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Das Loch in der Wand

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16.09.2004
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Das Loch in der Wand

HELLES AUFFLAMMEN UND EINE ZEIT DES WARTENS

Es ist recht dunkel im Raum. Nur aus einem kleinen Loch an der Wand leuchtet warmer Lichtschein auf, wie eine Kerzenflamme. Könnte man an das Loch herantreten, würde man dahinter die Rundungen einer Frau erkennen. Lesend, halb entblößt, liegt sie in weißen Bettlaken. Ihr kastanienbraunes Haar fällt über die Schultern auf die Buchseiten. Unbewusst kaut sie auf ihrer Unterlippe. Ihre dunkelbraunen Augen sind wie gebannt auf den Text gerichtet.
Würde der Betrachter sich nun umdrehen, würde er einen Raum wahrnehmen, der nur durch eine schwache, kleine Neonlampe und einen flackernden Computerbildschirm erhellt wird. Die Rolläden sind heruntergezogen. Der Bildschirm beleuchtet die Konturen einen jungen Mannes, der schon früh gealtert zu sein scheint. Steif sitzt er vor dem PC und hackt monoton in die Tasten. Das wenige Licht arbeitet aus seinem sowieso schon blassen Gesicht einen Totenschädel heraus. Etwas fettig hängen ihm schwarze Strähnen in die Stirn, auf der sich Schweißtropfen gebildet haben. Kleine, graue Augen zucken nervös.
Wie ein Fremdkörper in einer sterilen Landschaft wirkt er mit seiner schwarzen Kleidung in dem weißen Raum. Auf dem Tisch liegen mehrere Programmierbücher und Zeitschriften. An der Wand neben dem Computer hängen Statistiken und Zeitungsartikel. Zahlenkolonne reiht sich an Zahlenkolonne. Manche sind rot eingekreist. Alle sprechen eine grausame Sprache. Es sind Verbrechensstatistiken und Todeslisten einer Stadt, dazwischen Bilder von Bombenattentaten und Flüchtlingsströmen.

Stunden sitzt er dort vor seinem PC. Dann sieht für einen Moment von seinem Computer auf. Er blickt die Artikel an der Wand an und seufzt leicht.
„Die Gesellschaft: Wodurch hat sie es verdient zu leben?“
Einen Moment verstummt er, dann entfährt es ihm: „Und wer wird es verdammt noch mal sein, der diesem Monster seinen Gnadenschuss verpasst, bevor es zu spät ist?“

Plötzlich schrillt das Klingen einer Türglocke durch den Raum. Der Mann springt auf, rennt die wenigen Schritte zur Tür, öffnet drei Vorhängeschlösser, dreht den Schlüssel des Türschlosses herum und drückt dann die Klinke herunter. Doch anstatt sie aufzureißen, öffnet er sie einen Spalt und weicht abrupt in den nächsten Schatten zurück. Von der anderen Seite öffnet sich die Tür langsam. Eine Person steht in ihrem Rahmen. Für einen Moment sind aber nur die strahlenden Umrisse zu erkenne - wie ein Dämon aus der Unterwelt. Dann tritt die Person ein und entpupt sich als eine Frau. Sie hat kastanienbraune, gewellte Haare und braune Augen. Ihr Gesichtszüge haben einen leicht französischen Zug. Eiskristalle haben sich in ihrem Haar verfangen. Es ist die Frau aus dem Raum hinter dem Loch in der Wand.
Ein unwiderstehliches Lächeln tritt auf ihr Gesicht, als sie eintritt. Sie stürmt dem Mann sogleich entgegen und wirft ihre Arme um seinen Hals. Im selben Moment zuckt er zusammen und stolpert rückwärts. Sie lässt ihn wieder los und ihr helles Lachen perlt wie Glöckchen durch die dunkle, sterile Wohnung.
„Alex, das ist doch nur Schnee!“
Sie schüttelt sich wie ein Pudel und der Rest des Schnees fällt von ihrem weinroten Wintermantel ab. Wild gestikulierend sagt sie: „Draußen schneit’s wie verrückt. Total das Chaos. Vorne an der Ecke sind zwei zusammengeknallt. Ich bin kaum durchgekommen.“
Alex sieht sie stumm an und blickt dann auf ihre Schuhe.
„Hab dir was mitgebracht“, strahlt sie an.
„Marianne, ziehst du bitte erst die Schuhe aus?“
Sie schneidet eine Grimasse, aber folgt, um dann aus ihrer Manteltasche ein kleines, durchsichtiges Gefäß herauszuholen. Schnee befindet sich in ihm.
„Damit du auch ein bisschen was davon hast. Und, es soll dich an mich erinnern!“
Alex nimmt das Glas in die rechte Hand, wägt es hin und her und schaut es stirnrunzelnd an.
Marianne lächelt leicht: „Komm schon, pack es einfach ins Eisfach. Oder willst du den ganzen Tag hier stehen bleiben?“
Nun muss auch Alex lächeln. Er tritt einen Schritt auf sie zu und küsst sie - ganz vorsichtig, als wäre es etwas Anormales.

