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Das Kopfkarussell

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21.10.2009
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Das Kopfkarussell

„Ich habe Kopfschmerzen“, stöhnte das dunkelhaarige Mädchen und fasste sich an die Schläfe.
„Hättest du eine Tablette für mich?“
Daraufhin vergrub die Rothaarige ihre Hand tief in ihrer Handtasche (mit Leopardenmuster) und durchwühlte sie minutenlang, eher sie sich kopfschüttelnd zu ihre Freundin wandte.
„Verdammte Drinks. Verdammtes Klima. Ich glaube echt, dass es an dieser beschissenen Erderwärmung liegt. Seit dem sie es im Fernsehen gesagt haben, pocht mir der Schädel.“
Mitfühlend blickte die andere sie an, während sie sich den Rest ihres Mojitos durch einen Strohhalm einflößte.
Gedankenverloren betrachtete er die beiden Frauen bei ihrer Konversation und verfolgte ihre Gesten mit seinem Blick. Die eine hatte lange, dürre Finger, die eher an Klauen erinnerten und die Art von Fingern waren, die sich gut für das Halten einer Zigarette anboten. Er sah sie vor sich, die Rothaarige, wie sie den Stängel zwischen Mittel- und Zeigefinger hielt, während sie kräftig inhalierte. Vielleicht hustete sie.
Die Dunkelhaarige vergrub ihre Hände in den Haaren und stemmte ihren Kopf darauf ab, während sie unaufhörlich klagend die selbe Leier von sich gab.
Manchmal verdrehte sie ihre großen Augen, an denen dick getuschte, verklebte Wimpern wie Fliegenbeine hingen. Das fehlende Rot in ihren Haaren hatte sie durch einen kräftigen Rotton auf den Lippen auszugleichen versucht. Und dabei wusste selbst er, dass auch hier die weniger-ist-mehr Devise von Vorteil war.

