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das Mädchen mit den Zigaretten und dem Lächeln vom Einlass schon

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26.09.2001
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das Mädchen mit den Zigaretten und dem Lächeln vom Einlass schon

Konzerte, so dachte er, waren im Prinzip eine ganz tolle Angelegenheit. Konzerte konnten unter Umständen richtig Spaß machen. Und so, dachte er, könnte auch das Element-of-Crime-Konzert zu einer recht schönen Sache werden. Bloß das da eben noch das Problem mit seiner Freundin war. Nicht, dass er mit seiner Freundin gravierende Probleme gehabt hätte – manchmal war das vielleicht so – , doch diesbezüglich gab es momentan eigentlich nichts Nennenswertes.
Das Problem bestand darin, und seine Freundin ahnte es wohl nicht, dass es ihn ziemlich aggressiv nervte, seine Freundin tanzen zu sehen und singen zu hören. Das lag weniger daran, dass seine Freundin etwa nicht tanzen und singen konnte – dies konnte sie sogar recht gut – , vielmehr war er es, der tanzende und singende Freundinnen einfach nicht sehen mochte. Und von daher konnten Konzerte tolle Angelegenheiten sein, von daher konnten Konzerte Spaß machen und von daher konnten Element-of-Crime spielen, wie sie es wollten, mit seiner tanzenden und singenden Freundin würde es ein ungutes Ding werden, das stand schon mal fest. Und da Konzerte ganz besonders zum Singen und Tanzen animierten, war ihm auch dieses Konzert im Vorfeld und ganz nüchtern betrachtet ein Graus.

Doch jetzt, nachdem das Vorfeld Stunden hinter ihm lag und nachdem die getragenen Klänge durch neblige, stickige und von buntem Scheinwerferlicht durchflutete Konzerthallenluft drangen, ging es ihm gut und so wie die Luft von Scheinwerferlicht durchflutet wurde, so durchflutete ihn ein Gefühl – warm, nah und drückend. Neben ihm stand sein Mädchen. Still und stumm, ganz zart und nur sporadisch im Takt der Klänge wippend. Sie stand so toll. Und er fühlte ihre Nähe und er fühlte sie Zentimeter neben sich stehen und er atmete dieses Gefühl – warm, nah und drückend. Und konnte er nicht sogar ihr Parfüm atmen, aus diesem Wust von Gerüchen heraus, der in Konzerthallen für gewöhnlich die Luft schwängerte? Und wenn er nach vorne sah – was ihm angesichts des Mädchens neben ihm Zusehens schwerer fiel – , dann sah er seine Freundin, tanzend, schaukelnd, zuckend und singend. Sie tanzte gar nicht mal so schlecht, um genau zu sein, dachte er bei sich, tanzte sie grandios.
Und jetzt war er sogar froh darüber, denn wenn sie tanzte und sang und zuckte, dann konnte er davon ausgehen, dass sie sich nicht umsah, dass sie ihn nicht sah und dass sie nicht sah, wie er ständig nach links blickte und darauf hoffte, einen Blick von dem einmaligen Mädchen neben ihm zu erhaschen.

