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Das Geschwür bin ich

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02.02.2006
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Das Geschwür bin ich

Krebs!
Die Diagnose war eindeutig, unveränderlich, niederschmetternd. Schon seit Wochen, vielleicht auch Monaten, wucherten Metastasen in meinem Schädel, stetig wachsende Geschwülste, die das Gehirn zerfraßen; und niemand hatte es gemerkt, bis vor kurzem nicht einmal ich selbst.
Wäre nicht dieser Kopfschmerz, dieser dauernde, migräneartige Kopfschmerz, welcher sich selbst den Tabletten erfolgreich widersetzte, und die allmorgendliche Übelkeit, das Erbrechen nach dem Aufstehen, ich wüsste bis heute nicht, was mit mir, in mir, in meinem Kopf geschah.

Als ich mich auf den Weg zum Arzt machte, meinen Zustand untersuchen zu lassen, mich frohen Mutes und guter Gedanken von meiner Sibylle, meiner geliebten Sibylle, verabschiedete, hätte ich mir niemals träumen lassen, mit einem Tumor heimzukehren, dessen Ausmaße die Möglichkeiten einer Heilung längst überschritten hatten.
Die Risiken für das Eintreten "letaler neurologischer Schäden" nach einem operativen Eingriff seien zu hoch, sagte der Arzt. Dieser Quacksalber, dieser verdammte selbsternannte "Halbgott in Weiß", so trocken, so desinteressiert und ohne einen Hauch von Anteilnahme offenbarte er mir meinen Tod, gestand mir sogar, dass es bereits zu diesem Zeitpunkt eine "medizinische Unmöglichkeit" wäre, überhaupt noch mit dem Leben verankert zu sein. Nun, ich lebte; jedenfalls noch.
Doch wie sollte ich jene Hiobsbotschaft nur meiner Sibylle übermitteln, meiner kleinen, zerbrechlichen Sibylle, ohne ihr armes Herz zu erschweren, ohne sie in die tiefsten Untiefen der Trauer zu stürzen? Ich wusste es nicht, konnte es nicht wissen. Woher auch? Niemand hatte mich vorbereitet, niemand hatte etwas geahnt. Und nun war es da, dieses unsägliche Schreckgespenst, dieses verfluchte Wesen einer Krankheit:
Krebs!

Ich fuhr nicht mit der U-Bahn nach Hause, wie ich es für gewöhnlich getan hätte, sondern zog es vor, einen Fußmarsch zurückzulegen. Ich wollte in diesem Moment nicht unter dicht gedrängten Menschen verweilen, wollte alleine sein, um meine Gedanken zu ordnen, meinen Geist zu klären, mich darauf konzentrieren, mit der neuen Situation konform zu werden.
Was würde ich Sibylle sagen? Wie würde ich es ihr sagen? Würde ich überhaupt etwas sagen? Meine Synapsen schossen sich auf diese zentralen Fragen ein, umkreisten sie immerwährend, ohne Unterlass, gnadenlos, ohne Rücksicht darauf, dass es mich mehr und mehr schmerzte, jene Gedanken fortzuführen. Ich war verkrampft, unsagbar verkrampft.
Allmählich verlangsamte ich meine Schritte, drosselte das Tempo, bis ich schließlich ganz zum Stillstand kam. Eine einzelne silbrige Träne kullerte meine Wange entlang, rann über das Kinn, tropfte herab und gefror noch bevor sie den Boden berührte. Wie in Trance nahm ich dieses Schauspiel wahr, ein zeitlupenhaftes Spektakel, als wäre es die erste Träne, die ich weinte, das erste salzige Wasser, das ich vergoss.
Ich richtete mich auf, sog die frostige Winterluft durch die Nase, lange, intensiv, bis sich ihre Kälte meines erhitzten Gemütes bemächtigte. Erst dann blickte ich mich um, gewahr erst jetzt, wie verlassen die verschneite Straße war, wie schneidend der fahle Wind auf meiner Haut, von welcher Anmut die blätterlosen Bäume am Wegesrand, deren karge Kahlheit unzählige Eiszapfen verzierten.
Kein Laut war zu vernehmen, alles versunken, alles eingehüllt in eine unheimliche Stille, die kaum besser die weiße Landschaft reflektieren hätte können. Nur das schwere Keuchen meines steten Atems, wie im Spiel mit der Kälte Kondenswölkchen in die Luft malend, zaubernd, durchbrach die Wand aus Schweigen, als ich unter dem leisen Knirschen des frischen Schnees meinen Weg fortsetzte, inzwischen von sanftem Graupel benetzt, meine Jacke fester zugezurrt...