Später liegen sie zusammen im Bett.
„Ich liebe dich“, haucht Marianne.
Alex lächelt und sieht an die Zimmerdecke. „Wie kommt das eigentlich, was habe ich...?
„Na, wegen dem guten Sex.“
Alex lächelt und errötet für einen Moment.
„Weiß nicht, muss man für alles eine Erklärung haben?“
„Hmm, wie kann man sich dann aber sicher sein?“
Marianne hebt die Schultern. „Einfach so.“
„Und was, wenn man es sich dann nur einbildet?“
„Was dann?“
Alex denkt nach und hebt dann auch die Schultern.
„Ach keine Ahnung, ich bin jedenfalls froh, dass ich dich hab.“
Ein verspielter Ausdruck tritt auf Mariannes Gesicht. „Wirklich?“
„Klar! Ohne dich würde ich hier verrückt werden. Es macht mich rasend! Man hat doch auch gegen alles andere schon irgendwelche Medikamente erfunden, warum also nicht gegen das?“
„In ein paar Jahren...“
„Ja, das haben sie vor ein paar Jahren auch schon gesagt.“
Alex nickt in Richtung der Artikel an der Wand. „Andererseits, was will ich da draußen?“
„Das tun, was alle Gentleman tun. Ihre Freundin ausführen – zum Beispiel.“
Neben Marianne liegt ein Blatt Papier und ein Kuli. Sie nimmt beides und beginnt auf einem Blatt herumzukritzeln.
„Und wohin bitteschön? Ich will mein Essen genießen können und nicht dabei erschossen werden.“ Zynismus schwingt in Alex’ Stimme mit.
Alex greift unters Bett und holt eine Pistole hervor. „Hier, hab ich mir übers Internet bestellt. Ist eine P10. Kaliber 9mm. 13 Patronen.“
Er vollführt eine Bewegung, als würde er damit schießen.
Marianne zieht scharf die Luft ein. „Wow, die ist aber nicht geladen, oder?“
„Doch natürlich, man kann nie wissen, was passiert.“
„Kann ich sie mal halten.“ Mariannes Augen sind ganz groß.
Alex gibt ihr die Waffe. „Aber pass auf.“
„Sieht du den Hebel da? Damit kannst du entsichern. Und damit, ja genauso so, damit kannst du durchladen.“
Marianne richtet sich auf, lädt durch und zielt auf Alex.
Er nickt grinsend. „Natürlich werde ich sie nur verwenden, um mich zu verteidigen.“ Einen Moment stockt er, dann fährt er mit Hass in der Stimme fort: „Obwohl sie es verdient hätten. Einer nach dem anderen.“
Er nimmt Marianne wieder die Waffe aus der Hand und vollführt eine Schießbewegung mit ihr.
Marianne lässt sich wie getroffen lachend auf die Matratze fallen. Dann versucht sie sich wie ein Kätzchen an ihn zu schmiegen. Alex weicht erst etwas zurück, beinahe angewidert. Aber dann lässt er es doch zu. Kurz darauf entspannt er sich und seine Hand streichelt durch ihr Haar. Sie schnurrt tatsächlich spielerisch belustigt. Ein entspannter Ausdruck streift über sein Gesicht.
Alex seufzt. „Weißt du, was ich mich immer frage?“
Marianne schüttelt den Kopf.
„Was hat uns so kaputt gemacht?“
„Wie meinst du das jetzt?“
„Na ja, schau dich doch mal um. Da hab ich grad im Internet so einen Artikel gelesen, da stand drin, dass eine 45 prozentige Chance besteht, dass man in eine Schießerei gerät, beraubt wird oder – egal welches Geschlecht jetzt– vergewaltigt wird, wenn man Nachts aus dem Haus tritt. Das kann doch nicht normal sein! Was ist da schiefgelaufen?“
„So ist das nun mal. Ändern können wir sowieso nix dran.“
Alex streift sanft über seine Pistole. „Jo, stimmt schon. Und solange sich nichts ändert, werden wir uns selbst schützen müssen.“
Marianne nickt. „Absolut richtig.“
„Und eine Maßnahme wäre doch wirklich, dass wir zusammenziehen. Dann muss ich mir nicht immer Gedanken um dich machen, wenn du nich da bist!“
Mariannes Gesicht streift ein trauriger Schatten. „Du weißt, dass ich es nicht kann.“
„Ja, aber du weigerst dich auch jedes Mal, mir einen Grund zu liefern! Und so mache ich mir nur noch mehr Sorgen!“
Ein schmerzlicher Ausdruck tritt auf ihr Gesicht. „Du wusstest von Anfang an, dass ich dir alles geben würde, wirklich alles, aber diese eine Sache, die kann ich dir nicht geben.“
„Aber warum?“
„Weil es besser für dich ist. Es gibt Dinge, die willst du nicht wissen. Glaub mir.“
Mariannes Blick ist verzweifelt. Eine kurze Stille kehrt ein.
„Betrügst du mich?“ Seine Worte hallen dumpf nach.
Marianne schreckt auf und nimmt seinen Kopf in ihre beiden Hände.
„Alex, Alex, ich schwöre dir eins, bei allem, was mir wichtig ist, ich würde dich nie betrügen. Nie im Leben. Glaub mir das. Aber ich kann es dir nicht sagen. Tut mir leid. Es ist besser so.“
Alex nickt langsam und atmet tief durch. „Ich wüßte auch nicht, was ich dann machen würde.“
Marianne steht auf und zieht sich wieder an. Bevor sie geht gibt sie Alex das gefaltete Papier. Es ist ein Bild. Es zeigt eines seiner Fenster. Der Rollladen ist halb hochgezogen und eben geht die Sonne auf.

