Das grüne Blättchen
Irgendwann einmal hatte man sie gefragt, was sie sich für ihre Zukunft wünschte.Ganz unbekümmert hatte sie geantwortet, sie wünsche sich einen schönen Mann, viele liebe Kinder und ein großes Haus mit einem riesigen Garten, der aussieht wie ein Dschungel.
Heute,zehn Jahr später,sehen ihre Wünsche ganz anders aus.Würde man sie fragen,was sie denn in der Zukunft alles erreichen wolle,so würde sie mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit antworten: Viel Geld verdienen,immer die richtigen Aktien kaufen,einen wohlhabenden Mann heiraten und anpassungsfähige Kinder bekommen.
Früher hatte sie sich gewünscht,einmal eine berühmte Tierpsychologin zu werden, um nach Afrika zu gehen und dort mit den Elenfanten und Tigern zu sprechen.
Heute arbeitet sie in einem Multikonzern, der Mobiltelefone herstellt.Gerade strebt sie mit ihrem stetigen Fleiss und Ehrgeiz der Chefetage entgegen.
Wenn man sie einmal fragte,was denn das Wort Zeit bedeute,so antwortete sie mit Sicherheit:"Zeit ist das,was die Menschen nicht haben.Eigentlich haben sie es nie und diese Tatsache macht sie ständig unglücklich.Ich muss jetzt dringend die Unterlagen zum Chef bringen,fragen sie mich doch ein anderes Mal wieder."
Sie hatte irgendwann begonnen,einfach unglücklich zu sein.Sie hatte sich durch die berühmt- berüchtigten schlaflosen und tränenüberströmten Nächte gekämpft, um einige Zeit später festzuhalten,es müsse wohl so sein,da jeder Mensch doch traurig und verbittert sei und das gehöre schliesslich zum Leben dazu.Diese Weisheiten hatte ihr eine Freundin vorgetragen,der sie nun verdankt,dass sie keinen Menschen zu sehr an ihrer Persönlichkeit teilhaben lässt,da ihre Persönlichkeit unglücklich und wenig redenswert sei und es nur depressiv mache, mit anderen über sich selbst und seine Wünsche und Probleme zu reden.
Dafür reden sie viel über Frau Müller,die aussieht wie eine Wiesenmaus und die immer ,wenn der Chef sie zurechtweist,rot wird.Frau Müller hat keine Freunde,sagen sie dann und lächeln einander vielsagend zu.
Früher einmal hatte sie eine Freundin,Smana,die anders war als die meisten Jugendlichen. Smana liebte es, stundenlang auf einer Wiese zu sitzen und die Natur um sich herum zu betrachten. Oft trug sie eine Lupe bei sich,mit der sie dann die Ameisen beobachtete. Sie erzählte von vielen verschiedenen Ameisenstämmen und von den unterschiedlichen Farben dieser."Die Ameisen helfen einander und sie bringen die Verwundeten in Krankenhäuser",sagte sie einmal. Sie liebte es,sich als Teil der Natur zu fühlen,sich mit ihr zu vereinen und den Anfang des Ursprunges in sich zu fühlen.Alle hielten sie für verrückt.
Auch sie hielt Smana für verrückt.Dennoch mochte sie Smana,denn sie erzählten sich oft Geschichten über große Burgen mit vielen Geheimtüren und in ihren Gedanken malten sie sich die größten und schönsten Gärten aus,die es nur geben konnte.
Heute war sie sich sicher,dass Smana sich umgebracht haben müsste,da man mit einer derartigen Einstellung zum Leben ja nicht glücklich werden,geschweige denn Geld verdienen könne.Das kümmerte sie nicht,denn sie hatte keine Zeit,um sich mit solch ineffektiven Gednakengängen zu beschäftigen.
Jetzt gerade geht sie,da ihr Freund sie gerade verlassen hat,in dem an ihr Haus angrenzenden Park spazieren.In ihrem Haus fühlt sie sich in derartig traurigen Momenten immer ihrer Luft beraubt und eingeschlossen.
Sie betrachtet beim Gehen lediglich ihre Füße,denn sie möchte die vorübergehenden Menschen nicht anschauen und sie würde sich schämen,wenn jemand in ihren Augen ablesen könnte,dass sie tief bekümmert ist.
Sie sieht nur die schwere Zeit,die nun,da sie wieder alleine ist,auf sie niederprasseln wird."Das ist das Leben",denkt sie "grausam und ungerecht."Dabei betrachtet sie fortwährend ihre Füße und findet ihre roten Schuhe ganz furchtbar geschmacklos.
Die bunten Vögel,die in den prächtigen Baumkronen sitzen und ihre Lieder in diesem Moment nur für sie zu singen scheinen, sieht und hört sie nicht,ebensowenig spürt sie den Wind,der sanft mit ihren Haaren spielt und der die Blätter der Bäume zum Singen bringt.Sie übersieht die große,alte Kastanie,die ihr soviel über das Leben sagen könnte,wenn sie ihr nur zuhören wollte,einfach und sie setzt einen Fuß vor den anderen,ohne sich darüber zu freuen,dass sie anhand der knirrschenden Geräusche,die sie mit jedem Schritt hervorruft,fühlen kann,dass sie ist und wie sehr sie doch ist.Sie geht niermals spazieren,um sich daran zu erfreuen,dass man sich an den Wundern des Lebens niemals sattsehen kann.
Plötzlich steht sie vor einem sterbenden Baum. Jemand hat ihn einfach unten abgesägt und liegengelassen. Fast alle Blätter der Krone sind nun schon braun und vertrocknet,doch zwischen ihnen schillert ganz bescheiden, ein kleines grünes Blättchen hindurch.
Plötzlich muss sie weinen.Sie legt ihre Hand auf den Stamm des sterbenden Baumes und zum ersten Mal hört sie einen Baum leise zu sich sprechen.