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Das Klopfen
Gerold träumt von einem großen Raupenwesen. Seltsam. Plötzlich ist er das Raupenwesen. Sein Name ist Krozkazka. Er bewegt sich in einer stockfinsteren Nacht durch einen Wald. An seiner Vorderseite wachsen Tentakel und Sinnesorgane. Sein Hinterteil ist abgetrennt worden. Er leidet große Schmerzen und er ist verwirrt. Zu viel Neues dringt auf ihn ein. Formen, Düfte, Farben. Er kennt das alles nicht. Er kommt aus der ewigen Dunkelheit. Endlich ist er aus dem Wald. In der Ferne bemerkt er farbige Lichtpunkte, die sich in seinen Facettenaugen tausendfach spiegeln. Schon beschleunigt er, beginnt immer schneller mit seinen kurzen, dicken Beinen aufzustampfen und geht endlich zu Sprüngen über. Die Lichtpunkte werden zu Lichtern eines kleinen Dorfes. Instinktive Triebe erwachen. Ungeduldig rüttelt er am ersten Haus. Es ist erstaunlich widerstandsfähig. Dachziegel fliegen krachend herunter, Balken zerbrechen, doch dort oben ist nichts. Drinnen geht ein grelles Licht an. Es ist viel zu hell für seine Sinne. Wütend lässt er seine Tentakel durch die Öffnungen vorschnellen ...
Die Lichtung lag in völliger Stille und Dunkelheit. Schwere Wolken verdeckten jeden Stern am Himmel. Da stach ein greller Lichtstahl schaukelnd durch das Schwarz. Gerold trug einen schweren Scheinwerfer, der wohl früher mal ein Fußballfeld ausgeleuchtet hatte. Sein Neffe Robert und sein Enkel Markus folgten dicht auf. Die kleine Lichtung mit dem felsigen Grund roch nach Moder und Verwesung. Trotz der sumpfigen Umgebung war das spärlich wachsende Gras vertrocknet.
"Wenn du nicht so spät gekommen wärst, könnten wir schon längst zu Hause sein." Gerold konnte seinen angestauten Zorn nicht mehr unterdrücken.
"Wir wären früh genug da gewesen. Was kann ich dafür, dass mein Auto nicht mehr angesprungen ist?", erwiderte Robert. Ab und zu streifte ihn der Scheinwerferstrahl, sodass seine weiße Robe und das Edelsteinband um seine langen grauen Haare aufleuchteten.
"Es ist bald Mitternacht. Besser, wir sind vorher fertig", sagte Markus, der einen schweren Sack voller Kristalle schleppte.
"Verdammt!", Gerold war in die fauligen Überreste eines Ringes aus blassrosa Pilzen gestiegen.
Gerold blieb stehen und tastete nach den Herztabletten in seiner Brusttasche. Er stellte den Scheinwerfer auf den Boden, öffnete zitternd die Schachtel, und schluckte eine Pille.
Da war es wieder. Dieses Gefühl der Bedrohung, das in dichten Wellen von der Lichtung ausgestrahlt wurde.
Das gleiche Gefühl wie beim ersten Mal. Es war ihnen nachher dumm vorgekommen, so eilig davongelaufen zu sein. Weit weg, in Wien, hatten er darüber gelacht und versprochen bei der Beseitigung der vermeintlichen erdmagnetischen Störung zu helfen. Noch dazu, für ein fürstliches Gehalt, denn der Bürgermeister wollte, dass seine geplante Schnellstraße frei von solchen Störungen war. Genug Geld, um Markus endlich ein paar anständige Sachen zu kaufen.
Robert streckte seine Hand aus und ging langsam weiter.
"Seltsam. Einfach wird es nicht werden", murmelte Robert. Die Schatten rings um die Lichtung verdichteten sich, während der Scheinwerfer langsam schwächer wurde.
"Ich dachte, du hättest ihn aufgeladen", sagte Robert zu Markus.
"Hab ich doch gemacht. Der ist einfach zu alt."
