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Das gläserne Herz
Ich sperre leise auf, es ist spät; ich will sie nicht wecken, falls sie schon schläft. Doch Miriam kommt bereits ins Vorzimmer geeilt, als ich die Wohnung betrete. »Da bist du ja«, sagt sie, halb erfreut, halb erleichtert, und dann besorgt: »Wo warst du denn so lange?«
Ich lächle sie an und zaubere hinter meinem Rücken sieben rote Rosen hervor, die ich am Nachhauseweg noch schnell bei einem dieser armen Kerle erstanden habe, die damit von Lokal zu Lokal rennen müssen. Sie nimmt den Strauß zögernd. »Und wofür sind die?«
»Ich weiß, ich hab dir schon länger keine Blumen geschenkt. Aber heute war mir so danach …«
Sie bedankt sich mit einem flüchtigen Kuss auf meine Wange, sieht mich schief an. »Stimmt irgendwas nicht?«
»Was sollte denn nicht stimmen?«
»Keine Ahnung, du wirkst so … anders …« Sie hält die Rosen an ihre Nase, atmet den Duft tief ein, ehe sie »Ich geb dem Kraut erst mal Wasser« sagt und in die Küche geht. Während ich meine Schuhe ausziehe, entschließe ich mich, ihr alles zu erzählen. Beim Händewaschen im Bad denke ich darüber nach, wo ich anfangen will; Miriam liebt es, wenn das Leben ein bisschen mit Spannung gewürzt ist.
Im Wohnzimmer steht bereits die Blumenvase auf dem Tisch. Die Stunden des Wartens hat sie allem Anschein nach mit Aufräumen verbracht. Ich hätte ja wenigstens einmal anrufen können. Eine Lavendelwolke strömt mir aus der Duftlampe entgegen, erstickt meine aufkeimenden Schuldgefühle; es war eigentlich gar keine Zeit um anzurufen …
Miriam steht vorm offenen Fenster, mit den Händen auf die Kante des Fensterbretts gestützt. Ich gehe zu ihr, lege einen Arm um ihre Schultern, sie zeigt geradeaus in den Himmel und fragt: »Weißt du, was das ist?«
»Der Vollmond«, antworte ich.
»Nein, ich meine den hellen Stern ein Stück weiter links davon, siehst du ihn?«
»Ja«, sage ich zögernd, »sehen kann ich ihn, aber … Du weißt doch, ich finde nicht einmal den großen Wagen.«
»Das ist die Venus.«
»Bist du sicher?«
»Ja, Venus und Vollmond haben heute ein Rendezvous vor unserem Fenster.« Sie lacht mich an.
Ich muss schmunzeln, sage: »Ach, die beiden hatten da ihre Finger im Spiel.« Sie wirft mir einen fragenden Blick zu. Einen leichteren Einstieg hätte sie mir gar nicht bieten können.
Ich drücke kumpelhaft ihre Schulter, seufze und sage: »Lass uns auf die Couch setzen, Miriam. Ich muss dir von dieser Frau erzählen …«
Ich bemerke, wie sie zusammenzuckt. »Also doch ein Grund für die Blumen?«, fragt sie, geht und setzt sich. Als ich es mir neben ihr bequem machen will, rutscht sie ein Stück weg, fordert: »Na, dann sprich dich aus.«
»Angefangen hat es vorigen November …«
»Das ist ja schon fast ein halbes Jahr!« Sie rückt noch ein Stück weiter weg. Ich finde einen reuigen Blick angebracht und setze ihn auf. Miriam nimmt sich zur Sicherheit ein Taschentuch vom Tisch und knüllt es wie beim Zahnarzt in ihre Handfläche.
»Soll ich dir was zu trinken holen, Schatz?«
»Nein, danke … erzähl lieber weiter.«
»Also, ich war gerade dabei, die letzten Christbaumkugeln für diesen Tag in den Ofen zu legen, und wollte in der Werkstatt Ordnung machen, bis sie gebrannt waren, da ging plötzlich die Tür auf und sie steckte ihren Kopf schüchtern durch den Spalt. ›Grüß Gott. Darf ich noch kurz reinkommen?‹, fragte sie mit fast piepsender Stimme. Ich sagte: ›Eigentlich bin ich heute gar nicht mehr da, aber wenn Sie schon so lieb fragen, bitte, kommen S’ weiter.‹«
Ich mag es, Miriams Reaktionen während des Erzählens zu beobachten, wie sich leichte Angst in das Vertrauen mischt, gleich einem Tropfen Rot im blauen Farbtopf.
