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Das Herz ist ein einsamer Jäger

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16.07.2007
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Das Herz ist ein einsamer Jäger

Das Herz ist ein einsamer Jäger

Langsam wurde es kalt. Ich blickte auf die kleine Uhr, die kurz nach Mitternacht anzeigte. Der Regen prasselte leise auf das Dach meines Wagens. Ab und zu betätigte ich die Scheibenwischer um die Sicht auf die kleine Straße freizuhalten. Vor allem wollte ich jedoch die Sicht auf das Haus freihalten. Ich hatte Angst den Wagen zu starten, um die Heizung ein wenig anzuwerfen, da die Nacht wie ein Stummfilm ihre Spule herunterdrehte und ich es als viel zu auffällig empfand. Die Lüftung blies kühle Luft in das Wageninnere, damit die Scheiben vom Beschlag frei wurden. Die Straßenlaternen warfen kleine Kegel auf den Asphalt und darin tanzten die Regentropfen, zerplatzten förmlich, wenn sie nach ihrem langen Sturz aus dem tiefschwarzen Firmament, auf den Teer aufschlugen. Doch mein Blick schweifte zwangsläufig zurück auf die Fensterreihe des dritten Stocks.

Das Haus war alt. Der Putz bröckelte hier und da von der Fassade und die Zeit hatte ihre Spuren hinterlassen. Die Fenster waren groß. So eine Wohnung hatte sie sich immer gewünscht. Ich erinnerte mich noch ganz genau an den Tag, als wir sie besichtigt hatten und sie mir um den Hals gefallen war und sagte, dass dies ihre Traumwohnung sei und ich sie entdeckt hatte. Das ist nun zwei Jahre her.

Wir waren die besten Freunde gewesen. Ich hatte ihr beim Umzug geholfen. Wir schleppten die Möbel, Fernseher und Waschmaschine das schmale Treppenhaus hinauf, bis meine Hände vor Schmerz brannten. Sie lachte jedoch jede Minute des Tages. Die hohen Räume hatte sie schon das Wochenende zuvor gestrichen. Die Küche in zartem blau, das Wohnzimmer in einem warmen Gelb und das Schlafzimmer in einem dunklen Rot. Wir bauten alles noch am gleichen Tag auf. Spät in der Nacht wurden wir erst fertig, dass sich schon die Untermieter beschwert hatten, dass noch geklopft, gebohrt und geschraubt wurde. Ihr Lachen, in ihren Augen glänzte es wie ein See im Hochsommer. Tiefes Blau nahm mir den Atem und ich sank in ein Meer aus Hoffnung. Die schwarzen Locken fielen sanft auf ihre schmalen Schultern, aus denen leicht die Knochen hervortraten. Strähnig hing eine Locke in ihre Stirn, sie war geschwitzt, hatte schon früh ihren Pullover ausgezogen und saß da in einem dünnen, weißen Hemdchen. Ihr Oberkörper formte sich darin ab und meine Augen sogen den Anblick auf, wie ein Verdurstender, Wasser in der Wüste. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ein leichter Schleier aus Licht auf ihren Körper gelegt wurde. Sie nahm mich in den Arm und jede Faser meines Körpers sehnte sich nach ihr. An diesem Abend tapezierte ich die Wände meines Herzens mit ihrem Portrait. Ich schuf ihr einen Platz, mit einem unbefristeten Mietvertrag.

Wieder betätigte ich die Scheibenwischer. Ich zitterte. Langsam schraubte ich den Verschluss meiner Thermoskanne auf und goss ein wenig warmen Tee in den Becher. Vorsichtig trank ich davon und spürte, wie das heiße Wasser meinen Hals entlang, seinen Weg in meinen Magen suchte. Ich rieb meine Hände aneinander und hauchte warmen Atem in deren Mitte. Ich schlug meinen Mantel noch ein wenig enger um mich, aber die Kälte kroch langsam von meinen Knöcheln nach oben, die tiefgefrorenen Hände der Melancholie packten mich im selben Moment und ich spürte wie eine Träne meine Wange benetzte. Kurvenreich suchte sie ihre Flucht aus dem Meer der Trauer in das Schicksal der Welt, wo man sie nur hasste, da sie einem vor Augen führte, wie schwach man doch eigentlich war. Ich sagte mir selbst, dass ich kein Idiot sein sollte. Als sie mir damals den Kuss auf meine Wange geschenkt hatte, schien für einen Moment die Welt angehalten zu haben und es ging ein Ruck durch meine Seele, der die Zahnräder wieder ineinander greifen ließ und die Erde sich weiter drehen konnte. Meine Füße fühlten sich an wie Eisklumpen. Sie ruhten auf den Pedalen und ich versuchte die Zehen hier und da zu bewegen, damit etwas Blut darin fließen konnte.

