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Das Mondgeheimnis

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01.01.2004
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Das Mondgeheimnis

Das Mondgeheimnis


Über ihrem Bett hing ein Kruzifix. Die Farbe unter Jesus’ Knien war abgeblättert. Oft hatte Alena das Kreuz in Händen gehalten und ihre Stirn im Gebet an diesen Beinen wund gerieben.
Sie zog die Decke bis zum Kinn und starrte in das Mondlichtdunkel. Ihre Hände zitterten, noch immer wirkte der Albtraum nach. Papa saß neben ihr auf der Bettkante, der Tür zugewandt. Hoffentlich noch die ganze Nacht, dachte sie. Den Kopf hatte er auf die Hände gestützt. War er eingeschlafen?
Sie sah hinüber zu dem eingerahmten Foto auf dem Nachttisch. Ihr Papa war darauf zu sehen, auf einer Wiese, vor zwölf Jahren, mit ihr als Baby auf dem Arm.
Vergeblich tastete sie nach dem Stoffmond, ihrem Tröster, und erspähte seine Umrisse unendlich weit weg auf dem Stuhl neben der Kommode.
Sie befühlte mit der Zunge die Kruste an der Unterlippe und widerstand dem Drang, sie aufzubeißen. Mit dem Deckenzipfel wischte sich Alena den Schweiß von der Stirn, dann stieg sie auf der anderen Seite aus dem Bett, so geräuschlos wie möglich. Sie schlich am Fenster vorbei und warf einen Blick auf die Tanne im Garten. Der Schnee glitzerte auf dem Wipfel.
Drei Schritte später klemmte sich Alena den Stoffmond unter den Arm. Sie schlich zurück, auf dem Dielenboden fiel ihr ein kleiner, dunkler Fleck auf. Sie beugte sich vor und erkannte einen eingetrockneten Bluttropfen. Das musste vor wenigen Tagen passiert sein. Sie hatte unter dem Fenstersims gekauert, die Rippen des Heizkörpers im Rücken, den Tröster im Schoß, und sich die Lippe blutig gebissen.
Sie legte den Stoffmond neben das Kopfkissen. Noch einmal schlich Alena durch das Zimmer, zur Kommode und durchsuchte die Schubladen. Sie fand eine offene Packung Tempos neben einem gläsernen Reh und dem Foto vom Strandurlaub. Ihr älterer Bruder Milan war darauf zu sehen, und Mutter. Er hatte seine Beine eingegraben, seine grüne Badehose lugte unter dem Sand hervor. Die Mutter saß im Bikini auf einem Badetuch, die Haut noch ohne Brandnarben.
Alena wollte das Foto zerknüllen, es in kleine Stücke reißen, zog die Hand aber wieder zurück. Sie sah über die Schulter zu Papa, drehte das Bild um und stellte das gläserne Reh darauf.
Dann rubbelte sie mit dem Taschentuch und ein bisschen Spucke die Stelle vor dem Fenster sauber und warf das schmutzige Tempo in den Papierkorb. Vor dem Bett blieb sie stehen und griff sich den Stoffmond. Sie streichelte über den gelben Plüsch und ertastete dabei die ausgefranste Stelle am Rand. Flaum schimmerte hindurch. Alena hatte Angst, dass ihn die nächste Wäsche zerfleddern könnte. Ihre Mutter zu bitten, die Wunde ihres Trösters zu nähen – das wagte sie nicht.
Sie schlüpfte unter die Decke, leise, nicht dass Papa wach wurde, und hielt den Stoffmond gegen den Bauch gedrückt.
»Mama!« Die Stimme kam aus dem Flur, Milans Stimme. Er klang erschrocken.
Alena krallte die Finger in den Tröster. Bestimmt hatte ihr Bruder wieder einmal an der Tür gelauscht und war von der Mutter ertappt worden.
»Milan!«, hörte sie die Mutter in der Schärfe sagen, die Alena so fürchtete. »Was machst du da?«
»Ich … ich wollte nur ins Bad und … und da hörte ich sie!«
Alena kauerte sich zusammen und presste den Stoffmond zwischen die zitternden Knie. Sie stellte sich die beiden vor: Neben der Kommode mit dem Telefon zog Milan den Kopf ein, den Blick auf den eisernen Zeitungsständer am Boden fixiert, während die Mutter die welligen Narben am Hals rieb und auf Antwort wartete.
Papa stand auf, die Matratze gab nach. Er streckte sich und gähnte. Bitte, bleib da, wollte Alena rufen. Bleib da!
Die Tür ging auf, quietschte. Eine Gestalt erschien im Türrahmen, Mutter. Alena zerbiss die Kruste an der Unterlippe. Papa blieb neben dem Bett stehen, vom Flurlicht eingefangen, und nestelte an seinem Hosenbund. Sein Hemd war zerknittert. Alena schlüpfte aus dem Bett und versteckte sich darunter.
»Was machst du hier?«, hörte sie die Mutter.
»Hedvika, ich …«
»Dieses Schwein!«, schnaufte Milan mit erstickter Stimme.
Auf Papas Pantolette schimmerte ein Fettfleck. Alena rutschte weiter nach vorne und hielt sich am Bettpfosten fest, während sie dem Geschehen tatenlos zusah.