EINE REISE OHNE RÜCKKEHR

Alex sitzt wieder vor dem PC. Aber er arbeitet nicht, sondern starrt nur auf den Bildschirm. Plötzlich ertönt ein Poltern auf der anderen Seite des Raumes, dann ein Schlag gegen die Wand, gefolgt von einem weiblichen Laut. Das letzte kann man nicht genau deuten.
Alex springt auf, erstarrt für einen Moment und nähert sich langsam dem Loch in der Wand. Seine Hände verkrampfen.
Auf der anderen Seite der Wand kniet Marianne entblößt auf dem Bett und sieht genau in seine Richtung. Ihre Augen sind weit aufgerissen. Ihr Mund ist leicht geöffnet. Ihre Zähne fest aufeinander gepresst. Ein lustvolles Stöhnen entflieht ihnen trotzdem. Hinter ihr bewegt sich ein dunkler Schatten, ein Fremder, von dem nur ein breitschultriger Umriß zu erkennen ist. Einen Arm hat er um ihre Taille geschlungen.
Alex weicht abrupt vom Loch zurück. Seine Hände haben leicht angefangen zu zittern. Alle Farbe ist aus seinem sowieso schon blassen Gesicht gewichen. Langsam bewegt er sich wieder auf das Loch zu und blickt noch einmal hindurch, als müsste er sich davon überzeugen, dass er es sich gerade nicht nur eingebildet hat.
Mariannes Hände haben sich in die Matratze gekrallt, während sie versucht, sich aufzubäumen.
„Du bist der Beste und Einzige!“, keucht sie plötzlich.
„Oh – mein – Gott!“
Aus Alex Mund entflieht ein leiser Schrei. Er stolpert rückwärts und prallt gegen den Tisch. Etwas fällt herunter, ohne dass er es wahr nimmt. Er zittert am gesamten Körper. Schweiß ist ihm auf die Stirn getreten. Er lehnt sich gegen die Zimmerwand auf der anderen Seite, so weit wie möglich von dem Loch entfernt. Plötzlich beginnt er leicht mit dem Kopf dagegen zu schlagen.
„Nicht wahr, nicht wahr“, murmelt er.
Sein Blick fällt auf die Pistole, die neben dem Bett liegt. Er geht auf sie zu und hebt sie auf. Seine Gesichtszüge werden plötzlich wieder entspannter, dafür sein Blick eisig kalt. Er überprüft das Magazin und zielt in die Luft.
Ganz langsam geht er auf die Tür seiner Wohnung zu. Bei jedem Schritt weicht die Wut mehr der Unsicherheit. Ein, zwei Mal bleibt er stehen, aber kann sich dann doch dazu bewegen, weiter zugehen.
Die Wut gewinnt. Er erreicht die Tür und mit einem zischenden Geräusch aus seinem Mund öffnet er die drei Vorhängeschlösser. Er dreht langsam den Schlüssel im Schloss herum und öffnet die Tür. Noch einmal macht er eine Pause, entsichert die Pistole, schließt für einen Moment die Augen und öffnet dann mit einem Ruck die Tür vollkommen.
Ein düsterer, von dunklen Schatten bewohnter Gang erstreckt sich vor ihm. Die Wände sind heruntergekommen, Farbe blättert ab, Rohre liegen frei. Plötzlich hallen dumpfe Schritte wider. Alex zuckt zusammen und hebt seine Pistole. Doch die Schritte entfernen sich in schnellem Takt. Einen Augenblick später sind sie nicht mehr zu hören und es ist wieder totenstill - als wäre es ein böser Spuk gewesen.
„Die Gesellschaft. Niemand entkommt ihr. Aber sollen sie doch kommen. Ich habe 13 kleine Freunde. Nur zwei davon müssen sie mir lassen“, zischt Alex zu sich selbst.
Vorsichtig drückt er sich durch die Schatten den Gang entlang zur nächsten Wohnungstür. Dort angelangt, atmet er einmal tief durch und wischt sich den kalten Schweiß von der Stirn. Dann hebt er vorsichtig die Hand mit der Pistole und betätigt die Klingel. Ein ferner Gong ertönt. Surreal und viel zu unwirklich für die Umgebung.
Er wartet, doch nichts geschieht. Niemand öffnet ihm. Noch einmal Klingelt er. Da merkt er, dass die Tür nur angelehnt ist. Vorsichtig öffnet er sie. Ein schrilles Kreischen der Türangeln lässt ihn zusammenzucken.
Ein dunkler Schlund blickt ihm entgegen. Nur das Ende des Ganges wird von einem warmen, orangeroten Lichterschein erhellt. Kleidung, Papiere, Handtaschen und Schuhe liegen verstreut auf dem Boden vor ihm.
Argwöhnisch betritt Alex den Gang. Die Pistole zum Schutz vor sich. Seine Augen irren durch die Schatten.
Leise schleicht er den Gang entlang. Da tritt sein Fuß gegen etwas Blechernes, es scheppert und poltert. Er schreckt auf und flucht leise. Doch noch immer ist sonst kein Geräusch zu hören. Als wäre die Wohnung ausgestorben, als wären alle tot. Sein Herz pocht laut.
Er biegt am Ende des Ganges um die Ecke und gefriert innerhalb einer Sekunde zu einer Salzsäule. In dem Schlafzimmer vor ihm liegt regungslos eine Person auf dem Boden. Blutspritzer sind auf dem Bett und neben ihr. Es ist Marianne, die dort liegt. Ein leises Röcheln weist darauf hin, dass sie noch lebt.
Plötzlich ist aller Hass aus Alex Gesicht gewichen. Er stürzt zu ihr hinunter und fühlt nach ihrem Puls. Ein erleichterter Ausdruck erscheint auf seinem Gesicht. Dann ruckt sein Kopf herum und einen Augenblick später versucht er vorsichtig, Marianne auf das Bett zu hieven.
Ein fernes Geräusch ertönt - das Knallen einer Tür, dann Schritte. Panik blitzt in Alex’ Augen auf. Behutsam nimmt er sie in beide Arme und trägt sie rasch zu sich in seine Wohnung hinüber.