Das Licht im Wohnzimmer war angeschaltet, was mich ein wenig beruhigte. Das Licht des Schlafzimmers brannte nicht. Jedoch konnte es auch ein schlechtes Zeichen sein, wenn es nicht brannte. Meine Gedanken fuhren Karussell und die wildesten Phantasien saßen in dem Feuerwehrauto und auf den Pferdchen, lachten und winkten mir. Ich stand daneben und hatte keinen Cent in der Tasche um nur eine Runde mitzudrehen und etwas aus diesen Lügnern herauszubekommen. Die Leere des Daseins ergoss sich aus großen Kannen in mein Innerstes und ich schluchzte. Ich weinte bitterlich. Die Tränen verschleierten meinen Blick, der fest auf ihre Fenster gerichtet war. Die Zeit verstrich weiter, ging ihren Weg, egal ob man wollte oder nicht, sie hatte kein Erbarmen. Es war nun schon fast halb Eins. Der Film war nun seit eineinhalb Stunden vorbei und ich stand noch immer dort. Im Kino lief „Das Herz ist ein einsamer Jäger“, nach einem Roman von Carson McCullers. Ich kannte das Buch nicht. Ich wollte auch den Film nicht sehen.

An diesem Morgen hatte mich zum wiederholten Male ein Kollege darauf angesprochen, warum ich ständig so müde sei. Man hatte mir schnell eine heiße Liebe in mein Bett erdacht und die Gerüchte, dass ich nun jede Nacht mehrmals ihren Trieben ausgeliefert sei, beschäftigten das ganze Büro. Das Herz ist ein einsamer Jäger. Wie Recht diese Frau mit ihrem Titel doch hatte. Die Menschen hatten früher einen erheblichen Vorteil darin entdeckt, gemeinsam zu jagen. Doch bei der Liebe war jeder auf sich allein gestellt und ein gemeinsamer Jäger war ein unliebsamer Nebenbuhler, den es auszustechen galt.

Ich hatte mich darüber gewundert, wie unglaublich einfach es doch gewesen war zu töten. Zu Beginn hatte ich Skrupel gehabt, aber es musste sein. Als ich ihm damals das Messer in den Rücken stach, er sich in sein Kreuz krümmte, wie bei einem Hexenschuss und einen tiefen Laut des Schmerzes in den Abendhimmel sendete, da verspürte ich Euphorie. Es war nicht schlimm um ihn gewesen, er war kein guter Mensch. Ich habe eine gute Menschenkenntnis und irre mich selten. Von daher mache ich mir da überhaupt keine Sorgen. Ich atmete tief durch und versuchte mich ein wenig, soweit es der Bereich des Fahrersitzes zuließ, zu bewegen. Ich rutschte ein wenig hin und her und schaltete noch einmal kurz das Radio an. Ich ließ es natürlich nicht die gesamte Zeit spielen, sonst bestand die Gefahr, dass ich liegen blieb, da die Batterie keinen Saft mehr hatte. Es lief meine CD, die ich einst für sie erstellt hatte. Eine CD mit Liedern die das Gefühl beschrieben, welches ich in mir trug, wenn ich an sie dachte, was ich wohl jede Minute tat. Diesen Morgen noch, als ich im Büro vor meinem Computer saß und der Cursor mich verächtlich anblinkte. Ich blickte aus dem Fenster und der Wind wehte die letzten Blätter von den Bäumen. Kahl und ungelenk wogen die Kronen im rauen Luftzug des herannahenden Winters. Dahinter eine graue Masse Horizont. Ich hatte das Gefühl, dass es so ähnlich auch in mir aussehen musste. Über das erquickend rote Herz war das dunkle Seidentuch der Traurigkeit geworfen. Schemenhaft erkannte man es darunter. Es pochte, litt und zappelte. Es zerriss mir fast den Brustkorb, quetschte sich von innen an die Rippen und klagte schlagend seine Einsamkeit. Als ich auf den Bildschirm blickte, hatte ich ihren Namen geschrieben. Anne. Es war eine komplette Seite. Immer wieder A-N-N-E. Anne. Wie eine Tätowierung haftete dieser Name an meiner Haut. Ich blickte mich um, es war zum Glück niemand da. Ich löschte die Zeilen und der Cursor blinkte auf dem unschuldigen Weiß des Dokuments.