»Wie konntest du nur«, wisperte Mutter. Ihre Hand hielt den Türgriff umkrallt, zitterte. Sie hatte sich den blauen Morgenmantel nur umgelegt. Die Ärmel wippten. Vorne übergebeugt stand sie da und blickte auf den Läufer vor Alenas Bett, mit der anderen Hand fingerte sie am Nachthemd. Papa ging auf sie zu und nahm ihre Hand von der Klinke. »Aber Hedvika, was hab ich …«
»Geh weg von mir!« Sie riss sich los, wich zurück und sah ihn an wie einen Fremden. »Bleib mir bloß vom Leib.« Sie rieb ihren Hals und kratzte dann mit den Fingernägeln weiße Striemen auf das Narbengewebe.
»Hör auf damit! Du kratzt dich noch blutig!«
»Alles deine Schuld!« Sie drehte sich um und stürzte aus dem Zimmer. Der Morgenmantel rutschte ihr von den Schultern und blieb auf dem Gang liegen, während sie um die Ecke verschwand. Die Badezimmertür knallte ins Schloss, der Schlüssel wurde umgedreht, Alena konnte Mutter schluchzen hören. Papa ging ihr nach und als er aus Alenas Blickfeld verschwunden war, sah sie Milan vor der Kommode stehen, mit zornesrotem Gesicht. Sein Lieblings-T-Shirt, das schwarz-gelbe, hatte er verkehrt herum angezogen.
»Hedvika, mach auf! Bitte!« Papas Stimme. Ein Türklopfen.
»Hau ab! Ich will dich nicht mehr sehen!«, schrie Mutter mit tränenerstickter Stimme.
»Hedvika …«
»Arschloch!«, zischte Milan.
»Jetzt reicht’s aber!«
Alena sah Papa auf Milan zustampfen, und wie er ihn an den Oberarmen packte. Sie rutschte unter dem Bett hervor zur Wand und blinzelte hinter dem Türrahmen in den Flur. Wie könnte sie die beiden trennen?
»Bürschchen …«
»Lass mich los!« Milan wand sich.
Papa rüttelte ihn. »Was fällt dir ein? Bist du verrückt geworden?«
Die Badtür ging auf. »Lass Milan in Frieden!«
Alena duckte sich, als sie Mutter mit den verheulten Augen sah. Die Kratzspuren an ihrem Hals waren gerötet. Drei Schritte, dann verhakte sich ihr Fuß im Morgenmantel. Sie fiel auf die Knie.
Papa stieß einen Schmerzlaut aus, Milan hatte gegen sein Schienbein getreten und sich losgerissen. Papa boxte ihn gegen die Brust. Milan kippte hintenüber und ruderte mit den Armen. Er fasste nach der Kommodenkante, zog eine Zeitschrift mit sich. Der braune Läufer vor seinen Füßen wellte sich. Ein lautes Knacken brach durch das Geräusch der zu Boden flatternden Zeitschrift.
Alena sah den eisernen Zeitungsständer neben Milans Kopf, hörte den Bruder röcheln. Zwei Atemzüge, drei, dann erschlaffte Milan. Die Augen hatte er weit aufgerissenen, der Blick war leer.
»Um Gottes Willen!«, rief Mutter, mühte sich auf die Beine und kniete vor Milan nieder. »Karel! Was hast du getan!« Sie bettete Milans Kopf in ihren Schoß und strich ihm die Haare aus der Stirn. Die Röte wich mehr und mehr aus seinen Wangen.
Papa trat einen Schritt zurück, stieß gegen die Kommode und seine Finger tasteten fahrig umher.
»Wach auf!«, flüsterte Mutter. »Wach auf!«, flehte sie. Ihre Finger krampften sich in Milans Arme. »Wach auf!« Sie schaute auf und brüllte: »Ruf einen Krankenwagen! Schnell!«
Papa fasste nach dem Hörer. Der rutschte von der Gabel und knallte auf den Boden.
Mutters Nachthemd färbte sich rot. Langsam hob sie die Hand, von den zitternden Fingern tropfte Blut. Sie schrie. Alena klammerte sich am Türrahmen fest, als sie Papa die Eingangstür aufreißen sah. Er warf sie hinter sich ins Schloss. Alena wollte ihm nach, wollte nicht alleine gelassen werden, mit Mutter und Milan. Sie hörte Papas Schritte im Treppenhaus und eine Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel.
»Karel! Komm zurück!«, rief Mutter hinterher.
Alena raffte sich auf, lief zum Fenster und spähte nach ihm.
Laternen beleuchteten die schneebedeckte Straße, über die sich eine Traktorspur zog. Die Häuser harrten wie in weiße Decken gemümmelt am Wegesrand, vom Mondlicht umrissen.
»Karel!«
Der Schneemann im Garten hatte die Karottennase verloren. Davor lagen verschneit der Schlitten von Milan und ein roter Handschuh.
»Du sollst zurückkommen«, wimmerte Mutter, »zurückkommen … bitte …«
Alena sah Papa und legte eine Hand auf die Scheibe, fühlte die eisige Kälte, die ihm zu schaffen machen musste. »Komm zurück«, murmelte sie und ihre Worte beschlugen das Glas. Er stolperte durch das Weiß, fiel auf die Knie, stemmte sich wieder hoch. Er schüttelte Schnee von den Händen, dann lief er in der Traktorspur, vorbei an den Nachbarhäusern. Bald verließ er die Straße, hastete einen Hügel hinauf, bis Alena ihn nicht mehr sehen konnte.

