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Das Lied der Liebe(Weihnachtsgeschichte)

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19.02.2005
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Das Lied der Liebe(Weihnachtsgeschichte)

Es fröstelte den alten Mann, der dort einsam in seiner ärmlichen Wohnung am Fenster hockte und deprimiert nach draussen blickte. Doch das, was er sah, hob seine Stimmung kein bisschen. Er wurde nur noch trauriger. Statt auf Bäume und Wiesen oder wenigstens kleine Gärten schaute er gegen die graue kahle Mauer des nächst stehenden Hochhauses. Kein Grün milderte diesen Anblick. Nur kalte Steine...sonst nichts!

Der Greis erinnerte sich an bessere Zeiten. An Jahre, in denen er als erfolgreicher Geschäftsmann zur feinen Gesellschaft der Stadt gezählt und sich vor Einladungen kaum hatte retten können. Er war seiner Anständigkeit, Hilfsbereitschaft und freundlichen Wesens wegen hoch angesehen gewesen.

Doch gab es viele Neider, die ihm beruflich und privat sehr zusetzten. Schließlich brachten sie ihn durch eine eiskalte Intrige in Verruf. Die Bemühungen seiner Anwälte entlasteten ihn letztendlich zwar vor dem Gesetz, doch sein gesellschaftliches Ansehen bekam einen unkittbaren Riss. Er verlor seine Stellung und sogar sein gesamtes Vermögen. Die freundschaftlichen Kontakte verebbten mehr und mehr, bis er eines Tages feststellen musste, dass er ganz allein da stand. Selbst seine Familie mied ihn. Niemand besuchte den alten Mann.

Inzwischen waren das Hoffen und die Sehnsucht nach Gesellschaft verdrängt. Nein, mittlerweile hatte er sich mit der ihn umgebenden Einsamkeit arrangiert, lebte von Erinnerungen.

Aber nun nahte das Weihnachtsfest. Anders als in all den Jahren zuvor regten sich in seinem Herzen Gefühle, die zu empfinden er sich notgedrungen eine lange Zeit seines Lebens verboten hatte. Nein, er wollte sie nicht Oberhand gewinnen lassen. Seine Angst war zu groß, seine Mitmenschen könnten ihm ein zweites Mal solch grausame psychische Verletzungen zufügen wie damals. So rang er mit sich...und verlor diesen Kampf aus Verbitterung. Fast unmerklich schlich sich Neugier ein. Er setzte sich an sein Fenster und lauschte dem anderen Leben da draussen. Einem Leben, das für ihn fremd geworden war, das ihm die mannigfachen Geräusche des vorweihnachtlichen Treibens näher brachten. Er beobachtete die emsigen Menschen, die mit den Vorbereitungen für das Christfest beschäftigt waren und hin- und her hasteten.

Ein paar Minuten später dann brach etwas endgültig den Schutzwall der Zurückgezogenheit in seinem vergrämten Herzen auf. Eine Gruppe munter über den Gehweg hopsender Kinder zog seinen Blick auf sich. Von ihren strahlenden Gesichtern las er die erwartungsvolle Freude auf das kommende Fest ab. "Ja", seufzte der alte Mann, "ihr werdet es warm und gemütlich haben, mit Vater und Mutter vor dem Baume stehen, frohe Lieder singen und wunderschöne Geschenke vorfinden. Ihr wisst nichts von mir, der ich nun arm und einsam bin."

Es rührte sich etwas in seiner Seele, dass er seit Jahren verloren glaubte. Der Wunsch in ihm wurde drängender, dass Weihnachten auch für ihn zu einem besonderen Tage würde und etwas Schönes bereit hielte. Erschrocken über sich selbst, versuchte er von dieser Regung erneut rasch Abstand zu finden. Alles würde laufen wie in den vielen Jahren zuvor: Er bekäme keinen Besuch und suchte auch selbst niemanden auf. Der einzige Trost am Heiligabend würde ein kleiner Christbaum sein. Vielleicht eine der letzten übrig gebliebenen Tannen vom Weihnachtsbaummarkt, krummer als andere gewachsen und deshalb von den Menschen missachtet.

Wachgerüttelt aus seiner Apathie übermannten den alten Mann Trauer und Verzweiflung. Er, der ehemalige Geschäftsmann, fand den Weg des Gebetes, richtete seine Worte demütig flehend an "Ihn", der allen zuhört. "Bitte lass mich zu Weihnachten auch ein wenig Glück empfinden. Das wird mir dann die Einsamkeit für ein paar Stunden erleichtern!"

Heiligabend. Wie in jedem Jahre hatte der alte Mann ein winziges Bäumchen erstanden, es in seinem Zimmer aufgestellt und mit ein paar Kerzen und etwas Lametta geschmückt. Allein die richtige Weihnachtsstimmung war den Anderen vorbehalten, die dieses Fest in der Gemeinschaft mit Familie und Freunden feierten.

Der alte Mann saß in seinem Sessel und schaute auf sein kleines Bäumchen. An diesem Abend fror er nicht. Nein, es war ihm eigenartig feierlich und wohl zumute. Er freute sich an dem flackernden Licht der Kerzen, genoss die von den Flammen ausgehende wohltuende Wärme und schloss seine Augen, um diese für ihn ungewöhnliche Stimmung von ganzem Herzen zu geniessen.