Martin Gore sang davon, dass er sich Jemanden wünschte, jemanden zum Teilen, den Rest des Lebens, die weggeschlossenen Geheimnisse und die intimsten Details. Mein Blick blieb auf ihren Fenstern. Lief der Fernseher? Ich meinte zu erkennen, dass an den Wänden Lichter reflektierten, die darauf schließen ließen, dass der Fernseher eingeschaltet war. Ein gutes Zeichen?

Als ich seine Leiche in dem Leichensack verstaut, diesen mit Steinen beschwert hatte und zum See fuhr, da hatte ich fast das Gefühl, dass ich ihn Flüstern hörte. Ich schaltete damals das Radio aus und meinte seine Stimme zu hören. Ich hielt an und nahm das Messer und stach noch einmal auf ihn ein, doch er bewegte sich nicht. Er war tot. Als ich damals in den kleinen Spiegel in meinem Auto blickte, erschrak ich kurz vor mir selbst. Meine Haut war weiß wie Kalk und ein dünner Film von kaltem Schweiß zog sich über mein Gesicht. Als ich ihn den kleinen Splittweg zum See schleifte, da wurde mir ein wenig übel. Ich stellte mir vor, wie sein Kopf auf den spitzen Steinen langsam aufplatzte, wie wenn Vögel auf einer reifen und tiefroten Kirsche nach dem Fruchtfleisch pickten. Ich hatte ihn auf das kleine Ruderboot gehievt und ruderte ein paar Meter raus. Als ich ungefähr auf der Mitte des Sees war, hatte ich versucht ihn ins Wasser gleiten zu lassen, ohne dabei zu kentern. Ich tanzte wie ein Betrunkener auf dem schaukelnden Boot und versuchte nicht auch noch in das schwarze Wasser zu fallen. Als er versunken war, setzte wieder diese Euphorie ein. Ich hatte auch nicht sehr lange von der Tat geträumt. Eines Nachts, da hatte er auf meiner Bettkante gesessen. Aufgedunsen vom Wasser. Die Haut von Feuchtigkeit, Algen und Fischen zersetzt. Seine Zunge war schwarz und ein faulig modriger Gestank drang in meine Nase, als er zu mir sprach. Ein grässlicher Traum. Ich habe aber das Gefühl etwas Richtiges getan zu haben. Nichts wofür man mich bestrafen müsste.

Plötzlich leuchtete das Licht in der Küche auf. Nur kurz, vielleicht eine oder zwei Minuten. Es tat gut, dass etwas passierte. Die Uhr zeigte mittlerweile ein Uhr in der Nacht. Immer wieder gähnte ich und zitterte am ganzen Leib. Das Herz ist ein einsamer Jäger, nicht wahr? Recht hat sie, diese Carson McCullers. Das Licht im Treppenhaus brannte auf und ich war mit einem Mal wieder hellwach. Ich sah einen Schatten an den Milchglasfenstern vorbei huschen und wenig später trat er endlich aus der Haustür. Ein Er, wie der andere Er auch. Namen sind mir egal. Namen sind nur Buchstaben. Zudem hätte es die Sache mit der Versenkung im See unnötig erschwert, wenn ich den Namen von dem einen Er gekannt hätte. Der Mann zog sich den Kragen seines Mantels hoch und schüttelte sich kurz, als ihn die Kälte der Nacht in Empfang nahm. Er blickte noch einmal hoch zu ihren Fenstern, genau wie ich es die ganze Nacht getan hatte. Da stand sie. Am Fenster ihres Wohnzimmers und winkte ihm zu. Er hob kurz seine Hand und ging dann zu seinem Wagen. Ich war ein wenig nach unten gerutscht, natürlich konnte mich niemand in der Nacht erkennen, auch mein Auto nicht, da ich einen Leihwagen benutzte. Als die Scheinwerfer seines Wagens aufblendeten, legte ich meinen Oberkörper auf den Beifahrersitz und ließ die Lichter passieren. Als er vorbei gefahren war, setzte ich mich vorsichtig auf. Ich hatte trotz der Schwärze Angst, dass sie mich vielleicht sehen könnte. Sie stand nicht mehr da. Wie gut es getan hatte, auch wenn es nur ihre Silhouette gewesen war, ein Schattenriss ihres Körpers. Mein Herz war aufgeblüht, wie eine Knospe während der ersten Strahlen des Sommers. Ich wartete bis das Licht in ihrem Wohnzimmer erlosch und das im Schlafzimmer zu leuchten begann. Ob sie in ihr Bad ging, konnte ich nicht sehen, da das Fenster zur hinteren Seite des Gebäudes zeigte.