Sie waren am Abend, dieses verschneiten und vermatschten, schneeigen Januartages nach Dresden gefahren und waren zu einem mit Autos und Menschen vollgeparkten „Alten Schlachthof“ gegangen. Sie mit ihrer Vorfreude auf Tanzen und Singen, er mit seiner Vorahnung auf das grausige Schauspiel einer singenden und tanzenden Freundin.
Nachdem sie den Marathon des Anstehens hinter sich gebracht hatten (Gott wusste, warum die Menschen, welche Karten besaßen und die Menschen, welche Karten kaufen wollten, in ein und der selben Schlange stehen mussten), nachdem sie das hinter sich gebracht hatten, da drangen sie in das Innere des Schlachthofes vor. Und wen sah er in der Menschenmeute? Wer stand da direkt an der Wand, gegenüber der Garderoben? Wer stand da neben einem Vollidioten, der sich aus seinem Kinnbart kleine Zöpfe geflochten hatte? Sie stand da! Hatte sie eine violette Hose – war es Violett? Hatte sie ihre Haare nach hinten gekämmt? Hatte sie nicht verdammte Ähnlichkeit mit Gott weiß wem? War sie nicht die beeindruckendste Person hier? Konnte sie nicht als der Grund durchgehen, der es rechtfertigte, an dieser sinnlosen Schlange zu stehen und sich von sinnlosem Schnee zuschneien zu lassen? Und in den wenigen Sekunden, in denen er sich diese Fragen stellte und in denen er all diese Fragen bejahen musste, war er auch schon wieder an ihr vorbei.
Denn groß ist nur, was man nicht erkennen kann – größer noch, was man nicht begreift! Wer zu lange in die Sonne sieht wird blind!
Nur das es eben wenige Sekunden waren und das er in diesen Sekunden kaum blind wurde. Und weil das so war, folgte er weiter seiner Freundin und ließ die Sonne gegenüber der Garderobe stehen, die ihm vielleicht das Augenlicht genommen hätte.
So ging er sehend und etwas gequält seiner Freundin hinterher, die sich ihren Weg bahnte, durch die wieder belanglosere Menschenmeute. Vielleicht waren da noch andere, die Ähnlichkeit mit wer weiß noch wem hatten. Vielleicht waren da noch andere, die ihre Haare nach hinten gekämmt hatten und vielleicht gab es noch viel mehr, was hätte interessieren können. Ihm war das egal und egal war ihm auch der Fakt, das Element-of-Crime soeben ihr erstes Lied zu Ende spielten und sie beiden noch immer in der Vorhalle herumirrten, auf der Suche nach Möglichkeiten, vielleicht doch noch in den Saal zu gelangen. Natürlich war es seine Freundin, die diese Möglichkeit schließlich fand. Komisch, dachte er, egal was es nun war, Partys, Feten, Feiern, Feste, Konzerte oder sonstige Aufläufe von glücklichen und lustigen und gelösten vergnügungssüchtigen Menschen, seine Freundin wurde fast augenblicklich eine von allen. Sie löste sich förmlich in der Masse auf, tauchte ein und wurde ein stimmungstragendes und stimmungsförderndes Element ohne dabei ihre Persönlichkeit tatsächlich zu verlieren. Vielleicht war sie wie ein Chamäleon. Nur ihm, dachte er weiter, wurde sie fremd. Und wenn ihm etwas mehr Unbehagen bereitete, als eine singende und tanzende Freundin, dann war es ihr Davongleiten. Jeder, aber auch jeder schien ein alter Bekannter, ein alter Freund, ein alter Diskogenosse von ihr zu sein. War das nicht die, mit der sie einst auf den Tischen getanzt hatte? Ist das nicht der, mit dem sie einst um die Häuser gezogen war? Waren das nicht alles Gefährten und Synonyme des Lebens, das sie ohne ihn gelebt hatte und noch lebte und was ganz gewiss nie sein Leben werden konnte? Vielleicht war es so, vielleicht war es so nicht. Er jedenfalls kam sich etwas deplaziert vor, wenn seine Freundin da so von ihm weg tanzte uns dabei sang, mit all den Menschen, nur eben nicht mit ihm. Denn tanzen und singen waren Dinge, die nicht unbedingt zu seinem Repertoire gehörten, auf den Bühnen der Geselligkeit und der sozialen Kontakte. Überhaupt, konnte man behaupten, wie er sich in solchen Momenten des öfteren überlegte, waren diese Bühnen Orte, die er zumindest im Beisein seiner Freundin gerne miet. Allein oder mit Freunden, da sah das schon ganz anders aus, aber mit seiner Freundin glich es immer ein weinig einer Tortur, einer, wie er fand, Gratwanderung, bei der seine Laune ganz schnell ins Bodenlose abzustürzen drohte.
Die Zauberformel für eine harmonische Beziehung nämlich hieß, diese Lektion hatte er lernen müssen, Kompromissbereitschaft. Und diese war etwas mangelhaft vorhanden, bei ihm, der sich selbst weniger einen Egoisten, als vielmehr einen ausgeprägten Individualisten nennen wollte. Und wahrscheinlich war dies das ganze Problem, was er heute wiedermal mit seiner Freundin hatte – kurz und bündig auf den Punkt gebracht.