Die Bar war voll von hübschen Damen in aufreizenden Kleidern und Posen, viele von ihnen gierten unbewusst nach ihm, einigen konnte er deutlich an den Augen ablesen, dass sie nur darauf warteten von ihm angesprochen zu werden, nur um ihn dann verstehen zu lassen, dass sie nicht mit ihm schlafen würde. „Aber einen Drink würde ich nicht ablehnen“, wäre das Gespräch dann meist weiter verlaufen und hätte nur zwei Ausgänge finden können: entweder wäre er um eine Lebensgeschichte bereichert worden oder hätte im Schutz der Dunkelheit einen geblasen bekommen.
Doch dieses Mal, und er konnte es sich nicht erklären, war sein Interesse an den beiden Freundinnen vom Nachbartisch hängen geblieben.
Mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu beobachtete er die Grenzfälle weiblicher Erscheinungen, die sich so absurd der vielen oberflächlichen Klischees bedienten, dass er begann ihre Existenz in Frage zu stellen.
Beide hatten sie lackierte Nägel, was an sich keine Straftat darstellte. Was ihn daran aber doch abschreckte, waren die bunten Farben, die selbst im gedämpften Licht der Bar zu strahlen schienen und die darauf abgebildeten Muster. Vögel, Blumen, Herzen, soweit hatte er es von seinem Platz aus erkennen können. Wie schaffte man es kleine Bilder auf eine so kleine Fläche wie die eines Fingernagels zu bannen?
Er wusste nicht, ob er sie dafür bewundern, oder verachten sollte und hätte ersteres wohl ernsthaft in Erwägung gezogen, wenn da nicht diese abscheulichen Kleider wären, die sie an ihren Leibern trugen.
Das Hervorheben der Brust durch die Andeutung eines Korsetts scheiterte bei der Dunkelhaarigen an der Menge an überschüssigem Gewicht, das die Proportionen wie einen Berg aus Fleisch aus den freien Ritzen hervor zwängte und jegliche Erotik missen ließ, die der Schnitt des Kleides dem Betrachter versprach.
Die Rothaarige glänzte mit einer mélange aus Rüschen, Schleifen und Paletten und jede verschwitze Pore ihres Körper schrie nach Aufmerksamkeit. Dennoch oder gerade deshalb beschloss er, die beiden anzusprechen.
„Ich bitte die Damen um Entschuldigung“, begann er, galant und wortgewandt wie er es nur unter einem angemessenen Alkoholeinfluss zu sein glaubte. Dabei hielt er sein Glas kunstvoll in der linken Hand zur Schau. „Ich möchte ja nicht aufdringlich sein, aber ich beobachte Sie schon seit einer Weile und stelle mir die Frage, ob es tatsächlich möglich ist, dass zwei so junge und dazu wunderhübsche Frauen einen ganzen Abend ohne männliche Begleitung verbringen können. Sie erwarten doch sicherlich jemanden.“ Und nach einer inszenierten Pause fügte er mit hoffnungsvollen Augen das Fehlende „Oder?“ hinzu.
Bereits bei der ersten schmeichelhaften Andeutung sah er, wie sich die Augen der Dunkelhaarigen in Sterne verwandelten. Sofort hob sie ihren Kopf an und jegliches Leid schien von ihr genommen zu sein, einzig durch die Wirkung der süßlichen Worte seiner mit Bier durchtränkten Zunge.
Die Rothaarige gab sich zunächst unbeeindruckt, er durchschaute ihre Fassade an dem gekonnt arroganten Spiel mit der Haarsträhne, die sie kühl und desinteressiert wirken lassen sollte, und ihr sie doch nur unsicher erschienen ließ.
„Wir warten auf niemanden. Wir trinken nur vor.“ Es war genau die Art von Antwort, wie er sie aus ihrem Mund erwartet hatte. Unsicherheit und Naivität trieften aus ihrer erbärmlichen Selbstdarstellung. Kurz wurde er von Mitleid heimgesucht und eine Spur von Reue mischte sich in sein Vorhaben, er spülte beides mit einem kräftigen Schluck hinunter.
„So,“ gab er sich überrascht, „es ist also ein feucht-fröhlicher Abend geplant und ganz ohne Männerbegleitung.“
„Ohne überflüssige Männerbegleitung,“ korrigierte die Dunkelhaarige. „Ansonsten schau´n wa mal, was kommt.“ Und sie entblößte beim Lächeln verschmilzt ihre Zähne, als hätte sie etwas besonders schmutziges gesagt. Gezwungenermaßen musste er die Grimasse erwidern, wenn er das Spiel aufrecht erhalten wollte und so zog auch er seine Mundwinkel auseinander und präsentierte sich so charmant, wie es ihm in dem Moment möglich war, während sich alles in seinem Körper dagegen sträubte. Er wusste, dass er sich mit jedem Wort tiefer in ihre erbärmlichen Hoffnungen vergrub und nur der Gedanke daran, diese bei der passenden Gelegenheit zu zerstören, verlieh ihm die Befriedigung, die ihm sein Vorgehen rechtfertigte.
„Das ist wohl wahr. Man sollte nie mit großen Erwartungen an einen Abend herangehen und alles auf sich zukommen lassen und mit einem Mal ist man in Gesellschaft von zwei reizenden Damen.“ Innerlich kicherte er über den Blödsinn, den er ihnen auftischen konnte, ohne auch nur den geringsten Zweifel zu haben, dass sie ihn schlucken würden.
Er hätte ihnen die Sterne versprechen können oder genauso gut ankündigen, dass er ihre Köpfe in den nächsten fünf Minuten in Scheiße tauchen würde, sie hätten beides mit dem stumpfen Grinsen und dem hohlen Ausdruck ihrer schwarz getuschten Augen aufgesogen und hätten für sich das heraus gezogen, was sie heute hören wollten, nämlich dass es doch Männer gab, die sie sexuell begehrten, dass die Mutter doch recht hatte mit dem Gerede von der schönsten Tochter und dass lediglich der Spiegel manchmal log.
Mit der Zeit wurde auch die Rothaarige entspannt und willig und ließ sich mit Vergnügen auf den spontanen Flirt ein. Nicht zu verbergen blieb der kleine Konkurrenzkampf, den die beide Freundinnen untereinander um die Gunst des Fremden ausfochten. Jede wollte die Hübschere sein, die Begehrenswertere, für den Fall, dass er sich für eine von ihnen entscheiden sollte- wonach ihm allerdings nicht der Sinn stand, da er beide brauchte.

