Was ist neu

Das Geschäft der Frauen

Mitglied
Beitritt
25.01.2008
Beiträge
36
Zuletzt bearbeitet:

Das Geschäft der Frauen

Jo stand vor ihrem Kleiderschrank. Auf der Couch lag eine schon nicht mehr zählbare Anzahl von Kleidungsstücken. Sie drehte sich und schaut abwechselnd an sich herunter und wieder in den Spiegel, der dem Schrank gegenüber hing. Sie dachte nicht so sehr darüber nach, ob ihr das, was sie anziehen wollte, stand. Sie wusste vielmehr überhaupt nicht, was sie anziehen sollte.

Die Chefin hatte die Mitarbeiter der kleinen Firma zum Kaffee eingeladen.
„Und ziehen Sie sich nicht zu schick an, hinterher starten wir wieder ein kleines Turnier.“
Was für ein Turnier? Sie hat nicht zu fragen gewagt. Zu sehr fürchtete sie jenen Anflug eines Stirnrunzelns, das bei ihrer Familie einen Tadel an den Manieren oder fehlenden Kenntnissen bedeutete. Ihre Chefin hingegen schien immer freundlich, immer herzlich, nie irritiert. Immer hat sie für die Praktikantin Verständnis, wenn sie das eine oder andere nicht wusste.
„Nicht so schlimm“, sagte sie immer „deswegen sage ich es ihnen ja.“

Aber davon wurde es nicht besser. Das Gefühl des Unbehagens verstärkte sich, die eigene Unfähigkeit, nicht immer wie selbstverständlich zu verstehen, was sich gehörte und was nicht, kam ihr durch die aufmerksamen Hinweise nur noch heftiger zum Bewusstsein.

Sie entschied sich für ein paar braune und Hosen, die an der Naht mit Strasssteinchen besetzt waren und eine langärmelige, weich fließende beigefarbene Bluse. Kette ließ sie beiseite. Kette sah gut aus, demonstrierte aber zugleich immer auch den Zustand des Gefesseltseins. Gerade richtig auf Arbeit, nichts jedoch fürs Privatleben.

Sie hatte eine Flasche roten Rotkäppchensekt besorgt. Da sie die Gewohnheiten in diesem Betrieb wenig kannte, entschied sie sich an das Herkömmliche zu halten, auch auf die Gefahr hin, für etwas steif gehalten zu werden. Und gelegentlich hatte sie die Chefin in einem roten Cordanzug gesehen.

Sie hatte noch zwei Stunden Zeit bis zum offiziellen Beginn des Kaffees. Sie hatte im Fernsehen die Lästereien über die, die immer pünktlich kommen gesehen, hatte gelesen, dass es heutzutage gar nicht auf Pünktlichkeit, sondern Erreichbarkeit ankomme.
„Warum hast du denn nicht angerufen!“, lautet dann der Vorwurf, wenn man sein voraussichtliches Zuspätkommen nicht angemeldet hat.

Ob der rote Sekt nicht zu intim ist? Wer weiß, was ihre Chefin denkt. Falscher Symbolwert stand jetzt der Alternative von gar keinem Geschenk gegenüber. Ihr fiel auch nichts Besseres ein. Sie machte sich auf den Weg.

Ihre Chefin wohnte in einem Altbauviertel, in dem die Wohnungen alle sehr groß und sehr hoch waren. Als sie vor dem großen Einfahrtstor stand, sah sie auf die Uhr. Sie war auf die Minute pünktlich. Sie klingelte. Ein angenehmes Läuten, nicht so schrill wie ihre eigene Klingel klang durch den Hausflur. Der Türöffner summte. Sie drückte die Tür auf und stand in einer Tordurchfahrt. Auf der Hälfte des Durchgangs war rechts in der Wand eine Tür, die ins Treppenhaus führte. Geradeaus ging es auf den Hof. Sie glaubte bekannte Stimmen zu hören. Sollte sie erst hoch oder hinter auf den Hof gehen? Das war die Wahl zwischen der gesuchten Begrüßung durch die Gastgeberin und einem Eindringen in ihr Reich. In ihren Romanen gab es immer ein Zeremoniell und einen extra Raum, aber hier und heute?

Sie schob das Tor zum Hof auf. Ein Hund kam auf sie zu gerannt. Vor Schreck zog sie sich wieder zurück in den Durchgang. Na immerhin funktionierten ihre urzeitlichen Angstreflexe. Aber es war ja nur ein kleiner Hund. Sie hörte auf der anderen Seite ein paar Absatzschuhe und diese Absatzschuhe rissen ihr die Klinke mit der Tür aus der Hand.