Das letzte Telefonat mit ihr lag nun schon knapp ein Jahr zurück. Es war nicht sehr lang gewesen. Sie hatte sich nicht über die Blumen gefreut. Sie wollte mir sagen, dass ich mich von ihr fernhalten sollte. Sie bräuchte einen Neubeginn. Sie wollte mich nie wieder sehen und auch nie wieder von mir hören. Ich sollte sie endgültig vergessen. Vergessen? Sie? Anne? Niemals! Der Raum in meinem Herz war tapeziert, mit Tapeten auf denen ihr Gesicht prangte. Die Stiche des Vermissens taten weh. Wie sollte ich sie vergessen? Klar, es war falsch gewesen, sie anzufassen, obwohl sie es nicht wollte. Natürlich war es nicht Richtig gewesen, ihre Bluse zu zerreißen. Aber jeder Mensch macht doch einmal einen Fehler. Ich liebte sie doch nur. Seit dem Tag, an dem die Strähne ihres Haars in ihrer verschwitzten Stirn geklebt hatte. Ich hatte ihr die Wohnung besorgt. Ich hatte ihr beim Umzug geholfen und wir waren Freunde. Dieses Wort betonte sie immer komisch: Freunde. Nur Freunde. Und der Kerl, der nun auf dem Grund des Sees lag, was war der gewesen? Ich liebte sie so, wie es sicher kein Mensch je tun konnte. Aber dieser eine Tag hatte alles verändert. Die Nacht davor war er da gewesen und es hatte das Licht im Schlafzimmer gebrannt. Warum sollte er das bekommen, nach dem ich mich seit dem Tag des Umzugs so sehr sehnte? Den Tag danach hatte ich ihr die Blumen geschickt. Lilien, die mochte sie doch so sehr. Ein knappes Jahr war es her. Ein knappes Jahr, in dem ich jede Nacht unter diesen Fenstern parkte und ihr nah sein wollte. Ein Jahr, in dem mein Herz ein einsamer Jäger war.

Ich startete den Wagen und fuhr los. Mein Gott, war ich müde. Dass ich während der Fahrt nach Hause eingeschlafen war, daran kann ich mich nicht erinnern. Ich hatte Glück, meinen die Ärzte. Seit einer Woche stehe ich nun nicht mehr unter ihrem Fenster, sondern liege in diesem Bett. Bewegungslos. Ich fühle meine Beine nicht mehr. Aber das einsame Herz, es ist tapeziert und die Wände tragen für immer ihr Portrait.

 

Hallo Basti,
danke für die Worte...das mit den Absätzen hat schon einmal jemand gesagt...stimmt wohl auch...die Fehler...hmm, können passieren...aber das was Du als "schmalztriefend" bezeichnet, ist vllt auch Teil meines Stils...muss aber nicht jedem gefallen...danke und lg

 

Hallo DanKo,

also mir hat deine Geschichte bis auf einige allzu schmalzige Ausdrücke ehrlich gesagt gut gefallen. Ich mag den Wechsel zwischen der jetzigen Situation, also wie er im Auto sitzt und das Haus beobachtet, und den Erinnerungen.
Deinen Schreibstil finde ich, wie gesagt bis auf ein paar Sätze wie z.B. das mit dem Stummfilm und der Spule, auch okay.

Versuch einfach, nicht so extrem melancholisch zu schreiben, dann ist der Text meiner Meinung nach ziemlich gut, denn die Story gefällt mir auf jeden Fall - könnte natürlich auch daran liegen, dass ich eine Frau bin und wir Mädels ja auf Herzschmerz stehen...;)

 

Hallo Jules,
hmm...danke erst einmal...aber dieses "schmalzige" ist in mir, keine Ahnung, aber solche Sätze kommen mir einfach in den Kopf...ich habe wenig Lust mich auf abgeernteten Feldern zu bewegen, also versuche ich Neues zu schöpfen, vllt manchmal zu viel des Neuen...das mag sein...danke für die Anmerkungen und das Lob...vllt gefällt sie ja auch Männern!? :-)

 

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