Als er sie wieder öffnete, entfuhr ihm ein leiser Schrei der Überraschung. In seinem Zimmer wirbelten silbrig glänzende Schneeflöckchen, die sich auf die Zweige des Bäumchens nieder senkten. Als blütenweiße Decke verzauberten sie jene schüttere Tanne nach und nach in eine strahlende Schönheit. Der silbrig blitzende Schnee wurde vom Kerzenlicht noch zusätzlich mit einem güldenen Schimmer geschmückt. So war die Tanne zu einem funkelnden Diamanten geworden. Die Augen des Alten hielten sich an dieser Pracht fest. In seinem Herzen empfand er Wärme und Geborgenheit.

Plötzlich, als sei es des Wunders noch zu wenig, öffnete sich wie von Engelshand das Fenster, um einem wunderschönen Vogel Einlass zu gewähren, dessen Gefieder in sämtlichen Farben des Regenbogens glänzte. Er flatterte auf die Spitze des Bäumchens und ließ sich dort nieder.

Dann öffnete der Vogel seinen Schnabel und trillerte ein Lied, so fein und soo jubelnd, dass dem alten Mann die Augen wässrig wurden. Diese Tränen der Dankbarkeit und des Glücks schwemmten seinen Kummer hinweg. Sie befreiten ihn von all der seelischen Pein, deren Gefangener er so lange gewesen war.

Ja, es war ein ganz besonderes Weihnachten.
Sein(!) Weihnachten.
Er war der Liebe begegnet!

 

Hallo tastifix!

Der erste Teil deiner Geschichte stellt recht realistisch einen Menschen dar, der psychisch an seinen Mitmenschen kaputtgegangen ist. Seine Hilfsbereitschaft und sein freundliches Wesen sind ihm abhanden gekommen. Aus dieser - wohl auch selbst gewählten - Einsamkeit und Verbitterung herauszukomen ist schwer, da braucht es schon andere Menschen (wobei z.B. die spielenden Kinder ein Auslöser sein können).

Aber dann geschieht ein von allen Mitmenschen losgelöstes Wunder, das letztlich gar nichts ändert. Wäre das wirklich geschehen, würde ich mal mit dem Wunderlieferanten einige ernste Worte über die Nachhaltigkeit von Wundern reden. So verpufft das Potential der Geschichte in schaler Übersüße.

:xmas: LG

Jo

 

Hallo Tastifix,

mir gefällt Deine Geschichte und ich könnte sie mir gut als Buch vorstellen, wenn dazu noch einige Bilder gemalt wären. Dass der alte Mann einsam ist, merkt er zu Weihnachtszeit natürlich besonders. Was mich ein bißchen "stört" beim Lesen sind die kurzen "Nein,..."-Einschübe, auch wenn es nur wenig sind. Vielleicht kannst Du das noch verändern??

tastifix schrieb:
So rang er mit sich...und verlor diesen Kampf aus Verbitterung. Fast unmerklich schlich sich Neugier ein.
Hier kommt mir der Wechsel zwischen Verbitterung und Neugier etwas schnell vor.

Das "Wunder" der Verwandlung des Baumes und der Vogel sind für mich etwas "unnatürlich" aber das ist Geschmackssache. Ich persönlich hätte so ein Ende vorgezogen, dass es z.B. an der Haustür klingelt und ein Kind dem alten Mann in einer Art "Straßenaktion" ein selbstgebasteltes Geschenk überreicht, was ihn freut. Da gibt es ja immer wieder solche Aktionen zu Weihnachten.

tastifix schrieb:
Dann öffnete der Vogel seinen Schnabel und trillerte ein Lied, so fein und soo jubelnd, dass dem alten Mann die Augen wässrig wurden. Diese Tränen der Dankbarkeit und des Glücks schwemmten seinen Kummer hinweg. Sie befreiten ihn von all der seelischen Pein, deren Gefangener er so lange gewesen war.
Ja, es war ein ganz besonderes Weihnachten.
Sein(!) Weihnachten.
Er war der Liebe begegnet!
Dazu kann ich nichts anderes sagen als oben. Dass mit einem einzigen Lied nun all sein Kummer und alle Sorgen und Seelennöte von was weiß ich wie vielen Jahren auf einen Schlag verschwunden sind ist wohl "unwirklich", meiner Meinung nach. Aber ein Stück weit gehört diese "Unwirklichkeit" wohl auch zu Weihnachten dazu!?

Liebe Grüße
Isha

 

Hallo tastfix,

ganz nett beschriebene Geschichte, das Ausgangsmotiv recht bekannt, im Gegensatz dazu die Lösung ungewöhnlich. Es ist zwar eine Hilfe von Außen (immerhin aufgrund seiner Bemühungen), doch so unüblich, dass es schon wieder unrealistisch, also unglaubhaft wirkt. Ist der Mann durchgedreht, möchte ich mal provokativ fragen? (Natürlich nicht, stimmt´s?). Dass der Vogel mit Liebe gleich zu setzen ist, ist echt willkürlich, eigentlich erlebt der Mann nur eine gewisse Glückseligkeit,

Noch zwei Kleinigkeiten:

Nach dem ersten und zweiten Absatz keine Leerzeile, nur einen normalen Absatz.
Gleiches ab: „Aber nun nahte das Weihnachtsfest.“

„so fein und soo jubelnd“ - so (das zweite so kann auch weg).


L G,

tschüß… Woltochinon

 

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