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Das Geschenk

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01.04.2019
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Das Geschenk

»Sie müssen verstehen, dass uns die Spezies der Pi in den allermeisten Eigenschaften ähnelt, jedoch mit einem entscheidenden Unterschied. Was als biologische Anomalie begann, entwickelte sich schnell zu einer philosophischen Problemstellung. […]«
Modul: Entwicklungsbiologie, Einleitung erweiterte Biogerontologie anhand der Pi – verantwortlich: Dr. Ruben García

Ruan saß mit seiner Tochter Tara am Küchentisch. Tara trug einen weiten Pullover und hockte im Schneidersitz auf dem Stuhl. Der Pullover schien sie komplett zu verschlingen, nur der Kopf blieb verschont.
»Sehe ich aus wie einundzwanzig?« fragte Tara.
Ruan stützte sich auf seine Unterarme und seufzte. Ihm fehlten jegliche Referenzpunkte, um eine solche Frage zu beantworten.
»Deiner Mutter siehst du ähnlich.«
»Findest du, die Haarfarbe steht mir?«
Sie fuhr sich durch ihr rosa schimmerndes Haar. Auf Ruan wirkte es künstlich, fast so wie Lametta.
»Mir hat die alte auch gefallen.«
»Du findest es hässlich!« Tara warf sich in ihrem Stuhl zurück und verschränkte ihre Arme.
„Deiner Mutter würde es…», begann Ruan. Taras Miene wurde finster. Zwischen dem rosa Lametta fixierten ihn kohlschwarze Augen. Tara redete nur sehr selten und wenn, dann ungern über ihre Mutter.
Auf dem Tisch stand eine schwarze Nylontasche, aus der Ruan einen in Plastik eingeschweißten Fertigkuchen zog
„Stück Kuchen?“
„Du probierst zuerst.“
Ruan schob sich ein großes Stück Kuchen in den Mund. Die süße Zuckerglasur kribbelte auf seiner Zunge und er verzog seinen Mund. Taras Miene wandelte sich von finster zu amüsiert. Ihre Schultern sanken herab, sie klatsche in die Hände und lachte.
„Nein. Danke. Ich verzichte.“ Sie versuchte gar nicht erst, ihre Schadenfreude zu verbergen. Ruan zwang sich das Stück hinunter. Er spürte jeden Zentimeter, den es in Richtung seines Magens zurück legte.
„Ich brauche ein Glas Wasser.“
„Wasser heute nur im Bad. Die Handwerker haben die Leitung ruiniert.“
Noch immer trocken schluckend setzte sich Ruan in Bewegung. Hinter seinem Rücken räusperte sich Tara lautstark.
„Was?“, fragte Ruan.
Tara deutete lässig mit ihrem Blick und der Nasenspitze in eine andere Richtung.
„Fürs Bad: da entlang.“
„Für wie alt hältst du mich?“
Tara hatte mittlerweile vollständig zu ihrer guten Laune zurückgefunden und kicherte unkontrolliert vor sich hin.
„Schwer, das mit Zahlen zu beschreiben.»
Ruan wollte antworten, verlor sich jedoch auf dem Weg zu einem passenden Kommentar in Gedanken. Er war alt. Und es wurde schwerer und schwerer in Zahlen zu beschreiben.
„Ich will vorher ins Wohnzimmer.“ Das letzte Wort betonte er. Taras Blick verriet ihm, dass es zwar nicht für Autorität, aber Klarheit sorgte.
„Wie du meinst. Die Handwerker waren fleißig.“
Natürlich waren sie das. Ruan hatte sich um die besten gekümmert. Dementsprechend viel hatte es ihn gekostet. Es war die Standardprozedur für das Geschenk. Trotzdem wollte er die Arbeit kontrollieren.
Taras Blicke wanderten immer wieder zu der schwarzen Nylontasche. Seit er heute die Wohnung betreten hatte, galt ihr Interesse ganz und gar diesem Objekt.
„Finger weg von der Tasche während ich drüben bin.“
Tara warf spielerisch ihre Hände in die Luft.
„Ich meine es ernst.“
„Schon gut. Aber technisch gesehen, ist es meins.“
Ihre Augen funkelten. Für Ruan war es kein Spiel.
„Ich hole Wasser aus dem Bad und mache uns einen Kaffee.“
„Gut“, sagte Ruan und ging ins Wohnzimmer.

