Das missglückte Experiment
Noch kann ich klar denken. Ich könnte reagieren. Ich kann sehen und verstehen, doch nichtsdestotrotz kann ich den giftgrünen Dunst, den sie mir grinsend ins Gesicht pusten, auch schon in meinen Adern fließen spüren. Und so verschwimmt langsam meine Sicht, während ihre Mimik sich in grässliche Grimassen verwandelt.
Ich kann immer noch denken, aber handeln kann ich nun nicht mehr.
Ich kann immer noch sehen, doch was ich erblicke kann ich unmöglich logisch verstehen.
Die Kontrolle über meinen Körper liegt jetzt in ihren Händen. Diese abartigen Kreaturen scheinen sich köstlich darüber zu amüsieren. Sie lassen mich hüpfen und klatschen begeistert in ihre kleinen Patschehändchen. Ich drehe mich um mich selbst und die Welt versinkt in Dunkelheit.
„Endstadium erreicht. Boss? Ihre Waffe steht nun zum Einsatz bereit.“
„Gut, holen Sie den Probanden Alpha-XY aus seiner Zelle.“
Regungslos und steif steht die junge Frau mit blasser Haut und rabenschwarzen Augen aufrecht in der Mitte des Behandlungsraumes. Ihrem Blick fehlen jegliche Intelligenz und Emotion.
Ein kleiner magerer Mann mit Hornbrille betritt, in Begleitung eines muskulösen großen Mannes in Handschellen, den Raum.
„Alpha-XY.“ Er zeigt auf den Gefangenen.
Auch diesem scheint, obwohl er physisch recht normal bzw. überdurchschnittlich kräftig aussieht, jeglicher freie Wille abhanden gekommen zu sein., denn seinen Augen fehlt das Leben.
„Schicken wir sie in die Kammer und testen ihre Effektivität“, sagt der Boss und fügt hinzu: „Vielleicht sollten wir eine kleine Wette starten. Ich setze zwei Kästen Bier auf Beta-XX.
„Ich halte dagegen. Schauen Sie sich Alpha doch einmal an. Bei seinen Fähigkeiten kann er nur gewinnen.“
„Unterschätzen Sie das Mädel mal nicht“, erwidert der Boss, „Die Wirkung des Testmittels dürfte sich diesmal wesentlich stärker entfalten. Also, lassen wir die Spiele beginnen!“
Auf die jeweiligen Befehle hin, begeben sich die Probanden in die Testkammer, einem kreisrunden Raum, in Stahl gekleidet und mit einem breiten Fenster aus blickdichtem Panzerglas versehen. An der Decke befindet sich eine Rundum-Kamera und aus 8 kleinen Lautsprechern tönen die Stimmen der Befehlshaber: „Kämpft bis zur Elimination!“, gefolgt von schadenfreudigem Doppelgekicher.
Da wirbeln die Fäuste der menschlichen Experimente auch schon durch die Luft. Beide verfehlen sie das Ziel, weil jeder im rechten Moment geschickt ausweicht. Sie schlagen und kontern, treten und blocken. Sie versuchen den jeweils anderen zu packen, doch der weicht aus. Keiner übertrifft den anderen, dabei regt sich in ihren Gesichtern absolut nichts.
Plötzlich schreit Beta-XX unerwartet auf, sie greift sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Kopf, geht vor Qual in die Knie und entkommt so dem nächsten Schlag von Alpha-XY, einem Schlag, der ihr sicher aufgrund seiner enormen Wucht den kleinen Kopf vom Hals gerissen hätte.
XX bricht vollends zusammen.
„Stop“, dröhnt aus den Lautsprechern der Befehl für den angreifenden Probanden, der augenblicklich zum absoluten Stillstand kommt.
Währenddessen krümmt sich die Frau, geschüttelt von Krämpfen am Boden. Ihre Augen verändern sich, das natürliche Grün blitzt wieder auf.
Auf Dunkelheit folgt Licht.
Ich kann klar denken. Was ist passiert? Wo bin ich?
Aaah, mein Kopf. Was für Schmerzen.
Verdammt, was haben die mit mir gemacht? Und wer, zum Teufel, ist dieser Kerl da?
Der sieht gar nicht mal so unhübsch aus.
„Kannst du mir helfen“, frage ich ihn, doch er reagiert nicht.
„Hilf mir“, brülle ich ihn an und strecke meine Hand nach ihm aus. Er nimmt sie entgegen, hilft mir auf und stützt mich.
„Du stehst wohl auf die harte Tour“, flüstere ich. Er antwortet nicht, steht wie angewurzelt neben mir. Die Schmerzen in meinem Kopf werden immer schlimmer. Es fühlt sich an, als würde jede Ader einzeln platzen, nur um sich danach ruckhaftig zusammenzuziehen, sich aufzublähen und wieder zu platzen. Hört sich seltsam an, nun, es fühlt sich auch seltsam und unheimlich scheiße an.
Wie von unsichtbarer Hand schiebt sich plötzlich ein Stück der Stahlwand zur Seite und entblößt eine Tür, die sich entriegelt und öffnet. Ein alter Mann mit Glatze stürmt mit wehendem Kittel herein und brüllt mich gebieterisch an:
„Entferne dich von Alpha-XY, sofort!“
„Halt's Maul“, schrei ich zurück, „Verpass ihm eine, Alpha“, sage ich zu meinem mich stützenden Kumpel, der meinem ungewollten Befehl unerwarteterweise sofort Folge leistet.
Er lässt mich los. Ich sinke wieder auf meine Knie und stöhne vor Schmerz, doch mir entgeht nicht der linke Haken von Alpha, der dem Alten mit Leichtigkeit das Genick bricht und der folgende Schlag schmettert den toten Kittelfurz gegen die Glasfläche, die tatsächlich Risse bekommt. Aus dem Raum dahinter ertönt ein verängstigtes Quieken, anders kann ich es nicht beschreiben, gefolgt von dem Geräusch einer zufallenden Tür. Ich kann mir ein verzerrtes Grinsen nicht verkneifen.
Über Alphas Kraft staune ich auf jeden Fall auch nicht schlecht.
„Jetzt bring uns hier raus“, sage ich zu ihm, „Wir müssen zu Doktor Shelden, Lukasstreet 117. Er kann sicher uns beiden helfen.“
Der Schmerz raubt mir vollends den Verstand.
Die Welt versinkt wieder in Dunkelheit.
Alpha-XY hebt den Körper der Bewusstlosen hoch, als sei sie leicht wie eine flauschige Feder und er trägt sie in seinen starken Armen zur Tür hinaus.
Minutenlang ist Lärm aus den Fluren zu hören, Schüsse gefolgt von Gepolter und Geklirre und schließlich Schreie, die von leisem Gestöhne in Stille übergehen.
Nun herrscht nur noch Ruhe im Labor.