»Hallo? Pejsarova hier! Bitte! Kommen Sie schnell. Mein Sohn! Er blutet stark! Und verständigen Sie die Polizei!«

Als Alena hörte, wie der Hörer aufgelegt wurde, schlüpfte sie schnell unter das Bett. Die Mutter betrat das Zimmer, knipste das Licht an.
»Wo bist du?«, schrie sie. »Du Hure! Ich bring dich um!«
Alena kniff die Augen zusammen und versuchte fieberhaft an das Märchen von der Sonnenprinzessin zu denken. Das tat sie immer, wenn die Angst unerträglich wurde. Sie presste die Hände auf die Ohren, während sie lautlose Worte murmelte.

 

Hallo Quidam

Gute Geschichte. Wenn mir sonst nichts mehr einfällt, außer das zu sagen, dann hast du es geschafft, mich mitzureißen.

besten Gruß

 

Lieber Aris,

vielen Dank für das Kompliment. Gerade bei diesem Stück Prosa bedeutet mir ein Lob besonders viel.

Grüße
Quiddy

 

Kann ich mir vorstellen, sieht nach Arbeit aus, deine Geschichte.

Besonders gut gefallen hat mir der Titel übrigens. Ein schönes Kompositum.

 

Einen Kindesmißbrauch und einen tödlichen Unfall gibt es in dieser Geschichte und monatelang kommentiert sie niemand?

Okay, die Geschichte ist alles andere als klar, angefangen bei vermutetem Kindesmißbrauch und der Ungewißheit, was mit dem Mädchen und dem Vater letztlich geschieht. Aber sie ist gut geschrieben, dies auch, weil du, Quidam, gut beobachten kannst. Selbst in den spannendsten Momenten hast du Zeit und Muße, auf Kleinigkeiten wie Fettflecken auf Pantoffeln oder verschneite Schlitten zu achten. Ohne die Spannung zu unterbrechen, schaffst du dadurch Bilder und eine Atmosphäre, die ihres gleichen suchen.

Obwohl oder gerade weil der Ort wie die Personen auf diese Weise quasi nebenbei beschrieben werden, sah ich sie sehr plastisch vor meinen Augen - die illustrierenden Sätze kamen wohl im richtigen Moment.

Allerdings gibt es wie gesagt noch Klärungsbedarf, denn so wie die Geschichte ist, wirkt sie unfertig, oder anders gesagt: Sie schreit nach einer Fortsetzung.

Bin gespannt auf deinen anderen Geschichten.

Dion

 

Hallo Dion,

ich hab mir ein paar deiner Kritiken durchgelesen und muss schon sagen, dass ein Kompliment von dir mir sehr schmeichelt.

Klärungsbedarf.. stimmt ... es gibt ja auch eine Fortsetzung. ;)

Grüße
Quiddy

 

Hallo Quidam

Im Gegensatz zu Dion bin ich nicht der Meinung, dass die Geschichte unfertig ist. Sie hat ein offenes Ende, sie lässt viele Fragen unbeantwortet, aber müssen wirklich alle Fragen beantwortet werden?

Die Geschichte ist super. Sie zieht in den Bann und hat bei mir ein sehr beklemmendes Gefühl hinterlassen. Sie zeichnet einen tiefen Krater menschlicher Abgründe und stellt die Tragik der Familie perfekt dar. Und gerade die vielen unbeantworteten Fragen lassen einen auch nach dem letzten Satz nicht von der Geschichte los kommen.

Mehr kann ich dazu nicht sagen :)

Gruß Pesse

 

Entschuldige, Pesse, aber ob hier ein Kindermißbrauch vorliegt oder eben nicht, das muß in einer Geschichte schon gesagt werden, schließlich ist deswegen ein Kind umgekommen und womöglich eine Ehe zerbrochen.

Und eben das ist nicht klar, denn der Vater sitzt zwar am Rand des Kindsbettes und korrigiert seine Kleidung als er aufsteht, aber das Mädchen wünscht sich die ganze Zeit, daß er da sitzen bleibt und nicht weggeht.

Vermutungen helfen hier nicht weiter, denn dann haben wir mit dieser Geschichte schon wieder eine, in der alles und nichts vermutet werden kann.

Wir sind hier keine Rätselecke, sondern ein Literaturforum!