Der schlauchartige Raum war in zwei Hälften aufgeteilt, mit zwei großen Fenstern am Raumende. Die rechte Seite war bis auf den letzten Zentimeter vollgestellt. Die linke Seite war leergeräumt und der Parkettboden noch mit Staub und Putzresten bedeckt. Das Parkett knartschte unter Ruans Schritten. Er hustete. Der feine Staub legte sich nach und nach auf die empfindlichen Stellen in seinem Rachen. Er öffnete ein Fenster und inhalierte so viel frische Luft, wie er nur konnte. Er fühlte sich besser, aber neben billigem Fertigkuchen und Feinstaub in der Luft, machte ihm noch mehr zu schaffen.
Die Arbeit der Handwerker war unübersehbar. In der Mitte der linken Wand war auf Brusthöhe ein postergroßes Stück Metall in die Wand eingelassen worden. Die Oberfläche war aus gebürstetem Metall mit einem kleinen Quadrat aus spiegelglattem Metall in der Mitte. Taras Hand musste exakt auf diese Fläche passen. Er berührte das glatte Stück Metall und zog die Hand sofort zurück. Das Metall war eiskalt. Zwei Fingerabdrücke blieben auf der Oberfläche zurück, die jedoch schnell verschwanden. Das Metall schien diese wie ein Schwamm aufzusaugen.
Das gebürstete Metall war etwas wärmer. Es fügte sich fast nahtlos in die Wand ein. Ruan spürte feine Adern, die in einem wirren Muster über das Metall verliefen. Mit dem bloßen Auge waren sie nicht zu erkennen. Zumindest nicht für Ruans müde Augen. Er verschränkte die Arme und trat ein paar Schritte zurück. Er war zufrieden. Wenn Tara das Wohnzimmer wieder vollständig eingerichtet hatte, würde der Tresor kaum auffallen. Er wäre einfach nur ein weiteres Ding, zwischen all den anderen Dingen. Die Handwerker hatten ihre Prüfung bestanden. Nun war seine Tochter an der Reihe.

Die Küche war leer. Es genügte ein schneller Blick, um festzustellen, dass die Nylontasche ebenfalls verschwunden war. Die Kaffeemaschine war ausgeschaltet.
„Tara?“
Niemand antwortete. Es war still in der Wohnung. Ruan spurtete durch den kleinen Raum. Seine Beine waren spontane Beschleunigungen nicht mehr gewohnt und beschwerten sich dementsprechend.
Hinter dem Tisch entdeckte er die leere Tasche auf dem Boden. Tara konnte nur im Bad oder im Schlafzimmer sein. Mehr Räume hatte die Wohnung nicht zu bieten. Ruan warf die Tasche in die Ecke und hetzte über den Flur zum Bad. Der Boden beschwerte sich lautstark über die Kraft seiner Tritte. Die Tür zum Bad war abgeschlossen. Er donnerte mit seinen Händen gegen das dünne Stück Holz.
„Tara! Mach sofort auf!“
Es folgte Stille, die einige Momente anhielt. Ruan ging vor der Tür auf und ab. Dabei machte er alle zwei Schritte eine Pause, um zu lauschen. Dann verlor er die Geduld.
„Mach schon auf! Du hättest es dir nicht einfach nehmen dürfen.“
„Aber es gehört mir. Was macht es für einen Unterschied?“ antwortete Tara schließlich.
„Es ist gefährlich.“
“Ich weiß.”
“Mach mir bitte auf.”
“Nein.”
Ruan ließ den Kopf hängen.
„Ich kann dich beruhigen. Ich will es gar nicht mehr.“ sagte Tara.
„Was soll das heißen?“
„Das heißt, dass du es wieder mitnehmen kannst.“
Ruans Blick senkte sich, dabei schnaufte er.
„Kommst du raus?“
„Nein.“
„Gut. Ich warte in der Küche auf dich. Aber versprich mir, dass du das Geschenk nicht anrührst.“
Ruan wartete die Antwort ab.
„Es liegt in meinem Schlafzimmer, auf dem Bett.“