So oder so ähnlich waren wohl seine Gedankenkonstrukte und Überlegungen während der Momente, in denen er seine konzertsaalerprobte Freundin zielstrebig die geeigneten Plätze und Standorte checken sah, die ihnen auch visuell größtmöglichen Genuss bescheren konnten und die genügend Platz zum Tanzen hergaben. Ihm blieb dabei nichts anderes übrig, als den kommentarlos folgenden und schon etwas außer Atem befindlichen Partner zu mimen.
Natürlich fand sie den besten Platz und noch bevor Element-of-Crime ihr zweites Stück angespielt hatten, stand er an seinem Bestimmungsort und seine Freundin auf ihrem Podium, auf dem sie augenblicklich zu tanzen und zu singen begann.
Die Luft war heiß und die Sicht nach vorne war gut. Die Halle war zum Bersten gefüllt und seine konzertsaalerprobte Freundin hatte einen wirklich guten Platz im hinteren Drittel ergattert, das musste er ihr auf jeden Fall zugestehen. Es war platz und es war düster und ein Stückchen weiter links zog die Wand an ihnen vorbei. An dieser Wand lehnten ein paar Jungs und Mädels und sie lehnten da und tanzten nicht und sangen nicht.
Sie hörten der Musik zu und der Kelch der großen Party ging scheinbar auch bei denen vorbei, was ihn ungemein beruhigte und was den Jungs und Mädels da an der Wand ungewollt seine uneingeschränkte Sympathie einbrachte. Insofern war es schon mal ganz o.k., was sich so bot.
Auf der Bühne war im „Morgengrauen“ zu hören. Kurz vor der ersten Straßenbahn – sind alle Häuser finster und stumm – dreh´ dich noch einmal nach mir um – einmal für dich – einmal für mich . . .
Eigentlich war das, so stellte er fest, eine ganz gute Idee und entsprach in etwa dem, was er gerade zu tun gedachte. Er drehte sich um und prüfte, ob er all zu sehr aus dem Rahmen viel und ob es noch andere Glaubensbrüder als die an der Wand lehnenden gab, die die Ansicht vertraten, einem Konzert auch ruhig und still Folge leisten zu können. Zu seiner Erleichterung gab es tatsächlich einige, die diesen Glauben teilten. Da waren die ruhigen Schaukler, die, die mit geschlossenen Augen den Klängen lauschten, die Grübler, die Gedankenverlorenen und so weiter und so weiter. Vor ihm befand sich seine tanzende und singende Freundin und links neben ihm verschwanden die Wand und die an ihr lehnenden Glaubensbrüder im Umriss irgendeiner Kontur, die sich von hinten in sein Blickfeld geschoben hatte.
Kurz vor der ersten Straßenbahn – sind alle Wege öder und leer – lauf noch ein bisschen neben mir her – einmal für dich – einmal für mich . . .
Und das war der Moment, der diesen Abend und die folgenden Stunden in ein vollkommen anderes Licht tauchen sollte. Der der Musik von da vorne eine ganz andere Bedeutung verlieh, so dass sie ihn trug und vielleicht nicht allein. Der Moment, der seine etwas strapazierten Nerven besänftigte und allen Ärger um singende, tanzende Freundinnen von ihm wegnahm. Und da waren sie wieder, die Fragen. Wer stand da so unbegreiflich, so unmöglich, so ausgeschlossen und so tatsächlich neben ihm? Wer konnte eigentlich hier überhaupt nicht sein? Wen hatte er in der Überflutung durch Eindrücke so schnell vergessen und wer schoss so augenblicklich in seine Erinnerung zurück? Sie! Das Mädchen vom Eingang, das Mädchen von gegenüber der Garderobe, das Mädchen, das die Steherei im Schneematsch rechtfertigen konnte. Und waren ihre Hosen tatsächlich violett? Er konnte es nicht sehen, es war zu düster und es war zu warm und zu nah und zu drückend. Ein Stern fällt ins Wasser und der Mond hinterher . . .
Jetzt konnte er sehen, wie sie kurz zu ihm hinübersah und kurz war auch der Blick, den er ihr zuwarf. War das jetzt der Moment, in dem er vielleicht doch noch sein Augenlicht verlor, geblendet von der Sonne, in die er nur kurz sah und die ihn kurz sah? Und was zum Teufel sollte da dieses Gefühl, dass sie hier nicht ohne Grund stand und warum um alles in der Welt, fragte er sich, stand die so toll da? Die Art, wie sie stand, unterstrich die Empfindung vom Eingang und potenzierte sie ins Unermessliche. Aber das durfte jetzt hier nicht sein! Das durfte hier keinesfalls passieren und höchstwahrscheinlich schlug ihm seine angeschlagen Psyche ein Schnippchen. Wie nannte man so was, fragte er sich, während „Morgengrauen“ im Beifall und allgemeinen Gejubel verebbte. Vorspiegelung falscher Tatsachen! Genau so und so konnte man das schon nennen, oder etwa vielleicht nicht? Zum Glück übertrieb er es jetzt aber auch nur ein klein wenig und zum Glück war das ja nun doch nur ein bisschen