Dion

 

Ebenfalls Entschuldige, Dion, aber ich denke nicht, dass gerade das unbedingt gesagt werden muss. Mich hat es beim Lesen überhaupt nicht gestört, nicht vom Autor aufs Brot geschmiert zu bekommen, ob es nun tatsächlich Kindesmissbrauch ist oder nicht. Wichtig ist doch eigentlich nur, dass Mutter und Bruder das denken - egal ob es jetzt stimmt oder nicht - und was aus dieser Situation heraus geschieht. Ich finde sogar, gerade dass man nicht genau weiß, ob es nun so ist oder nicht, gibt dem Ganzen nochmals ein wenig Würze, denn man weiß nun nicht ob die Tochter oder der Vater eigentlich das Opfer ist (bzw. der Vater auch Opfer ist - die Tochter ist in jedem Fall Opfer, egal ob so oder so).
Und du hast Recht, es gibt viele Geschichten, bei denen man einfach das Gefühl hat, der Autor scheut sich davor, klar Stellung zu beziehen und deshalb alles schwammig lässt. Dieses Gefühl hatte ich persönlich bei dieser Geschichte allerdings nicht.

Naja, jeder hat letztlich seinen eigenen Geschmack :)
Mir gefällt die Story, wie sie ist - ich bräuchte nicht unbedingt eine Fortsetzung, auch wenn sich sicherlich eine anbietet.

Gruß Pesse

 

Hallo Pesse,

freut mich sehr, dass es dir gefällt und dass du diese Kurzgeschichte als abgeschlossen siehst. Es ist der Prolog meines Romans, der für mich eben doch, anders wie es Dion sieht, auch als Kurzgeschichte funktioniert. Eine Kurzgeschichte ist doch nur eine Szene. Rollladen auf, Film ab, Rolladen herunter. Und das hier ist nichts anderes.

Grüße
Quidam

 

Hallo Quidam,

wirklich packend erzählt. Hat mich in ihren Bann gezogen, die Geschichte. Brrr. Mir ist jetzt irgendwie ganz mulmig zu Mute.
Allerdings empfinde ich die Geschichte auch als noch etwas erklärungsbedürftig. Du reißt da so viele Dinge an, und die wenigsten werden wirklich ausgeführt.
Ich dachte zum Beispiel auh, das da noh was mit dem Kuscheltier kommen muss. Das hat eine so zentrale Rolle in der Kg. Auch verstehe ich nicht ganz die Konstellation in der Familie...
Dennoch - sehr gut geschrieben, lebendige Bilder erschaffend!

grüßlichst
weltenläufer

 

Danke lieber weltenläufer für dein Kompliment.

Wie gesagt, dass hier ist der Prolog meines Romans - der eben auch als Kurzgeschichte (dann eben teilweise) funktioniert..

Liebe Grüße
Quiddy

 

Hi Quidam
Zuerst einmal möchte ich versichern, dass mir die Geschichte sehr gut gefallen hat und ich sie durchaus als Gesamtwerk sehe. Unabhängig davon das es einen Roman dazu gibt auf den man durch das Lesen der Geschichte Appetit bekommt, nimmt man durchaus auch ohne dieses Wissen viel mit beim Lesen des Textes. Mehr noch, die Unklarheiten und der offene Schluss gewinnen eine ganz eigene Qualität wenn der Text für sich steht.
das hat nichts, wie ein Kritiker meinte mit Ratespielen zu tun, sondern ist ein Legitimes und meiner Ansicht nach wichtiges Mittel des Erzählens. Dem Leser die Möglichkeit zu lassen eigene Lösungen und Vorstellungen mit einzubeziehen ist genau so wichtig, wie ihn sicher durch die Geschichte zu führen. Die Balance zwischen Beidem ist die verflixt schwierige Kunst.

So nun zur Textkritik:
Das Gesamtwerk gefällt, nur einige Stellen und Eigenarten deiner Erzählweise stören mich ein wenig:

1. Alenas Herumschleichen im Zimmer:

Es wird im Text gezielt hervorgehoben, dass sie leise sein muss um ihren Vater nicht zu wecken, und das sie offensichtlich Angst hat, dass er sich von dort fortbewegt, wo er gerade ist. Spannend daran ist, dass nicht ganz klar wird ob sie nicht will das er aus dem Zimmer geht oder ihr näher kommt.

Papa saß neben ihr auf der Bettkante, der Tür zugewandt. Hoffentlich noch die ganze Nacht, dachte sie. Den Kopf hatte er auf die Hände gestützt. War er eingeschlafen?

Egal was jetzt aber damit gemeint ist, klar ist, dass Alena nicht will, dass er aufwacht. Gleichfalls ist sie aber nicht sicher ob er schläft.
Aus diesen Überlegungen heraus macht es einfach keinen Sinn, dass sie aufsteht und im Zimmer herum läuft, die Angst ihn zu wecken, gerade im Hinblick auf ihr Alter müsste viel größer sein als der Drang herumzuschleichen. Beim erstenmal ist es noch nachvollziehbar , denn immerhin möchte sie ihren Stoffmond holen, der Sinnbild für geistige Flucht und Schutz ist, beim zweitenmal, ist der Drang aber weit weniger erklärlich, denn Tempos wiegen die Angst die sie haben müsste nicht auf. Hier wäre es auch spannender gewesen zu erzählen das sie sich gerade nicht traut. Das Foto mit der Mutter hätte man irgend wie geschickter einbauen müssen. So wirkt die Handlung des Mädchens unmotiviert und das ist schade.
Vorschlag: man könnte das Mädchen mit dem Gedanken hadern lassen die Tempos zu holen und über eine gedankliche Fahrt zur Schublade auch das darin befindliche Bild beschreiben. Das Herumirren im Raum um das Taschentuch in den Müll zu werfen würde ich demnach auch streichen, da es die Unlogik der Situation nur noch deutlicher macht.