Das Schlafzimmer war nicht mehr als ein großes Bett mit circa einem Meter Rand in alle Richtungen. Auf dem Bett, eingesunken in einer geblümten Bettdecke, lag das Geschenk. Die Bettdecke roch frisch gewaschen. Ruan ließ sich auf dem Bettrand nieder und griff nach dem silbrig glänzenden Gegenstand. Er war aus demselben Material gefertigt wie der Tresor im Wohnzimmer und fühlte sich ebenso kalt und industriell an. Ruan konnte die Flüssigkeit spüren, die im inneren bei jeder kleinen Bewegung hin und her schwappte. Es hatte eine beruhigende Wirkung auf ihn. Er erinnerte sich an den Tag, an dem er sein Geschenk bekam. Das war vor fast einem Jahrhundert gewesen. Seitdem hatte er es nur wenige Male aus seinem Tresor geholt. Das letzte Mal ist schon viele Jahre her. Den Zylinder zu halten machte ihn nachdenklich. Daher bemerkte er auch nicht, dass plötzlich seine Tochter vor ihm stand. Ihre Wangen glänzten und waren rot gefleckt. Ihre Haare trug sie jetzt in einem strengen Zopf.
„Ich bin bereit.“
Ob sie wirklich bereit war, konnte Ruan ihr nicht ansehen. Ob er bereit war, wusste er ebenso wenig. Er gab ihr den Zylinder. Tara versuchte zu lächeln.
„Du musst ihn so halten.“
Ruan führte ihr die Bewegung vor. Tara machte es ihm nach.
„Es vibriert.“ sagte Tara.
Auf der makellosen Oberfläche des Zylinders erschien eine Fuge und ein schmaler Teil des Zylinder schob sich hinaus. Tara packte automatisch zu. Der Teil fungierte als Griff. Auf der gegenüberliegenden Seite öffnete sich ein Loch, in dessen Mitte eine fadendünne Nadel das Licht fing. Die Spitze zog Vater und Tochter in ihren Bann.
„Ich habe Angst.“ sagte Tara.
„Ich auch.“ antwortete Ruan und holte tief Luft, „Alles Gute zum Geburtstag mein Schatz.“
Er ging einen Schritt auf seine Tochter zu. Dann tippte er sich an die Schläfe.
„Das ist der sicherste Ort.“
Taras glänzende Augen folgten seinen Bewegungen.
Und so begann Ruan seiner Tochter den Gegenstand zu erklären, mit dem sie sich eines Tages das Leben nehmen würde.

»[…] Betrachten wir nun die Herkunft des Namen Pi: Nach der Entdeckung der Pi wurden unterschiedliche Vorschläge unterbreitet. Durchgesetzt hat sich ein Name, der seinen Ursprung in der Mathematik findet. Als irrationale Zahl hat Pi im Dezimalsystem kein definiertes Ende. Einfach gesagt: Es gibt immer eine weitere Zahl. Es schien ein angemessener Name zu sein für eine Spezies, die endlos altert. Der Metabolismus der Pi verbietet einen natürlichen Tod, zumindest so, wie wir ihn definieren. Der Alterungsprozess verlangsamt sich mit zunehmender Zeit, aber stoppt niemals. Beobachtungen haben gezeigt, dass die ältesten Pi kaum mehr als eine Ansammlung von Zellen sind, jedoch mit allen Merkmalen eines lebendigen Organismus. In der Kultur der Pi gehört zu der Erlangung der eigenen Mündigkeit die Übergabe des sog. ‘Geschenks’; ein Mechanismus, der, mithilfe einer chemischen Substanz, den Alterungsprozess stoppt und den Organismus tötet. Jeder Pi bestimmt damit eigenhändig über das Ende seines Lebens.«

Dr. García pausierte an dieser Stelle seinen Vortrag. Die Stelle an seinem Finger, wo einst sein Ehering saß, juckte. Er beobachtete die Stelle wie ein Naturforscher auf der Suche nach einem seltenen Tier. Die Haut war blass und trocken. Dann richtete er sich erneut an die Studierenden.