Bereits beim Öffnen der Haustüre schlug mir ein herber, süßlicher Gestank entgegen, dessen Vertrautheit mich beruhigte, mich mit einem kurzen Gefühl von Stärke beseelte, mir einen Moment lang die Angst nahm; ich war daheim.
Doch dieses emotionale Fünkchen glücklicher Gedanken währte nicht lange und als ich den Mantel von den Schultern streifte, wurden sie sofort mit einer neuen Last beladen, einer Last, die man nicht sehen, nur spüren konnte.
Ich fand Sibylle so vor, wie ich sie zurückgelassen hatte; sie lag ausgestreckt auf der Couch im Wohnzimmer, leicht bekleidet, nur in ein durchsichtiges Dessou gehüllt, und ihr blondes Haar wallte sanft über das beige Ledersofa. Im Hintergrund flimmerte der Fernseher, bunte Bildchen huschten hektisch hin und her, quietschende Farben und Töne gingen eine kakophonische Symbiose ein. Die Szenerie schien gespenstisch.
Ich setzte mich neben Sybille, küsste sie zärtlich auf die Schläfe, streifte den herabgerutschten Träger ihres BHs an seinen Platz zurück. Was würde ich ihr jetzt sagen?
Mein Mund fühlte sich urplötzlich trocken an, klebrig, kalter Schweiß perlte mir von der Stirn, rann aus jeder Körperfalte, Hitzewallungen stiegen unerbittlich in mir auf, alles verschwamm vor meinen Augen, die Realität wurde zum Zerrbild ihrer selbst.
Ich stützte mich auf der Armlehne ab, als ich mich erhob, fröstelnd, zitternd am ganzen Leib, kaum fähig alleine zu stehen, und wankend ins Badezimmer torkelte. Kaltes Wasser strömte über mein Gesicht, meine Haare, durchnässte meine Kleidung, floss auf den Fußboden, wo es sich zu einer einzelnen Pfütze sammelte. Langsam beruhigte ich mich wieder. Doch ein Blick in den Spiegel genügte, um mich daran zu erinnern, was ich in mir trug; meine Wangen waren so tief eingesunken, dass die Knochen spitz hervorragten, dunkle Ringe zeichneten sich unter meinen Augen ab und ihr Weiß war trübe, so unendlich trübe...
Als ich zurückkam, lag Sibylle noch immer an ihrem Platz, räkelte sich stumm, räkelte sich, doch bewegungslos, nur in meiner Erinnerung. Ich verscheuchte die Fliegen, die um sie herumschwirrten.
"Na, meine Kleine," setzte ich an, spürte abermals einen dicken Kloß im Hals: "Was hast du denn Feines gemacht, während ich fort war?"
Sie starrte mich an, der Blick stumpf, den Mund halb geöffnet, starrte, wie wenn sie mich nicht sähe, keinen Laut von ihren Lippen gebend. Eine dicke Made quoll aus ihrer hübschen Nase, wand sich possierlich im Todeskampf, als ich sie zärtlich zwischen meine Finger nahm und langsam das Leben aus ihr quetschte. Ich verteilte den zähflüssigen Matsch in meinem Gesicht, sorgfältig, keine Stelle vernachlässigend, alles gleichmäßig einschmierend, jede Pore abdichtend. Eine wohlige Erregung durchflutete mich und ich gab mich der Wonne hin, die sie verursachte, genoss diese ganz spezielle Kur für meine spröde Haut, genoss die willkommene Ablenkung vor dem schweren Unterfangen, das noch vor mir lag.
Dann beschaute ich mir das Spektakel, welches sich in Sibylles Schädel abspielte. Durch die leeren Höhlen konnte ich unzählige kleine Käfer ausmachen, ein wuselnder schwarzer Pulk aus Chitin, der sich an ihrem Gehirn gütlich tat, es Stück für Stück abtrug, um es schließlich zu verzehren.
Mein Mund fand Sibylles Lider, liebkoste sie, fuhr mit der Zungenspitze langsam, so endlos langsam über den Rand der kleinen, fleischig-weichen Löcher, die einst Einbettungen ihrer Augäpfel waren. Beinahe schmeckte ich Reste alten Ejakulats, beinahe hörte ich ihre schmerzverzerrten Schreie, als mein Glied sich langsam in ihren Schädel bohrte, sich weiter, immer weiter in ihr hübsches Köpfchen drückte, die zarten Äugelein zum Bersten brachte. Beinahe fühlte ich, wie ihr Tränenwasser meine Eichel benetzte, wie ich in ihr auf sachten Widerstand stieß, ein Widerstand, so nachgiebig, ein Gewebe, so einmalig im menschlichen Körper, so unabdingbar und doch so anfällig, so... Ich unterbrach meinen Gedankengang. In meinem Kopf schien es zu pulsieren, gegen den Schädelknochen zu hämmern, mich von dort heraus zerreißen zu wollen; der Tumor meldete sich wieder zu Wort.
Ich musste es ihr sagen, es ging kein Weg daran vorbei. Doch ich konnte nicht, so sehr ich wollte, konnte nicht, nicht in diesem Zustand. Woher bekäme ich nur den nötigen Mut, den nötigen Mumm in den Knochen? Mir blieb als Ausweg einzig der Alkohol...
Sachte pflückte ich einige Dungfliegen von ihrem wesenden Körper, prall und vollgesaugt, gefangen im geronnen Blut, festhaftend, Opfer ihrer Gier. Sie ließen sich von mir ernten wie reifes Obst und manch eine zerplatzte unter dem eigenen Gewicht, als ich sie unter einem kurz saugenden Geräusch von ihrer letzten Ruhestätte zog. Ich leckte mir die Finger, erfreute mich an der roten Flüssigkeit auf ihnen, ungeachtet dessen, dass der eine oder andere grünlich schimmernde Flügel zwischen meinen Zähnen stecken blieb. Ich fühlte mich wie ein Kind, das Brombeeren vom Strauch in Nachbares Garten stahl; so frei, so übermütig.
Ich platzierte meine Ernte in einer kleinen Schale auf dem Tisch, griff nach dem rostigen, schmutzigen Skalpell, welches daneben lag, und wendete mich wieder meiner Sibylle zu; etwas noch fehlte mir für meinen Cocktail.
Ihr Rumpf war ab dem Bauchnabel nach oben hin aufgebrochen, der Brustkorb und das Rückgrat entfernt, das übrige Fleisch einem schlaffen Behältnis gleich, in dem alle Innereien haltlos umherwaberten. Ich beugte mich über sie, nahm eine gute Brise des köstlichen Leichenduftes, faulig und herb, doch auf gewisse Weise mit einem nahezu süßlichen Bouquet veredelt, schob das nässende Fleisch der tiefen Furche nach entzwei und griff mit der blanken Hand in einen Hort aus Maden und Käfern, durchwühlte ihren Tummelplatz, grub die Därme von oben nach unten um, durchpflügte knackende Sehnen, splitterte Reste von Rippen und Wirbelsäule, alles unter matschigen Lauten, ähnlich dem Tritt in einen saftigen, frischen Hundehaufen, bis ich fand, was mein Begehren stillte; ihre Nieren!
Ich füllte die entfallenen Stücke, halb verrottet, angenagt, aber für meine Zwecke doch noch zu gebrauchen, wieder zurück in ihre Lagerstätte, versiegelte diese notdürftig mit etwas Paketklebeband - oh, wenn sie nur hätte sehen können, wie gut es ihr stand! - , ergriff meine Zutaten, meine wunderbaren, meine wundervollen Ingredienzien, und schlenderte in die Küche.
Eine halbe Flasche Wodka und der Pürierstab erfüllten mir die finale Anweisung des Rezepts und bescherten mir eine vitaminreiche und schmackhafte Mischung von dunkelrotem bis nahezu violettem Aussehen, leicht körnig, welche ich sabbernd und unter gierigem Lechzen ausschlürfte, Schluck um Schluck, Tropfen um Tropfen. Die verschiedenen Geschmäcker, eben erst vermischt, separierten sich in meinem Mund, explodierten zu einer solchen Vielfalt, dass ich den folgenden Taumel kaum ergreifen konnte. Über allem stand ein fruchtiges Aroma von Urin und dem Sud faulen Fleisches, das meinen Gaumen umspielte, sich auf meiner Zunge festsetzte und in mir die tiefe Lust nach mehr verursachte.
Mein Hauptziel hatte ich jedoch leider nicht erreicht. Als ich zurück zu meiner Sibylle, meiner kleinen Sibylle, schritt, war ich angetrunken, aber nicht enstpannt, nicht bestärkt genug in meinem Vorhaben, ihr diese endgültige Wahrheit zu offenbaren; der Alkohol hatte mir etwas vorgegaukelt, hatte mich glauben lassen, ich wäre nun weit genug, mich überwinden zu können, doch meine Angst in Wirklichkeit nur noch verschlimmert. Ich schämte mich für meine Feigheit, schämte mich für meine Schwäche, schämte mich dafür, dass ich nicht fähig war, mich vor ihr zu öffnen....., wie sie sich mir geöffnet hatte, so ganz ohne Scham mich tief in ihr Inneres blicken ließ.
"Tut mir leid, Schatz, ich muss leider noch einmal weg.", kam es über meine Lippen und ehe ich wusste, was ich tat, hatte ich mich wieder in meinen Mantel gehüllt, bereit das Haus zu verlassen, die Haare nur notdürftig zur Seite gekämmt, das Gesicht weniger gründlich abgewischt, als es Not tat, den faulen Odem nur spärlich aus dem Mund gegurgelt.
Ich würde mich betrinken, würde mich abfüllen, bis ich alles vergaß, bis alles irrelevant würde...

