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Das Geschenk

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14.10.2001
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Das Geschenk

Das Geschenk


Mein alter Kumpel Thomas Muster musste hart arbeiten. Selbst Heiligenabend stand er bis 16.00 in der Werkstatt vor der großen Bohrmaschine. Der 22 jährige Thomas vertritt die Arbeiterklasse in meinem Freundeskreis. Wichtiger war aber zu der Zeit, dass er frisch verliebt war und sich viel Mühe machte, einen guten Eindruck auf seine Freundin zu machen.
Dass Thomas an dem Tag spät kommen würde, war der Anna (so hieß seine Freundin) klar - daran war sie schon gewöhnt. Dass aber Thomas in dem Arbeitsstress ihr Geschenk vergessen hat - nun, das wusste sie nicht. Ich habe davon erfahren, als bei mir das Telefon um 16.25 am Heiligenabend schrillte. Thomas rief von seinem tragbaren Telefon, seinem Handy an.
"Markus! Ich brauche auf die schnelle ein Geschenk für die Anna. Ich hab's glatt vergessen, Mensch." Man hörte tief empfundene Panik in seiner Stimme. Oder war es gar Angst?
"Ähm. Tja also, Thomas. Was hat denn noch überhaupt auf in der Stadt ?"
"Nix." Sagte er, verzweifelt. "Selbst der Geldautomat ist außer Betrieb."
"Hat wenigstens ein Kiosk auf? " Fragte ich
"Nö." Sagte er.
"Ein Getränkeladen?"
"Nö."
"Konditorei?"
"Nö."
"Weihnachtsgeschenkladen mit umfangreichem Angebot?"
"Ha ha. Sehr lustig." Sagte er. "Was mach ich denn nu?"

Wir schwiegen. Ich hörte übers Telefon wie eine Straßenbahn bei Thomas vorbeirollte. Thomas war wohl irgendwo in der Stadtmitte.
Es ist natürlich unmöglich in ein solcher Situation blendende Ideen aufzubeschwören. So was geht in der Wirklichkeit nun wirklich nicht. Und außerdem - die Zeit für Ideen war schon längst vorbei. Man konnte jetzt eigentlich nur von "Notmaßnahmen" reden. Es war mir klar, dass es für Thomas moralisch verwerflich war, gerade die Person (nämlich Anna) zu belügen, der er am Nächsten war. Besonders jetzt mitten im Fest der Nächstenliebe. Ich hätte da kein Skrupel - es gibt für die bürgerlichen Klassen immerhin Dinge wie Notlügen und kleine Lügen und Halblügen - aber für die Arbeiterklasse gibt’s es nur die Lüge und die Wahrheit. Tja -Klassenunterschiede eben. Ich hätte mich in seiner Lage irgendwie durchlügen können - er konnte das nicht so leicht.

"Bist du noch dran, Thomas?"
"Ja. Bin noch da." Die Hoffnung war aus seiner Stimme gewichen.
"Wann musst du bei der Anna auftauchen?
"Spätestens bis 19.00 muss ich da sein. Sie kocht für uns ein Essen. Kerzenlicht, leise Musik, du weißt schon......"
"Du hast noch zweieinhalb Stunden, also. Kannst du nicht schnell was basteln? So was kommt immer gut an"
"Was?" Schrie er.
"Schon gut, war nur ein Witz. Pass auf, ich hätte da eine Idee.
"Ich höre."
"Du musst sie belügen."
"Belügen? Das kann ich nicht." Sagte er sofort. Das hätte ich mir denken können.
"Du stehst in einer Stadt, die aus geschlossenen Türen besteht - du kannst höchstens zur Tankstelle und etwas besorgen - ein Jahressvorrat an Bleifrei. Vielleicht 200 mal "Bild am Sonntag" oder wie wäre es mit 50 Kilo Paprikachips? Kannst dir's auswählen."
Wieder Stille. Es hat funktioniert. Ich habe ihn vor eine klare Entscheidung gestellt. Er macht das, was ich sage, oder er könnte sehen wie er alleine zurecht kommt.

