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Das grüne Licht
Wie ein Schleier, den man sich langsam vom Gesicht streift, blieb der Schlaf hinter ihr zurück. Sie spürte die breite Hand ihres Freundes, wie sie sich unter der Decke bewegte. Erst umfassten seine Finger sanft ihr Knie, um sich anschließend weiter nach oben zu arbeiten. Je höher sie glitten, desto lauter konnte sie seinen Atem hören. Sie lächelte innerlich, denn man konnte die Uhr danach stellen. Jede Nacht, die sie zusammen verbrachten, wurde auf diese Weise unterbrochen. Sie wusste nicht warum, aber er wachte immer zur selben Zeit auf und konnte nicht von ihr lassen. Sie öffnete die Augen, sah das weiträumige Schwarz und drehte den Kopf ein wenig, so dass ihr Blick auf den Radiowecker fiel. Sie wollte es nur noch einmal bestätigt haben.
Einen Moment lang hielt sie inne, während die Finger ihres Freundes langsam unter ihren String glitten, denn die rot leuchtenden Zahlen des Weckers waren nicht zu finden.
Sie drehte ihren Kopf von der einen auf die andere Seite, um sich sicher zu sein, dass ihr Blick auch in die richtige Ecke des Zimmers fiel.
„Kann es sein, dass der Wecker kaputt ist?“
Sie spürte, wie er unter der Decke auftauchte und sah seinen verwirrten Gesichtsausdruck fast vor sich.
„Nein. Warum?“
„Weil er nicht mehr da ist.“
Nun drehte auch er sich um und warf einen Blick in das tiefe Schwarz.
„Tja. Die Zeit hat wohl ihre Bedeutung verloren.“ Ein süffisantes Grinsen lief über sein Gesicht und er machte sich wieder daran, ihr bedächtig den Slip herunterzustreifen, doch ihre Hand schob sich dazwischen, so dass er in seiner Bewegung inne halten musste.
„Schatz. Warte bitte. Ich muss morgen früher aufstehen. Könntest du also mal bitte nachsehen, was mit dem Wecker los ist?“
Stefan zog lautstark die kühle Nachtluft in seine Lungen und begann sich aus einem Knäuel von Decken und Kissen zu befreien.
Das Bett quietschte unter seinem Gewicht; dann war er draußen und Anne hörte, wie seine nackten Füße über den Holzfußboden schlurften. Blind tastete er nach dem Lichtschalter und drückte ihn, doch es blieb dunkel. Noch einmal drückte er, aber es tat sich immer noch nichts. Ein gutturaler Laut entrag seiner Kehle, als er auf den Flur hinaustrat und auch dort bei Betätigung des Schalters alles dunkel blieb.
„Nun, sollte mich nicht alles täuschen, haben wir hier einen klassischen Stromausfall.“ Mit diesen Worten verschwand er wieder unter der Bettdecke und schüttelte sich, so als könne er sich so von der Kälte befreien.
In Anne regte sich eine stille Wut. Stefan schien es egal zu sein, dass...ihre Gedanken fanden ein jähes Ende, denn etwas erregte sie ihre Aufmerksamkeit. Ein fast unscheinbares Licht bohrte sich grünlich in die Dunkelheit. Es sah aus, als würde es direkt aus der Decke kommen. Wie Puzzelteile setzten sich die Dinge in ihrem Kopf zusammen. Sie hatten einen Stromausfall, aber wie konnte dann dieses grüne Licht existieren. Sie tippte Stefan leicht auf die Schulter, den Ärger schon längst wieder vergessen und machte ihn auf das Leuchten aufmerksam.
„Ich hatte mich damals verbohrt, als ich das Kabel für den Empfänger legte. Wahrscheinlich ist es eine Diode des Verteilers, die du da leuchten siehst.“
Doch Anne ließ nicht locker und es brauchte auch nicht sehr lange, bis ihr Freund begriff, dass der Stromausfall eigentlich das ganze Haus betreffen sollte.
„Vielleicht feiern da oben ja einfach ein paar Außerirdische ne Party.“ Stefans Worte blieben ihm fasst im Halse stecken. Er wollte beruhigend wirken, doch sein eigener Witz hatte die gegenseitige Wirkung auf Anne gehabt und ebenso auf ihn selbst.
„Eine wirklich gute Idee.“ Annes Stimme zitterte. Sie hatte Angst und wünschte sich, ihre Abende nicht immer mit irgendwelchen Grusel- und Sci-Fi Romanen vertan zu haben.
„Schatz! Geh mal bitte nachschauen.“
Stefan zögerte kurz, wusste aber, dass ihm kaum etwas anderes übrig blieb. Er spürte, dass Anne Angst hatte, denn es kam ihm so vor, als hätte die Temperatur unter der Decke einige Grad verloren und außerdem nagte die Neugier an ihm. Er wollte wissen, woher das Licht nun kam.
Stefan griff sich sein Handy, schaltete es ein und suchte sich mit Hilfe dieses schwachen Lichts seinen Weg durch das Zimmer, hinaus in den Flur. Sie blieb allein zurück und zog sich die Bettdecke wie einen Schild über ihren Körper. Anne lauschte.
Stefans Schritte wurden leiser und der kleine Lichtkegel des Handys verschwand hinter einer Biegung im Flur.
Etwas polterte leicht und dann hörte Anne, wie die Speicherluke geöffnet wurde und die schwere Holzleiter herunterglitt und schließlich mit einem letzten Quietschen den Boden berührte. Das alte Holz der Leiter ächzte unter dem Gewicht ihres Freundes, dann wurde es still. Er war wohl jetzt oben und orientierte sich in der Dunkelheit. Wieso hatte er sich keine Taschenlampe geholt, denn das schwächliche Licht des Telefons würde wohl kaum ausreichen, um den Dachstuhl zu erhellen. Vor allem standen dort oben überall Kisten und sonstiges Gerümpel herum, so dass man sogar bei Tageslicht jeden Schritt genau bedenken musste.