Schon von Weitem war es mir unmöglich, die Geräuschkulisse, das Schreien, das gequälte Schreien, den intonierten Zorn, den Zerstörungsdrang, die Gewalt, den Blutesrunst, welcher die abendliche Luft schwängerte, zu überhören, stetig ansteigend, einem Crescendo gleich, je näher ich meinem Ziel kam.
Das randalierende Pack, diese Kreaturen ohne Anstand, alles zerschlagend, alles zertrümmernd, breitete sich wie die Pest - wie Krebs! - über das Viertel, das eigentlich so hilflose, so unschuldige Viertel aus, wenn die Sonne sank; glücklicherweise gab es für diese Zysten am Arsch der Gesellschaft eine sehr effiziente Heilungsmöglichkeit: den grün-weißen Einsatzwagen, der sie alle verschlang, all diesen Abschaum, diesen wertlosen menschlichen Dreck aus dem Verkehr zog und den kleinen Whiskeyschuppen für mich reinigte. Wenn doch nur alles so einfach aus der Welt zu schaffen wäre...
Ich öffnete die ärmlich Pforte, eine einstmals robuste Eichenholztür, gute alte Wertarbeit am Ende ihrer Tage, angenagt von Zerfall und Vergänglichkeit, vom Wurmstich befallen - Krebs! - , und beschaute, was das heillose Spektakel in der Kneipe angerichtet hatte. Müll und Scherben lagen am Boden verstreut, der von klebrigen Getränkelachen überzogen war - kleine Pfützchen von Bier wohin man schaute - , die moderne Musikanlage war zertrümmert, weshalb ein alter Plattenspieler Ersatz leisten musste, und das Mobiliar sah ebenfalls recht mitgenommen und verschrammt aus. Sofort fühlte ich mich an den versifften Hafenteil der Stadt und seine Zechen erinnert; allesamt Rattenlöcher, bevölkert von gescheiterten Existenzen, Alkoholikern und Drogenabhängigen - Langsam füllte sich auch diese Spelunke wieder mit der täglichen Stammkundschaft, die ebenfalls schon bessere Zeiten erlebt haben dürfte; damals, als die Welt noch gesund war...
Ich besorgte mir eine Pulle mit Hochprozentigem aus dem reichhaltigen Kontingent und verzog mich in eine relativ unbeschadete Ecke, um mich meiner Melancholie hinzugeben.
So saß ich dort wohl eine ganze Weile, krampfhaft an meine "Jack Daniel's"-Flasche geklammert, kettenrauchend, umhüllt von nebelartigen Rauchschwaden, Gestank von durchnässtem, aufgedunsenem Holz, vergorener Gerste und kaltem Schweiß in der Nase, und sinnierte über die alten Tage, als ich noch jung war und mit ungebrochenem Willen den harten Prüfungen des Lebens trotzte.
Das Knarren morscher Türangeln ließ mich kurz aus meinen Gedanken aufschrecken und aus meinem dunklen Winkel nahm ich einen schmalen Lichtspalt wahr, der seltsam gespenstisch in die Kaschemme brach. Den trüben Schein der nächtlichen Laterne im Rücken, betrat eine schemenhafte Gestalt den Raum. Ich stieß ein desinteressiertes Grunzen aus der Nase und widmete mich wieder meinem Whiskey. Die verdammte Flasche war fast leer!
Ich weiß nicht, welche Zeitspanne von diesem Moment an verging, doch dauerte es nicht lange, so schien mir, bis ich abermals aus meiner Umnachtung gerissen wurde. Der billige, alte Plattenspieler, ein Grammophon, das meinem Urgroßvater hätte gehören können, spuckte die ersten leisen Töne eines Liedes aus, das ich trotz meines Zustandes nur zu gut erkannte.
"Kraft durch Krebs! Krebs macht frei!", hallte es in meinen Gehörgängen wider; es war der blanke Hohn! Ich griff meine Flasche und schleuderte sie laut fluchend gegen das hämisch dudelnde Gerät. Ein Bersten von Glas und Holz, dann Stille. Befriedigung machte sich in mir breit. Ich blickte kurz auf, um mein Werk zu betrachten, von dem die anderen Gäste nicht einmal Notiz genommen hatten; zu tief schwelgten sie in ihrer Ebrietas.
Lediglich der Flaschenhals baumelte unversehrt an der Abtastnadel und bot damit ein Bild, welches mir zu diesem Zeitpunkt nahezu ästhetisch anmutend erschien.
Schwere Schritte in meine Richtung waren plötzlich auf den Dielen zu vernehmen, jeder einzelne ein donnerndes Dröhnen in meiner benebelten Stirn, ein Widerhall wie von Kampfstiefeln, und als ich mich schließlich wieder umwandte, stand eine große, hagere Gestalt vor mir, bleich und in eine schwarze Ledermontur gehüllt, irgendwie unecht, silhouettenhaft. Ein obskurer Typ.
"Bei dir alles in Ordnung?", fragte er mich.
'So viel Anteilnahme. Schade, dass sie mir nichts nutzt!', grummelte ich zynisch in mich hinein, entschied mich dann aber für ein kurz gerauntes: "Nichts ist in Ordnung! Verschwinde!"
Statt dessen verzog der Kerl das Gesicht und setzte sich zu mir an den Tisch.
'Auch gut,' dachte ich mir, jetzt spürbar vom Alkohol angeschlagen: 'Wenn er es nicht anders will, dann soll er sie eben haben, die Geschichte meines Leidens.'.
"Mir geht es derzeit nicht ganz so gut," ergriff ich das Wort, den gesamten Satzkomplex sarkastisch überbetonend, und spuckte dabei abfällig in eine Ecke: "Ich habe Krebs."
Mein Gegenüber nickte nur mitleidig, mit Ansätzen unterschwelliger Belustigung, die ich mir aber in meinem Rausch, meinem Delirium, auch eingebildet haben konnte, und war im Begriff sich wieder zu erheben.
"Was bildest du dir eigentlich ein?!", fuhr ich ihn plötzlich an, sichtlich erbost, sichtlich betrunken: "Du kommst zu mir rüber, ungebeten, ohne dass wir uns kennen, fragst Dinge, die dich nichts angehen, und willst mich jetzt einfach so hier sitzen lassen?!". Ich schlug mit der geballten Faust auf den Tisch um meiner Wut Nachdruck zu verleihen und kleine spreißelartige Splitter gruben sich dabei in mein Fleisch.
Diesmal konnte man ein wirkliches Lächeln ausmachen, das seine Züge umspielte, ein Lächeln von solchem Mitleid, dass es mich erschauderte, dann erzürnte, galt es doch nicht meiner Krankheit, sondern mir selbst. Als er es merkte, bleckte er die Zähne, herausfordernd, provokant, wie ein Raubtier, das sich Respekt verschaffen wollte, im gleichen Moment ähnlich einer Hyäne gegenüber dem tödlich Verwundeten, dem Haufen potentiellen Aases, und dabei doch so ironisch, als wüsste sie, dass in absehbarer Zeit nichts von ihm zu holen wäre.
"Willst du dich über mich lustig machen, Kerl?! Über mein verdammtes ... Martyrium?!", schrie ich ihn an, die Stimme kratzig, rauchig, sich überschlagend, von infantiler Vehemenz, ihn auf Reaktion hin musternd; nun verzog er keine Miene. Er widersprach mir aber auch nicht, nein, statt dessen antwortete er gelassen: "Es gibt schlimmeres. Du wirst nicht sterben."
Meinte er das ernst?
Ich lachte aus vollem Halse, bitter, höhnisch, lachte, weil ich am Boden angelangt war, lachte, weil dort für mich keine Hoffnung mehr bestand, lachte, weil er mir auf naive Weise optimistisch schien.
Als ich mich beruhigt hatte, war er verschwunden.