"Na gut," sagte er schließlich, "ich sehe ein, ich bin erledigt. Also erzähl schon."
"Schön. Also. Du musst lügen, aber du musst überzeugend lügen, sonst kommt sie sofort auf die Idee, das du das Geschenk vergessen hast. Sie kennt dich ja - weißt du noch wo du sie eines Freitags abends unabsichtlich versetzt hast weil du ......"
"Ja, ja, ist schon gut. Erzähl weiter."
"Also. Du fährst erst mal hierher zu mir und stellst dein Auto in der Einfahrt ab. Bring mir die Autoschlüssel und dann hantier ein bisschen unter der Haube herum, damit du richtig dreckige, verschmierte Ölfinger kriegst. Dann rennst du die halbe Stunde zu deiner Anna und kreuzt da völlig außer Atem und verschwitzt auf. Du erzählst ihr, dass du kurz bei mir warst und als du zu ihr fahren wolltest, sprang das Auto nicht an. Ihr Geschenk sei im Kofferraum, es sei zu groß, um es mitzuschleppen. Du holst es morgen früh. Du musst nur etwas Zeit gewinnen."
Thomas brauchte einige Sekunde um den Plan durchzudenken. Dann sagte er:

"Ja, was ist dann morgen?"
"Morgen gibt es auf dem Planeten Erde Millionen von Geschenken, die ausgepackt worden sind. Ich habe drei Schwestern und eine Mutter - lauter schöne Frauengeschenken von ihren Männern. Da ist bestimmt was dabei. Sie würden mir ein Geschenk ausleihen oder verkaufen unter den Umständen. Da haben sie Verständnis für so was. Du kannst es dann später ersetzen. Dann kriegt die Anna ihr Geschenk halt ein Bisschen später - ist besser als gar nicht. "
"Aber das ist ja völlig verrückt."
"Ja, fällt die was besseres ein? Was meinst du was Anna sagt, wenn sie herauskriegt, dass du ihr Weihnachtsgeschenk ganz einfach vergessen hast. Was wird das für einen Eindruck machen?"
"Da hast du auch wieder recht." Sagte er.
Na, also. Bis bald."

Auch wenn ich es selber sage - die Idee war nicht schlecht. Meine Schwager schenkten meinen Schwester immer teure Parfüms, allerlei postmoderne Möbelstücke und kostenspielige Gegenstände jeder Art. Es würde auf jeden Fall etwas passendes für die Anna dabei sein.

Um fünf war der Thomas samt verschmutzten Händen bei mir. Er hatte das Auto in der Einfahrt geparkt und jetzt überreichte er mir die Schlüssel. Als Dankeschön für meinen geistigen Einsatz durfte ich den Wagen bis zum nächsten Tag benutzen. Ich hatte damals keinen eigenen Wagen. Ich war noch Student. So brauchte ich kein Taxi zu zahlen. Er ging. Ich sah ihn die Straße tatsächlich hochrennen. Er nahm die Aufgabe wohl sehr ernst. Es war wohl entweder eine Liebe auf Lebzeiten oder Todesangst was ihn anspornte. Er bog um die Ecke und verschwand. Das - dachte ich - wäre erst mal erledigt.

Ich packte die Jugendstillampe für meine Mutter ein. Ich wollte erst um halb acht fahren. Die Familie machte Bescherung immer um neun bei meiner Mutter. So konnten alle Geschwister von Köln, Hannover und Frankfurt die Anreise ohne größere Eile hinter sich bringen. Ich packte das Geschenk ein und klebte ein großes Schild darauf - "für Mutti".
Ich schaltete den Fernseher an und sah Nachrichten. Anschließend kam ein Wetterbericht der Schnee voraussagte. Ich schaltete von Programm zu Programm, fand aber nichts gescheites. Eben Heiligenabend. Als ich in die Küche ging, um einen Kaffee zu machen, klingelte das Telefon. Es war Thomas. Er sprach sehr schnell. Ich konnte ihn kaum verstehen.
"Markus, pass auf, die Anna latscht gerade zu ihrem Auto und will gleich zu meinem Auto fahren, um das Geschenk aus dem Kofferraum zu holen. Sie ist ganz davon überzeugt, das es was tolles ist und will es gleich heute abend haben. "
"Und jetzt?" Sagte ich.
"Du musst das Auto sofort wegfahren. Fahr ein bisschen früher zu deiner Mutter. Wenn sie wieder kommt, sag ich ihr, das Auto muss jemand gestohlen haben, oder dass ich in der Einfahrt war, und die Bullen haben es abgeholt - irgendwas halt."
"Wenn das nur gut geht."
"Fällt dir was besseres ein?" Sagte er.
"Nein."
"Also. Mach hin." Er legte auf.