So kam es, dass sie – unter dem Einfluss mehrerer Cocktails, die alle auf sein Konto gegangen waren – plötzlich lachend auf der Straße standen. Ein Mann zwischen zwei Frauen, die seine Arme umschlungen hielten, während sie sich wackelig auf den Beinen hielten.
„Ich hatte schon lange nicht mehr soviel Spaß,“ grunzte die Brünette. Dabei konnte er sich nicht entsinnen besonders witzig oder geistreich gewesen zu sein.
„Nun, dann wollen wir den Abend nicht allzu schnell enden lassen, oder wie seht ihr das?“ fragte er an beide gewandt und bekam als Antwort ein heftiges Nicken.
Trotz des gestiegenen Alkoholpegels fiel es ihm unerwartet schwer, die beiden Grazien davon zu überzeugen, zu ihm nach Hause zu kommen. Er versuchte es auf alle erdenklichen Weisen. Zunächst wollte er sich hart, fordernd und männlich geben und scheiterte damit auf ganzer Linie, was ihn dazu bewegte, es mit der Romantikschiene zu versuchen.
„Wir können Kerzen aufstellen und Musik hören.“ Ein widerliches Bild aus einem Mädchenfilm, das ihn unweigerlich erzittern ließ.
„Aber wir sind doch zu dritt!“ protestierte die Rothaarige empört. Eben die, von der er durch den Anblick der Leopardentasche eigentlich gedacht hatte, dass sie eine ganz besonders wilde Raubkatze war.
„Was soll mir das sagen?“
„Nun Sir, ich weiß doch ganz genau, worauf Sie abzielen, Mister. Und solche sind wir nicht.“
Nach weiterem Zureden fand er heraus, dass ihre Zurückhaltung lediglich auf Unerfahrenheit zurück zu führen war. Die Mädels gaben sich zwar gerne willig, zogen sich aber für gewöhnlich sogleich zurück, wenn es ernster wurde. Nun war es bis zu diesem Abend noch nie soweit gekommen und schon gar nicht mit der Hilfe von Spirituosen, weshalb er den Vorteil ganz klar auf seiner Seite zu haben schien.
Er spielte den Verständnisvollen und den Verwunderten zugleich.
„Ich hatte ja eigentlich angenommen, dass solche hübschen Frauen wie ihr...“
Längst hatte er sich seinen Standardsatz verinnerlicht und brauchte ihn nur noch zu den richtigen Gelegenheiten auszupacken. Zudem versprach er eine Erfahrung von der ganz besonderen Art, von der er wusste, dass sie diese direkt am nächsten Morgen ihren Freundinnen (falls vorhanden) anvertrauen würden. Was Sex betraf unterschieden sich Frauen nur unwesentlich von Männern, auch wenn sie sich gerne prüde und verschlossen gaben, das wusste er nur zu gut, schließlich war Lili in dieser Hinsicht nicht anders gewesen.

Meine gute Lili, wie sehr vermisse ich dein Gesicht. Deine roten, rougeverschmierten Wangen. Apfelbäckchen. Deinen schmalen Mund und die Kruste von Make-Up Resten, die du dir nie abgewaschen hast. Deine Hände, deine weichen Hände mit den flinken Fingern. Oh, meine Lili.