"Beeilen wir uns. Vielleicht sind wir vor Mitternacht fertig", unterbrach Gerold den aufkeimenden Streit.
Schweigend bereiteten die Männer alles Notwendige vor. Räucherstäbchen, Pyramiden, Kerzen, deren Licht kalt und klamm erschien. Ein Windstoß brachte die Blätter über ihnen zum Rascheln. Robert kontrollierte alles noch einmal sorgfältig.
"Jetzt wir es Zeit, die Bergkristalle auszustreuen. In ihrer Gegenwart wird es seine Macht verlieren." Robert erhob sich langsam. Seine Hände zitterten.
"Da klopft etwas?", flüsterte Markus.
Gerold lauschte.
"Nein, ich höre nichts."
"Ganz deutlich. Es klopft. Beeilen wir uns", sagte Robert.
Jeder nahm eine Hand voll Bergkristalle.
Gerold spürte einen deutlichen Druck um sein Herz, und Zweifel schlichen sich ein. Etwas vor ihnen wurde stärker. Die Gewissheit, dass ihn etwas anspringen würde, wenn er die Kristalle warf, lähmte seinen Atem. Das Klopfen war jetzt nicht mehr zu ignorieren. Etwas Großes pochte gegen eine massive Holztür.
"Jetzt", schrie Robert und schleuderte eine Hand voll Kristalle in die Mitte der Lichtung.
Der Druck in Gerolds Brust begann sich auf sein Herz zu konzentrieren, zog sich plötzlich zusammen und packte es mit unerbittlichem Griff. Die Schläge hallten wie Donner und dann zersprang etwas in seiner Brust.
"Ich sterbe", dachte er. "Verdammt, warum musste ich zurückkommen?"
Markus ließ die Kristalle einfach fallen, Robert hielt sie krampfhaft fest und vermochte sie nicht zu werfen. Der Strahler versagte und ein Windstoß löschte die Kerzen aus. Undurchdringliche Schwärze kroch aus der Lichtung und erstickte die Lichtpunkte der glimmenden Kerzenstummel. Gewaltige Schläge dröhnten von überall her. Wie ein gigantischer Hammer. Gerold konnte nicht mehr atmen.
"Bitte, ich will jetzt nicht sterben", dachte er. Aus der Dunkelheit sprach eine Stimme direkt in seinen Gedanken:
"Komm zu mir. Gib mir deine Hand und du wirst gerettet."
Er hatte Angst. Etwas mit der Stimme stimmte ganz und gar nicht. Doch es gab keine Alternative. Mit letzter Kraft streckte Gerold seine Hand aus. Eine Art Tau wickelte sich um sie, zog ihn vorwärts und dann explodierte alles um sie. Der Boden der Lichtung löste sich auf und sie fielen durch eisige Kälte in einen dunklen Tunnel. Auf der anderen Seite wurden sie herumgewirbelt. Gerold erwartete, kopfüber abwärts zu fallen, doch statt dessen stand er auf dem Boden. Alle drei fielen nieder und plötzlich war alles ruhig.
"Nein", stammelte Robert und taumelte zurück, doch dort, wo der Wald sein sollte, befand sich etwas ganz anderes. Obwohl sie nicht mehr als bleiche Schatten erkennen konnten, wussten sie sofort, dass sie sich an einem völlig fremdartigen Ort befanden.
Als Gerold endlich das Bild in seiner Gesamtheit erfasste, hielt er die Hand vor Augen, weil er es nicht ertragen konnte.
Die Welt bestand nur aus Schwärze mit eingesprengten fahlen Linien. Eine verkehrte, dunkle Landschaft in der Ferne, und vor ihnen die schimmernden Umrisse von Wesen. Sie schienen überall zu sein. Und ihre Körper erstreckten sich völlig verkehrt in den Raum hinein statt aus ihm heraus.