Ich schnappte die Schlüssel und rannte mit dem Geschenk die Treppe hinunter. Ich legte die große Kiste mit der Lampe in den Kofferraum und schloss die Tür auf. Ich saß am Lenkrad. Die Anna würde gleich da sein. Plötzlich leuchtete es mir ein, dass Thomas’ großer Plan nicht klappen konnte. Der Plan basierte auf zu vielen Zufällen. Wenn die Anna hierher kommt, und stellt fest das Auto ist nicht da, wird sie ahnen, dass etwas faul ist, oder spätestens dann, wenn sie wieder nach Hause kommt, sagt dem Thomas das Auto ist gestohlen und wundert sich, dass er die Polizei nicht sofort verständigen will. Nein. Es muss so aussehen, dass jemand das Geschenk aus dem Kofferraum geklaut hat. Es muss auch wie ein echter Autodiebstahl aussehen, mit kaputtem Fenster und alles. Ich holte den Wagenheber aus dem Kofferraum und machte die Tür an der Fahrerseite auf. Ich holte aus und schlug mit dem Wagenheber auf das Glas, was dann in tausend Stücke platzte. Der gewaltige Krach zog mich schlagartig wieder in die Wirklichkeit. Bis zu dem Punkt fand ich alle unsere Handlungen an dem Abend völlig logisch und konsequent. Jetzt war mir klar, dass wir überstürzt gehandelt hatten. Es war doch alles dumm und lächerlich. Ich meine, der Thomas hätte doch erzählen können, dass er in letzter Zeit unter Stress litt. Jede anständige Frau muss so etwas verstehen. Selbst in der Arbeiterklasse muss es so etwas wie Mitleidsgefühle geben.
Und jetzt - das muss man sich vorstellen - ein neues Autofenster muss um die 200 Mark kosten. Es war zu dumm. Doch ich konnte diesen Gedankengang nicht weiter verfolgen, weil zwei Dinge auf einmal passierten. Erstens hielt ein Streifenwagen in der Einfahrt an. Zweitens bemerkte ich wie ein Wagen die Straße langsam entlang fuhr, eindeutig auf der Suche nach einem Parkplatz. Es war die Anna. Ich stand da mit dem Wagenheber in der Hand. Einer von den zwei Polizisten stieg aus. Er kam langsam mit prüfendem Blick auf mich zu. Er schaute in den Wagen, auf mich, auf den Wagenheber und dann auf die Glassplitter auf dem Boden. Wenn ich ein Verbrecher gewesen wäre, so hätte ich jetzt eigentlich weglaufen müssen. Ich blieb also stehen. Selbst dies schien den Ordnungshüter etwas Unbehagen zu bescheren. Er verzog eine Miene, die aussagte, er verstünde die Welt nicht mehr.
Er fragte einfach: "Ist das Ihr Wagen?"
"Nein, es gehört meinem Freund."
"Ihrem Freund " wiederholte er, tonlos.
Anna stieg aus ihrem Auto aus und kam näher. Noch war sie außer Hörweite. Also erklärte ich hastig:
"Ja, er hat vergessen, für seine Freundin ein Weihnachtgeschenk zu kaufen - also erzählte er ihr, dass es noch im Kofferraum seines Wagens sei und dass als er bei mir kurz war, das Auto nicht angesprungen ist, daraufhin sei er zu ihr gelaufen - sie aber wollte das Geschenk unbedingt heute haben und ist sofort hierher gefahren. Sie wissen ja wie die Frauen sind - das ist sie ja drüben - nun muss es so aussehen als ob jemand das Geschenk geklaut hat, damit sie nicht denkt, dass er das Geschenk einfach vergessen hat. Deshalb habe ich jetzt die Scheibe zertrümmert"
Der Polizist starrte mich an als hätte er einen Verrückten vor sich. Dennoch schien er sich diese Geschichte durch den Kopf gehen zu lassen.
"Ach ja - nun, wie heißt ihr Freund?"
"Thomas, Thomas Muster."
"Thomas Muster"
"Ja "
"Nicht etwa Jürgen Klinsmann oder Boris Becker?"
"Ich weiß, das hört sich blöd an, aber so heißt er nun mal."


"Ich nehme an, Sie können sich ausweisen," sagte er. Ich stellte den Wagenheber in das Auto und holte meinen Ausweis aus der Tasche - er prüfte die kleine Karte und verglich mein Gesicht mit dem Foto. Die Anna kam die Einfahrt hoch. Na ja, mindestens für sie sah sich die Situation überzeugend echt an. Sie schaute sich die Szene an und sagte:

"Was ist denn hier los?"
Ich schaute den Polizist direkt in die Augen und sprach:
"Jemand hat versucht in Thomas’ Auto einzubrechen. Er ist weggerannt als ich aus der Haustür herausgekommen bin."

Der Polizist erwiderte meinen Blick, schien aber nicht sicher, wie er jetzt vorzugehen hatte. Der zweite Polizist saß im Einsatzwagen und guckte sich dieses Schauspiel an.
Der Polizist wusste nicht, was er sagen sollte.
Anna wusste nicht, was sie sagen sollte.
Ich hatte keine Ahnung was ich sagen sollte. Es verstrichen zehn furchtbare Sekunden.