Ich gab mich wieder ganz meinem Selbstmitleid hin, ließ meine Existenz Revue passieren, dachte an meine Sibylle und all die Frauen, die ich vor ihr liebte. Doch nur eine war mir wirklich in Erinnerung geblieben, nur eine hatte einen Platz in meinem Gedächtnis ergattern können.
Ihr Name war Petra und sie war die erste; sie nahm mir meine Unschuld und führte mich zu neuen Sphären - Sphären so unbegreiflich für den normalen Menschenverstand, für den durchschnittlichen Kleingeist, dass es mich lachen machte.
Ich traf sie damals auf dem Straßenstrich, als sie sich unter fahlem Laternenschein in Lack und Leder den Passanten feil bot. Bis heute ist mir unbegreiflich, wie sie sich damit über Wasser halten konnte. Sie als fett zu bezeichnen, wäre ein Euphemismus, für den es keine Worte gibt, die ihm auch nur im entferntesten gerecht werden könnten. Petra war ein lebender Fleischberg, ein amorpher Haufen überschüssiger Kalorien, ein wandelndes Fettreservoire, das von sich selbst länger hätte zehren können, als dass ihre Cholesterinwerte sie am Leben gelassen hätten. Und das war es, was mir so gut an ihr gefiel!
Als ich sie ansprach, wusste ich nicht, welche Seite ihres massiven Körpers sie mir gegenwärtig zuwandte. Erst als sie sich ein Stückchen herumdrehte, unendlich langsam, bebende Speckschürzen in Bewegung setzend und doch bedacht darauf, ihr Wabern einzudämmen, um nicht von der Wucht des eigenen Gewichtes zu Boden gerissen zu werden, und mir aus dem Loch in dem Ding, das eigentlich ihr Gesicht darstellen sollte, so die überdehnte Haut es noch in Form hätte halten können, ein paar Worte zurülpste, wusste ich, wo vorne und wo hinten war.
Ich nahm sie mit nach Hause, ließ sie ihren mutierten Leib, genau wie den übelriechenden Schweiß, der in regen Strömen aus ihren Klüften floss, über mein Bett ergießen und machte mich ans Werk. Doch es sollte nicht das in sie dringen, was die Kurtisane erwartet hatte...
Den ersten Einschnitt spürte sie gar nicht, der Schmerz erstarb irgendwo in den undurchdringlichen Wülsten ihres Fettgewebes. Beim zweiten Mal schnitt ich tiefer, versank mit dem halben Arm in ihrem Bauch, der sich um ihn herum festzusaugen schien. Nun musste sie etwas gefühlt haben! Sie grunzte erschrocken auf, versuchte sich aus dem ächzenden Bett zu erheben, barg jedoch nicht die nötige Muskelkraft, um sich selbst herauszuhieven. Statt dessen wurden ihre Speckringe in wellenartige Bewegungen versetzt, sich stetig weiter aufschaukelnd, gleich einer regelrechten Tsunami aus Fett, die ein mörderisches Eigenleben führte. Verzweifelt versuchte ich mich von ihr loszureißen, aus Angst, ich könnte in ihrem Gewebe ertränkt werden; doch ich hatte keine Chance! Mein Kopf wurde zwischen ihre Falten gequetscht und ich spürte, wie sich alte Talgablagerungen in meinem Gesicht verteilten, glitschige Ausdünstungen meinen Geruchssinn emporkrochen; der Atem stockte mir, scharfe Galle verätzte meinen Rachen, zog Fäden, Galle von solcher Bitterkeit, dass es mir tiefe Stiche versetzte, als ich sie herunterzuwürgen suchte - der Erstickungstod schien nicht mehr weit. Endlich schaffte ich es, die Hülle zu durchbrechen, pflügte mit meinem Skalpell durch ihren Bauch, kämpfte wie ein Wahnsinniger um mein Leben. Blut sprudelte in Massen um mich herum, verstopfte meine Nase, verklebte meine Augen, flutete meinen Mund, meinen Magen, köstliches Blut, lukullisch, rein! Ich rammte meine Faust in den Einschnitt, bekam in der Wunde etwas zu packen, hörte trotz der dicken Schicht aus Fleisch, die meine Ohren umgab, ein tiefes, qualvolles Stöhnen, und entriss, was ich gefunden hatte. Mit einem Schlag ließ der Widerstand nach und ich katapultierte mich selbst von ihr hinunter, landete unsanft auf dem Fußboden, das Ding noch immer in der geballten Faust haltend.
Ich rieb mir das Blut aus den Augen, blinzelte mehrmals, keuchte, hechelte nach Sauerstoff und gewahr den fleischigen Strang, der sich von ihrem Körper aus bis in den festen Griff meiner Hand fortzsetzte; es war ein Teil ihres Dickdarms.
Ihr elendiges Winseln und ihr schwerfälliger Atem, der pfiff, als stünde die Lunge am Rande der Zerquetschung, holten mich nach diesem surrealen Anblick zurück in die Wirklichkeit. Sofort war ich über ihr, legte die Schlinge um ihren wulstigen Hals und begann, die Luft abzudrücken, strangulierte sie mit ihrem eigenen Darm.
Ihre Augen quollen aus dem klobigen Schädel, die Zunge hing schlaff herab, triefend von Speichel, nur manchmal noch war ein spastisches Zucken ihrer übermäßigen Rundungen zu vernehmen. Blau-lilane Quetschungen zeichneten sich an den Stellen ab, die ich umschlungen hielt. Es dauerte nicht lange und sie war tot.
Obwohl Form und Dicke ihres Stiernackens nun wieder einigermaßen vorstellbare Maße angenommen hatten, war sie nicht durch die unterbrochene Luftzufuhr gestorben; der Schock hatte einen Herzinfarkt verursacht!
Das alles war vor vier Monaten geschehen, einer Zeit, in der ich Gerichte mit Speck zu schätzen lernte, und bis ich Sibylle traf, kamen noch drei weitere... Doch mit ihnen erhielt noch etwas anderes Einzug: es war der unsägliche Kopfschmerz, der mich plagte, die Übelkeit, das morgendliche Erbrechen, mit einem Wort: der Tumor! Und mit jedem Mal wurde es schlimmer.