Gerold erinnerte es an ein Negativ. Über ihnen bewegte sich etwas Gigantisches. Ein riesiges Wesen mit raupenförmigem Rumpf, von dem lange und kurze Tentakel weggingen und dessen Ende von langen Stacheln strotzte. Es hatte sich wie ein Hochhaus über sie erhoben und starrte aus fenstergroßen Augen nach unten. Am Kopf stand ein heller Schild, wie ein gedrungener Champignon ab. Darunter streckten sich gewaltige Mandibeln und Zangen hervor, sowie weitere peitschenartige Fühler, die unruhig hin und her zuckten. Vor dem Monster lag eine Mulde, an deren Rand sich die drei Menschen befanden. Hastig sprangen sie zurück.
Der Kopf fuhr mit einem Donnerschlag nieder und klebte dann in der Mulde fest. Konvulsivische Zuckungen durchfuhren den aufgedunsenen Körper, während sich das Wesen tiefer arbeitete. Robert bemerkte erst, nachdem der Kopf völlig verschwunden war, dass es in Wirklichkeit durch ein Loch im Boden schlüpfte. Tentakel krallten sich am Rande der Vertiefung fest, während sich der Körper wie eine Amöbe hindurchquetschte. Schon drängten sich andere Kreaturen herbei. Er wusste nicht wie er diese Dinge, die nur aus schimmernden Umrissen um Vertiefungen in die Landschaft bestanden, sonst nennen sollte. Gebeugte Rümpfe mit fledermausartigen Flügeln, zottige oder gehörnte Köpfe, mit viel zu langen Reiszähnen, spinnenartige Beine mit Klauen, die träge auf und zu schnappten. Alles drehte sich und versuchte gleichzeitig zum kleinen Loch am Grund der Vertiefung zu gelangen. Dabei wirkten sie alle so leicht und grazil, als könnte sie ein Windstoß hinwegfegen wie welkes Herbstlaub.
Das Wesen mit dem raupenartigen Körper zwängte lautlos ein Segment nach dem anderen durch das Loch im Boden. Stachel und Tentakel legten sich an, verschmolzen mit der Haut, und flossen mit zäh fließenden Bewegungen vorwärts.
"Nein", schrie Robert und rannte auf das Wesen zu. Nur sein besonders stacheliges Ende ragte noch heraus. Das Loch in der Mitte maß kaum zehn Zentimeter im Durchmesser. Das Wesen wirkte jetzt wie ein Teil eines grotesken Stundenglases. Robert griff in die Tasche um weitere Kristalle auf es zu werfen, doch bevor er seinen Plan ausführen konnte, hatte ihn ein Tentakel blitzschnell aufgespießt. In dem Moment, als es ihn durchbohrte, wurde es von grellen Flammen umhüllt. Durch Roberts Schwung landeten seine Kristalle doch noch auf ihrem Ziel. Reinweiße Feuerzungen schossen aus dem Körper des Wesens. Das brennende Tentakel zuckte unkontrolliert und riss Robert direkt auf den stacheligen Hinterleib, wo er, von mehreren Stacheln durchbohrt selbst aufflammte, und dann die Stacheln in Brand steckte. Alles geschah blitzartig und in völliger Stille. Als Gerold und Markus erschrocken aufschrien, hatte sich das Feuer über den gesamten Hinterleib ausgebreitet und Robert schmolz wie eine Wachsfigur. Das Raupenwesen schüttelte sich und dann wurde es in zwei Teile geschnitten. Die anderen Kreaturen drängten trotz der Flammen zum Loch, doch ihre geschuppten, gehörnten oder stacheligen Köpfe prallten gegen eine unnachgiebige schwarze Wand. Schon begannen sie daran zu zerren, dagegen zu hämmern und sich in lautloser Wut gegenseitig zu beißen. Dort, wo der vordere Teil des Raupenwesens verschwunden war, kräuselte sich der Boden, als versuche etwas durchzukommen. Etwas mit einem Kopf von fünf Metern Durchmesser. Das Beben wurde langsam sanfter und erstarb dann völlig, so wie Wellen verebben, nachdem ein sehr großer Stein untergegangen ist.
