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Das mittelalterlich Spektakel

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01.07.2005
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Das mittelalterlich Spektakel

Das mittelalterliche Spektakel, ein Schwank zum Mitleiden.

An einem sonnigen Wochenende, im Herbst trampelte ich sinnierend am Ufer eines Sees im Osten unserer Stadt entlang und beschäftigte mich insbesondere mit der Frage, warum sich hinter dem Begriff “Wochenende“ das nackte Grauen verbarg.

Mir kamen Kinder entgegen, die entmenscht schrien und sich gegenseitig verprügelten. Jugendliche, die Flaschen von Branntwein mit sich führend, Schlager gröhlten, die ich längst verdrängt glaubte.
Ich passierte alte Menschen, die wahlweise mit sich selbst sprachen oder, ließ es die schwindende Kraft des Lebensherbstes denn noch zu, heftig auf mumifizierte Mitstreiter einredeten. Dazwischen kläfften und bellten Hunde aller Größen und Rassen, versicherten Herrchen und Frauchen, dass diese „nur spielen“ wollten und waren entrüstet, wenn sie ein „Scheißköter“ vernahmen.
Dann versuchten sie, im Gebell und Gekläff ihrer vierbeinigen Freunde Vorträge über Tierliebe zu halten, die angeblich „viel schöner“, „viel reiner“ wäre und da solle sich der Mensch „mal ein Stück abschneiden“.
Wollte ich aber nicht. Ich wäre nur gerne fortgelaufen ...schreiend.

Plötzlich jedoch, fand ich mich vor einem gemeinen Bretterzaun wieder, der mir den Weg versperrte und hinter dem irgendeine Festivität rumorte.
Das hatte mir gerade noch gefehlt. Aber ich reihte mich in die Schlange ein, die sich vor einem Kassenhäuschen gebildet hatte, zahlte meinen Obolus und wollte endlich dabei sein. Egal was, ich würde Verständnis haben, jubeln, klatschen und mich dem Rausch eines Gemeinschaftsgefühls hingeben. Nichts war so schlimm , wie das Leben dort draußen.

Wie eigenartig viele gekleidet waren, fiel mir dabei auf. Und doch noch jung, oder zumindest fast in meinem Alter, dachte ich bei mir. In Roben und aufwendigen Gewändern, wankten die Besucher auf den Festplatz. Karneval, Karl-May-Festspiele fragte ich mich und sah einen Ritter an mir vorbeistapfen. Dann eine Burgfrau ,ein offenbar Magier, Gesinde, einfache Gestalten und dann begriff ich erst. Das Mittelalter. Genau. Hier war irgendwie Mittelalter und ich war dabei , aber hallo.

Eine Unmenge mittelalterlicher Lebensläufe wurde plötzlich vor meinem Auge wieder aufgenommen. Minnesänger und Barden lärmten vor sich hin, als gäbe es kein Morgen. Edelfrauen, in ihren feierlichen Gewändern, schwebten an mir vorbei. Handwerker, eher tumbe Gesellen in Lederröcken, werkelten an Holz , Ton und Eisen , während Krämerseelen in bunten Strumpfhosen an einer Vielzahl von Ständen, die Menschen mit altertümlichen Redensarten zu beschwatzen suchten.
Mönche, die in ihren dunklen Kutten, den Schädel kahl geschoren, mit weihevollem Gesichtsausdruck von Stand zu Stand wechselten, um bei einem Humpen Bier die frohe Kunde „unseres Herrn“ zu verbreiten.
Dazu machten sich Mägde und Dienstmädchen in altertümlichen, eher einfach gehaltenen Gewändern, überall nützlich, putzen, werkelten, bedienten die Kassen.
Dann die lustigen Gestalten. Spaßmacher, Gaukler, Narren und Großsprecher in den unterschiedlichsten Kostümierungen, ließen sich gehen, vollführten ihre... „Späße“.
Ein Mann auf Stelzen stakste zwischendurch und fiel hin . Lachend wurde er aus dem Zelt gehoben , auf das er gekracht war.
Heiter war man bei der Sache . Und irgendwie auch ernst , denn sogar die Währung hatte in „Silberlinge“ gewechselt.
Die mittelalterliche Armut, immer wieder gerne gegen sie ins Feld geführt , hier hatte man nicht etwa ausgespart, manch Elendsgestalt mit langen zotteligen Haaren, in zerrissenem Gewandt, gänzlich ungewaschen, taumelte wiederbelebt durch das Bild.
Schön, dass auch dieser Aspekt nachahmenswert schien. Sie durften schließlich nicht fehlen, die Trunkenbolde und Hasardeure des Glücks, in jedem guten Märchen zu finden, gestern noch in Amt und Würden dann, da setzte man noch alles auf eine Karte, Haus und Hof verspielt und irgendwann von einem lieben Verwandten aufgelesen. Mit einer Moral besetzt, die da lautete, Unrecht Gut gedeihet nicht .
Glück; Unglück ... Schicksal ... quo vadis ...
Zauberer und Wahrsagerinnen , früher eigentlich im Verborgenen tätig , wussten damals die Antwort , wurden aber gerne auf den Scheiterhaufen gestellt, wenn man ihrer habhaft wurde. Heute waren sie zur Stelle, bekannten sich zu ihrem Job. Mit riesigen Hüten, wallenden dunklen Gewändern, mit allerlei Tand und Tinnef ausgestattet, blickten sie angestrengt düster. Seit Gondolf , der weiße Zauberer , mit der langen Mähne in der mächtigen Neuverfilmung der sieben Zwerge durch die Kinos ritt und irgendwie einen Ring kaufen wollte. Ich war damals leider eingeschlafen, musste mir dafür Vorhaltungen anhören, die mir "Fantasie" und den Willen absprachen , mich "mal unterhalten zu lassen" , auch wenn es vielleicht "etwas unwahrscheinlich" wirkte. Nun hatte der Job des Zauberes, des Spökenkiekers eine echte Aufwertung erfahren und ich war ernsthaft bemüht, mich unterhalten zu lassen .