»Sie zeigte mir ein Blatt Papier, auf das ein rotes, dickbauchiges Herz gezeichnet war. Sehr genau, mit feinen Strichen. ›So ein Herz möcht ich, dass S’ mir blasen‹, sagte sie fast sehnsüchtig, und ich fragte, ob es denn ein Weihnachtsgeschenk werden sollte, aber sie antwortete mit einem nachdenklichen ›Nein …‹. Und du weißt ja, dass ich um diese Zeit auf unweihnachtliche Sonderwünsche nicht gut zu sprechen bin, ich blies also, Überlastung ausdrückend, durch meine Lippen und gab mein übliches ›Ja, im Jänner dann. Tut mir leid, aber vor Weihnachten hab ich keine Zeit mehr für sowas‹ zum Besten.«
Ein genervter Blick von Miriam. »Hast du vor, mir alles so ausführlich zu erzählen?« Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, worauf sie ihre Beine anzieht und ihre Arme darum herumschlingt, als müsse sie sich schützen.
»Als sie im Jänner wieder kam, hatte ich ihr Herz bereits fertig. Ich ließ zwei verschiedene Rottöne ineinander verlaufen, und als sie es sah, lächelte sie und sagte: ›Die Form kommt schon annähernd hin. Ein bisserl rundlicher g’hört es noch. Aber ich bezahle das selbstverständlich.‹ Sie gab mir ihre Telefonnummer und ich versprach ihr, bis in einer Woche damit fertig zu sein. Ich hätte ihr natürlich was vom Preis nachgelassen, hätte sie da nicht gesagt: ›Rufen S’ mich doch bitt’schön an, wenn S’ dann soweit sind, ja?‹«
»Wieso, was hat das denn mit dem Preis zu tun?«
»Na, dieses Schönbrunnerische – wer so redet, hat doch sicher genug Geld, da muss ich meine Arbeit nicht billiger verkaufen. Jedenfalls meldete ich mich eine Woche später; sie kam wieder. Als ich ihr das Herz nun zeigte, meinte sie: ›Ja! Genau so ist es richtig.‹ Ich hab mich schon gefreut, sie zufriedengestellt zu haben, da setzte sie hintennach: ›Und jetzt g’hört das noch schön verziert. So mit Glitzerzeug und kleinen Steinchen und so.‹ Ich hätte sie am liebsten auf den Mond geschossen, ließ mich aber stattdessen auf meinen Hocker fallen und sagte, mich beherrschend, schön nach der Schreibe: ›Gute Frau, warum haben Sie mir das denn nicht vorher gesagt? Nachträglich geht das nicht, das muss gleich beim Blasen in das Glas.‹ Sie schaute mit einem Mal so unendlich traurig und enttäuscht drein, dass ich wieder aufstand, ihr sanft auf die Schulter klopfte und sie zu beruhigen versuchte, ihr sagte, das würde schon noch so, wie sie es wollte, sie solle sich nicht kränken.«
Miriam ist so süß, wie sie den Kopf von ihren Knien hebt, um mich gespannt anzusehen.