Die Monster sahen die Menschen an. Die Menschen sahen abwechselnd nach den Monstern und den zerfließenden Überresten von Robert und dem Hinterteil des Raupenwesens.
"Oh nein," stammelte Markus nur.
Mechanisch machte Gerold ein Kreuzzeichen.
"Herr sei seiner Seele gnädig," betete er. "Und uns auch", fügte er hinzu.
Die monströsen Gestalten, die sich um das Loch gebalgt hatten, umkreisten die zwei Menschen, die sich wortlos aneinander drückten. Kalte weiße Augen aus schwarzen Köpfen starrten sie an. Gerold fühlte sich seltsam leicht. Es herrschte völlige Stille.
"Jetzt sind wir dran." Markus Stimme schien von überall her zu kommen.
Gerold ergriff seine Hand.
"Bleib ruhig", hörte er sich sagen. Dabei hatte er den Mund gar nicht aufgemacht. Und dann war da noch der fehlende Schmerz in seinem Herzen. Er hätte schwören können, dass er einen Infarkt gehabt hatte, doch er spürte nichts. Rein gar nichts. Gerold versuchte seinen Puls zu fühlen. Er konzentrierte sich und noch immer war kein Puls festzustellen. Mit seltsam gefühllosen Fingern ertastete er die Halsschlagader.
"Ich habe keinen Puls."
Die Monster zischten leise, schienen sie hungrig anzustarren, aber keines wagte sich näher als etwa der Meter an die Menschen heran. Hinter den Wesen erstreckten sich dunkle Berge, die von hellen Adern durchzogen waren, die fahl leuchteten, so wie Quarzadern in dunklem Marmor.
"Ich habe auch keinen Puls mehr. Aber ich bin doch nicht tot. Auch wenn das hier aussieht wie der Hades. "
"Hast du noch Kristalle?"
"Nein."
"Hier nimm. Wenn sie kommen, nehmen wir welche von ihnen mit."
Gerold reichte Markus die Hälfte aus seiner zusammengepressten Faust. Sie leuchteten grellweiß in seiner dunklen Handfläche. Die beiden machten sich bereit zum Werfen, doch der Ansturm blieb aus. Manche Monster flatterten davon. Andere drängten sich nach vor, doch keines kam ihnen zu nahe, ganz als würde sie ein unsichtbares Kraftfeld umgeben.
"Was machen wir jetzt", fragte Markus mehr die Wesen vor ihm, als Gerold.
Eine Kreatur mit drei langen Hörnern und vier krallenbewehrten Extremitäten flatterte um sie herum. Da seine Gliedmaßen in den Hintergrund eingedrückt schienen, wirkten alle Bewegungen verkehrt. Gerold wurde schwindelig und er machte die Augen zu.
Er hoffte, wenn er sie wieder aufmachte, wäre alles gar nicht Wirklichkeit, doch statt dessen wiesen jetzt einige der Monster mit ihren Klauen, Tentakeln oder Pseudopodien in eine bestimmte Richtung. Ein kaum erkennbarer Pfad aus fahl umrissenen Steinen wand sich zwischen den dunklen Bergen.
Zuerst unsicher und dann immer hastiger marschierten sie. Gerold stellte fest, dass er, nachdem sein Herz überhaupt nicht mehr schlug, weder außer Atem kam noch zu schwitzen anfing. Er fühlte sich schwerelos, als wäre er in Watte gepackt. Abgesehen von einem gelegentlichen Zischen oder Wispern bewegten sie sich in völliger Stille. Gerold versuchte etwas am dunklen Himmel zu erkennen, doch das einzige Licht kam von den Graten der Berge über ihnen und natürlich den Silhouetten der Wesen um sie. Ein fahles Licht rahmte den Himmel ein. Dort gab es weder Wolken, noch Sterne, noch Mond oder Sonne. Er musterte ihre Begleiter. Es gab alle vorstellbaren Arten. Von dickbäuchigen, stacheligen Gurken größer als ein Elefant, die sich kriechend vorwärts bewegten, zu kleinen bibergroßen Wesen mit langen Libellenflügeln, deren Ende scharf gezackt war. Ab und zu entfernten sich welche und dann kamen wieder Neue hinzu. Das Wispern um sie wurde beständig und immer lauter. Es klang nun nicht mehr wie schlagenden Flügel oder aufstampfende Füße, sondern mehr wie gezischte Worte.