»Mir stellt sich die Frage: Ist der Tod ein Geschenk?«
Modul: Entwicklungsbiologie, Einleitung erweiterte Biogerontologie anhand der Pi – verantwortlich: Dr. Ruben García

 

Deine Geschichte ist flüssig und vom Anfang an Spannend geschrieben und toll aufgebaut. Aber ausgerechnet die Frage, die diese Geschichte stützt, bleibt am Schluss unbeantwortet. Ist der Tod ein Geschenk, könnte auch von einem Suizid gefährdeten Menschen beantwortet werden oder von einem Menschen, der in eine ausweglose Lage gerät. Dazu braucht es kein Pi, das mir eine utopische, Science Fiction Aura vermittelt. Menschliche Eigenschaften wie Ängste und Sorgen von einem grundlegenden Thema wie z. B. Sterbehilfe würden meine Gefühle ungleich stärker ansprechen. Ich finde deine schriftstellerische Idee super und habe sie gerne gelesen. Danke.

 

Moin @tbrak,

in meinem Kopf hat sich ein Bild geformt. Schon mal gut. Deine Geschichte nimmt zum Schluss fahrt auf, doch vorher läuft es eher zäher, steifer Diaolog, keine Spannung, Protagonisten eher charakterlos, Füllmaterial. Dr. Sophie komplett überflüssig. In der Geschichte fehlt ein richtiger Konflikt (Tara - Rua (jung - alt), Rua Selbstreflexion ...)

Typischer Fehler (meine subjektive Meinung), Ausserirdische, die sich dann komplett wie Menschen verhalten. Gleicher Fehler passiert oftmals auch mit Androiden/Robotern. Wenn du einen Außerirdischen hast, der zu 99,999% den Menschen ähnelt, dann kann man das Thema auch aus der Perspektive der Menschen erzählen. In deiner Geschichte wäre dies überhaupt kein Problem und vermutlich bedeutend spannender, weil du dann schon eine Beziehung zum Leser herstellst.

Ist der Tod nun ein Geschenk? Eigentlich meintest du, ob der Tod eine Erlösung ist. Natürlich hab ich die Doppeldeutigkeit gesehen. Aber interessant wäre halt gewesen, wenn du philosophische Frage nicht nur ganz am Rande streifst.

Und am Schluss stellt sich mir die Frage, ob die Pi (über den Namen bin ich mir unschlüssig) das Konzept Glaube mit einem Leben nach dem Tod kennen. Da kannste Konflikte reinbauen bis zum geht nicht mehr.

Also, spannendes Thema hast du Dir ausgesucht und ich hab mir nun auch Zeit für eine Kritik genommen. Bleib dran!

Beste Grüße
Kroko

 

Hey @Billi und @Kroko!

Danke erst mal, dass ihr euch die Zeit genommen habt meine Geschichte zu lesen!

Ich lese aus beiden Beiträgen heraus, dass Emotionalität und eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema gefehlt hat.

Mir gehts damit sehr ähnlich. Für etwas Kontext: Die Geschichte habe ich ihrer Zeit für einen Wettbewerb zum Thema Pi geschrieben, mittlerweile frage ich mich jedoch auch (wie Billi), ob es diesen Rahmen überhaupt in der Form braucht. Grundsätzlich denke ich schon, dass sich in dem Konzept ein interessanter Kern versteckt. Momentan bewegt sich die Geschichte imho auf einer sehr "konzeptionellen" Ebene - damit stimme ich dir @Kroko zu, dass die Protagonisten stärker ausgearbeitet werden können und auch ein deutlicherer Konflikt eingeführt werden sollte. Ich weiß, dass ich auf jeden Fall meine Schwierigkeiten damit hatte (ganz offensichtlich) in der Seitenvorgabe des Wettbewerbs das Konzept ausreichend zu erklären und parallel Charaktere zu entwickeln.