Eine Kollegin mit einem halbvollen Sektglas machte vor ihr eine Verbeugung und bat sie mit weit ausholender Geste in den Hof. Jo macht nur einen kleinen Schritt. Der Hund saß brav angebunden an einer Wäschespinne. Ein kleiner Kinderspielplatz, eine Tischtennisplatte (es sollte ein Tischtennisturnier sein, sie hasste Wettbewerb) und eine Pergola unter der bereits der Kaffeetisch gedeckt war, komplettierten das Ensemble am Rand des großen Hofs.
„Sollte ich erstmal hochgehen und die Chefin begrüßen?“
„Ich weiß nicht, wie das bei dir aussieht. Ich warte hier unten. Alina allerdings ist oben.“
Jo nickte nachdenklich mit dem Kopf und ging Richtung Tisch. Sie setzte sich. Alina kam herunter und jagte sie von der Stelle.
„Gibt’s es vorgemerkte Sitzplätze?“
„Eigentlich nicht, aber genau da habe ich mir eben meinen Platz gewählt.“
Jo schwieg und stand auf.
„Oh, roter Sekt für die Chefin“, johlten Alina und Kollegin auf. Sie beugten sich links und rechts an ihr Ohr:
„Das ist doch sehr intim.“
„Was habt ihr denn mitgebracht?“ fragte Jo zurück.
„Oh gar nichts, sie erwart nicht, dass man etwas mitbringt“, so die Antwort.
„Was erwartet sie denn?“
„Das du so bist, wie du bist.“
So bin wie ich bin…, hallte es in ihrem Kopf noch nach. Ich bin der ich bin. Das hatte sich in der Menschheitsgeschichte nur einer herausnehmen dürfen. Aber wenn ich nun gar nicht dazu passe, so wie ich bin, aber durchaus bereit, mich anzupassen, mich zu entwickeln?

Sie versank ins Nachdenken. Nein, Entwicklung hin zu einem Ideal wird hier gar nicht erwartet. Das war nicht wie bei ihr zu Hause, wo täglich an sich selber gearbeitet werden musste, um einem Ideal zu entsprechen, einem Bild vom Menschen, dass nicht das einer kleinen Gruppe war, sondern ein Überindividuelles, ein Humanistisches. Hier hingegen zack, passt, passt nicht, der nächste bitte.

Sie sah vor sich das Kaffeebesteck sehr schlampig hinverteilt, sehr lieblos. Ihr zuckten die Finger, es gerade hinzulegen. Aber nein, sie war eingeladen, und sie wollte keinesfalls den Eindruck erwecken, dass sie die Gastgeberin indirekt kritisierte.

Die Chefin kam auch nach einigen Minuten herunter. Sie trug ein rotes Kleid und nahm sie zur Begrüßung in die Arme. Sie machte sich unweigerlich steif. Das kam nicht so gut an.
„Was hast du? Entspann dich.“
Sie hielt sie noch am Arm, als sie das hingeschluderte Besteck entdeckte, dass sie offensichtlich nicht selbst verteilt hatte.
„Mädels, wie schaut das denn aus! Wenn ihr mir schon helfen wollt, dann bitte richtig, sonst hat es keinen Zweck“ Sie neigte ihren Kopf an Jos Ohr.
„Unordentlich und liederlich“, sagte sie „aber ich habe keine Lust sie zu erziehen.“
Jo erstarrte. Dieser Vertrauensbeweis trennte sie mit einem Mal von den anderen und zeigte ihr eine ganz andere Chefin, als jene, die hierarchielos die Sitzungen leitete und kreatives Brainstorming von allen gleichermaßen erwartete. Hier ahnte sie eine Chefin, die alle genau beobachtete und genau nach ihren Fähigkeiten und Leistungen beurteilte.
Sie fasste Mut und flüsterte: „Ich habe gedacht, Chefs kümmern sich nicht um das Seelenleben ihrer Mitarbeiter, solange sie nur wunderbar funktionieren und genau passen.“
Die Chefin lächelte verschmitzt:
„Das ist richtig, insofern das Potenzial ausgeschöpft und kaum mehr was zu machen ist.“
Jo wagte kaum zu atmen, bei mir, dachte sie aufgeregt, ist noch was zu machen, glaubt sie, dass aus mir mal noch etwas werden kann?
Einen Moment sahen sich die beiden in die Augen, dann blinzelte die Chefin und brach diesen wunderbaren zerebralen Kontakt ab. Jo nahm sich vor, wie besessen zu arbeiten und die Erwartungen, die soeben in sie gesetzt worden waren, nicht zu enttäuschen.

 

Hallo Claudio Naso,

du schilderst hier einen Auschnitt aus dem Leben deiner spießbürgerlichen Protagonisten, die sich die Welt mit sich und ihren Zwängen unnötig verkompliziert. Was am Ende der Geschichte wie eine Entwicklung anmuten soll ist nur eine weiterer Ausschnitt der verkorksten Psyche der P. zeigen sich hier doch deutlich Unterwerfungstendenzen und schwere Abhängigkeiten vom goodwill als mächtiger angesehener Personen (hier Beziehung Jo - Chefin). Diese demütengenden Unterwerfungshaltungen führen bei der P. bis hin zu esoterischen Entgleisungen und mythischen Wahnvorstellungen.

Fazit: Interessant schilderst du hier eine kurze psychologische Skizze.

Gruß
Woitek

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom