Das Hochzeitstrauma
Julia Roberts war schuld. Und all diese anderen Filme, in denen jede halbwegs interessante Frau aus der Kirche rennt, um dann mit dem schönen Mann vor der Kirche abzuhauen. All diese Filme waren schuld, das mir jetzt die Knie zitterten. Ich trippelte nervös auf der Stelle, meine Füße schienen einzufrieren. „Ich heirate barfuß!“, schrie ich mit sieben Jahren auf der Hochzeit meiner Tante Effi als ich mir ihre Schuhe begutachtete. Die Tanten um mich herum lachten und zwinkerten sich zu. „Natürlich mein Kind...“
Ganz so heiter waren sie nicht mehr, als ich heute tatsächlich barfuß unter dem langem weißem Kleid vor der Kirche ankam. Tante Effi, mittlerweile geschieden und mit jugendlichem Liebhaber anwesend, versuchte sogar, mir ihre eigenen Schuhe anzudrehen. „Das kann man doch nicht machen, so ganz nackt um die Füße. Was soll denn der Janni denken, Kind?“ Der Janni hätte es wahrscheinlich am liebsten, würde ich ganz nackt heiraten. Dann sah ich ihn, meinen zukünftigen Göttergatten, sollte ich nicht doch noch Julia-Roberts-Ambitionen entwickeln. Sein schwarzer Anzug glich seine schwarzen Augenringe. „Jan!“, Flüsterte ich. „Lass uns abhauen, die Torte schnappen und uns eine Woche lang mit der Torte im Wald verstecken, bis alle abgereist sind.“ Er runzelte müde die Stirn. „Träum nicht so viel, Juli, das hier ist Ernst. „Unsere Verwandten würden uns das nie verzeihen.“
„Eben“, versuchte ich ihn zu begeistern. „Oder wir fliegen nach Schweden und kommen nie wieder zurück.“ Er guckte gelangweilt.
Die Kirchenglocken gaben uns das Zeichen zum Altar zu laufen. „Jan!“, flüsterte ich eindringlich, „Jetzt!“
Genervt schob er mich Richtung Pastor. Ein Chor stimmte dem „Halleluja“ an. „Wir könnten ein Haus in Schweden kaufen und erfolgreiche Romane schreiben...“ Er ignorierte mich. „Gut!“, sagte ich trotzig, „fahr ich eben allein nach Schweden!“ Theatralisch schüttelte ich seine Hand ab und schob den Rock ein wenig hoch, um besser fliehen zu können.. „Juli, jetzt sei nicht albern“ stöhnte Jan genervt. Ich funkelte ihn böse an. „Von mir aus fahren wir eben nach Schweden und mieten uns ein Ferienhaus. In Schweden regnet es aber immer.“ „Zu spät!“, Murmelte ich.
„Also, wirklich!“ Er wurde sichtbar ärgerlich. Ich beschloss, ihm noch eine letzte Chance zu geben. „Warum heiraten wir?“ Er zuckte mit den Schultern. „Weil man eben heiratet, wenn man sich liebt. Das weißt du doch.“ „Nicht, weil wir uns lieben?“, Entgegnete ich. „Ist doch das gleiche“, murrte er und gab mir zu verstehen, das alles, was er heute noch sagen würde ein „ja“ wäre. Ich sah ihn an, ich sah den Pastor an und den singenden Chor, die Verwandten auf den Bänken mit ihren Taschentüchern und ich sah mich selbst, im langem Kleid und ohne Schuhe.
„Wenn ich groß bin, will ich auch von meiner eigenen Hochzeit abhauen“, schrie ich begeistert mit 14 als ich „Die Braut die sich nicht traut“ gesehen hatte. Meine Schwester verschluckte sich damit vor Lachen an ihren Chips.
Ich beobachtete, wie ich mich umdrehte und ging. Einfach so. Die Tanten japsten nach Luft und eh mich jemand aufholen konnte, fing ich an zu rennen. Ich floh aus der Kirche und schnappte das nächste Taxi, das an mir vorbeikam. Der Fahrer, seltsamerweise in einem elegantem, dunkelbraunem Anzug, lachte, als er mich sah. Er versuchte den Wagen zu starten, doch der Motor hatte seinen eigenen Willen. Ich beobachtete sein Finger, die lang und gepflegt waren. Der Taxiausweis auf der Ablage zeigte einen ganz anderen Mann, einen der mich mehr an einen Taxifahrer erinnerte. „Haben sie das Taxi geklaut?“ fragte ich ihn schmunzelnd. „Sind sie von Ihrer Hochzeit abgehauen?“, erwiderte er. Wir grinsten uns an. Er zeigte auf den Ausweis. „Das ist mein Bruder.“ Ich nickte und versuchte das Radio anzustellen. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie wir einen Papierkorb umfuhren „Haben sie als Junge viel geträumt?“, fragte ich mit einem warmen Gefühl in der Magengegend. „Immer!“, antwortete er lächelnd. „Von Rittern, Prinzessinnen und vor allen von entführten Taxis.“ Ich lachte. „Kommen Sie mit nach Schweden?“
Er sah mich von der Seite an. „Jetzt und sofort?“, lachte er.
„Jetzt und sofort!“, rief ich begeistert.
„Auf zum Flughafen!“, jubelte er.
„Wenn ich erwachsen bin, fahre ich mal mit einem Fremden nach Schweden und lass mir von ihm ein Haus bauen“, träumte ich , als ich 17 Jahre wurde, von den Tanten immer noch belächelt und bezwinkert.