2. Hier mal ein PositiverEinzelpunkt:

Ihre Mutter zu bitten, die Wunde ihres Trösters zu nähen – das wagte sie nicht.

Super Satz. Die Parallele von kaputtem Stofftier zur kaputten Mutter funktioniert sehr gut und macht fast beiläufig die Angst vor der Mutter deutlich, die ja paradoxer Weise fast größer zu sein scheint als die vor dem Vater.

3. Wieder negativ ;)

»Milan!«, hörte sie die Mutter in der Schärfe sagen, die Alena so fürchtete. »Was machst du da?«
»Ich … ich wollte nur ins Bad und … und da hörte ich sie!«

Das erscheint mir einfach nicht logisch. Im Vorfeld erfahren wir nur das Alena im Zimmer herum streift. Der mögliche Sexakt muss also schon eine ganze Weile her sein. Des weiteren wird betont, dass sie sehr leise ist um den Vater nicht zu wecken. Was für Geräusche soll der Junge also bitte gehört haben, oder liegt er schon seid Stunden auf der Lauer? Das ist natürlich möglich, aber wirklich stimmig kommt es mir einfach nicht vor.
Selbst wenn er da schon ewig gelegen hätte, müsste er doch irgend wann aufstehen, wenn die Geräusche eine Weile verebbt sind. Natürlich kann man es so erzählen, aber wirklich sauber ist es nicht und vermittelt den Eindruck einer erzwungen Lösung.

4. Positiv ( ich neige zu Strukturen ;)

Bitte, bleib da, wollte Alena rufen. Bleib da!

Wieder ein äußerst stimmiger Satz, mit einer Menge Subtext. Zuerst irritiert er, weil man sich fragt warum sie will das ihr Vater bei ihr bleibt obwohl sie ihn doch fürchten müsste, dann aber wird klar, das sie Angst vor der Szene hat die folgen muss wenn er aufsteht.


So und jetzt noch ein paar Formulierungssachen:

Die Mutter saß im Bikini auf einem Badetuch, die Haut noch ohne Brandnarben.

Ich würde den Artikel vor Mutter weg lassen. Er wirkt zu unpersönlich. Die ganze zeit schreibst du mehr oder weniger aus Alenas Blickwinkel, jetzt die Mutter zu Distanzieren macht wenig Sinn.


Drei Schritte, dann verhakte sich ihr Fuß im Morgenmantel

Mein Sprachgefühl ist der Ansicht, dass man sich nur in festen soliden Dingen verhacken kann. In einem Morgenmantel verfängt man oder verheddert man sich eher.

Papa boxte ihn gegen die Brust

Hier ist der Dativ von Nöten. Ich denke nicht das du zum Ausdruck bringen das der Vater den jungen gegen die Brust eines dritten boxt.
Es muss also „ihm“ statt „ihn“ heißen.

Fazit: Ein schöner Text mit ein paar kleinen Ungereimtheiten, die aber leicht zu beheben sind. Die Unklarheit über die Vergewaltigung, sowie das offene Ende find eich gerade gut.

Gruß Marot

 

Marot schrieb:
3. Wieder negativ ;)

Das erscheint mir einfach nicht logisch. Im Vorfeld erfahren wir nur das Alena im Zimmer herum streift. Der mögliche Sexakt muss also schon eine ganze Weile her sein. Des weiteren wird betont, dass sie sehr leise ist um den Vater nicht zu wecken. Was für Geräusche soll der Junge also bitte gehört haben, oder liegt er schon seid Stunden auf der Lauer? Das ist natürlich möglich, aber wirklich stimmig kommt es mir einfach nicht vor.
Selbst wenn er da schon ewig gelegen hätte, müsste er doch irgend wann aufstehen, wenn die Geräusche eine Weile verebbt sind. Natürlich kann man es so erzählen, aber wirklich sauber ist es nicht und vermittelt den Eindruck einer erzwungen Lösung.


Hallo Marot,

und danke für das Lob und die Kritik! Großartig werde ich jetzt den ext nicht mehr ändern können, weil er bald in Druck geht. Möchte aber auf diesen Punkt eingehen: Es gibt noch eine Menge anderer Möglichkeiten, warum der Bruder das gesagt hat. Vielleicht hat er sich alles nur eingebildet? Vielleicht meint er was anderes? Zudem ist die Szene nur ein paar Minuten alt. Solange könnte er draussen gestanden haben und vor den Minuten etwas gehört haben. ;) Vielleicht lügt er einfach nur.. Du siehst, es gibt noch ein paar andere Varianten.

Dass sie den Stoffmond holt und in kauf nimmt, dass der Vater wach wird, ist klar. Dass sie aber auch den Fleck sauber machen möchte, hängt wohl mit ihrem Sauberkeitsfimmel zusammen. Der ist eben auch stärker, wie die Angst, dass der Papa erwacht. Aber vielleicht wäre sie bloß wegen dem Fleck nicht aufgestanden. Doch da sie schon mal dort war, war es wohl auch egal.

Nochmals danke für deine ausführliche Kritik!