Jetzt verstand ich, was mir dieser seltsame Kerl hatte sagen wollen...
Ich erhob mich aus meiner Sitznische, knallte dem Wirt zwanzig Euro auf den Tresen und verließ die Kneipe, hinaus in die kühle Dunkelheit, die schneidende Frische der Luft genießend.
Ich hatte eine Entscheidung gefällt, eine Entscheidung, die meiner kleinen Sibylle nicht sehr zusagen würde. Heute Nacht würde unsere Beziehung enden, heute Nacht würde ich sie verlassen und mir eine neue Freundin suchen. Ich musste ihr nichts mehr sagen, denn es gab nichts, was sie noch hätte wissen müssen. Ich würde nicht sterben; jedenfalls noch nicht, denn es gab noch genug für mich zu tun.
Als ich den Weg nach Hause einschlug, begannen die Metastasen in meinem Schädel wieder zu pochen, zu drücken und zu dröhnen, wie sie es immer taten. Doch jetzt störte es mich nicht mehr, im Gegenteil, es gab mir Kraft, und wenn der Krebs weiter wucherte, würde sie unerbittlich, unermesslich weiter ansteigen, weiter, weiter, immer weiter, denn . . . das Geschwür ... bin ich!

 

Bitte, bitte, nicht gleich alle auf einmal,
ich kann mich eurer Kommentare ja kaum erwehren! :)

Nein, ernsthaft, will niemand etwas dazu sagen?
Ist nicht einmal jemand hier, der den leicht lächerlich
wirkenden Teil mit der dicken Petra zerreißen will,
damit ich seiner Kritik mit der Idee einer Widmung an
eine ganz bestimmte Person aus meinem Umfeld begegnen kann?! ;)

 

Hoi!

Ich erkläre mich hiermit bereit, heute Abend mal drüber zu gehen und dir anschließend die saftigste Abfuhr zu geben, die du dir vorstellen kannst!:dozey:

In der Zwischenzeit, vielleicht, kannst du mal über andere Storys drüberzulesen, die hier ziemlich leicht zu finden aufgereiht sind. Macht Spaß, ehrlich, und schafft Bekannte!:D

Also bis heute Abend mit

Grüßen von meiner Seite!

EDIT: War ich doch nicht der Erste!

 
Zuletzt bearbeitet:

Hanniball schrieb:
[...]
Ich erkläre mich hiermit bereit, heute Abend mal drüber zu gehen und dir anschließend die saftigste Abfuhr zu geben, die du dir vorstellen kannst!:dozey:[...]

Yeah, ich freue mich drauf!
Was mich nicht umbringt, härtet mich ab -
und verbessert meinen Stil, also lass bloß keine Gnade walten. :D


Hanniball schrieb:
[...]
In der Zwischenzeit, vielleicht, kannst du mal über andere Storys drüberzulesen, die hier ziemlich leicht zu finden aufgereiht sind. Macht Spaß, ehrlich, und schafft Bekannte!:D [...]

Daran halte ich mich schon seit ein paar Tagen recht fleißig,
jeden Abend werden zwei/drei feine "Gute Nacht-Geschichten" gelesen.
Demnächst mal Salems "Amputation 2", hmm... :)


@Zerbrösler:
"Literarisch gekünstelt" im Bezug auf lange Sätze und viele Aufzählungen?
Ja, daran werde ich wohl noch arbeiten müssen, ich verheddere mich gerne in bloßer Spielerei mit der Sprache und verliere dabei die eigentliche Kernaussage aus den Augen.
Inhaltlich ist die Geschichte sicher nicht die kreativste, aber für einen ersten Gehversuch in den bis dato unbekannten Gefielden des Schreibergenres reicht sie aus, denke ich. ;)

 

lukas_iskariot schrieb:
[...]
so schluss aus, ich kann nicht mehr....das geschwür ist der stil!

Ich war beim Arzt. Dieser sagte: "Sie haben Krebs!". Das war schlecht.
Ich ging zu Fuß nach Hause. Zu Hause lag meine tote Freundin.
Ich mischte mir Cocktail aus ihren Nieren. Das war lecker.
Ich ging in die Kneipe. Ich betrank mich in der Kneipe.
Dann traf ich dort einen Mann. Ich redete mit ihm. Er verschwand.
Ich erinnerte mich an Petra. Sie war meine erste Freundin.
Ich hatte sie aufgeschlitzt.
Plötzlich verstand ich den Mann.
Das Geschwür bin ich.

Yeah, du hast recht, wenn ich alles weglasse, was unnötig erscheint, liest sich die Geschichte wirklich viel, viel besser. Danke. :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Tchort.

Ich denke, was lukas meint, ist, dass die Sätze in dieser Geschichte stellenweise völlig mit Adjektiven überladen sind, wodurch sie schwülstig werden.

Als ich mit dem Schreiben angefangen habe, war es nicht anders. Ich wollte die Leser mit möglichst vielen Wörtern "totschlagen", um mein Vokabular unter Beweis zu stellen.
Tatsächlich beinhalten solche aufgeblasenen Sätze aber bloß jede Menge Füllwörter, die den Text unnötig in die Länge ziehen.

Auch, wenn in lukas´ Kritik Sarkasmus liegt, so hat er dir doch viele Stellen zitiert, die tatsächlich grausam schwülstig klingen. Ich kann zwar verstehen, dass du jetzt ein wenig beleidigt bist, aber befolge meinen Rat: Lies dir seine ausführliche Kritik nochmal in Ruhe durch, und lese auch die zitierten Sätze, und du wirst merken, dass es sich stellenweise um regelrechte Ungetüme handelt, die aber kaum Information übermitteln.

Wichtig ist es, einen angenehmen, nicht überladenden Stil zu verwenden, der aber trotzdem geschliffen ist. Dahin zu kommen ist schwer, und ich behaupte auch nicht, dieses Ziel selbst erreicht zu haben, aber am Anfang jedes Lernprozesses sollte das tilgen von unnützen Füllwörtern stehen.
Insofern gebe ich lukas recht.

Grüße

Cerberus

 

Grüß dich, Cerberus.