Zurück in seiner Wohnung brachte er die Frauen auf das Sofa und versprach, ihnen sogleich einen Drink zu servieren, den sie nicht ablehnten. Aus der Küche heraus beobachtete er, wie die zwei Augenpaare gierig sein Mobiliar musterten, die Klauen sein Sofa abtasteten und die Schweinenase die Gerüche einsogen, die sich im Raum ausbreiteten. Alles roch nach Mann, nach Aftershave und abgestandenem Blumenwasser, nach Schweiß von durcharbeiteten Tagen, an denen er sich abends ungeduscht auf das Sofa fallen ließ und dem schweren Duft von Whiskey.
Eine Mischung, die sie womöglich das erste Mal wahrnahmen.
Er mischte alles zusammen, was er im Kühlschrank finden konnte, füllte einige Eiswürfel hinein und brachte die vollen Gläser seinen vollen Gästen.
Die Dunkelhaarige hatte es sich längst gemütlich gemacht. Eingenistet, dachte er. Ihre Beine lagen ungeniert auf dem Couchtisch und ihr Kopf lehnte an der Schulter ihrer Freundin. Sie wirkte gelassen im Gegensatz zu der Rothaarigen, die noch einige Gläser bedurfte, um lockerer zu werden und deshalb wie ein aufgescheuchtes Huhn mit ihren Händen spielte, nur um nicht in Panik auszubrechen. Ihr Verhalten wollte sich so gar nicht ihrem äußeren Auftreten fügen. Er musterte erneut dieses scheußliche Kleid, das sie trug und wünschte sich nichts sehnlicher, als es ihr endlich auszuziehen. Dass es dafür aber noch einiges an Überredungskunst fordern würde, war ihm klar. Zumindest war es bei der anderen nicht von Nöten. Durch die Enge ihres Korsetts und die Ungehemmtheit ihres vernebelten Hirns starrte ihn eine Brustwarze an, eine dunkle tellerförmige Fläche mit einem erbsengroßen Knopf. Sie fixierte und hemmte ihn regelrecht. Um der unangenehmen Enge, die ihn plötzlich umfing, zu entkommen, beschloss er für Musik zu sorgen, um seinen Gästen das Gefühl von Wohlbefinden zu bereiten.

Die Rothaarige nippte fleißig an ihrem Drink und ihre Freundin wippte zum Takt der flotten Jazznummer, die er aufgelegt hatte und die seine einzige CD war. Vor Jahren hatte er sie als Beilage in einer Zeitschrift vorgefunden und seit dem für Momente wie diesen behalten. Sie war eigentlich schon ziemlich demoliert und sprang an einigen Stellen, weil Lili sie damals unsanft mit ihren Nägeln erwischt hatte.
Mit ihren langen Nägeln, spitz wie die einer Raubkatze. In einem dunklen Ton lackiert. Oh, Lili.
Und gerade deshalb konnte er sich nicht von der Scheibe trennen. So viele Erinnerungen hingen daran. Worüber die Männer mit ihren tiefen Stimmen sangen und warum die Instrumente so exzessiv gespielt wurden, war ihm dabei zweitrangig. Er machte sich nichts aus solcher Musik.
Durch das Kreischen des Saxophons brach das Krächzen der Brünetten und sie fragte, halb erregt, halb verlegen, wie sie nun vorgehen würden. Mit Bestimmtheit konnte er ihr nicht antworten, denn nun folgte der schwierige Teil seines Vorhabens. Auch wenn die Wohnung so aussah und roch, als hätte er hier nichts anderes getan, so war es das erste Mal, dass er Frauen herein brachte.
Die Blowjobs vor der Bartür waren ihm zuwider geworden. Immer saß da die Angst im Nacken erwischt zu werden. Was anderen wohlige Lust bereitete, war für ihn eine Tortur. Und nur, wenn er sich endlich des Drucks entledigt hatte, der ihn in einsamen Stunden befiel, konnte er wieder richtig denken und handeln wie ein normaler Mensch. Er bat sie um einen Moment Geduld, erhob sich von seinem Platz und ging in die Küche. Im Kühlschrank stand noch eine halb volle Flasche Burbon, er genehmigte sich ein Glas ohne abzusetzen und als der Alkohol wie warmer Honig durch seinen müden und verwirrten Geist floss, fühlte er sich bereit, die Sache in Angriff zu nehmen.
Die Grazien erwarteten ihn. Verunsicherung stand in ihrem Blick und er nahm sie ihnen, als er beide Hände hervor streckte und sie bat, ihn zu begleiten. Die Rothaarige stellte ihr Glas ab und strich sich das Kleid glatt. Sie hatte selbst in solchen Situationen einen Hang zur Selbstbeherrschung, stellte er fest, während sich ihre brünette Freundin nicht an ihrer eigenen Freizügigkeit störte. Im Gegenteil schien sie es zu genießen, sich so ungehemmt geben zu können, wo sie im wahren Leben sicherlich nicht oft zu solchen Gelegenheiten kam oder immer wieder von ihrem klaren Verstand davon abgehalten wurde. Nun, an diesem Abend schien sie benebelt genug, um gute Vorsätze über Bord zu werfen. Mit ihren schweißnassen Händen ergriffen sie die seinen, lange Nägel bohrten sich in sein Fleisch, der kurze Schmerz durchzuckte ihn für einen Moment und ließ ihn innehalten und die Sache noch einmal überdenken. Vor der Schlafzimmertür zögerte er deshalb lange, traute sich einfach nicht, die Frauenhände loszulassen und die Türklinke zu drücken. Es war mehr als das Gefühl einer unsichtbaren Wand, die den Zugang versperrte. Es war, als würde sein ganzer Körper mit aller Kraft dagegen rebellieren und es war sein Verstand, der am lautesten Nein schrie. Ein leichter Brechreiz überkam ihn unerwartet und er musste ihn schnell hinunter schlucken, um sich nicht auf seinem frisch gewaschenen Hemd zu übergeben. Wobei dies auch keinen Unterschied machen würde, dachte er, denn er schwitze und hatte das Gefühl, in seinem eigenen Schweiß unterzugehen. Vermutlich hatte er den Frauen zu unrecht feuchte Hände nachgesagt und es waren von Anfang an seine eigenen gewesen.