@Kroko, dein Punkt mit der Ähnlichkeit zwischen Ausserirdischen und Menschen ist interessant! Ich verstehe auf jeden Fall die Problematik, bin mir aber in meinem Fall unsicher, weil der Clou der Idee schon so ein bisschen die absolute Gleichartigkeit bis auf den einen Fakt ist. Aber vielleicht wäre es dann interessanter eine direkte Beziehung zwischen Pi und Mensch zu betrachten, zB. ein Paar oder sowas...

Ich werde da auf jeden Fall weiter drüber nachdenken!

Noch mal Danke(!) für die Impulse @Billi @Kroko

 

Hallo @tbrak,
ich schließe mich den vorherigen Kommentaren da weitestgehend an. Es kam etwas schwer in die Gänge. Die ganzen Schilderungen der Bauarbeiten waren (mir persönlich) etwas zu viel. Das hätte man kürzen können. Ansonsten find ich das Kernelement der Geschichte spannend. Dieser kleine Hang zum Philosophischen. Am Schreibstil gibt es absolut gar nichts zu meckern. Lässt sich gut lesen.
Hier sonst nur ein paar Kleinigkeiten, die mir aufgefallen sind.
Schönen Abend. Gruß

Die süße Zuckerglasur brannte auf seiner Zunge und sein Mund kräuselte sich wie ein dünnes Stück Plastik über einem Feuerzeug.
Das fand ich genial:)
Das letzte Worte
Das E am Ende zu viel
Er fühlte sich besser, aber neben billigem Fertigkuchen und Feinstaub in der Luft, machte ihm noch mehr zu schaffen.
Den ganzen Satz finde ich unstimmig. Es sei denn man schreibt: machte er/es ihm noch mehr zu schaffen, was aber trotzdem nicht schön zu lesen bleibt.
Mit dem bloßen Augen
Mit dem bloßen Auge
Dem läuten
Läuten groß

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @tbrak,

das Thema ist alt, bleibt aber natürlich aktuell, solange es Menschen gibt und es ist sicher reizvoll, da so den eigenen Blick drauf zu versuchen. Über die unerträgliche Schwere des nicht enden wollenden Seins philosophierende Vampire gibt es genug, also mal durch die SF-Brille gucken, ewig lebende Außerirdische, die aber die Wahl haben, ihre Existenz irgendwann zu beenden.

Das mit den vermenschlichten E.T.s empfinde ich als aufgefangen dadurch, dass extra erwähnt wird, wie ähnlich uns diese Art ist. Allerdings bleibt alles sehr im Vagen ist für mich keine hundertprozentige Science Fiction, weil man keine SF-Elemente brauch, um die Geschichte zu erzählen - der Grund für das ewige Leben könnte alles sein, man könnte als Erzähler auch einfach sagen, ist halt so, ein geringer Prozentsatz der Menschheit ist unsterblich.

Die eigentlich spannende und sehr alte Frage hat ja nichts mit unendlichen Weiten zu tun. Außer denen in uns vielleicht. Keiner will sterben, aber ewiges Leben zu Ende gedacht, ist das wirklich so geil? In einigen Geschichten - alle möglichen Genres, natürlich immer phantastisch - geht es dann meist darum, dass du langfristig alles und jeden verlierst, weil nichts außer dir bleibt. Oder darum, dass der Antrieb, etwas aus seinem Leben zu machen, daraus gewonnen wird, dass deine Zeit eben begrenzt ist.

Ob der Tod ein Geschenk ist, fragt deine Dozentin zum Schluss. Ich finde das sehr on the nose und ich finde auch die Art, wie diese Geschichte mit einer guten Grundidee an eine immer bleibende Frage herangeht, nicht so gelungen. (Jetzt mal außen vor gelassen, dass ich es völlig falsch verstanden haben könnte, aber dieser letzte Satz aus der Vorlesung ist ja schon sehr eindeutig.) Dreimal habe ich's gelesen und ich kann einfach keine Stelle finden, die diese Fragen angeht. Konkret: Hat der Sonnenaufgang über den Alpen für mich einen Wert, wenn ich mir den bei Interesse noch ein paar hunderttausend Jahre lang angucken kann?