Ich verstehe schon, worauf er hinaus wollte und kann ihm da auch zustimmen - die Geschichte wirkt stellenweise wirklich sehr überladen - , aber im Prinzip geht es mir darum, wie er seine Kritk dargestellt hat. Es ist nicht der leise Sarkasmus, der aus seinen Worten spricht, sondern die stumpfe, mechanische Art und Weise, jeden Satz nach dem gleichen Schema abzuhandeln, die mich ihrer Überheblichkeit wegen stört; da hätte es auch ein allgemeingültiger Beitrag wie der deine getan, der nicht nur hilfreicher, sondern für den Kritisierten auch wesentlich besser verständlich ist.

 

Hi nochmal!

Ein allgemeingültiger Beitrag mag hinweisen, aber hilfreich kann lukas´ Kritik schon für dich sein, denn er hat schließlich eine Menge Stellen für dich zitiert, und wer sich die Mühe dazu macht, will dem Autor sicher nichts schlechtes.

Ein Tritt in den Arsch kann manchmal sehr hilfreich sein. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Wenn man knallhart mit dem konfrontiert wird, was man hätte besser machen können, dann prägt man sich das automatisch ein.

Dieses Board ist für seine Ehrlichkeit bekannt. Hätte lukas nun geschrieben: Die Geschichte ist Scheiße ... dann wäre das ein wirklich hirnloser Kommentar gewesen, aber wenn du mal genau schaust, dann versucht er im Grunde, dir zu helfen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Das ist mir durchaus bewusst, aber dafür muss er doch nicht die halbe Geschichte einzeln zitieren und immer ein und denselben Kommentar dazu ablassen. Dieses Vorgehen wirkt auf mich, als Angesprochenen, so, als würde er mir nicht zutrauen, die Essenz herauszufiltern, verlöre er schlicht ein paar Worte zu übermäßigem Gebrauch von Adjektiven, zu verschachtelten Sätzen und zu unnötigen Wiederholungen.

Ich begreife, was er meint, auch ohne dass ich es stetig anhand von stilistisch identischen Beispielen veranschaulicht bekomme. Die Struktur ändert sich ja nicht.

Das Zitieren vieler Stellen würde ich dann honorieren, wenn es sich nicht stets um etwas handelte, was von ihm bereits im Vorhinein durch etliche andere Beispiele aufgezeigt wurde.

Aber vielleicht liegt es auch lediglich an meinem Verständnis für konstruktive Kritik, was ich als Hilfe und was als pures Schlechtmachen betrachte. Oder ich muss mich erst an das Auftreten der einzelnen Personen hier gewöhnen, jeder lässt seinen Gedanken schließlich anders freien Lauf... ;)

[Edit:]
@Seaman:
DAS ist es, was ich unter einer wirklich GUTEN und hilfreichen Kritik verstehe.
Jetzt habe ich etwas Handfestes, an das ich mich halten und an dem ich ansetzen kann.
Wenn ich das subjektive Empfinden des Lesers nachvollziehen kann, weiß ich auch, was ich ändern muss, um meinen Stil in die richtige Richtung zu verbessern.
Danke, Mister. :)

 

Tach! Herzlich Willkommen in der Horror und Grusel-Abteilung! :)
Jetzt im Sonderangebot: Adjektiv-Radiergummi, nur 1,99€. :D ;)

Im Ernst:

Zu deiner Geschichte fiel mir als erstes ein Wort ein: Reizüberflutung.

Du packst so viele Details in jeden Satz, wie es nur eben geht, erschlägst den Leser geradezu mit Informationen. 99.999 Prozent deiner Leser wissen, wie es aussieht, wenn ein Fernseher läuft. (Selbst ich, der seit Jahren keinen mehr hat.)
Die noch so detaillierte Beschreibung der Kneipe schafft keine Atmosphäre, wenn die wichtigen Details von den unwichtigen wieder aus dem Kopf des Lesers herausgeschlagen werden.
Gleiches gilt für die Wiederholung: Einzeln angewendet ist das ein schönes Stilmittel, aber wenn alles immerzu wiederholt wird, anders gesagt wird, nochmal gesagt und erneut durchexerziert wird, setzen beim Leser bald Ermüdungserscheinungen ein. Ich persönlich würde da etwas aussortieren, überlegen, welche Einzelheiten ich wirklich brauche und welche ich über Bord werfe. Nicht immer so geschwollen oder "bunt" (gefrorene Träne) wie möglich, manchmal ist weniger eben mehr.

Ekelhafte Beschreibungen alleine machen noch keine gute Horrorstory aus! Was der Story deutlich fehlt sind Charaktertiefe und auch die Stimmung, die eben wegen des geschwollenen Stils nicht aufkommen will.

Nix für ungut!
Seaman

 

Ja ja, unser lieber Lukas ... he...he... kann mich noch genau an seine erste Kriktik bei mir erinnern :xxlmad:

Aber mal ganz unter uns: Er ist eigentlich ein ganz netter Kerl (was insoweit egal wäre), aber haben seine Kritiken durchaus Hand und Fuß (warte erstmal ab, wenn dir Freund Hanniball schreibt ... :sealed: )

Und inzwischen muss ich gestehen, dass ich Lukas und Cerberus zustimme.
Relysium nannte diese Schreibe bei mir einmal: Adjektivitis. Ja, ich glaube, sowas gibt es tatsächlich.
Schnapp dir einfach einmal deinen Text, kopier ihn, und schmeiß alle Adjektive / Füllwörter raus, die zum Beispiel eine Sache beschreiben, die ohnehin für sich spricht: undurchsichtiger Nebel, schwarze Dunkelheit ...
Das hast du jetzt nicht geschrieben, aber du weißt, was ich meine.

So, kommen wir jetzt endlich einmal zu deiner Geschichte:
Durchaus bin ich ein begeisterter Splatterfan (gesteh ich jetzt einfach mal so), somit haben mir deine besagten Textstellen auch gefallen. Irgendwann hatte ich mich an den überladenen Stil gewöhnt.

Warum gefiel mir der gesamte Text trotzdem nicht?
Meiner Meinung nach ist es eine "Aneinanderreihung" von Ekelszenen, die weder Hand noch Fuß haben. Versteh mich jetzt bitte nicht falsch, du sollst ruhig ekelig schreiben, aber es sollte doch noch so etwas ähnliches wie ein Handlungsstrang zu erkennen sein.
Ein Tumorpatient, der seine Freundinnen killt, reicht mir da leider nicht.

Fazit: Du hast es drauf, das erkennt man. Ein bisschen ausmisten, ein bisschen Handlung ... und schon haben wir einen neuen Ekelautoren (soll als Kompliment zu verstehen sein).

So, das wars zunächst einmal.

Gruß! Salem

 

So, mein Freund, da hast du um Kritiken gebettelt, und wenn welche kommen, willst du sie nicht.
In jedem Falle hat deine erste Story schon mehr Antworten, als durchschnittlich jede meiner Storys. Und der Lukas hat geantwortet? Wie ist erst mal egal, aber man sollte sich damit schon auseinandersetzen. Hmmh, wenn du bei ihm eingeschnappt warst, wie wirds dann bei mir aussehen? Sei es drum, ich fang einfach mal an, aber sei nachher nicht eingeschnappt!