„Ist das das Schlafzimmer?“, fragte die Rothaarige. Es waren die ersten Worte, die er seit Stunden von ihr gehört hatte. Selbst in der Bar hatte die Brünette das Gespräch dominiert.
Er zwang seinen Kopf zu einem Nicken, während er innerlich das Gefühl hatte, auf ein Karussell aufgestiegen zu sein. „Nun, warum gehen wir dann nicht einfach hinein?“ Wenn das bloß einfach wäre. Die Welt war in Bewegung, nur die Tür stand reglos vor ihm, lachte ihn aus für seine Furcht und versperrte ihm den Weg. Aber das war doch unnatürlich. Es war lächerlich.
Er zwang sich zur Beherrschung und als ihm immer mehr die Kotze den Hals hochkroch, kniff er die Augen zu, befreite sich aus dem Griff der Dunkelhaarigen und drückte, während sich in ihm alles anspannte, bis er glaubte, er würde sich selbst in Stücke reißen, die verdammte Türklinke herunter. Die Tür ächzte leise als sie den Raum freigab. Da war das Bett, das er vorher frisch bezogen hatte. Links die Kommode mit der Kleidung, rechts der alte Sessel seiner Mutter. Über dem Bett ein Bild. Sein alkoholisierter Geist nahm es nur verschwommen wahr und selbst aus der Erinnerung heraus konnte er das Motiv nicht rekonstruieren. Er bat die Frauen, sich auszuziehen. Der Dunkelhaarigen musste er dabei zur Hand gehen, da das Korsett unangenehm spannte und sich nur unter großer Anstrengung von ihrem beleibten Körper lösen ließ. Währenddessen hatte die Rothaarige längt ihr hässliches Kleid abgelegt und was er sah, bestätigte nur seine Erwartungen. Darunter war sie gar nicht so unansehnlich. Ihre Haut war weiß, fast durchsichtig und das Mondlicht verlieh ihr einen Glanz von Porzellan. Während sich ihr Haar in roten Wellen um ihre Schultern legte, waren es insbesondere die Brüste, die er inspizierte. Klein und wohlgeformt, kein Fleisch zwängte sich aus dem violetten Büstenhalter, alles saß an seinem Platz. Er wollte sie berühren, doch der verschwitzte Körper der Brünetten drängte sich dazwischen. Ungeniert fasste sie nach seiner Hand und führte sie an ihr Gesicht, vorbei an der eckigen Nase, die sich so gar nicht in die Pfannkuchenform ihrer Visage fügen wollte, hinunter zu ihrem Hals, vorbei an dem vollen, hängenden Dekolleté, ließ sie wandern zum Nabel, tief und groß und schließlich in ihrem engen Schlüpfer verschwinden. Seine Finger ertasteten nasses Leder und vor Ekel zog er sie hastig zurück.
„Legt euch auf das Bett!“, befahl er, wollte mit Dominanz glänzen, obwohl die Verunsicherung längst wieder auf dem Vormarsch war. Dabei war er in der Bar noch so selbstsicher gewesen, er hatte angenommen, er könnte die Welt besitzen, wenn er nur danach verlangte und nun kam er sich verloren und ausgespuckt vor. Durch das Fenster drangen die Geräusche der Straße und verwandelten sich in seinem Kopf zu einem Rauschen. Die Frauen kamen seiner Aufforderung ohne Zögern nach. Inzwischen waren die Hemmungen bei beiden gewichen, während er mit seinen eigenen zu kämpfen hatte. Welch Ironie. Er hätte losgelacht, wenn ihm nur danach zumute gewesen wäre. Das Bett war groß genug für drei, dennoch wollte er sich vorerst nicht dazu legen.
