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Das Glücksprinzip
Es gibt so einige Tage, an denen ich mich wundere, wie schwierig es doch ist, die Glückseligkeit zu erlangen. Heute ist wieder solch ein Tag. Dunkle, vom Mondschein erhellte Wolken, ziehen bereits vor dem Morgengrauen, unsagbar dicht durch den Himmel. Ich liege im feuchten Gras und betrachte das ganze Spektakel mit einem wachen Auge. Das Andere wehrt sich gegen den Schlaf.
So liege ich hier und betrachtete die Wolken. Ja, die Wolken. Diese unendliche Weite an schwarzer Wolle, die nur für unser Auge und unsere Fantasie existiert. Nur um Sonnenuntergänge schöner aussehen zu lassen. Oder damit man Sommerabends in einer Blumenwiese, mit dem Geliebten Kopf an Kopf, auf dem Rücken liegend, Herzen, Adler oder selbst Drachen sehen kann. Vielleicht auch um uns, furchterregend geformt, vor einem gefährlichen Gewitter zu warnen. Oder damit wir uns nach der Ferne sehnen. Sie existieren womöglich auch, damit sich manche von uns Göttergestalten und Städte auf ihnen erdenken können. Oder die Wolke 7 und das Wolkenkuckucksheim.
Doch heute stören sie nur. Sie sind im Weg. Wie eine außerordentlich dreckige Scheibe verdecken sie mir meine Sterne. Doch ich gebe nicht auf und suche fort. Hier und dort kommt eines dieser kleinen wundersamen Lichtgeister zum Vorschein, doch der Blick auf meinen allabendlichen Sternenhimmel bleibt mir verwehrt. Gestern war alles in Ordnung, und heute scheint die Welt in sich zu zerfallen. Die Wolken erobern den Himmel. Kommen aus dem Nichts und nehmen den Himmel ein. Nein, das geht nicht. Wasserdampf unterwirft den Himmel. Wasserdampf - Ist das alles tatsächlich Wasserdampf?
Wie banal. Wolken sind unnötige Gebilde, die einem nur die Sicht auf die Wahrheit rauben. Auf die Wirklichkeit, das geheimnisvoll existierende Wesentliche: Die Sterne. Die Sterne sind die wahre Anmut der Erde. Das liebreizende, charmante, edle Gold. Verborgen auf der schwarzen Kulisse der Unendlichkeit, sind sie millionenfach, ja, milliardenfach schön. Die Sterne sind Bären, Wagen, Schützen – sie sind Fantasie, aber zugleich auch die Zukunft. Ich träume davon in den Sternen zu leben. Leben! Leben in den Sternen. Dieses verborgene Ungewisse und dieses mystisch Liebreizende: Das alles macht den Sternenhimmel unendlich schön! Dieses Fremde, Unerreichbare und Bezaubernde.
Nicht einmal die Tiefgelehrten wissen viel über sie. Vergeben krampfhaft Namen, ohne ihr wahres Wesen zu kennen. Diese armen namenslosen Kerzen. So groß und doch so klein. So hell und doch so dunkel. So schön und doch so gewaltig. Ach, wie sehr ich mich doch nach ihnen sehne.
So lieg ich hier nun und hasse die Wolken. Diese Plagegeister, die wie eine Wand zwischen mir und meinen Sternen stehen. Doch ich warte bis sie von dannen gezogen sind. Ich warte darauf, dass sie meine Sterne aus dem Gefängnis, bestehend aus dunkler Wolle, befreien. Darauf, dass sie mich aus dieser engen Welt herauslassen, so dass ich mich wieder der Unendlichkeit - der Ewigkeit widmen kann. Der Zeitlosigkeit.
Doch sie gehen nicht. Stattdessen sabbern sie frech. Es regnet. Es ist kalt und es regnet. Es donnert, ist kalt und es regnet ungeheuer stark. Doch ich weiche nicht von meinem Platz, denn ich warte auf etwas, was mir - und mir ganz alleine zusteht.
Doch sie weicht nicht, diese schwarze Wolle. Und ich weiche nicht.
Kein einziger Stern zu erblicken. Ich friere.
Ein Niesen. War ich das? Nein. Erneut. Ist das der Regen? Plötzlich erblicke ich eine Gestalt neben mir. Es ist keine Wolke. Es ist ein Mensch und er lehnt sich über mich.
„Komm nach Hause, Liebling.“
„Aber die Sterne...“
„...wollen, dass du endlich mal schläfst.“
„Aber meine Ewigkeit...“
„...kann bis morgen warten.“
Ja, die Ewigkeit kann bis morgen warten. Ein Lächeln huscht über meine Lippen. Das ist also das Prinzip des Glücks. Heute brauche ich keine millionen Sterne, keine Unendlichkeit, keine Ewigkeit. Heute reicht mir ein einziger Mensch um glücklich zu sein.