"Ich glaub, dein Geschenk ist noch im Kofferraum." Sagte ich. Genial, dachte ich, einfach genial. Sie kriegt das Geschenk, das für meine Mutter bestimmt war. Eine teure Jugendstillampe. Die Lampe würde sich unter dem "Tchibozeug" in ihrer Wohnung gut machen. Langsam machte sie den Kofferraum auf und sah die große Kiste. Der Polizist war wie festgenagelt.

"Nimm's mit, Anna. " Sagte ich mit geballter Lässigkeit. Der Polizist sah mich prüfend und die Anna noch einmal bewundernd an.
"Ja, machen Sie ruhig." Sagte er, auch mit ebenso gezwungener Lässigkeit. Sogar der Polizist im Wagen winkte seine Zustimmung. Ich sagte etwas, um etwas zu sagen.
"Wir machen das hier schon. Sag dem Thomas, er soll sich keine Sorgen machen. Das geht schon klar."
Der Polizist nickte und bewegte seine Hand in Zustimmung.
Das Mädchen hob das Paket aus dem Kofferraum. Es war fast ein Meter lang und ragte über ihren Kopf hinweg. Als sie da am Kofferraum stand mit dem langen Paket in der Hand konnte man von dort, wo ich und der Polizist standen ganz klar das Etikett mit der Schrift sehen. "Für Mutti" - in großen schwarzen Buchstaben. Jetzt passierte etwas ganz merkwürdiges. Der Polizist verzog eine ernste, diensttuende Miene und sprach mit plötzlich autoritären Stimme.
"Moment, junges Fräulein!" Er schritt auf sie zu. "Geschenkkontrolle!"
Sie sah ihm fragend an.
Der Polizist inspizierte das Paket als sie es in den Armen hielt. Er tastete diensteifrig unten, hinten, rechts, links, oben und schließlich vorne, wo er mit einem zeitlich vortrefflich abgepassten Räuspern, das Etikett abriss und in seiner Hand zu einem Bällchen knüllte, das er sofort wieder hinter seinem Rücken versteckte.
"Alles in Ordnung. Sie können gehen." Sagte er knapp.
Anna sah ihn kurz an, drehte sich und ging zu ihrem Auto, wo sie das Paket auf den Rücksitz beförderte und dann wegfuhr. Als sie außer Sichtweite war, drehte sich der Polizist zu mir. Er zuckte mit den Achseln. Ich sprach aber zuerst.
"Geschenkkontrolle?"
"Na ja, fällt dir was besseres ein?"

Ende.

 

Die Geschichte ist cool!!!!!! Ich hab so schmunzeln müssen!!!!
Du hast manchmal allerdings ein paar Zeichenfehler... über die sieht man aber gerne hinweg,wenn man die Story liest... geil!!!

Griasle
stephy

 

Ich fand die Geschichte sogut, dass ich die Zeichenfehler gar nicht bemerkt habe!
Mach weiter so!

 

Seid alle gegrüßt.

Ich frage mich ehrlich: Wieso ist diese Geschichte so wenig gewürdigt worden? Das ist die beste
O-nein-ich-habe-das-Geschenk-für-meine-Freundin-vergessen-Geschichte die ich jemals gelesen habe. Wunderbar erzählt, mit einem witzigen running gag, der sich gut als Schlußpointe macht. Kein Knaller, aber wirklich hübsch zu lesen.

Grüße
ElTriste

 

hallo andrew,
also mir hat deine geschichte auch ganz gut gefallen, zwar etwas konstruiert, aber spannend erzählt.

unpassend erscheint mir die "klassengesellschaft". sie ist weder zeitgemäß, noch leistet sie einen beitrag zu deiner story. lass sie doch einfach weg. thomas muster ist einfach ein freund - mehr nicht. aber vielleicht hast du diesen text ja viel früher geschrieben - schließlich kostet die zertrümmerte autoscheibe keine 100 euro, sondern 200 mark!

feinarbeit wäre noch angebracht an vielen stellen. hier nur einige beispiele:

- du sprichst immer von "die" anna. warum nicht einfach "anna"?

- muss man heute noch einem leser erklären, was ein HANDY ist?

Dass Thomas an dem Tag spät kommen würde, war der Anna (so hieß seine Freundin)
- ich würde die klammer weglassen. dass anna seine freundin ist, geht aus dem textzusammenhang hervor.

Auch wenn ich es selber sage - die Idee war nicht schlecht. Meine Schwager schenkten meinen Schwester
- meine(r) schwester

Ich meine, der Thomas hätte doch erzählen können, dass
- "der" weglassen

gut hat mir gefallen:

die Zeit für Ideen war schon längst vorbei. Man konnte jetzt eigentlich nur von "Notmaßnahmen" reden.

Er verzog eine Miene, die aussagte, er verstünde die Welt nicht mehr.

insgesamt könntest du die geschichte auch noch etwas straffen (z.b. die szene mit der polizei).

gruß
ernst

 

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