KEIN SCHNEE UND DANACH WIRD NICHTS FOLGEN

Alex legt Marianne auf seine Couch. Sie zittert am ganzen Leib. Ihr Gesicht ist aschfahl. Schweiß steht ihr auf der Stirn. Mit einem weißen Tuch versucht er ihre Wunden zu reinigen. Sein Gesicht ist vor Ekel verzerrt. Doch er schlägt sich tapfer.
Als er damit fertig ist, bleibt er einen Moment regungslos neben ihr knien, dann holt er das Telefon und wählt eine Nummer. Das Piepsen der Nummerntasten ist zu hören. Genau drei Mal.
„Keinen Krankenwagen“, röchelt sie plötzlich.
Alex’ Kopf ruckt erstaunt herum. Er legt wieder auf und nickt perplex und drückt ihr schüchtern einen Kuss auf die Stirn.
„Oh Gott, Marianne, hab ich mir so Sorgen gemacht. Du hättest tot sein können.“ Er streicht ihr durch die Haare. Einen Moment sagt er gar nichts und sieht sie nur mitleidsvoll an.
„Wer war es? Waren es SIE?“
Einen Moment herrscht Stille in der kleinen Wohnung.
„Alex, du heißt doch Alex, nich?“ Ihre Stimme klingt unendlich müde.
Er nickt verwirrt.
„Heiße nicht Marianne.“
Wieder ein Moment der Stille.
Alex starrt sie fassungslos an. Er öffnet den Mund, als wollte er etwas sagen, aber schließt ihn dann wieder. Dann streicht er ihr wieder durch die Haare.
„Vielleicht sollte ich doch lieber den Krankenwagen rufen.“
Marianne schüttelt behutsam den Kopf.
„Doch. Vertrau mir. Es wird alles wieder gut.“
Marianne schüttelt etwas energischer mit dem Kopf. „Kein Krankenwagen. Ich heiße Laura.“
Wer immer die Frau auch ist, sie blickt ihn erschöpft an. Sie trägt immer noch nur einen Tanga und einen BH. Aber kein Ausdruck der Geringschätzigkeit oder des Ekels gegenüber Alex ist auf ihr Gesicht hinzugetreten, sondern ein verständnisvoller und trauriger.
Alex weicht in Richtung des Kühlschranks zurück. Sein Gesicht ist zu einer fahlen Maske geworden. Seine Augen können sich auf kein bestimmtes Objekt fixieren und jagen rastlos umher. Er zittert leicht.
„Marianne. Dein Name ist MARIANNE.“ Er gibt die Rufnummer ein.
Laura setzt sich etwas auf. „Nein. Mir geht es wirklich gut. Keinen Krankenwagen. Lieber was Eis für meinen Kopf. Der tut scheiße weh.“
Alex nickt. Er geht zum Kühlschrank, reißt ihn auf, greift ins Gefrierfach und möchte etwas herausholen. Genau in dem Moment erstarrt er. „Kein Schnee. KEIN SCHNEE!“ Das Glas mit dem Schnee ist verschwunden.
Laura runzelt die Stirn. „Wie, kein Schnee? Draußen gibt es Massen an Schnee. Früher, als ich noch n’ Kind war, da habe ich Schnee geliebt.“
Sie lächelt leicht, doch weicht es sofort einem traurigen Blick. „Und jetzt, ich weiß nicht. Schnee ist kalt. Aber ich wollte doch sowieso normales Eis.“
Alex geht abrupt zu ihr zum Tisch. In seinen Augen blitzt es gefährlich auf. Er greift zur Pistole, die ebenfalls auf dem Tisch liegt und zielt plötzlich auf sie.
„Wo ist das Glas? Sag, sonst...“
Laura blickt ernst zu Alex auf. Der Blick ist voller Hoffnungslosigkeit und Erschöpfung. „Sonst erschießt du mich? Weißt du überhaupt, wie das geht?“
Alex entsichert und lädt durch. Sie seufzt und nickt verstehend.