Genau so muss es gewesen sein, nicht so trübe wie im nervtötenden Geschichtsunterricht. Und wenn es nicht so war , dann war es trotzdem schön. Seuchen und Elend wurden übrigens nicht etwa ausgeklammert, nein, in einem stündlich stattfindenden „Pestumzug“ konnte „jeder mitmachen“. Dann wankten noch abgerissenere Wesen des Grauens über den Platz, flehten „um Vergebung“, geißelten sich ob „ihrer Sünden“. Schwarz gekleidete Gestalten, mit blassem Teint „Megadeath“ und „Born to die“ auf dem Wams genäht, waren schnell integriert und mit so viel Hingabe und Liebe fürs Detail dabei, dass es eine Freude war.
Ich träumte mich auch in diese, bessere Welt. Einfach unter Gleichgesinnten zu sein, in ewiger Jugend, alle fantasierend. Da draußen in der Gegenwart , war es grausig. Ich gehörte hierher, irgendwie...ganz bestimmt.
Und von wegen Unwahrscheinlich, es war doch alles aufgeboten , was auf einem mittelalterlichen Markt vertreten war.
Hier grunzte ein Wikinger Furcht erregend, dort paradierte ein Highlander festen Schrittes. Eine Gruppe türkischer Schwertkämpfer zog vorüber, während ein Kreuzritter an seinem Kettenhemd schraubte.
Dahinten stellte sich eine Gruppe von Degenkämpfern auf und zeigte Kunststücke am Florett.
Florett? Degen? Gab es die damals auch schon? Waren die drei Musketiere schon im Mittelalter über die Lande gezogen? Artos, Portos, Aramis und Datanjah , gegen die Hexenverbrennung ...? Egal. Wir gehörten zusammen, wie eine Familie. Und da man sich auch mal auseinandersetzt , Streitkultur bewahrt , zeigten ein paar Männer in Blech , wie man mit dem Schwert aufeinander einschlägt.
Im Mittelalter war eben Platz für alle. Sogar für mich, denn eigentlich, war ich auch ein Freigeist und Abenteurer, nur ohne Strumpfhose und Kettenhemd ... und ohne den Wunsch, mir etwas um die Ohren hauen zu lassen, jetzt prügelten die Männer nämlich mit Äxten aufeinander ein.

Dann war wieder Pestumzug. Diesmal taumelten noch mehr Elendsgestalten vorbei und versuchten die große Pest, eine Krankheit, die fast ganz Europa ausrottete, mit 20 Darstellern zu erfassen. Ein Mönch mit Armbanduhr und Handytasche an der Kutte , begleitete die Unglücklichen und nebenan, nahmen die Minnesänger unter dem pfeifenden Laut der gepflegten Rückkoppelung einer Lautsprecheranlage wieder ihre Arbeit auf.