Hi Tchort!

Greif den Radiergummi von Master Seaman, greif ihn! So billig kriegst du nie wieder einen. Denn wenn du es hier wirklich aushälst und weiterhin mit den Adjektiven rumschmeisst, werd Blut, Schweiß und Tränen fließen, bis wir auch dich überzeugt haben:shy:

Ich habe die Story gelesen, habs ja versprochen. Wenn ich's nicht versprochen hätte, wär's mir wahrscheinlich nicht gelungen, sie zu Ende zu bringen. Ich will jetzt nicht sagen, dass sie furchtbar ist, sie hat sicher auch ihre Momente. Aber stimmt schon, was die anderen sagen: Du holst die Beschreibkeule raus und legst sie nicht eher weg, als dass du alle Fantasie beim Leser niedergeknüppelt hast. Kein Raum mehr für Eigenes. Ich führe mit dem guten Salem momentan eine angeregte Diskussion über dieses Thema: Lass dem Leser Platz für seine eigenen Gedanken.

Es gibt einige hier, die so schreiben. Du walzt jede Kleinigkeit, jede Nebensächlichkeit mit Genuss aus (man merkt förmlich, wie du stolz bist auf jede neue Formulierung, ein Freund von mir nennt das sich geistig einen schuppern [wie gesagt, ein Freund]). Doch du versperrst damit den Blick für das Wesentliche, die Hauptsächlichkeiten.
Beispiele:

Gleich der erste Satz:

Die Diagnose war eindeutig, unveränderlich, niederschmetternd

Um wieviel prägnanter, eingängiger und schockierender wäre die Formulierung: Die Diagnose war eindeutig.
Peng! Mehr nicht. Das reicht, um die Stimmung zu beschreiben. Außerdem ist es schon klar, dass eine Krebsdiagnose, nachdem sie eindeutig ist, unveränderlich und vor allen Dingen niederschmetternd ist. Das braucht nicht gesagt zu werden, du belastest den Leser damit, es wird schon im ersten Satz langweilig.

dieser dauernde, migräneartige Kopfschmerz, welcher sich selbst den Tabletten erfolgreich widersetzte,

Bei diesem Wörtchen "welcher" stellt sich bei mir der Kopfschmerz ein. Warum zum Teufel benutzt du nicht das schöne Wort der? Es klingt nicht gekünstelt und niemand hat den Eindruck, du schriebest mit abgespreiztem kleinen Finger! In meinen Augen hat diese Formulierung nur ihre Berechtigung, wenn sich zwei Wörter zu wiederholen drohen: Hunde, die die Waden zerbeißen, oder das Herz, das das Klopfen vergisst.

Als ich mich auf den Weg zum Arzt machte, meinen Zustand untersuchen zu lassen, mich frohen Mutes und guter Gedanken

Bitte was?:confused:
Der Mann geht mit Kopfschmerzen zum Arzt, weiß nicht wo sie herkommen und ist frohen Mutes? Ein Wahnsinniger, ich wusste es!

sondern zog es vor, einen Fußmarsch zurückzulegen

Einen Fußmarsch kann man machen, zurücklegen wird man jetzt und ich hoffe doch für alle Zeiten, eine bestimmte Strecke.

Wie in Trance nahm ich dieses Schauspiel wahr,

Für sich genommen ist der Satz schon in Ordnung, wenn man aber bedenkt, dass dieses Schauspiel das Herunterkullern einer Träne auf der eigenen Wange ist, fragt man sich, wo der Mann seine Augen hat.

Versteh mich bitte nicht falsch, aber nach einem angenehmen Stil, kommt Authentizität, Nachvollziehbarkeit einer Geschichte. Wenn haufenweise solche Fehler vorkommen, wenn sie unglaubwürdig wird deine Geschichte, dann...dann...dann wird sie unglaubwürdig.:dozey:

Ein Beispiel dazu noch:

klebrig, kalter Schweiß perlte mir von der Stirn

klebrig, kalter Schweiß - okay, aber, Teufel nochmal, erklär mir, wie der perlen kann! Er klebt, der Schweiß, und trotzdem perlt er, ich weiß nicht!

Solche Fehler und auch diese vielgeschmähten grausigen Eigenschaftswörter kann man aufspüren, indem man drüberliest, immer wieder lesen und nie davon ausgehen, dass die story fertig ist!

Zum Inhalt:

Ich scheiß dir einen richtig großen klebrigen (nicht perlenden:lol: ) Haufen auf deinen Schreibtisch. Du guckst mich mit großen Augen an, und fragst mich warum. Aber das sag ich dir nicht.

So komme ich mir mit deiner Geschichte vor. Ich in schon von Hause aus kein Splatter-Fan, aber ich kann 'ne Menge vertragen. Wenn es einen Sinn ergibt.
Doch der Sinn, den du uns hier vorsetzt, der ist sehr dürftig. Er befriedigt mich nicht und lässt die seltsamen Szenen, die du kredenzt, in einem ganz schalen Licht erscheinen.

So, genug gemeckert, Salem erwähnte es schon. Wenn du dich ein bisschen zurücknimmst, wirst du sehen, dass du ziemlich gut schreiben kannst. Ich hab da so ein Gefühl!;)

Einstweilen viele Grüße von dieser Seite der Dammes!

 

Hanniball schrieb:
So, mein Freund, da hast du um Kritiken gebettelt, und wenn welche kommen, willst du sie nicht.
[...]
Hmmh, wenn du bei ihm eingeschnappt warst, wie wirds dann bei mir aussehen? Sei es drum, ich fang einfach mal an, aber sei nachher nicht eingeschnappt![...]

Na, na, es ist ja nicht so, dass ich die Kritik nicht wollte oder schlecht vertrüge, mir geht es einzig darum, dass der Ton die Musik macht.
Mit deiner Kritik kann ich beispielsweise, auch wenn sie kein gutes Haar an der Geschichte lässt, sehr gut leben, da sie von einem Standpunkt aus geschrieben wurde, der Augenhöhe und nicht Überheblichkeit vermittelt, ich mich deshalb nicht herunter gemacht sehe, sondern die gute Absicht dahinter bemerke. :)


Hanniball schrieb:
[...]
Es gibt einige hier, die so schreiben. Du walzt jede Kleinigkeit, jede Nebensächlichkeit mit Genuss aus (man merkt förmlich, wie du stolz bist auf jede neue Formulierung, ein Freund von mir nennt das sich geistig einen schuppern [wie gesagt, ein Freund]). Doch du versperrst damit den Blick für das Wesentliche, die Hauptsächlichkeiten.[...]