"Schneller ..., dahin ..., beeilt euch ..., Krakrackuz wartet ...", meinte Gerold zu hören.
Dann, die Meute um sie hüpfte und flatterte immer aufgeregter herum, hörten sie das Klopfen. Anfangs sahen sie den Verursacher nicht, doch allmählich tauchte in der Ferne ein gigantisches Raupenwesen auf, nicht unähnlich zu dem, dass sie empfangen hatte. Das Klopfen entstand dadurch, dass es wie rasend seinen Kopf gegen den Boden schlug. Die Tentakel hatten sich festgekrallt, und ließen den Kopf wie einen Rammbock auf die Erde schlagen. Das Wesen hatte schon einige Vertiefungen in den Boden getrieben. Eine Wolke kleinerer Monster umgab es, die sich schnell mit den Gefährten der Menschen durchmischten.
Ein besonders großes Exemplar mit Fledermausflügeln, das aussah, wie die Karikatur eines Schmetterlings, starrte mit seinen vier Augen auf die zwei Menschen.
Gerold bekam davon Kopfschmerzen, doch Markus flüsterte:
"Ich verstehe ihn." Er blieb starr stehen und starrte den Vieräugigen an. Gerold bemerkte grauweiße Schweißperlen auf Markus Stirn. Die Zeit verging. Gerold sah auf seine Uhr. Sie war stehen geblieben.
"Sie wollen, dass wir ihnen helfen, auf die andere Seite zu gelangen. In unsere Welt, damit sie sich von den Menschen dort ernähren können", sagte Markus endlich.
Das raupenartige Monster wandte ihnen den Kopf zu. Seine Tentakel fuhren hoch und erzeugten synchron eine einlandende Bewegung.
Jetzt konnte auch Gerold die Stimme verstehen.
"Kommt", sagte das Wesen.
Die Monster um sie bildeten einen Kreis, sodass den Beiden gar nichts anderes übrig blieb, als zur Mulde zu gehen, welche das raupenartige Wesen geschaffen hatte.
"Seht", erklang seine Stimme in ihrem Kopf.
Gerold erkannte nichts.
Die Ausbuchtung schien völlig schwarz zu sein.
"Ich seh was!", rief Markus und deutete auf einen hellen Punkt vor ihm.
Wie durch dicke schwarze Schleier sahen sie zwei Menschen durch einen Keller gehen.
"Es hat hier doch geklopft", sagte die junge Frau, die eine kleine Taschenlampe in der Hand hielt.
"Verdammtes Spukhaus", fluchte ihr kräftiger männlicher Begleiter. "Kein Wunder, dass es so billig war."
"Helft uns hindurch", ertönte es in Gerolds Gedanken.
"Wie?"
"Ihr müsst sie herlocken, damit wir ihre Plätze einnehmen können."
Markus sah Gerold fragend an.
"Werfen wir sie jetzt?"
"Warte noch."
"Es hat gesagt, sie müssen mit jemand von unserer Welt Platz tauschen. Es ist eine Art Gesetz. Doch die Menschen halten ihre Präsenz nicht aus und laufen davon." Gerold sah, dass Markus die Lippen nicht bewegte. Jetzt verstand er, warum sein Enkel so seltsam klang.
"Was ist da?"
Der Mann deutete auf Gerold.
Hinter ihnen wurden die diffusen Zisch- und Schmatzlaute lauter wie eine brandende Woge. Die Monster kreisten um die Menschen und wurden nur von der großen Raupe gehindert, sich sofort in die Mulde zu stürzen. Mit ihren vielen Tentakeln schlug sie einige von ihnen zur Seite.
