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Das Gleichnis Von Großen Und Kleinen Wagen
Das Gleichnis von großen und kleinen Wagen
Als ich noch ein kleiner Junge war, bestand meine Hauptbeschäftigung darin, nach den Hausaufgaben durch die stets restlos überfüllten Straßen meiner Heimatstadt zu laufen, um mich an dem Anblick der großen, teuren und schönen Autos zu erfreuen.
Während die Kleinwagen, denen ich keinerlei Aufmerksamkeit schenkte, ständig mit ihren knatternden Motoren durch die Gegend fuhren, standen meine Lieblingsautos den ganzen Tag auf irgendwelchen tollen Parkplätzen herum, um sich von der Sonne bescheinen und von den Menschen bewundern zu lassen. Sie hatten es mit ihrem blitzenden Chrom, ihren breiten Reifen, ihren getönten Scheiben, ihren schwarzen Ledersitzen und ihren geilen Spoilern nicht nötig, sich in den stinkenden, normalen Straßenverkehr einzuordnen.
Stolz und würdevoll standen sie auf ihren Plätzen und sahen den kleinen Autos beim Fahren zu.
Es war für mich immer selbstverständlich gewesen, dass ich mir später auch einmal einen großen, teuren und schönen Wagen kaufen würde. Ich würde mich niemals in eine der knatternden Kisten setzen, ich nicht.
Als ich dann 18 oder 19 war, ich war eigentlich immer noch ein kleiner Junge, erfüllte ich mir meinen großen Traum. Ich hatte jahrelang für diesen Augenblick gespart.
Ich stand stolz auf dem Parkplatz und schaute lächelnd auf die Straßen, auf denen sich wie immer hunderte von Kleinwagen drängelten. Es war komischerweise kein großes, teures und schönes Auto zu sehen.
Dann drehte ich mich um.
Der Kaufvertrag steckte unterschrieben in meiner Tasche. Ich ging langsam um meinen Wagen herum. Es war wunderschön. Breitreifen, Ledersitze, tiefergelegt, Klimaanlage, ein super Radio, eine tolle Lackierung u.s.w..
Ich streichelte das glänzende Blech, setzte mich in die weichen Sitze, genoss den Sound des Radios und spürte die Freiheit des Lebens. Ich legte die neuen Sicherheitsgurte an, überglücklich, nahm den Schlüssel in die Hand, geblendet von der Schönheit des Wagens, und drehte ihn im Zündschloss um...........nichts...Ich versuchte es noch einmal..........nichts... Langsam stieg ich aus, streichelte erneut den glänzenden Chrom, fuhr fast schüchtern über den schwarzen Spoiler und ging glücklich um den Wagen herum. Der Wagen war ja soo schön. Da mich die Sache mit dem Zündschlüssel schon ein wenig beschäftigte, ging ich zur Motorhaube, wie die in der Sonne glänzte, und öffnete sie.
Der Schock beim Anblick des leeren Motorraumes war so gewaltig, dass ich erst einmal die Augen schließen musste. Der große, schöne und teure Wagen hatte keinen Motor. Und ich blickte mich um. Auf dem ganzen Parkplatz standen schöne, große und teure Wagen. Ihre stolzen Besitzer schwänzelten erregt und geil um sie herum, putzten, wuschen, hörten Musik, staunten oder streichelten einfach nur die Motorhauben. Niemand fuhr mit seinem Wagen.
Die Tränen der Verzweiflung schossen mir in die geblendeten Augen. Ich rief einem anderen Autobesitzer etwas zu, doch der zuckte nur mit den Schultern, verdrehte die Augen, weitete seine Nüstern und putzte weiter an seinem nutzlosen Wagen herum, während unten auf der Straße die Motoren der kleinen, hässlichen und billigen Autos knatterten.
ARTSNEUROSIA (Swen Artmann)(12.05.1992)