„Wo?“
„Hast du Drogen genommen?“
„Noch nie in meinem Leben.“ Seine Stimme ist ernst und kalt. Sie nickt verstehend. „Was is überhaupt in dem Glas? Schnee sagtest du?“
Alex nickt.
„Warum sollte ich...?“, fragt sie.
Er weicht bis zum Kühlschrank zurück. Er hört ihr überhaupt nicht zu. Er schlägt sich mit der flachen Seite der Pistole gegen den Kopf.
Plötzlich entfährt es ihm: „Es fügt sich alles zusammen!“
„Was?“
„Ein Komplott! DIE stecken hinter alledem!“
Alex rennt zur Tür und verschließt panisch die Schlösser.
„DIE?“, fragt sie skeptisch.
„Na, die da draußen. Die, die nur darauf warten – auf diesen Moment. Erst haben sie dich fertiggemacht um mich aus der Wohnung zu locken. Als ich dann rüber bin, um dich zu holen, da sind sie in meine Wohnung. Damit sie mich durch dich ganz fertig machen können.“
LAURA sieht ihn traurig und müde an. Sie greift in ihre Tasche, holt sich die Utensilien für einen Joint heraus und beginnt ihn fertig zustellen. „Nur mal angenommen, ja. Was wenn es DIE überhaupt nicht gibt und du mich genauso wenig kennst, sondern“, sie hebt die Schultern, “ ja, keine Ahnung...“
Alex Gesicht ist ausdruckslos. Selbst seine Augen sind tot. Einen Moment herrscht Stille. Dann öffnet er noch einmal das Eisfach. Einen Moment verharrt er in dieser Position. Dann greift er hinein und holt eine Flasche Wodka hervor. Aus dem Schrank darüber zwei kleine Gläser und dreht sich wieder zum Tisch um.
„Für dich auch?“ Seine Stimme klingt monoton.
Sie nickt. Ein warmes Lächeln umspielt ihre Lippen. Doch kein fröhliches. Ihr Blick ist auf den noch nicht fertigen Joint gerichtet. Aber eigentlich geht er durch diesen hindurch - ins Nichts.
Alex schenkt beiden ein und setzt sich ihr gegenüber. Er nimmt sein Glas, trinkt es in einem Zug leer und schenkt sich nach. Immer noch herrscht Stille. Beide blicken ins Nichts.
Alex, nimmt wieder die Pistole in die andere Hand, holt tief Luft und sagt mit gepresster Stimme: „Wie sahen SIE aus? Wie viele waren es?“
Es dauert einen Moment bis Laura antwortet. „S’ war nur Denni.“
„Denni?“
„Ja, Denni is’... Denni is’... Ja, wenn ich wüßte, wenn ich wüßte, wer Denni wirklich is’.“
Mittlerweile hat Laura das Bauen ihres Joints beendet, zündet ihn sich an und nimmt einen tiefen Zug. „Er, er war mal so was wie mein Freund. Nur, dass wir irgendwie nie ne’ Beziehung wollten. Aber er war immer für mich da. Natürlich, klar, er hat Fehler. Aber hast du noch nie ne’ Person angesehen und gewusst, dass sie sich ändern kann, wenn du ihr nur hilfst? Ich meine, sich zu verändern, zum Guten…“
ALEX öffnet den Mund und schließt ihn dann wieder. Seine Lippen zittern. Schweiß ist auf seine Stirn getreten. Er schlägt mit dem Kopf gegen die Wand und will wieder etwas sagen, doch schließt ihn wieder. Ein weiterer Augenblick vergeht. Dann öffnet er den Mund wieder.
„Und, hat er sich helfen lassen?“
Laura zieht wieder an ihrem Joint und bietet ihn Alex an. Er nimmt an. Ihr Blick ist trübe Hoffnungslosigkeit. „Ne. Ich bin das für ihn geblieben, was ich von Anfang an war. Ne Hure. Ne Hure. Ne verdammte Hure. Und er blieb der Zuhälter.“