Als der Aufruf erklang, alle sollen doch zur Hinrichtung kommen, die um 17.30 Uhr hinter der Würstchenbude stattfinden würde, stieg die Stimmung weiter. Eintritt „echt günstig" und „täuschend echt“ inszeniert von „unserem“ Mirko , dem „Gehenkten“ , wie der Redner aufgeregt versprach.
Und da wurde der Delinquent, lange Haare, Megadeath T-Shirt und Doc Martens Stiefel an , schon vorbeigeführt. Er klagte laut, „unschuldig“ zu sein, ließ sich von einem Wikinger und einem... armenischen Speerwerfer, oder Indianer , wie auch immer , hinter die Würstchenbude bringen. Dort verkündete jemand mit hoher Stimme, der Lautsprecher pfiff wieder, nun wäre es an der Zeit , eine „Strafe zu vollziehen“. Ich war dem Spektakel etwas näher gekommen und konnte sogar recht gut sehen.
Dann schrie Mirko unecht auf und sauste durch eine Falltür und baumelte an einem schwankendem Galgen. Höflicher Applaus, Mirko warf Kusshändchen vom Galgen in die Menge, eine Stimme bedankte sich über Mikro bei „unserem“ Mirko, der auch dieses Jahr wieder seinen Galgen „mitgebracht hätte“, heute Abend würde er übrigens „noch mal gehenkt“ werden .

Mirko , eben noch fröhlich winkend, zappelte jetzt und winkte mit den Armen.
Wenn das seine Zugabe war, dann war sie groß und unter dem anerkennendem Klatschen, verlor er seine Gesichtsfarbe, zappelte nicht mehr. Wie lebendig , dieser Auftritt doch noch wurde. Als dann jemand erkannte, dass ein Trageseil um Mirkos Hüfte, so leblos herunter hing wie er selbst, war es fast zu spät.
Dienstbare Geister in Blechuniform und Strumpfhosen versuchten , ihn wieder abzuhängen, aber der Galgen stürzte ganz ein.

Schnell war auch , ein Rettungswagen zur Stelle und Mirko wurde röchelnd und würgend auf einer Trage, im Schein des Blaulichtes zu dem Rettungswagen gebracht . Die Stimme am Mikro bat jetzt tapfer um einen „Applaus für Mirko“.
Minnesänger versuchten , die trüben Gedanken zu vertreiben, die sich bei dieser Vorstellung doch irgendwie aufdrängten . Zwei Männer schlugen wieder mit Äxten aufeinander ein und bewarfen sich mit Steinen und ich , ich wollte nur noch weg.

Als ich den Ort verließ, stieß ich auf eine Rotte schnatternder älterer Mitbürger, die sich
nach dem Kaffeetrinken wacker die Beine vertreten wollten. Einfach nur so.
Die hatten mir irgendwie gefehlt . Im Mittelalter, ein paar Meter weiter, so überzeugend nachgestellt wie in Bad Segeberg am Kalkfelsen der wilde Westen , gab es die gar nicht.
Sie hätten vielleicht zur Mäßigung aufgerufen , aber das Mittelalter gehörte der Jugend, die so herrlich unbedarft selbst dunkelsten Momenten noch ihren Reiz abgewann.
Die kreuzlahmen Herrschaften hier, hatten den Krieg am eigenem, Leib miterlebt und waren es zufrieden , noch am Leben, im Schein der untergehenden Sonne spazieren gehen zu können. Und mir ...hatte man den Begriff „Grauen“ neu definiert ,ich fand mich mit dem Hier und Jetzt einfach ab.

Ende

 

Hallo Existance...

Dank dir für deine ...Ausführungen .Tja, was soll ich sagen . Schön, wenn dir zumindest die Idee zusagt.
Mir gefällt sie ja auch .

Gruss

 

Hallo S.h.,
Doch interessant, was Anderen zu den eigenen Geschichten so ein und auffällt und daher doch sehr wichtig, den eigenen Kram mal der Kritik auszusetzen.
Sicherlich ist eine Geschichte, die man nachträglich erklären muss, keine gute Geschichte , aber das Pseudowissen , die oberflächliche und einseitige Betrachungsweise ( und die letztendliche Intoleranz) d. gesamten Veranstaltung, (die ich jedes Jahr gerne besuche) war eigentlich beabsichtigt.
Ein Hauptprotagonist muss nicht immer edel sein und nicht immer fair.
Er muss auch nicht immer Fachwissen aufweisen . Und ...er kann auch neidisch sein. Das man dies so entnehmen kann, ...nun ja.
Was die Wahrscheinlichkeit betrifft, nun ja...ich habe da so meine Erfahrungen mit dem Unwahrscheinlichen , dass plötzlich ziemlich real sein kann.
Ob ich mit "Alltag" in dem richtigem Genre gelandet bin , da bin ich mir auch nicht sicher.
Aber ich möchte auch nicht den Eindruck erwecken, als würde ich zu jeder kritischen Anmerkung eine Widerrede parat haben. Meine Anmerkung zu Kritik Nr. 1 hab ich bewusst zurückhaltend gestaltet , da mir das doch ein bißchen zu altväterlich und tutig im Tonfall war. Dennoch hab ich nochmal einen Schwung Fehler herausgeklaubt ( Danke also) und
Ich bin dir jedenfalls dankbar, dass du dich mit dem Text auseinandergesetzt hast und ich nehme mit , was geht und was sich letztendlich auch mit dem vereinbaren lässt , dass mir wiederum vorschwebt.
Besten Dank also