Während die Brünette sein eigenartiges Verhalten als ein Vorspiel ansah und mit einem schelmischen Grinsen ihrer Freundin in das Höschen fuhr, musterte ihn die Rothaarige skeptisch und Irritation sprach aus ihrem Blick. Er entzog sich ihm - „Küsst euch!“ befahl er und musste Zeit gewinnen, durfte sich nicht anmerken lassen, dass ihn das Bild der beiden Frauen auf seinem Bett mehr verstörte als erregte. Vier Brüste, vier Beine, zwei Zungen. Die wiegenden Bewegungen der blassen Körper im Takt ihres Liebesspiels und das Schwanken des Bettes, das Knistern der frischen Bezügen. Alles vermengte sich zu einer ihm vertrauten Szene, die er nicht einordnen konnte und die ihm trotz des Gewohnten unwirklich und falsch vorkam. Von Speichel bedeckte Zungen huschte aus den weiblichen Mündern, neckten einander und verschwanden in ihren Höhlen. Flinke Finger krabbelten über nackte Haut und Blicke gierten in seine Richtung, gierten nach ihm, flehten ihn zum mitspielen an. Wie frei und ungezügelt die Frauen waren, so hatte er sie nicht eingeschätzt und hätte er es von vornherein gewusst, hätte er sie nicht angesprochen. Hatte er geglaubt, dass sie ihm durch ihre Unerfahrenheit die Aufgabe erleichtern würden und keine unnötigen Fragen gestellt werden müssten, falls das Vorhaben nicht nach seinen Vorstellungen verlaufen sollte, so musste er sich eingestehen einen großen Fehler begangen zu haben, während er die Szenerie auf seinem Bett mustertet und sich überlegte, wie er das Treiben zu einem Ende führen könnte.
„Du bist ja noch angezogen“, stöhnte die Rothaarige lasziv. Sie war doch eine kleine Raubkatze und er mochte, wie sie sprach. Dennoch ängstigte sie ihn. Ihr feuerrotes Haar hatte im dumpfen Licht der Nacht eine beunruhigend dunkle Note angenommen, die nicht zu ihr passte. Überhaupt schien sie viel von der von ihm bewunderten Gebrechlichkeit eingebüßt zu haben, allein durch die Hand der Dunkelhaarigen, die auf dem kleinen Busen ruhte. So war es nicht geplant gewesen und dennoch stellte er fest, dass er erregt war. Erregung aus Angst, das war es, was er befürchtet hatte, das war der Grund, warum er keine Frauen zu sich nahm. Nicht in seine Wohnung und schon gar nicht in sein Bett, das er doch bewusst dafür bezogen hatte. Die letzte Frau, die ihn darin berührt hatte, war Lili. Meine Lili, die Brüste prall und der Mund so rot, die langen Nägel, die über den Rücken strichen, über den Bauch fuhren und erst inne hielten, wenn sie gefunden hatten, was sie verlangten.
Ein reiner, weißer Körper, weiblich und anmutig, zerbrechlich und hemmungslos zugleich. Eine Mischung aus den beiden Freundinnen, die sich vor ihm in ein privates Liebesspiel flüchteten.
Er stellte sie sich als eine Einheit vor und ihre Körper verschmolzen zu einem. Das Dekolleté der Dicken auf dem der Rothaarigen, vier Arme, vier Beine, die zu Paaren wurden. Ein rotbrauner Haarton, glänzend im Schein der Laternen, die ihr Licht von draußen in das Schlafzimmer warfen und eine Melodie erklang in seinem Ohr, vertraut und fern, nicht zu greifen und doch da. Ein leises Spiel eines Xylophons, einer Harfe und die Stimme einer Frau, deren Worte er nicht verstehen konnte. Wie in einem Sog zog es ihm zu der Symbiose aus Frauenkörpern, dem geformten Menschen, der seiner Lili näher kam, als alle Frauen, die er bisher probiert hatte, probieren wollte und probieren würde. Selbst die kleinen harten Stoppeln der unrasierten Beine störten ihn nicht, als er sich auf das Bett legte und die Frau bat, sich auf ihn zu setzen. Viel mehr weckte es alte Erinnerungen. Gedanken an Frühlingstage, in denen das Zimmer erfüllt war mit Wärme und durchflutet von Licht. Lili bevorzugte es bei zugezogenen Vorhängen zu machen. Immer, wenn