Grüße
Quidam

 
Zuletzt bearbeitet:

hi quidam,


wie bestellt. die geschichte kommt mir bekannt vor. könnte sein, dass ich sie vor ein paar jahren schon mal irgendwo gelesen habe oder?

ich gratulier dir zur veröffentlichung.

hier dann meine textkritik

Das Mondgeheimnis


Alena hatte das Kruzifix über ihrem Bett schon so oft in Händen gehalten und ihre Stirn im Gebet an diesen Beinen wund gerieben, dass die Farbe von Jesus´Knien abgeblättert war.
Sie zog die Decke bis zum Kinn und starrte in das Mondlichtdunkel (hört sich in meinen Ohren falsch an). Ihre Hände zitterten, noch immer wirkte der Albtraum nach. Ihr Vater saß neben ihr auf der Bettkante, der Tür zugewandt (erstes Bsp. für meine Frage, wie wichtig die Informationen sind, die du setzt. Erst dachte ich, er säße der Tür zugewandt, weil er ihr so zu verstehen geben will, dass er sofort sieht, wenn jemand versucht einzudringen. Offensichtlich ist es aber irrelevant). Hoffentlich noch die ganze Nacht, dachte sie (und würde ihren Vater später nicht vor den Anschuldigungen des Sohnes und der Mutter nicht schützen ...?). Den Kopf hatte er auf die Hände gestützt. War er eingeschlafen?
Sie sah hinüber zu dem eingerahmten Foto auf dem Nachttisch. Darauf war ihr Vater auf einer Wiese zu sehen, mit ihr als Baby auf dem Arm (vor zwölf Jahren erübrigt sich. Außerdem haben wir die Dopplung sah/sehen) ... andere Frage: Wer braucht diesen Absatz? Was soll die Information vermitteln? Zärtlichkeit oder Verbundenheit Alena gegenüber, was im Kontast zum vermeintlichen "Übergriff" später stehen soll? Sehr kryptisch, das alles[/b].
Vergeblich tastete sie nach dem Stoffmond, ihrem Tröster, und erspähte seine Umrisse unendlich weit weg auf dem Stuhl neben der Kommode.
Sie befühlte mit der Zunge die Kruste an der Unterlippe und widerstand dem Drang, sie aufzubeißen. Mit dem Deckenzipfel wischte sich Alena den Schweiß von der Stirn, dann stieg sie auf der anderen Seite aus dem Bett, so geräuschlos wie möglich. Sie schlich am Fenster vorbei und warf einen Blick auf die Tanne im Garten. Der Schnee glitzerte auf dem Wipfel.
Drei Schritte später klemmte sich Alena den Stoffmond unter den Arm. Sie schlich zurück, auf dem Dielenboden fiel ihr ein kleiner, dunkler Fleck auf. Sie beugte sich vor und erkannte einen eingetrockneten Bluttropfen. Das musste vor wenigen Tagen passiert sein. Sie hatte unter dem Fenstersims gekauert, die Rippen des Heizkörpers im Rücken, den Tröster im Schoß, und sich die Lippe blutig gebissen.
Sie legte den Stoffmond neben das Kopfkissen. Noch einmal schlich Alena durch das Zimmer, zur Kommode und durchsuchte die Schubladen. Sie fand eine offene Packung Tempos neben einem gläsernen Reh und dem Foto vom Strandurlaub. Ihr älterer Bruder Milan war darauf zu sehen, und Mutter. Er hatte seine Beine eingegraben, seine grüne Badehose lugte unter dem Sand hervor. Die Mutter saß im Bikini auf einem Badetuch, die Haut noch ohne Brandnarben. (sorry, aber das ist doch Käse. Was soll das? Du führst zwei Figuren ein, die du weder mit plumpen Worten charakterisierst, noch die Möglichkeit nutzt, sie durch eine Handlung (auf dem Foto) charakterlich zu umreißen. Sie sind einfach nur Namen in einer austauschbaren Klischee-Situation, ein bisschen mehr Power sollte schon drin sein, besonders wenn die Ereigniss nachher riochtig reinhauen sollen)
Alena wollte das Foto zerknüllen, es in kleine Stücke reißen, zog die Hand aber wieder zurück. Sie sah über die Schulter zu Papa, drehte das Bild um und stellte das gläserne Reh darauf.
Dann rubbelte sie mit dem Taschentuch und ein bisschen Spucke die Stelle vor dem Fenster sauber und warf das schmutzige Tempo in den Papierkorb. Vor dem Bett blieb sie stehen und griff sich den Stoffmond. Sie streichelte über den gelben Plüsch und ertastete dabei die ausgefranste Stelle am Rand. Flaum schimmerte hindurch. Alena hatte Angst, dass ihn die nächste Wäsche zerfleddern könnte. Ihre Mutter zu bitten, die Wunde ihres Trösters zu nähen – das wagte sie nicht.
Leise schlüpfte sie unter die Decke, nicht dass Papa wach wurde, und drückte den Stoffmond gegen den Bauch.
»Mama!« Die Stimme kam aus dem Flur, Milans Stimme. Er klang erschrocken.
Alena krallte die Finger in den Tröster. Bestimmt hatte ihr Bruder wieder einmal an der Tür gelauscht und war von der Mutter ertappt worden.
»Milan!«, hörte sie die Mutter in der Schärfe sagen, die Alena so fürchtete. »Was machst du da?«
»Ich … ich wollte nur ins Bad und … und da hörte ich sie!«
Alena kauerte sich zusammen und presste den Stoffmond zwischen die zitternden Knie. Sie stellte sich die beiden vor: Neben der Kommode mit dem Telefon zog Milan den Kopf ein, den Blick auf den eisernen Zeitungsständer am Boden fixiert, während die Mutter die welligen Narben am Hals rieb und auf Antwort wartete.
Papa stand auf, die Matratze gab nach. Er streckte sich und gähnte. Bitte, bleib da, wollte Alena rufen. Bleib da!
Die Tür ging auf, quietschte. Eine Gestalt erschien im Türrahmen, Mutter. Alena zerbiss die Kruste an der Unterlippe. Ihr Vater blieb neben dem Bett stehen, vom Flurlicht eingefangen, und nestelte an seinem Hosenbund, denn nur durch diese fadenscheinige Handlung wird eindeutig klar, auf was die Szene hinauslaufen wird Sein Hemd war zerknittert. Alena schlüpfte aus dem Bett und versteckte sich darunter.
»Was machst du hier?«, hörte sie die Mutter.
»Hedvika, ich …«