Alex nickt ausdruckslos und nippt am Wodka.
„N’ scheiß Stück Vieh bin ich für ihn gewesen, das zum Schluss nicht mehr genügend erbracht hat. Und was macht man wohl mit so nem’ Stück Vieh?“
Alex Gesicht bleibt starr. Er antwortet nicht.
„Weißte, manchmal, da frage ich mich echt, inwiefern das Ganze überhaupt Sinn macht. Ich meine, warum passieren einem so ne’ Sachen, während sich zum Beispiel irgend so n’ Assi auf seiner 30 Millionen Dollar Yacht die Seele aus’m Leib vögelt, während seine Frau zu Hause gerade eine Rede über Menschenrecht beim Schulfest ihrer beiden tollen Kinder hält.“
Alex nickt ganz langsam, aber voller Hingebung.
„Mit 14 habe ich son hier das erste mal probiert. Im Wäldchen hinterm Heim. Charlie, mein damaliger Freund hat’s mitgebracht gehabt. Scheiße ey, war echt geil gewesen“, sagt sie, entspannt von dem Joint. Langsam nickt sie. „Jetzt ist er tot. Dran krepiert, an den Drogen.“
Laura blickt ihn an. „Kannste dir vorstellen, wie’s ist, wenn du dich das erste Mal zu Vieh degradieren musst um zu überleben?“
Alex schüttelt den Kopf. Laura bleibt einen Moment stumm. Ebenso er. Doch sein Blick ist nicht mehr aufs Nichts fixiert, sondern auf sie.
„17. Ich war 17 – damals. Einer der Aufpasser bei uns früher...“, flüstert sie.
ALEX öffnet den Mund, als wolle er etwas sagen, aber schließt ihn aber wieder hilflos.
„Vor zwei Jahren hab ich dann Denni getroffen. Er hat angefangen auf mich aufzupassen. Meine Wohnung, die ist ihm. Aber jetzt...“
Sie stockt für einen Moment. Ihre Lippen bewegen sich, doch kein Laut kommt hinüber. Vorsichtig legt Alex seine Hand über die ihre. Sie lässt es geschehen. Möglicherweise bemerkt sie es aber auch gar nicht.
„Ich weiß nicht mehr weiter. Es is’, es is’ irgendwie so sinnlos.“
Alex Gesicht ist wieder die starre Maske. Nur für einen Moment jagen seine Augen panisch umher und noch eins zeigt es trotz der Ausdruckslosigkeit oder genau dadurch – Zustimmung.
Alex schweigt und stürzt ein Glas Wodka hinunter. Dann lacht er plötzlich bitter auf. „Sinnlos, jap, exakt!“
Laura lacht heißer. „Was würden wir ohne unsere kleinen und großen Illusionen machen?“
„Leben?“
„Sterben.“
Alex nickt langsam und zieht am Joint. „Der Sinn des Lebens als die größte Illusion, die wir uns aufbauen, damit wir uns nicht sofort selbst umbringen.“
Laura blickt auf die Pistole und nimmt sie vorsichtig in die Hand.
„P10. 9mm. 13 Schuss. Übers Internet bestellt“, sagt Alex so monoton, als wäre es einprogrammiert.
Laura wiegt sie in der Hand hin und her und nimmt dann einen Zug aus dem Joint.
„Glaubst du an so was wie den Himmel?“
Alex schüttelt den Kopf. „Ne. Hiernach kommt nur das Nichts. Alles andere ist tatsächlich Illusion.“
„Nichts? Das ist auch okay. Nichts ist besser als dieses Leben.“
Ein Moment schweigen beide. Plötzlich setzt Laura die Pistole unter ihrem Kinn an und drückt ab. Schneller als er reagieren kann.

EIN GRAUER SONNENAUFGANG

Einen Moment sitzt er starr da. Blut hat sein Gesicht bespritzt. Ihre Hand liegt noch unter der seinen. Entgegen der Annahme, dass er ausrasten sollte, trinkt er in Ruhe sein Glas Wodka aus. Die Blutspritzer wischt er nicht ab, als hätte er sie nicht bemerkt.
Dann steht er auf und geht zum Loch in der Wand. Es ist nicht mehr da. An der Stelle hängt das Bild einer Frau um die vierzig. Sie lacht und hält einen kleinen Jungen in den Armen. Im Hintergrund ist eine atemberaubende Schneelandschaft zu sehen. Daneben hängt ein weiteres Foto. Es ist verknickt und schon mehrere Male zerrissen worden. Der gleiche kleine Junge ist dort mit einem großen Mann in einem Anzug darauf zu sehen. Der Junge sieht sehr ernst drein, was nur noch von der im Schatten liegenden Miene des großen Mannes übertroffen wird. Einen Moment bleibt ALEX davor stehen, dann dreht er sich um und hebt die Pistole auf, die LAURAs Hand entglitten ist. Er nimmt das Magazin heraus, überprüft es, steckt es wieder hinein, lädt durch und entsichert. Sein Gesicht ist starr. Keinerlei Emotionen spiegeln sich darauf wieder.
So geht er zu einem Fenster und zieht den Rollladen ein Stück hoch. Vorsichtig sieht er hindurch. Es ist noch relativ dunkel draußen – in den Morgenstunden, noch bevor Sonnenaufgang. Zum ersten mal wird sein Gesicht von tatsächlicher Helligkeit beschienen wird.
Er tritt vom Fenster zurück, sieht sich noch einmal um. Dann blickt er auf einmal auf seine Pistole. Sein Gesicht verzerrt, er lässt sie fallen und eilt aus dem Raum.
Im selben Moment geht die Sonne auf und scheint durch die halboffenen Rolläden.

 

Hallo Tommy,

nach dem Lesen deiner Geschichte bleiben bei mir viele Fragezeichen. Ich will nicht sagen, dass sie mir gar nicht gefallen hat. Im Gegenteil: das Thema hat mich fasziniert, die Situation zwischen den beiden, die Gefahr die immer zu spüren ist. Aber da komm ich auch schon zu meinen Fragen: Wovon ist hier eigentlich die Rede? Ist das Science Fiction? Was von dem ist real, was bildet Alex sich nur ein, angefangen bei der Bedrohung, endend beim Loch in der Wand? Was ist mit ihm überhaupt los? Warum das Loch in der Wand? Um sie so zu kontrollieren, wie er es könnte wenn sie zusammen wohnen würden? Nebenbei: wie kann es sein, dass sie nichts von dem Loch merkt, wenn er sie doch nebenan hören kann und es hier daher genau so gehen muss?

Du siehst, ich bin etwas verwirrt. Sprachlich würde ich dir empfehlen, die relativierenden Füllwörter wie "recht", "etwas", "leicht" und so zu streichen, das wirkt so, als ob du das was du ausdrücken möchtest direkt wieder zurücknehmen willst. Auch die Umgangssprache in der wörtlichen Rede hat mich gestört, aber das ist möglicherweise Geschmackssache.

Weitere Details:

Würde der Betrachter sich nun umdrehen, würde er einen Raum wahrnehmen, der nur durch eine schwache, kleine Neonlampe und einen flackernden Computerbildschirm erhellt wird.
Hm. Hast du nicht vorher gesagt, dass das einzige Licht aus dem Loch in der Wand kommt?
Eine Person steht in ihrem Rahmen.
Das "ihrem" bezieht sich hier auf "Person", so hast du es wohl nicht gemeint.
Für einen Moment sind aber nur die strahlenden Umrisse zu erkennen
Dann tritt die Person ein und entpuppt sich als eine Frau.
„Hab dir was mitgebracht“, strahlt sie an.
ihn
Und jetzt, ich weiß nicht. Schnee ist kalt. Aber ich wollte doch sowieso normales Eis.“
Für Mariannes bzw. Lauras Zustand ist mir das Gespräch der beiden hier viel zu normal, nicht nur in diesem Satz.
Einen Moment bleibt ALEX davor stehen, dann dreht er sich um und hebt die Pistole auf, die LAURAs Hand entglitten ist.
Ich würde dir empfehlen, das mit den Großbuchstaben zu lassen.

Liebe Grüße
Juschi

 

Hallo Tommy,

ich habe deine Geschichte schon gestern gelesen und war mir nicht sicher, was ich dazu schreiben kann. Ähm... heute bin ich mir auch noch nicht sicher.

Stellenweise fand ich deine Geschichte wirklich sehr interessant und es gab sehr gute Szenen, wie z. B. der Besuch des Mädls oder die Sache mit dem Schnee. Allerdings bleiben für mich letztendlich zu viele Fragen offen, z. B. was genau der Typ sich eigentlich einbildet oder auch die Rolle des Mädchens konnte ich nicht richtig entschlüsseln. Stellenweise hat mich das wirklich unzufrieden gemacht und deswegen könnte ich auch nicht unbedingt sagen, dass mir die Geschichte gefallen hat.
Auffällig fand ich auch, dass die Geschichte stilistisch nicht die Qualität deiner anderen erreicht. Zu viele Füllwörter, einige ungeschickte Formulierungen etc. - als hättest du nicht so sorgfältig gearbeitet wie sonst. Vielleicht ist es auch das, was inhaltlich ncoh ein wenig für verwirrung sorgt.
Das am Ende offen bleibt inwieweit sich der Mann alles nur einbildet, fand ich eigentlich gut, das regt zum Nachdenken an.
Es wäre echt toll, wenn du die Geschichte überarbeitest, ich glaube sie hat Potential.

LG
Bella

 

So, jetzt antworte ich auch mal:).

Aber so wie du nicht wusstest, was du genau schreiben solltest, so weiß ich das auch nicht. Also hinsichtlich der Füllwörter hast du vollkommen recht. Das kommt daher, dass es eigentlich ein Drehbuch war, dass ich spaßeshalber in eine Geschichte umgeändert hab, um zu sehen, wie es als Geschichte ankommt. Daran werde ich mich nochmal setzen.

Zum Inhalt: Nun, ihr beide meckert an, dass sie nur schwer zu interpretieren ist. Was bildet er sich ein? Was ist real? Bei dieser Geschichte seit ihr nicht die ersten, die sie lesen und daher habe ich einfach schon die Erfahrung gemacht, dass die Geschichte so, wie sie dort steht, einwandfrei verstanden wurde. Aus dem Grund ändere ich sie ungern. Denn der Schlüssel ist in der Geschichte drin.
Naja, keine Ahnung. Man könnte sich nun drum streiten, ob ichs an manchen Stellen dann deutlicher machen soll, weil ihr beide damit augenscheinlich nichts anfangen konntet, mhh...

Schönen Sonntag noch:)

Thomas

 

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