper entlang, er fühlte jeden Schritt der vielen Füsse auf seinem Leib, doch konnte seinen Kopf nicht erheben, um dem Schrecken in die Augen zu blicken, wenn das Ding denn welche besass. Das schreckliche Saugen übertönte jeden anderen Laut, das Hämmern seines Herzens, sein verzweifeltes Atmen, das Schlurfen des Dinges. Als es seine Brust erreicht hatte und sich darauf setzte, erblickte er es erneut, und es schien ihm widerlicher, grässlicher und bösartiger als je zuvor. Der Träumer fühlte den Druck auf seiner Brust, schreckliche Angst überkam ihn. Die langen, dünnen Arme des Dinges schlangen sich wie knochenlos um den Körper des Träumers, als wollten sie ihn umarmen. Die Ärmchen spannten sich, pressten seinen Leib zusammen, trieben ihm die Luft aus den Lungen. Verzweifelt versuchte er zu Atmen, doch die langen, tentakelartigen Gliedmassen waren zu stark. Sein Blick begann zu verschwimmen, seine Lungen brannten wie Feuer, schrien nach Luft, nach Leben. Das Wesen presste gnadenlos weiter, immer stärker, immer mächtiger. Das Saugen und Keuchen war ohrenbetäubend, und nun erkannte der Träumer voller Schrecken, dass es die ganze Zeit er gewesen war, der diese Laute erzeugt hatte, der in Todesfurcht Luft durch seine vor schrecklichen Schmerzen zusammengepressten Zähne saugen wollte. Als sein Leben langsam und peinvoll verging, fragte er sich nicht mehr, ob dies ein Traum war. Die einzige Frage, die noch seine Gedanken erfüllte, war: Woher kam der Dämon?
Ende