bescheuert, oder? Oder? Aber warum stand sie so toll? Warum nur erkannte er sie sofort, hatte er sie doch vorhin nur wenige Sekunden gesehen? Und wieso nur stand sie jetzt hier neben ihm, als gehörte sie in diesem verflucht großen, verflucht überfüllten Konzertsaal nicht sonst wohin, sondern gehörte hier neben ihn. War der Saal nicht wirklich groß genug? Musste das jetzt sein? Musste jetzt dieses verdammt attraktive Mädchen hier während „seit der Himmel“ neben ihm sein. Musste sie das? Musste sie dazu noch so toll stehen. Und während er seine vor ihm tanzende und singende Freundin betrachtete, stellte er fest, dass es schon irgendwie in Ordnung ging. Groß ist nur, was man nicht erkennen kann – größer noch, was man nicht begreift! Was dies betraf, schien es ziemlich groß zu sein.
Das Mädchen vor ihm sang und tanzte, während sich irgendwas durch seinen Magen bohrte und irgendein Blick von links merkwürdig vertraut erschien. Er war nicht mehr allein hier, das hatte diese neue Situation eindeutig mit sich gebracht. Das Mädchen neben ihm, was er später als sein Mädchen bezeichnen würde, stand toll und tanzte nicht. Sie sang auch nicht und jedes Mal, wenn irgendwer von vorne nach hinten wollte oder ein anderer von hinten vor zur Bühne und sich ausgerechnet zwischen ihnen hindurchdrängen musste, drehte sie sich nach rechts weg und er sich nach links. In diesen Momenten standen sie sich direkt gegenüber und in einigen dieser Momente konnten sie sich sehen. Er begann allmählich eine regelrechte Vorliebe für die Nachvorne- und Nachhintendränger zu entwickeln. Ermöglichten sie doch für Sekunden Hochgenuss. So standen sie nebeneinander und manchmal glaubte er, nicht das singende und tanzende Mädchen vor ihm, sondern das toll stehende Mädchen neben ihm gehörte zu ihm, so einfach und natürlich selbstverständlich. Immerhin hatte sie doch Ähnlichkeit mit Gott weiß wem und immerhin hatte sie, die gefährliche Sonne vom Eingang, sich später direkt neben ihn gestellt. Und hatte sie nicht so plötzlich neben ihm gestanden, als ob sie genau nach ihm gesucht hätte?
So zerfloss das Konzert und merkwürdigerweise konnte er schon bald nicht mehr genau sagen, ob er seit zwei oder zwanzig Liedern hier stand. Es war, dachte er verklärt und irritiert, wie man es immer so schön lesen konnte. Es war, wie jenseits von Zeit und Raum. Mal stand sie so dicht neben ihm, dass er glaubte, ihr Parfüm riechen zu können, mal war sie entfernter und augenblicklich drehte er sich nach links, um zu prüfen, was es für Möglichkeiten gab, diese Entfernung schnellstens maßgeblich zu reduzieren. Sie stand so toll und zwischen ihren Füßen hatte sie eine Tasche oder einen Rucksack, genau konnte er das nicht feststellen. Genauso, wie er noch immer nicht in der Lage war, zu sagen, ob ihre Hose nun violett oder blau war. Aber interessierte das hier wirklich? Machte das nun den Unterschied? War das nicht genau genommen das Geringste hier, in Anbetracht der schönen aber doch zeitlich arg limitierten Romanze? Eine Romanze, umhüllt von Liedern, Nebel, buntem Licht und zehn bis hundert Zentimeter Abstand.
Von der Bühne erklang Trompete und irgendwo in den vielen Kilometern, die es bis zur Bühne jetzt schon waren, jubelten und klatschten Menschen. Irgendwo dort tanzten Menschen und unter ihnen auch seine Freundin. Aber Kilometer waren weit. Ganz nah jedoch stand sein Mädchen und jubelte nicht und tanzte nicht. Sie stand nur da und wippte höchstens dezent und zart im Takt. Das, so fand er, störte ihn überhaupt nicht. Sie applaudierte nicht so frenetisch, wie die anderen, nur ganz kurz und sacht tat sie es. Und manchmal hatte sie die Arme vor der Brust verschränkt und manchmal stützte sie ein Arm in die Hüfte und mit dem Anderen hielt sie ihre nach unten gerichtete Stirn. War es die Grüblerpose, überlegte er und er überlegte auch, ob sie nicht irgendwie all das verkörperte, was ihm jemals gefallen hatte - was ihm immer gefallen würde. War sie ihm darum am Eingang aufgefallen und war das der Grund, warum sie jetzt neben im stand und ihre Hand an ihrer Hüfte lag? Wenn sie jetzt grübelte, träumte er in seinem hoffungslosen Traum, zergrübelte sie vielleicht die gleichen Dinge wie er. Und dann sah er zu ihr hinüber und hoffte in ihrem Profil lesen zu können und er hoffte, sie würde genau jetzt zu ihm sehen. Sie tat es nicht. Er wollte sie sehen und er wollte es nicht vergessen, niemals vergessen, was er da sah. Ihr Bild sollte sich einbrennen und mit ihm dieses Gefühl – warm, nah und drückend. Hier geschah etwas Unglaubliches und Unglaubliches durfte nicht mit diesem Konzert zum Ende kommen, selbst wenn Unglaubliches nur in der Erinnerung und seinem fotografischen Gedächtnis weiterleben sollte.
