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Das menschliche Licht

Ice

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30.06.2003
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15

Das menschliche Licht

Die Menschen sind grausam. Sie treffen einander jeden Tag, beim Einkaufen im Supermarkt, beim Volltanken ihrer Autos, in Restaurants, in Parks, beim Joggen oder in jeder billigen Drogerie. Und doch begegnen sie sich nicht. Sie laufen aneinander vorbei ohne sich in die Augen zu sehen. Sie grenzen sich ab und bauen um sich unsichtbare aber vorhandene Mauern auf, und sei es nur zwischen den frischen grünen Paprika und den weniger frischen, genmanipulierten Erdbeeren aus Spanien. Ich kam hier an und beobachtete dieses mir völlig unbekannte Phänomen. Menschen sind seltsam. Ich wunderte mich, was mein Chef an ihnen fand und womit sie ein unendlich wertvolles Geschenk verdient hatten, das ihnen doch noch nicht einmal bewusst war. Und doch waren sie seit Anbeginn ihrer Existenz in Besitz dieses einzigartigen Geschenks. Sie besaßen eine Seele, oder viel mehr ein Seelensternchen. Dies ist ein Funke der alles Wissen um uns, sie, die Welt, ihre Entstehung und überhaupt des ganzen Universums und seiner Funktionsweise beinhaltet. Der Funke in dem alle Antworten auf alle Fragen enthalten sind. Doch irgendwie suchen die Menschen ihre Antworten immer im Abstrakten anstatt einfach den kleinsten im gemeinsamen Nenner zu suchen: sich selbst. Sie haben Priester, die suchen Antworten auf Fragen nach dem Sinn, dem Tod und allen anderen Dingen die das Fassungsvermögen ihreres Verstandes übersteigen. Sie haben Ärzte, die suchen Antworten auf Fragen nach der Entstehung des Lebens, des Schmerzes und allen anderen Dingen die sie selbst spüren. Sie haben Wissenschaftler, die suchen Antworten auf Fragen nach der Funktion ihrer Körper und nach den Bestandteilen der Bestandteile seiner Bestandteile, von Menschen Atome genannt. Doch bis jetzt hat kein Mensch die Zusammenhänge erkannt. Ich sag´s doch, Menschen sind dumm. Und außerdem sind Menschen arrogant. Ja, ich glaube es heißt arrogant, aber ganz sicher bin ich mir nicht. Ich lebe erst kurz unter den Menschen, so ungefähr seit siebzig Jahren, also wird doch jeder verstehen, dass ich mir in dieser kurzen Zeit noch nicht ihr gesamtes Vokabular aneignen konnte. Menschen haben die dumme Angewohnheit alles in Worte pressen zu müssen und sie haben immer noch nicht verstanden, dass es Dinge gibt von solcher Macht, Intensität und Größe, dass sie einfach nicht in die engen starren Gebilde ihrer Worte passen, und anscheinend auch nicht durch die schmale Pforte ihrer menschlichen Vorstellungskraft. Ich sehe sie Tag für Tag, denn ich lebe unter ihnen. Manchmal möchte ich sie packen und schüttlen, um sie dazu zu bringen ihr gesellschaftlich angepasstes Desinteresse zu überwinden und zu erkennen, dass sich das Fraktal ihrer Existenz bereits weit über den stabilen Punkt des Seins hinausbewegt hat, und dabei ist in sich selbst zusammen zu brechen. Doch jedesmal wenn ich dabei war, die Hoffnung für die Menschen aufzugeben, begegnete ich einem besonderen Exemplar ihere Rasse. Es gibt nicht viele von ihnen und doch bewegen sie sich durch die träge Masse der Menschen, die sich selbst bis zur Konturlosigkeit angepasst haben, und erhellen sie mit ihrem Licht. Diese Lichtträger erkenn ich klar mit scharfen Umrissen und jeder Eigenheit, im Gegensatz zu den Anderen, deren Umrisse ich nur noch verschwommen sehe und deren Farben sich für mich in ein einheitliches Grau verwandelt haben. Ich weiß nicht ob es noch andere wie mich gibt. Ich gehöre nicht zu den Menschen, denn auch wenn ich ihnen äußerlich gleiche habe ich doch sonst nichts gemein mit ihnen. Ich bin ein verstoßener Engel Gottes. Mir wurde der Weg nach Hause für immer versperrt, in dem ich mit der höchsten Strafe belegt wurde: dem Abhacken meiner Flügel. Zurück blieben zwei vernarbte Stümpfe die noch an meine prächtigen Schwingen erinnern und mich als das auszeichenen was ich bin. Ich bin ein Ausgestoßener, ein Verbannter. Ich bin der gefallene Engel Esamuel. Meine Schuld besteht darin, das ich den Menschen das rauben wollte, was sie uns voraushaben. Ihre Seelen.