Du erzählst im Grunde von einem Geburtstag und Handwerkerarbeiten, schließt den Teil mit einem Schocksatz ab ("mit dem sie sich irgendwann das Leben nehmen würde") und dann brauchst du diese Vorlesungsklammer, damit man rafft, worum es geht. Okay, Ruan hat den Zylinder ein paar Mal hervorgeholt. Das ist ja eine Andeutung. Die Frage ist: Warum?

Mein erster Vorschlag wäre, die Infos aus dem kursiv Geschriebenen in die Geschichte einfließen zu lassen, keine Vorlesung. Der zweite wäre, darauf einzugehen, warum diese Aliens da irgendwann mal auf den Gedanken gekommen sind, sich ein "Geschenk" zu machen, um herbeizuführen, was wir alle fürchten. Noch besser: Vor diesem Hintergrund eine Geschichte spielen lassen, in der es auf den ersten Blick um etwas völlig anderes geht.

Da sehe ich echt Potenzial, dass die Geschichte für mich in dieser Form nicht ausschöpft. Wenn ich die Kommentare jetzt lese, fällt mir auf, dass ich nur etwas ausgewalzt habe, was schon gesagt wurde. Vielleicht ist ja trotzdem was dabei, womit du was anfangen kannst. Und wenn nicht, habe ich zumindest noch etwas Kleinkram:


Vorlesung Dr. Sophi
Ich würde den Vorlesungstitel nennen und ihren Namen ausschreiben. Vielleicht noch die Fakultät. Wie ein Eintrag im Vorlesungsverzeichnis halt. So erinnert mich das ein bisschen an das "Department of Meteors" in Creepshow.

Ruan saß mit seiner Tochter Tara an einem kleinen Tisch in ihrer Küche
am Küchentisch

Hoodie und hockte im Schneidersitz auf dem Stuhl. Der Hoodie schien sie komplett zu verschlingen, nur der Kopf blieb verschon
Hoodie klingt wie eine Artikelbeschreibung bei Zalando, passt nicht recht in die Geschichte.

lehnte sich auf seine Unterarme
stütze

Findest du die Haarfarbe steht mir
du,

Sie fuhr sich mit ihren Händen durch ihr rosa
Klassiker: womit sonst?

Mir hat die alte Haarfarbe auch gefallen
Haarfarbe raus

dann sehr ungern über ihre Mu
sehr raus wg. Wdh.

Ruan wechselte das Thema.
Das brauchst du nicht zu erklären, das sehe ich ja jetzt gleich.

brannte auf seiner Zunge
Brannte? Was ist denn das für ein Zucker?

und sein Mund kräuselte sich wie ein dünnes Stück Plastik über einem Feuerzeug.
Würde ich komplett weglassen. Das Verhalten eines dünnen Stücks Plastik über der Flamme eines Feuerzeugs ist nicht eben eine Alltagserfahrung, deshalb stockt man und überlegt, was mit dem Vergleich gemeint ist.

sie klatsche ihre Hände vor ihrer Brust zusammen und lachte.
klatschte in die Hände und lachte

Sie versuchte gar nicht erst ihre Schadenfreude zu verbergen
erst,

das Stück hinunter. Er spürte jeden Zentimeter, den das Stück in Richtung

Was?“ fragte
Was?“, fragte

Schwer das mit Zahlen zu beschreiben.
Schwer, das mit Zahlen zu beschreiben.

Das letzte Worte betonte er besonders.
besonders raus

hatte, galt Taras Interess
ihr, Tara im Satz davor

Finger weg von der Tasche während ich drüben bin
Finger weg von der Tasche, während ich drüben bin

Gut.“ sagte R
Punkt raus, hast du ein paar mal drin. "Gut", sagte

Die rechte Seite war bis auf den letzten Zentimeter vollgestellt mit dem Inventar.
Die rechte Seite war vollgestellt (mit Inventar).

