Das menschliche Licht
Die Menschen sind grausam. Sie treffen einander jeden Tag, beim Einkaufen im Supermarkt, beim Volltanken ihrer Autos, in Restaurants, in Parks, beim Joggen oder in jeder billigen Drogerie. Und doch begegnen sie sich nicht. Sie laufen aneinander vorbei ohne sich in die Augen zu sehen. Sie grenzen sich ab und bauen um sich unsichtbare aber vorhandene Mauern auf, und sei es nur zwischen den frischen grünen Paprika und den weniger frischen, genmanipulierten Erdbeeren aus Spanien. Ich kam hier an und beobachtete dieses mir völlig unbekannte Phänomen. Menschen sind seltsam. Ich wunderte mich, was mein Chef an ihnen fand und womit sie ein unendlich wertvolles Geschenk verdient hatten, das ihnen doch noch nicht einmal bewusst war. Und doch waren sie seit Anbeginn ihrer Existenz in Besitz dieses einzigartigen Geschenks. Sie besaßen eine Seele, oder viel mehr ein Seelensternchen. Dies ist ein Funke der alles Wissen um uns, sie, die Welt, ihre Entstehung und überhaupt des ganzen Universums und seiner Funktionsweise beinhaltet. Der Funke in dem alle Antworten auf alle Fragen enthalten sind. Doch irgendwie suchen die Menschen ihre Antworten immer im Abstrakten anstatt einfach den kleinsten im gemeinsamen Nenner zu suchen: sich selbst. Sie haben Priester, die suchen Antworten auf Fragen nach dem Sinn, dem Tod und allen anderen Dingen die das Fassungsvermögen ihreres Verstandes übersteigen. Sie haben Ärzte, die suchen Antworten auf Fragen nach der Entstehung des Lebens, des Schmerzes und allen anderen Dingen die sie selbst spüren. Sie haben Wissenschaftler, die suchen Antworten auf Fragen nach der Funktion ihrer Körper und nach den Bestandteilen der Bestandteile seiner Bestandteile, von Menschen Atome genannt. Doch bis jetzt hat kein Mensch die Zusammenhänge erkannt. Ich sag´s doch, Menschen sind dumm. Und außerdem sind Menschen arrogant. Ja, ich glaube es heißt arrogant, aber ganz sicher bin ich mir nicht. Ich lebe erst kurz unter den Menschen, so ungefähr seit siebzig Jahren, also wird doch jeder verstehen, dass ich mir in dieser kurzen Zeit noch nicht ihr gesamtes Vokabular aneignen konnte. Menschen haben die dumme Angewohnheit alles in Worte pressen zu müssen und sie haben immer noch nicht verstanden, dass es Dinge gibt von solcher Macht, Intensität und Größe, dass sie einfach nicht in die engen starren Gebilde ihrer Worte passen, und anscheinend auch nicht durch die schmale Pforte ihrer menschlichen Vorstellungskraft. Ich sehe sie Tag für Tag, denn ich lebe unter ihnen. Manchmal möchte ich sie packen und schüttlen, um sie dazu zu bringen ihr gesellschaftlich angepasstes Desinteresse zu überwinden und zu erkennen, dass sich das Fraktal ihrer Existenz bereits weit über den stabilen Punkt des Seins hinausbewegt hat, und dabei ist in sich selbst zusammen zu brechen. Doch jedesmal wenn ich dabei war, die Hoffnung für die Menschen aufzugeben, begegnete ich einem besonderen Exemplar ihere Rasse. Es gibt nicht viele von ihnen und doch bewegen sie sich durch die träge Masse der Menschen, die sich selbst bis zur Konturlosigkeit angepasst haben, und erhellen sie mit ihrem Licht. Diese Lichtträger erkenn ich klar mit scharfen Umrissen und jeder Eigenheit, im Gegensatz zu den Anderen, deren Umrisse ich nur noch verschwommen sehe und deren Farben sich für mich in ein einheitliches Grau verwandelt haben. Ich weiß nicht ob es noch andere wie mich gibt. Ich gehöre nicht zu den Menschen, denn auch wenn ich ihnen äußerlich gleiche habe ich doch sonst nichts gemein mit ihnen. Ich bin ein verstoßener Engel Gottes. Mir wurde der Weg nach Hause für immer versperrt, in dem ich mit der höchsten Strafe belegt wurde: dem Abhacken meiner Flügel. Zurück blieben zwei vernarbte Stümpfe die noch an meine prächtigen Schwingen erinnern und mich als das auszeichenen was ich bin. Ich bin ein Ausgestoßener, ein Verbannter. Ich bin der gefallene Engel Esamuel. Meine Schuld besteht darin, das ich den Menschen das rauben wollte, was sie uns voraushaben. Ihre Seelen.