Gruss von

 

hallo linelight,

leider sagt mir diese geschichte auch nicht zu. sie war durchzogen mit langeweile, die doch hin und wieder mit hoffnung unterbrochen wird - denn die idee das event mit dem mittelalter zu fokusieren, verspricht viel.
die lebhafste stelle war der galgen. und als dann dieses unglück geschah, hattest du noch eine chance für ein sinniges ende. denn im mittelalter war kein rettungswagen sofort zur stelle. resumiert: nicht alles war besser im mittelalter.
aber so, wie ich die geschichte gelesen habe, ist sie nicht rund und hinterlässt mich unzufrieden.
schreiben, meint exisence, kannst du. das ist möglich. der erzählstil ist nicht schlecht, aber absolut ungeeignet für diese geschichte. sie war zu lang, und der humor ist dir missglück, oder wie s.h. das ausdrückt, du hast keinen humorvollen ton verwendet, mit dem die geschichte aufgelockert hätte werden sollen.
schreibtechnisch sehe ich es auch, dass du wohl viel schreibst. aber sind es geschichten?

ich habe noch folgende textbezüge

Das mittelalterlich Spektakel, ein Schwank zum Mitleiden.

fehlt da ein "e" hinter "mittelalterlich"? und das im titel?

Wie eigenartig viele gekleidet waren, fiel mir dabei auf. Und doch noch jung, oder zumindest fast in meinem Alter, dachte ich bei mir.

wenn du vor "Und" ein komma machst, könntest du auf "dachte ich bei mir" einsparen

überall nützlich, putzen, werkelten, bedienten die Kassen.
"putzen" >> "putzten"

Wie lebendig , dieser Auftritt doch noch wurde.

wieso ein komma?

Schnell war auch , ein Rettungswagen zur Stelle und Mirko wurde röchelnd und würgend auf einer Trage, im Schein des Blaulichtes zu dem Rettungswagen gebracht .

"Rettungswagen" ist doppelt - es hätte auch ein notarzt am anfang sein können, der kommt auch mit dem rettungswagen

Die Stimme am Mikro bat jetzt tapfer um einen „Applaus für Mirko“.

hoppela - "Mirko" ist aber ein unglücklicher name jetzt!

fazit: nicht wirklich toll. eine idee schimmert durch, aber wurde nicht gut umgesetzt

sorry

barde

 

Das lob ich mir. Die Anregung mit dem Rettungswagen finde ich ...tja ...danke...gefällt mir .


Ich versuche, mich mal zu erklären:
Das mit "Mirko" und "Mikro" finde ich bedenkenswert, ich hab das bewusst so
"konstruiert" und mich gefragt , ob das nicht vielleicht "lustig" wäre.
Isses aber nicht. Das muss ich zugeben. Klingt wie ein Wortdreher.

Bei der Gelegenheit fällt mir auf , dass ich auch "mittelalterlich" komisch fand,
nun klingt es ...das muss ich zugeben , behämmert .

Die "grammatikalischen Sprengfallen" , in den Boden versink. Ich habe die Geschichte teilweise online, eingetackert und es bei der Fehlersuche vorher,
nicht so genau genommen .
Was den Erzählstil betrifft , wenn es langweilig wird, ist es scheisse .
Eine alte Maxime von Erfolgsautoren . Der Weg dahin, wird doch etwas länger , als von mir eingeplant. Da hast du mir die Augen geöffnet.
Doch genug der Erklärungen und Entschuldigungen , dank dir dafür , dass du dich mit dem Text auseinandergesetzt hast . Das mit dem Rettungswagen ...
tsssss...sehr gut.

Gruss

 

Der Weg dahin, wird doch etwas länger , als von mir eingeplant. Da hast du mir die Augen geöffnet.

nicht nur für dich. meine geschichten machen mich auch nicht zum erfolgsautor *smile*. aber was ich hier auf kg.de schon gelernt habe, ist gigantisch.
und wenn dich das schreiben von geschichte fasziniert, dann wirst du die verbesserung an dir sebst sehen.

 

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