Während er so darüber sinnierte und Sven Regener auf der Bühne bemerkte, dass bei ihm überhaupt nichts mehr ginge, seit der Himmel jeden Morgen die Farbe irgendwelcher Augen trage, drängte ein langlodiger Bursche der Kategorie „Nachhintendrängler“ an ihm vorbei und verschaffte ihm die kurze Hoffnung, das Gleichgewicht verlieren zu können und auf sein unbekanntes Mädchen zu fallen.
Vielleicht hätte das einen, wenn auch nur kurzzeitigen und mit unkalkulierbaren Folgen versehenen, engeren Kontakt hergestellt und für Sekunden hatte er die Wahnwitzige Idee einfach umzukippen. Doch dann gewann der Rest Rationalität in seinem Hirn die Oberhand und stoppte den Anflug seiner Unternehmung. Er wippte wieder nach rechts und stand wo er gestanden hatte. Insofern brachte das alles wenig Gewinn und noch weniger Punkte. Der Bursche jedoch, der mittlerweile vom Gedränge verschluckt wurden war, hatte nicht nur verdammt lange Loden, nein, er hatte auch seine Zigarettenschachtel verloren. Dies bemerkte das tollstehende Mädchen, worauf es sich bückte und die Schachtel aus den Tiefen der Konzerthalle nach oben beförderte.
Und da war sie wieder, seine Faszination. Sie hob die Schachtel auf und sie tat es schöner noch, als sie gestanden hatte. Wenn sie toll stand, wie sollte man dann erst ihre Bewegung beschreiben? Sie bückte sich nicht einfach so, nein, sie ging sanft in die Knie. Was konnte man heute noch graziös nennen, wenn nicht das? Und war es nicht ausgesprochen selten, wenn sich ein Mädchen im Konzert nach einer fallengelassenen Zigarettenschachtel bückte? So was gab´s doch, dachte er, eigentlich schon längst nicht mehr. Aber damit waren die für ihn unfassbaren Aktivitäten seines Mädchens noch nicht abgeschlossen. Sie drehte sich, die Zigarettenschachtel in die Höhe gehalten, einfach um und reckte sich, in der verzweifelten Hoffung, den langlodigen Burschen erspähen zu können. Sie wollte dem Burschen tatsächlich die Schachtel hinterher bringen und hätte sie ihn entdeckt, so hätte sie es auch getan, dessen war er sich sicher. Wurde das jetzt unheimlich? Bedurfte das jetzt noch näherer Erläuterungen oder war sie der lebendig gewordene Traum schlechthin. Und bevor er sich, noch immer wie gebannt auf die Schachtel in ihrer Hand starrend, darüber entgültig klar wurde, dass sie diesen Traum eindeutig verkörperte, drehte sie sich zu ihm und hielt ihm die Schachtel entgegen. Hätte da nicht in zig Kilometer Entfernung Element-of-Crime gespielt und wäre es hier nur eine feine Nuance leiser gewesen, dann hätte er auch noch hören müssen, wie toll sein Mädchen sprach . Ihre Stimme war sicher genauso genial, wie es der Rest von ihr war. Aber er hörte sie nicht, er sah nur ihre Hand, sah die Schachtel, sah auf und dann in ihr Gesicht. Er sah ihre Augen – ihre Augen sahen ihn. Das waren die Momente, in den originelle Antworten immer recht gut ankamen. Das waren die Chancen, in denen man Geistesblitze sinnvoll verwenden konnte. Wo man vielleicht zeigen konnte, dass man gar nicht so schlecht war. Das waren Situationen, wo er sich beispielsweise hätte vorbeugen können oder so. Irgendwie schoss ihm das alles durch den Kopf und eindeutig zu lange überlegte er sich, dass er nun schon seit einem Monat nicht mehr rauchte. Ja, verdammt, gestern war es ein Monat her, dass er die letzte Lunte weggezogen hatte. Konnte es bessere Situationen geben, wieder mit dem Rauchen anzufangen? Vielleicht hätte er ihr die Schachtel abnehmen können, um ihr dann eine Zigarette anzubieten? Rauchen verband, das hatte er öfters schon feststellen müssen, die unterschiedlichsten Menschen miteinander. Vielleicht sollte man Kriegsherren einfach mal rauchen lassen?
Statt dessen aber setzte sich der völlig irrsinnige Gedanke durch, sie davon in Kenntnis setzten zu wollen, dass er nun schon seit einem Monat nicht mehr tat, was man mit Zigaretten gemeinhin tut. Zu guter Letzt aber zuckte er nur die Achseln, streckte die Arme zur Seite, dreht die Handflächen nach vorne, schüttelte mit dem Kopf und lächelte sie herzlich an. Sie lachte herzlich zurück und ihr Lachen war nebenbei gesagt die Krönung des Ganzen.
Dann ging sie wieder in die Knie und verstaute die Schachtel in ihrer Tasche. Oder war es ein Rucksack? Und welche Farbe hatte nun ihre Hose?
Vielleicht hätte er sich so etwas jetzt nicht gefragt, hätte er geahnt, dass der Zenit nun überschritten war.