»Sie kam wieder und wieder. Bezahlte jedes Mal meinen neuerlichen Versuch und fand erneut irgend etwas nicht passend. Da der Flitter an der falschen Stelle, dort das Rot zu dunkel … Der Gedanke, dass sie etwas ganz anderes von mir wollte, kam mir schon bei ihrem vierten Besuch, aber sie kam nie von den Gesprächen über das Herz ab.«
Miriam schluckt. »Bis auf heute, ja?«
»Ja«, sage ich mit fester Stimme, legte eine künstliche Pause ein, atmete einmal tief durch. »Heute war sie endlich zufrieden mit meinem Herz, und da musste ich sie fragen, was sie damit denn vor hat, dass alles gar so genau passen musste. ›Das Original war ein Präsent von meinem Mann. Als er mich vor zwei Jahren verlassen hat, fiel es mir am selben Tag durch ein Missgeschick zu Boden und brach in winzigste Scherben. Das hat mir keine Ruhe mehr gelassen, und so habe ich versucht, es wiederzubekommen, konnte aber nirgends ein solches Herz finden. So habe ich es gezeichnet …‹ Danach bot sie mir das Du an und stellte sich als Hilde vor, was ich mit einem Händedruck und meinem Namen erwiderte. Ich stand auf der Leitung und fragte dumm: ›Und du glaubst, jetzt kommt er wieder?‹«
Miriam wirkt wieder lockerer, sie hat ihre Beine ausgestreckt und lehnt sich zurück. Nur an ihren Händen kann man die Spannung noch ablesen: Sie rollt immer wieder ihren Rocksaum auf und ab, als müsse sie sich ablenken.
»Sie gab mir dann zur Antwort: ›Pardon, mein Mann hat mich nicht so verlassen. Er hatte einen Motorradunfall.‹ Ich wusste momentan nicht, was ich darauf sagen konnte, meine Frage war mir peinlich, aber sie sprach zum Glück gleich weiter, dass sie dieses Herz für immer als Erinnerung an ihn in Ehren halten und darauf aufpassen wolle, und sie dankte mir, dass ich ihr geholfen habe, ihr Versehen wiedergutzumachen, und schließlich sagte sie erleichtert, dass sie jetzt endlich Frieden in ihrem Herzen finden könne.«
Ich sehe Miriam an, ihre feuchten Augen. Sie holt das Taschentuch irgendwo aus dem Stoff des Rockes wieder hervor, tupft damit die beginnende Flut wieder fort.
»Da tat es mir mit einem Mal so fürchterlich leid, dass ich sie anfangs so schroff angegangen bin, keine Zeit hatte wegen diesen blöden Christbaumkugeln. Der ganze Weihnachtsstress lässt uns keine Zeit für andere Menschen. Dabei war es die gleiche Arbeit, dasselbe Material zum Verzieren, nur eine andere Form zu blasen. Ein Herz hing an einem Herz, das ohne dem anderen keine Ruhe fand … Hätte ich gewusst, worum es ging, hätte ich sie doch Weihnachten nicht ohne ihr Herz verbringen lassen. Bestimmt war sie traurig … Ich fühlte mich plötzlich so schuldig. Und um mein Gewissen zu beruhigen, lud ich sie anschließend noch beim Wirten ums Eck zum Essen ein und hörte ihr ein bisschen zu, während sie ihren Mann wiederauferstehen ließ. Sie hörte gar nicht mehr auf, von ihm zu erzählen, und ich hätte mich unhöflich gefühlt, wenn ich dazwischen auf die Uhr gesehen oder mein Handy herausgenommen hätte. Als wir uns dann doch noch verabschiedeten, sagte sie ›Danke, du hast mich unschätzbar glücklich gemacht‹, und fuhr mit ihrem Herz nach Hause. Ich ließ das Auto vor der Werkstatt stehen, wollte ein bisschen gehen und darüber nachdenken, wie glücklich ich doch bin, dich zu haben, und dann hab ich überlegt, wie lange ich dir schon keine Blumen mehr geschenkt habe, um dir das auch zu zeigen.«
»Was für eine rührende Geschichte du mir da erzählst … wie konnte ich nur denken …« Sie rückt nun doch näher, sagt lachend: »Du bist ein Schuft, weißt du das?« Ich sage »Ja« und sie gibt mir einen langen Kuss. Ich wusste doch, sie steht auf solche Geschichten und die Erleichterung danach. Mit verklärten Augen legt sie einzelne Wörter, so gedehnt, dass es nur mehr für ein Flüstern reicht, vor mich hin: »ich« »liebe« »dich«
Dann steht sie auf und geht zum Fenster, schaut hinaus. »Die Venus ist schon wieder weg …«
»Die ist nur schon ins Bett gegangen. Komm, folgen wir ihr.«
*