Er öffnete ein Fenster und inhalierte so viel frische Luft er nur konnte.
Er öffnete ein Fenster und inhalierte so viel frische Luft, wie er nur konnte.
Ruan ließ sich auf dem Bettrand nieder und schnappte sich den silbrig glänzenden Gegenstand.
griff nach dem

Das war vor fast einem Jahrhundert.
gewesen / Vorvergangenheit

erschien ein Fuge
eine

Seite öffnete sich ein kreisrundes Loch,
Loch ist per Definition rund oder sagen wir, jeder denkt bei "Loch" sofort an rund. Wenn es quadratisch wäre, wäre das eine Erwähnung wert.

Es schien ein angemessener Name zu sein, für eine Spezies, die endlos altert. Der Metabolismus der Pi verbietet einen natürlichen Tod, zumindest so wie wir ihn definieren
Es schien ein angemessener Name zu sein für eine Spezies, die endlos altert. Der Metabolismus der Pi verbietet einen natürlichen Tod, zumindest so, wie wir ihn definieren

der mithilfe einer chemischen Substanz, den Alterungsprozess stoppt und den Organismus tötet.
der,

Für uns ergeben sich aus dieser Kultur einige interessante Fragen
Überflüssig. / Gut, in einer Vorlesung kann man sich schon vorstellen, dass sie das sagt. Umso mehr bin ich dafür, diese wegzulassen.

Die Stelle an seinem Finger, wo einst sein Ehering saß, juckte
Du hast nicht zufällig auch Stephen Kings On Writing gelesen? :)

Viele Grüße
JC

 

Hey @Pepe86 und @Proof

Vielen Dank für euer ausführliches Feedback!! :) Ich weiß wirklich sehr zu schätzen, dass ihr euch die Mühe gemacht habt. Die textlichen Hinweise werde ich auf jeden Fall ausbessern und hier editieren.

Ja... inhaltlich bleibts weiter schwierig. Deine Ausführung @Proof hilft da auf jeden Fall noch mal. Mir wieder immer klarer, dass ich eine interessante Idee und ein Konzept habe, aber eine entsprechend ausgearbeitete "Geschichte" fehlt. Die Handlung ist im Wesentlichen vorhanden, um das Konzept zu erklären. Und ich glaube, dass ich einen Hang dazu habe. Wenn ich meine anderen Geschichten betrachte, fällt mir auf, dass ich meistens interessante Konzept-Ideen habe, dazu aber oft das narrative Fleisch fehlt - in Form von mehrdimensionalen Charakteren, klaren Konflikten und auch inhaltlicher Positionierung.

Sehr cool, dass ihr euch alle die Zeit nehmt. Es hilft mir auf jeden Fall weiter!

@Proof Ich glaube von On Writing habe ich nur mal die Leseprobe gelesen. Ansonsten sind mir glaube ich einige Inhalte daraus als Zitate hier und da mal begegnet. Ich nehme an, es gibt einen Bezug zu dem Textabschnitt? :D

 

Ich nehme an, es gibt einen Bezug zu dem Textabschnitt?
Da geht es um Möglichkeiten, Infos über Figuren unterzubringen, ohne dass der Leser es merkt. Ein Typ sitzt im Restaurant mit einer Frau und dann kommt eine andere Frau rein und er sagt: „Hallo, Ex-Frau!“ Zweiter Versuch: Er sagt: „Oh, hey Karen (oder wie auch immer)“, und sein Daumen kratzt unwillkürlich die Stelle, an der bis vor sieben Monaten sein Ehering saß.

 

Habe die textlichen Anmerkungen eingearbeitet. Für die inhaltliche Überarbeitung (bzw. kompletten Rewrite imho) werde ich mir etwas mehr Zeit nehmen.

Danke noch mal an alle Hinweise bisher!

@Proof Das Beispiel ist gut! :D

Würdest du mir das Buch empfehlen?

 

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