Und nun ist mir das Himmelreich so nahe, wie die Tiefe einem Wesen, das nur in zwei Dimensionen lebt. So nah, und doch unerreichbar.

 

Hallo Ice,
kann es sein, dass dich ein Film namens "Dogma" (ich glaube, er hieß so) schwer beeindruckt hat?
In deiner Geschichte beschreibst du die Menschen aus der Sicht eines Fremden, eines überirdischen Wesens. Ich mag die Sprache, die du verwendest und auch inhaltlich enthält dein text viele wahre Gedanken, besonders im Bezug auf die Menschen, wie sie aneinander vorbei blicken usw. Die Idee des Engels als fremder Beobachter gefällt mir hingegen nicht so sehr, denn sie lässt die Geschichte in den Bereich der Science-Fiction abdriften, finde ich. Man fragt sich, ich habe mich das jedenfalls gefragt, ob du wirklich von der Situation der Menschen erzählen wolltest, oder ob es nur darum ging, irgendwie diesen Engel da hinein zu bringen. Das hätte man vielleicht schöner lösen können, indem man den Engel durch einen einfachen, normalen Menschen ersetzt hätte, dem irgendwann einfach die Erkenntnis kommt, dass da zwischen den Menschen irgendetwas nicht so ganz richtig läuft. Also: Vielleicht einfach aus der einen zwei Geschichten machen: eine "Gefallener Engel"-Geschichte und eine "Die Menschen sind grausam"-Geschichte.
Liebe Grüße von Tröpfchen

 

mir gefällt die story, und die Formulierungen z.B. mit der "schmalen Pforte der menschlichen Vorstellungskraft". Sehr gekonnt und schön formuliert!

 

Hallo Ice,

ich habe bewusst die vorangegangenen Kommentare zu deiner Geschichte nicht gelesen. Darum lege ich jetzt mal frei aus dem Bauch los:

1. Menschen sind eine merkwürdige Laune der Evulotion, aber doch behrrschen sie ihr
Handwerk.
2. Es gibt immer Ausnahmen. Sonst wäre es sehr langweilig auf diesem Planeten.

Wenn ich deine Geschichte jetzt richtig verstanden habe, geht um einen Menschen (oder Engel), der die Natur des Menschen nicht versteht oder von dieser Art angewidert ist.
Aber betrachte es doch mal von der Seite: Was macht uns Menschen so besonders das wir tausende von Jahren nachzuweisen haben?

Mir fehlen auch die Antworten darauf und ehrlich gesagt denke ich manchmal genau wie der Mensch (oder Engel) in deiner geschichte. Aber wir leben.

Korrgegiere mich wenn ich falsch interpretiere.

Mit freundlichen Grüssen

Eddievedder

 

Hallo, Ice!

Nicht schlecht, muss ich ganz ehrlich sagen. Die Bibel deutet uns ja nur an, wie die Engel uns Menschen betrachten. Dass du es thematisierst, ist mehr als löblich. Die Idee hat Potenzial, und es ist schade, dass diese Geschichte ein Ende findet, wo andere anfangen. Du charakterisierst deinen Prot nämlich nur kurz vor dem Schluss, was beim Leser zwangsläufig den Wunsch, eine Fortsetzung zu lesen, hervorruft. Und die wäre angebracht, denn so wie die Geschichte jetzt ist, hat sie keine richtige Handlung. Sie ruht in sich selbst, sie fließt nicht. Es ist nur ein Bild, wenn auch ein schönes, aber noch lange keine Geschichte. Wir wissen jetzt, wer dein Prot ist, was er von den Menschen denkt - nun wäre es angebracht, zu schreiben, was mit ihm geschieht, was er erlebt, ob er je nach Hause kommt.

Du hast da eine Stelle, da sagt der Engel (sinngemäß), er treffe ab und an Menschen, die seine Meinung über die Menschheit nicht ganz tief in den Keller sinken lassen. Das wäre doch ein Punkt, an dem man aufbauen könnte! Denn wenn man einen Gedanken wie diesen hier so nackt stehen lässt, anstatt ihn anhand eines Beispiels rüberzubringen, ist der vergeudet.

Den letzten Satz würde ich nicht unterstreichen - lass' den Leser selbst aussuchen, was ihn an deiner Geschichte ganz besonders beeindruckt. Und achte bitte etwas mehr auf deine Komas.

Gruß
A.v.M.

P.S.:

Hier noch ein Tippfehler, der mir aufgefallen ist:

...das Fassungsvermögen ihreres Verstandes...

 

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