"Geistige Onanie", wie es bei uns im Umkreis so schön heißt; ich fühle mich tatsächlich ertappt. :)
Die Schwierigkeit liegt wohl darin, ohne schwülstige und übermäßige Beschreibung von Nebensächlichkeiten dennoch einen guten und spannenden Stil zu wahren, der weder plump noch langweilig wirkt; das wird eine harte Nuss...


Hanniball schrieb:
[...]
Um wieviel prägnanter, eingängiger und schockierender wäre die Formulierung: Die Diagnose war eindeutig.
Peng! Mehr nicht. Das reicht, um die Stimmung zu beschreiben. Außerdem ist es schon klar, dass eine Krebsdiagnose, nachdem sie eindeutig ist, unveränderlich und vor allen Dingen niederschmetternd ist. Das braucht nicht gesagt zu werden, du belastest den Leser damit, es wird schon im ersten Satz langweilig.[...]

In der Kürze liegt die Würze, das begreife ich jetzt.
Unnötige Füllwörter, Nebensächliches und ohnehin Eindeutiges stören den Lesefluss und lassen wegen der entstehenden Längen eine öde Stimmung aufkommen. Ist Notiert.


Hanniball schrieb:
[...]
Bei diesem Wörtchen "welcher" stellt sich bei mir der Kopfschmerz ein. Warum zum Teufel benutzt du nicht das schöne Wort der? Es klingt nicht gekünstelt und niemand hat den Eindruck, du schriebest mit abgespreiztem kleinen Finger! In meinen Augen hat diese Formulierung nur ihre Berechtigung, wenn sich zwei Wörter zu wiederholen drohen: Hunde, die die Waden zerbeißen, oder das Herz, das das Klopfen vergisst.[...]

Die Wendung mit "welche/r/s" gefällt mir persönlich relativ gut, nutzt sich aber derart schnell ab, dass nach einiger Zeit ein gekünstelter Eindruck entsteht - Mit der Vorschlag, es als Ersatz für unschöne Wiederholungen zu verwenden, kann ich mich durchaus anfreunden.


Hanniball schrieb:
[...]
Bitte was?
Der Mann geht mit Kopfschmerzen zum Arzt, weiß nicht wo sie herkommen und ist frohen Mutes? Ein Wahnsinniger, ich wusste es!
[...]
Einen Fußmarsch kann man machen, zurücklegen wird man jetzt und ich hoffe doch für alle Zeiten, eine bestimmte Strecke.
[...]
Für sich genommen ist der Satz schon in Ordnung, wenn man aber bedenkt, dass dieses Schauspiel das Herunterkullern einer Träne auf der eigenen Wange ist, fragt man sich, wo der Mann seine Augen hat.
[...]
Versteh mich bitte nicht falsch, aber nach einem angenehmen Stil, kommt Authentizität, Nachvollziehbarkeit einer Geschichte. Wenn haufenweise solche Fehler vorkommen, wenn sie unglaubwürdig wird deine Geschichte, dann...dann...dann wird sie unglaubwürdig.
[...]
klebrig, kalter Schweiß - okay, aber, Teufel nochmal, erklär mir, wie der perlen kann! Er klebt, der Schweiß, und trotzdem perlt er, ich weiß nicht![...]

Hmm, stimmt, recht betracht und mit eindeutigen Hinweisen darauf, musste ich eben tatsächlich selbst ein wenig in mich hineinlachen (der krankhaft schielende Protagonist mit den Augen in der Wange; klebriger und dennoch perlender Schweiß - Paradoxon, olé! :lol: ).
Die immense Menge an Logikfehlern erschließt sich, denke ich, aus dem Versuch der überdetaillierten Situationsbeschreibung, und wird hoffentlich mit dem Wegfall der Füllwörter auch ganz automatisch ein wenig abnehmen.
Selbst ist man anfangs ja fast immer der Überzeugung, man hätte eine gute und passende Formulierung gewählt und liest deshalb völlig unbewusst über all diese Unstimmigkeiten hinweg...


Hanniball schrieb:
[...]
Zum Inhalt:

Ich scheiß dir einen richtig großen klebrigen (nicht perlenden) Haufen auf deinen Schreibtisch. Du guckst mich mit großen Augen an, und fragst mich warum. Aber das sag ich dir nicht.[...]


:lol:

Hintergrundbeschreibungen zum Fetisch des Charakters hielt ich für unnötig, das es sich, meiner Meinung nach, ganz von selbst durch seinen "Irrsinn" erklärt, der ohnehin schwer verständlich ist. Dabei bin ich wohl wirklich sehr ungeschickt zu Werke gegangen und habe dem Leser nicht nur einen triftigen Grund vorenthalten, sondern ihn komplett im sprichwörtlichen Regen stehen lassen. Wieder muss ich im Hinterkopf behalten: richte den Blick auf das Wesentliche. :)

Danke für deine sehr ausführliche Kritik, sie hat mich selbst zum Denken angeregt und mir geholfen, ein paar dem Leser übel aufstoßende Stellen besser zu verstehen. Damit kann ich etwas anfangen und mich bereits heimlich, still und leise auf deinen nächsten Kommentar zu weiteren Geschichten freuen. :)


Salem schrieb:
[...]
Schnapp dir einfach einmal deinen Text, kopier ihn, und schmeiß alle Adjektive / Füllwörter raus, die zum Beispiel eine Sache beschreiben, die ohnehin für sich spricht: undurchsichtiger Nebel, schwarze Dunkelheit ...
Das hast du jetzt nicht geschrieben, aber du weißt, was ich meine.[...]

"Karge Kahlheit", "frostige Winterluft", ja, ist eingeprägt.
Eine Beschreibung wäre also nur dann von Nöten, wenn Kahlheit auch üppig, Winterluft auch warm, Nebel auch ein "Nebel der Klarheit" sein könnte, richtig?

Ich schaue mal, ob ich am Wochenende (neben der Abi-Vorbereitung) etwas Zeit finde, um den Text wenigstens sprachlich auf Vordermann zu bringen (inhaltlich ist da ohnehin nicht mehr viel zu retten - es gibt ja im Endeffekt nichts ;) ).

Abschließend zur leidigen "Lukas-Sache":
Tut mir leid, dass ich eventuell ein wenig zu "bissig" reagiert habe, aber ich habe über deine Form der Kritik noch einmal nachgedacht...
Einem erfahrenen Schreiberling magst du mit dieser Art und Weise ja helfen mögen, denn er weiß sie richtig zu deuten und einzuordnen, ein Neuling jedoch möchte "an die Hand genommen" werden, einen "Strohhalm" geboten bekommen, den er greifen kann, und langsam an das eigentliche Ziel geführt werden, nicht gleich mordsmäßig in den Arsch getreten bekommen.

Naja, das Thema ist eigentlich so weit geklärt - Übrigens hättest du deinen Beitrag nicht entfernen müssen; so wirkt es, als reagiertest du empfindlich auf die Kritik an der Kritik. ;)

Gruß und Dank,
Tchort

 

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