Diese kleine belanglose Episode mit der Zigarettenschachtel, ihr Lächeln, ihr Lachen, ihr Blick, dass floss durch ihn, wie eine plötzliche Energie. Er stand da und fast hätte er damit begonnen, ein wenig zu tanzen und ein wenig zu singen – ein wenig!
Er lachte und genoss die Musik. Er genoss sein Mädchen, das links neben ihm stand. Er war nicht allein, denn sie lief noch ein bisschen neben ihm her – ein bisschen.
Sie gehörten jetzt zusammen. Sein Mädchen stand da, so toll und einmalig. Still und stumm, ganz zart und nur sporadisch im Takt der Klänge wippend Sie tanzte nicht und sang nicht. Er stand neben ihr und ahnte es nicht.
Vielleicht waren es zwei oder drei Lieder, die seit der Zigarettenepisode vergangen waren, da kniete sie sich kurz nieder und er sah, dass es kein Rucksack, sondern eine Tasche war. Sie dreht sich um und genauso, wie sie gekommen war, verschwand sie wieder, die Tasche unter ihrem Arm.
Es war noch nicht einmal Zeit für die erste Zugabe und er stand wieder allein. Vor ihm, irgendwo da in der Menge, seine singende und tanzende Freundin. Links neben ihm nur noch die Wand, an der noch immer Jungs und Mädels lehnten.
So jäh endeten, dachte er ganz für sich, für gewöhnlich die schönsten Träume.