er in das Schlafzimmer kam, hatte sie bereits auf dem Bett gelegen, umhüllt von der künstlichen Dunkelheit, während draußen die Sonne schien und Kinder lachend über die Straßen jagten. Er hatte sich zu ihr gelegt, sich an ihren dicken Busen geschmiegt und die Augen geschlossen. Und er dachte an den Duft ihrer Haut, während die Frau mit den rotbraunen Haaren auf ihm saß und ihre Hände zu seiner intimsten Körperstelle gleiten ließ. Der Duft nach einer Frau, die keine harte Arbeit scheute. Schweiß mit Seifenaroma, einem leichten Geruch der Schwere eines heißen Tages, der sich auf der Haut einnistet und alles andere überdeckt. Lilis Haut war weich, an manchen Stellen rau und hier und da entdeckte er große Muttermale, vom ausgiebigen Sonnenbaden hervorgerufen.
Die Rotbrauen hatte keine Muttermale, also dachte er sich welche dazu, während seine Gedanken an die Tage zurückgingen, an denen er von seiner ersten Liebe, der ersten Frau in seinem Leben, die Zärtlichkeiten beigebracht bekam. Ohne, dass er es steuern konnte, kamen ihm Bilder, Düfte, Geräusche, Berührungen in den Sinn und er ließ sich fallen in den Strudel aus Gedanken, verlor sich in Erinnerungen, die nicht mehr greifbar waren, in Bildern, die sich fremd anfühlten und bei denen er doch das Gefühl hatte, dass sie real waren. Und Lili, Lili, Lili lief es ihm melodisch durch den Kopf. Das Karussell, auf das er längst aufgestiegen war, drehte sich. Vor seinen Augen schwebten rote Luftballons, es roch nach Zuckerwatte und die alten Pferde wippten im Rhythmus zur Musik der Schausteller. Alles drehte sich, alles löste sich auf. Das Bett war nicht da, die Rotbraune war nicht da und er verlor sich im Nichts aus Erinnerungsfetzen, versuchte sie zu greifen und schnitt sich daran. Lauter, lauter wurde die Melodie in seinem Kopf, die Stimme der fremden Frau kam näher, säuselte ihm ein Lied ins Ohr, das in einer fremden Sprache gesungen wurde und brach abrupt ab, so dass er es wieder vergessen hatte, noch eher er sich fragen konnte, was sie sang.
Dann wieder Gedanken an Lili, an ihre Hände, die forschen Hände. An den warmen Atemhauch auf seinem Bauch, seiner Brust, seinem Hals. Wohlige Wärme, die sich plötzlich in Ekel verwandelte. Eine Gefühlsveränderung wie der Wechsel von heiß zu kalt, von bunt zu grau in einem Augenblick.
Überfordert und irritiert riss er die Augen auf. Die Rotbraune saß noch da, war an Mund und Unterleib gleichzeitig zugange und er fragte sich, warum er nichts fühlen konnte. War es der Gedanke an Lili, der ihn für sämtliche Berührungen durch andere Frauen taub machte?
Lili. Lili. Lili.
Aber das war doch gar nicht ihr Name.
Aus weiter Ferne drang die Stimme der Dunkelhaarigen. Die Symbiose hatte sich aufgelöst.
„Was ist mit dem los?“, fragte sie, nicht an ihn gewandt.
„Wir sollten hier verschwinden, mit dem stimmt irgendetwas nicht. Der Kerl macht mir Angst.“
Erneut das Rascheln der Bettwäsche, graue Haut erhob sich vom weißen Stoff. Aus dem Augenwinkel nahm er hastige Bewegungen wahr, Kleidung wurde übergestreift, leises Flüstern, dann Kichern. Verhöhnt von denen, die er verhöhnt hatte. Die Tür fiel ins Schloss und dann war es still. Keine Stimmen, kein Rauschen im Kopf, die Melodie war verstummt. Er war nackt und allein in seinem Bett. Auf seinem Bauch verkrustete die Ejakulation.
Mehrere Minuten mussten vergehen, bis er feststellte, dass er an seinem Daumen nuckelte.