Der Mann kam näher. Gerold machte sich bereit zum Wurf, doch zuvor legte sich ein stacheliger Fangarm blitzschnell um seinen Hals und Rumpf.
"Hilfe!", schrie Gerold ohne es zu wollen.
Der Mann leuchtete jetzt in Gerolds Gesicht, doch die Frau kreischte: "Nein, ich halte das nicht aus", und lief davon. Der Mann folgte ihr nach einer Schrecksekunde, und weg waren sie.
Markus neben Gerold hatte die Hand erhoben, warf aber nicht.
Die Monster um sie wirbelten enttäuscht herum. Der große Wurm zog die Tentakel, mit der er Gerold festgehalten hatte, zurück. Gerolds Hals juckte, als liefen Tausende Ameisen hastig im Kreis.
"Noch nicht."
Markus ließ seine Hand sinken.
"Wir müssen versuchen, selbst auf die andere Seite zu kommen. Das Erste könnte noch leben. Wenn wir wieder auf der anderen Seite sind, dann wird der Erste hoffentlich hierher zurückgerissen."
"Du musst mir helfen." Das Raupenwesen sandte seine Gedanken direkt in Gerolds Gehirn.
"Ich habe getan, was ich konnte. Sie sind einfach weggelaufen. Ich verstehe das auch nicht."
"Du musst träumen."
Das Raupenwesen rollte eine lange Zunge aus, wie ein Schmetterling. Das Ende stülpte sich über Gerolds Kopf. Augenblicklich schlief er ein.
... Die Lichtstrahlen der Menschen haben ihn verletzt. Er zieht sich in den Wald zurück, weil er hofft, dort sicher zu sein. Zu allem Unglück wird der Himmel über ihm immer heller. Etwas Schreckliches kündigt sich am Horizont an. Die Morgendämmerung juckt zuerst auf seiner Haut und beginnt sie schließlich zu verbrennen. Panisch bricht er durch den Wald, auf der Suche nach einem Versteck. Schließlich schlüpfte er in eine kleine Höhle und zieht sich dort zitternd zusammen. Der Tag dauert ewig. Jetzt spürt er auch ein nie gekanntes Gefühl. Hunger. Sein Magen hat zum ersten Mal Nahrung bekommen und will jetzt mehr. Er kriecht ein Stück unter der Erde dahin, auf der Suche nach einem Platz ohne dieses grelle Licht. Doch so oft er auch einen Fühler an die Oberfläche steckt, wird er verbrannt. Dann endlich ist das Licht weg. Neue Kräfte durchströmen ihn. Dieses Mal findet es weit mehr Menschen in dem Dorf vor. Es reißt das Wirtshaus mit einem einzigen Ruck auseinander und pflückt sich die davonlaufenden Menschen wie reife Früchte. Wieder kommen sie mit diesen grässlichen Lichtstrahlen. Er zieht sich zurück, nicht aber ohne weitere Menschen mitzunehmen. Ein Mädchen lebt noch. Ihre Hüfte hat dem Druck seiner Tentakel standgehalten. Er lockert seinen Griff und seine Zunge stülpt sich um den Kopf des Mädchens. So erfährt er das Geheimniss des Lichtes, den Zusammenhang mit der elektrischen Energie. Er umrundet das Dorf, kappt alle Stromleitungen und bricht dann mit ungeheurer Schnelligkeit über die Menschen herein. Das erste Ziel sind ihre Lampen, die er mit einem schnellen Tentakelschlägen vernichtet. Es ist ein Festmahl. Sein riesiger Körper wird dadurch fester. Die Haut härtet sich, verborgene Muskeln und Organe reifen. Und dann erscheint Krakrackuz in seinem Traum. Er braucht Hilfe. Krozkazka wird ihm helfen und die Menschen von der anderen Seite zum Klopfen hin treiben.
Wehe ihnen, wenn sie es hören. Es wird dafür sorgen, dass es kein Entrinnen gibt.