»Dieses Schwein!«, schnaufte Milan mit erstickter Stimme.Okay, okay, also offensichtlich gibt es Grund genug, um misstrauisch zu sein, vielleicht hat Daddy der Kleinen ja mal unter den Rock geblinzelt, ist in Ordnung, aber warum sofort diese Angriffshaltung der Familie, wenn Alena vorher noch hoffte, dass Papilein für jetzt und alle Ewigkeit auf ihrem Bett sitzen bleibt; und jetzt kauert sie da und sagt kein Wort, während ihr Bruder abkratzt und sie hält auch ihren über alles geliebten Vater nicht auf, als er verschwindet, obwohl sie die Situation eigentlich bereinigen könnte, aber gut. Ich will ja kein Spielverderber sein.
Auf Papas Pantolette schimmerte ein Fettfleck. Die Sachen schimmern mir hier zu oftAlena rutschte weiter nach vorne und hielt sich am Bettpfosten fest, während sie dem Geschehen tatenlos zusah.
»Wie konntest du nur«, wisperte Mutter. Ihre zitternde Hand umkrallte den Türgriff. Sie hatte sich den blauen Morgenmantel nur umgelegt. Die Ärmel wippten. Vorne übergebeugt stand sie da und blickte auf den Läufer vor Alenas Bett, mit der anderen Hand fingerte sie am Nachthemd. das Bild finde ich alles andere als gelungen Papa ging auf sie zu und nahm ihre Hand von der Klinke. »Aber Hedvika, was hab ich …«
»Geh weg von mir!« Sie riss sich los, wich zurück und sah ihn an wie einen Fremden. »Bleib mir bloß vom Leib.« Sie rieb ihren Hals und kratzte dann mit den Fingernägeln weiße Striemen auf das Narbengewebe.
»Hör auf damit! Du kratzt dich noch blutig!«
»Alles deine Schuld!« Sie drehte sich um und stürzte aus dem Zimmer. Der Morgenmantel rutschte ihr von den Schultern und blieb auf dem Gang liegen, während sie um die Ecke verschwand. Die Badezimmertür knallte ins Schloss, der Schlüssel wurde umgedreht (das Schloss knackte oder so was, aber in der scheinbar starken Szene jetzt kein Passiv bringen.), Alena konnte Mutter schluchzen hören. Ihr Vater ging ihr nach und als er aus Alenas Blickfeld verschwunden war, sah sie Milan vor der Kommode stehen, mit zornesrotem Gesicht. Sein schwarz-gelbes Lieblings-T-Shirt hatte er verkehrt herum angezogen.
»Hedvika, mach auf! Bitte!« Papas Stimme. Ein Türklopfen.
»Hau ab! Ich will dich nicht mehr sehen!«, schrie Mutter mit tränenerstickter Stimme.
»Hedvika …«
»Arschloch!«, zischte Milan.
»Jetzt reicht’s aber!«
Alena sah Papa auf Milan zustampfen, und wie er ihn an den Oberarmen packte. Wenn sie wollte, könnte sie sehen, wie sie ihren Papa dabei sehen könnte, wenn er sie sähe, und sie sehe dabei aus, als könnte sie, wenn sie wollte, wenn du siehst, was ich meine: Ihr Vater stampfte auf Milan zu und packte ihn am Oberarm Punkt Sie rutschte unter dem Bett hervor zur Wand und blinzelte hinter dem Türrahmen in den Flur. Wie könnte sie die beiden trennen?
»Bürschchen …«
»Lass mich los!« Milan wand sich.
Papa rüttelte ihn. »Was fällt dir ein? Bist du verrückt geworden?«
Die Badtür ging auf. »Lass Milan in Frieden!«
Alena duckte sich, als sie Mutter mit den verheulten Augen sah. Die Kratzspuren an ihrem Hals waren gerötet. Drei Schritte, dann verhakte sich ihr Fuß im Morgenmantel. Sie fiel auf die Knie.
Papa stieß einen Schmerzlaut aus, Milan hatte gegen sein Schienbein getreten und sich losgerissen. Papa boxte ihn gegen die Brust. Milan kippte hintenüber und ruderte mit den Armen. Er fasste nach der Kommodenkante, zog eine Zeitschrift mit sich. Der braune Läufer vor seinen Füßen wellte sich. Ein lautes Knacken brach durch das Geräusch der zu Boden flatternden Zeitschrift.
Alena sah den eisernen Zeitungsständer neben Milans Kopf, hörte den Bruder röcheln. Zwei Atemzüge, drei, dann erschlaffte Milan. Die Augen hatte er weit aufgerissenen, der Blick war leer.
»Um Gottes Willen!«, rief Mutter, mühte sich auf die Beine und kniete vor Milan nieder. »Karel! Was hast du getan!« Sie bettete Milans Kopf in ihren Schoß und strich ihm die Haare aus der Stirn. Die Röte wich mehr und mehr aus seinen Wangen.
Papa trat einen Schritt zurück, stieß gegen die Kommode und seine Finger tasteten fahrig umher.
»Wach auf!«, flüsterte Mutter. »Wach auf!«, flehte sie. Ihre Finger krampften sich in Milans Arme. »Wach auf!« Sie schaute auf und brüllte: »Ruf einen Krankenwagen! Schnell!«
Papa fasste nach dem Hörer. Der rutschte von der Gabel und knallte auf den Boden.
Mutters Nachthemd färbte sich rot. Langsam hob sie die Hand, von den zitternden Fingern tropfte Blut. Sie schrie. Alena klammerte sich am Türrahmen fest, als sie Papa die Eingangstür aufreißen sah. Er warf sie hinter sich ins Schloss. Alena wollte ihm nach, wollte nicht alleine gelassen werden, mit Mutter und Milan. Sie hörte Papas Schritte im Treppenhaus und eine Träne löste sich aus ihrem Augenwinkel.
»Karel! Komm zurück!«, rief Mutter hinterher.
Alena raffte sich auf, lief zum Fenster und spähte nach ihm.
Laternen beleuchteten die schneebedeckte Straße, über die sich eine Traktorspur zog. Die Häuser harrten wie in weiße Decken gemümmelt am Wegesrand, vom Mondlicht umrissen.
»Karel!«
Der Schneemann im Garten hatte die Karottennase verloren. Davor lagen verschneit der Schlitten von Milan und ein roter Handschuh.
»Du sollst zurückkommen«, wimmerte Mutter, »zurückkommen … bitte …«
Alena sah Papa und legte eine Hand auf die Scheibe, fühlte die eisige Kälte, die ihm zu schaffen machen musste. »Komm zurück«, murmelte sie und ihre Worte beschlugen das Glas. Er stolperte durch das Weiß, fiel auf die Knie, stemmte sich wieder hoch. Er schüttelte Schnee von den Händen, dann lief er in der Traktorspur, vorbei an den Nachbarhäusern. Bald verließ er die Straße, hastete einen Hügel hinauf, bis Alena ihn nicht mehr sehen konnte.