Als Anne nun wieder ihren Kopf drehte, traf sie das grüne Licht wie ein Speer. Bildete sie es sich ein, oder war das Licht heller geworden. Doch bevor sie diesen Gedanken weiter verfolgen konnte, wurde ihre Aufmerksamkeit auf ein dumpfes Geräusch gelenkt, dass von oben zu ihr herunterdrang. Stefan hatte anscheinend einen Weg gefunden, denn das Geräusch wiederholte sich in regelmäßigen Abständen. Es waren seine Schritte, die sie hörte. Sie verfolgte seinen Weg über den Dachboden mit ihren Augen, obwohl sie nichts sah, bis auf das unheimliche Grün.
Er hielt an, ging wieder los und schien nun einen Slalom zu laufen. Anne fühlte sich schlecht, dass sie ihn da mitten in der Nacht heraufgejagt hatte, aber sie hatte Angst und wenn er nicht gegangen wäre, dann hätte sie die ganze Nacht wohl kein Auge zugetan. Und vielleicht hatte dieses Licht ja wirklich etwas zu bedeuten. Außerirdische die ne Party feiern...Stefans Worte gingen ihr wieder durch den Kopf und die Angst brandete in ihr auf wie ein raues Meer. Sie zwang sich zur Ruhe; sie hörte ihr Herz schlagen, wie es langsamer wurde und schließlich wieder seinen normalen Rhythmus gefunden hatte. Es klopfte ganz normal, leise und konstant und dann einmal laut. Sehr laut. Anne riss ihre Augen weit auf und horchte in sich hinein und es dauerte fast eine Ewigkeit, bis sie begriff, dass es nicht ihr Herz war, dass da geschlagen hatte, sondern dass das Geräusch von oben kam. Vom Dachboden um genau zu sein. Sie rief es sich in ihr Gedächtnis zurück, so als ob sie es noch einmal hören würde und als der dumpfe Ton in ihren erdachten Ohren wiederhallte, analysierte sie ihn. Es waren zwei Töne. Ein schwerer, enorm erstickter Laut. Der zweite war wesentlich leiser, war aber unmittelbar dem ersten gefolgt.
Ihr Kopf arbeitete und als sich langsam ein Bild vor ihrem geistigen Auge abmalte, dass eine Erklärung zeigte, hörte sie wieder ihr hämmerndes Herz, wie es sich immer schneller zusammenzog und das Blut durch ihren Körper jagte. Das Bild zeigte Stefan, wie er zu Boden fiel. Erst prallte sein massiger Körper auf, dann sein Kopf. Sie sah seine Augen, wie sie leer in die Dunkelheit starrten. Panik stieg in ihr auf. Sie verbreitete sich aus dem Zentrum ihres Herzens und übernahm die Kontrolle ihres Körpers. Noch bevor sie über ihre Reaktion nachdenken konnte, schrie sie Stefans Namen. So laut und hell, dass ihre eigenen Ohren schmerzten.
Sie hielt den Atem an. Lauschte. Doch es kam keine Antwort.
„Stefan!“ Noch einmal schrie sie. Noch lauter, noch energischer.
Und wieder folgte diese unheimliche Stille, die sie mit der Nacht und den Schlägen ihres Herzens zurückließ. Es hämmerte jetzt so schnell, dass sie das Gefühl hatte, ihre Adern würden dem Druck nicht mehr lange wiederstehen und sie fühlte auch ihre Halsschlagader, wie sie sich durch die dünne Haut drückte und fast an der Oberfläche pulsierte.
„Verdammt noch mal! Was ist passiert?!“
Lächerlich war diese Frage, denn die Gewissheit, dass er nicht antworten würde, lag in ihr wie ein tonnenschwerer Stein. Ihr Inneres war auf wenige Zentimeter komprimiert, und drum herum war diese leere Hülle, die sie ihren Körper nannte.
Aufstehen! Nachschauen! Du musst!
Diese Worte peitschten durch ihren Kopf, doch wie gelähmt blieb sie liegen. Die Angst hatte ihren Körper stillgelegt. Noch schwärzer wurde die Dunkelheit um sie herum, doch dann hörte sie einen Schritt.
Es folgte ein zweiter und weitere. Schließlich quietschte die alte Holzleiter wieder.
Anne atmete schwer und neben einer kaum fassbaren Erleichterung machte sich Wut in ihr breit. Sie vertrieb die Angst, die eben noch so beherrschend war. Stefan, wieso hatte er nichts gesagt. Sie hatte sich die Lunge aus dem Halse geschrieen. Wahrscheinlich waren sogar die Nachbarn wach geworden.
Seine nackten Füße schlurften erneut über den Holzfußboden und Anne glaubte einen Augenblick seine Umrisse zu erkennen, wie sie sich langsam ins Zimmer schoben. Die Decke wurde angehoben und Stefan kroch leise darunter. Er zitterte nicht. Diesmal war ihm wohl nicht kalt. Anne drehte sich zu ihm um, wollte ihm sagen, welche Angst er ihr gemacht hatte und dabei streiften ihre Augen die hintere Stelle des Raumes. Jene Stelle, an der sie zuvor das grüne Licht ausgemacht hatte. Es war weg. Es leuchtete nicht mehr und in diesem Augenblick legte sich eine schmale Hand auf ihren Bauch, deren lange Finger sie fast ganz umfassten.