 
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Hallo scabbed!

Seltsame Geschichte allemal, aber ...

Ich fand sie schwer zu lesen. Gut, sie ist lang aber das allein ist es nicht.

Stilistisch gibt es noch Möglichkeiten, meine ich, z.B.:

"Daraufhin vergrub die Rothaarige ihre Hand tief in ihrer Handtasche (mit Leopardenmuster) und durchwühlte sie minutenlang, eher sie sich kopfschüttelnd zu ihre Freundin wandte."

Das Daraufhin ist überflüssig, das r beim eher fehlt bei ihre.

"Gedankenverloren betrachtete er die beiden Frauen bei ihrer Konversation und verfolgte ihre Gesten mit seinem Blick. Die eine hatte lange, dürre Finger, die eher an Klauen erinnerten und die Art von Fingern waren, die sich gut für das Halten einer Zigarette anboten."

Der erste Satz ist undeutlich. Wie betrachtete er die Frauen, wenn sie keine Konversation hatten? Dem Leser kannst du ruhig zutrauen, dass er ihren Gesten nicht mit seinen Armen folgt.

Wer von den beiden hatte lange, dürre Finger und was ist die Art von Finger, die sich gut für das Halten von Zigaretten anbieten.

Davon findet sich einiges in deinem Text. Vllt magst du ihn daraufhin noch einmal durcharbeiten und vllt lässt er sich straffen.

Aber auch inhaltlich finde ich die Figuren, nun, eher kitschig als originell. Die Rothaarige und die Dunkelhaarige, die außer ihren Haarfarben eher blaß bleiben und der Kerl, der an Lil denkt, andere verhöhnen möchte und am Ende ...

Weiter will keine Spannung aufkommen, allemal die Frage, gehen sie mit ihm oder nicht, wirft den Leser hier in eine Interessepfütze, alles davor und danach plätschert wie es kommt.

Dies alles verhindert ein Lesevergnügen.

Nur meine Meinung

Gruß

 

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