Vier Zugaben später gingen die Lichter an und so richtig begriff er nicht, wie ein Konzert so schnell zu Ende gehen konnte. Das läge an der so tollen Atmosphäre, erklärte ihm daraufhin seine nicht mehr singende und nicht mehr tanzende Freundin. Er nickte wortlos und verließ mit ihr den Schlachthof durch einen Nebenausgang. Den hatte, überlegte er sich später etwas verwundert, übrigens er entdeckt. Es war schon komisch, dachte er. Beim Gehen war er immer der Bessere.
Draußen schneite es stärker als zuvor, doch er hatte so die Befürchtung, dass dieser Abend nun nichts mehr barg, was als Entschädigung dafür hätte dienen können.


Später noch, in dieser schneeigen, matschigen Januarnacht, setzte er sich an die Tasten seines Computers und erzählte ihnen die Geschichte vom Element-of-Crime-Konzert und dem Mädchen mit den Zigaretten und dem Lächeln vom Einlass schon ...


Torsten Thiel, 12. bis 15. Januar 2002

[Beitrag editiert von: Thiel am 16.01.2002 um 11:13]

 

ähm.. wieso hast du deine Geschichte doppelt gepostet?
Hier ist es eigentlich üblich eine Geschichte nur in einer Rubrik zu posten. Entscheide dich doch bitte und gib dann dem jeweiligen Moderator Bescheid, um die doppelte zu löschen.

Gruß, Pandora

 

Hab die Geschichte in "Romantik" gelöscht. Verschieben kann man ja immernoch.

Thiel: Bitte die Regeln lesen.

 

Ok, ok, schwerer Ausnahmefehler, du hast die Geschichte doppelt....pah lassen wir das :D ;)
Meine beiden Vorkritiker haben sich leider in dieser Kritik erschöpft, was mich wundert, sonst ergießen sie sich ausführlicher, aber, hier soll ja keine Kritik an den Kritikern kommen, dass wäre dann der nächste schwere Ausnahmefehler :rolleyes: :p ;)

Also: deine Geschichte hat mir gefallen. Punktum.

Nee keine Sorge, ich schreib dir auch noch weshalb: weil es dir gelungen ist, eine schlichte Situation, nämlich Mann verguckt sich, vielleicht verliebt sich in eine Frau, so darzustellen, dass man zwischendrin geradezu mit deiner Hauptfigur mitfiebert, ob er es denn nun endlich wagt, etwas mehr zu tun als nur über seine eigenen Gedanken und Gefühle nachzusinnen. Von daher gelungen.

Insgesamt könntest du die Geschichte noch mehr straffen, sie ist sehr breit angelegt.
Deine Wiederholungen sollen wohl als dein eigenes Stilmittel gesehen werden, da bin ich selbst sehr unentschieden, ob ich es nicht so gut finde oder ob du es so lassen solltest. Ich denke, die Tatsache, dass deine Hauptfigur das Tanzen und Singen seiner Freundin nicht ausstehen kann, ist eigentlich genügend häufig, wenn nicht sogar zu häufig gesagt. Aber auf der anderen Seite grenzt du damit deutlich ab, wie sehr die Andere dadurch an Attraktivität gewinnt. Von daher bin ich eben unentschieden.
Zu einigen grammatikalischen Fehler sag ich nichts. ;)

[Beitrag editiert von: lakita am 17.01.2002 um 11:21]

 

hier soll ja keine Kritik an den Kritiker kommen, dass wäre dann der nächste schwere Ausnahmefehler

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@ Pandora:
das bei den Kritikern vergessene "n" hab ich zugefügt.

Ansonsten wird der zitierte Satz verständlich, wenn er nicht aus dem Zusammenhang gerissen wird.

Du könntest allenfalls mit etwas Unverständnis die Bezeichnung "Ausnahme"-Fehler meinen und da geb ich zu hab ich wohl einen nicht grad allgmeinverständlichen Humor. Mein Computer bringt ab und zu mal solchen Hinweis, wenn mal wieder ein Programmabsturz stattgefunden hat. Dann steht da: schwerer Ausnahmefehler.

Nun klar???? ;)

 

Hm, darum gehts gar nicht. Was ein Ausnahmefehler ist weiß ich. Jeder der Windows benutzt weiß das.
Ich habe mich da rein inhaltlich etwas "gewundert" und mich gefragt, was genau du mit diesem Satz sagen wolltest.

Aber egal.

Gruß, Pan

 

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