»Hallo? Pejsarova hier! Bitte! Kommen Sie schnell. Mein Sohn! Er blutet stark! Und verständigen Sie die Polizei!«

Als Alena hörte, wie ihre Mutter den Hörer auflegte, schlüpfte sie schnell unter das Bett. Die Mutter betrat das Zimmer, knipste das Licht an.
»Wo bist du?«, schrie sie. »Du Hure! Ich bring dich um!«
Alena kniff die Augen zusammen und versuchte fieberhaft an das Märchen von der Sonnenprinzessin zu denken. Das tat sie immer, wenn die Angst unerträglich wurde. Sie presste die Hände auf die Ohren, während sie lautlose Worte murmelte.

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ein paar bilder sind mir zu undeutlich, die schreibe klingt teilweise wie malen nach zahlen. ich finde zu viele logiklöcher für den anfangsteil; und auch wenn du sie später stopfen kannst, wird es zu spät sein, da diese situation/die szene ihre pointe bereits gefunden hat.


cheerio, alter hase
hoover

 

hoover schrieb:
ein paar bilder sind mir zu undeutlich, die schreibe klingt teilweise wie malen nach zahlen. ich finde zu viele logiklöcher für den anfangsteil; und auch wenn du sie später stopfen kannst, wird es zu spät sein, da diese situation/die szene ihre pointe bereits gefunden hat.

Hallo hoover,

freut mich, dass du dir die Mühe gemacht hast. Trotzdem steig ich bei deiner kritik nicht ganz durch. Ich weiß nicht, was du mit wie malen nach zahlen meinst, noch wo für dich die Logikfehler stecken. Dass sie die Situation nicht bereinigt? Ist das ein Logikfehler? Schon mal verschüchterte Menschen gesehen, die aufgrund ihrer Schwäche, und Schüchternheit brenzlige Situationen nicht klären können?
Die Psyche hebt manchesmal halt die Logik auf.
Und von welcher Pointe sprichst du?

Fragen über Fragen

Grüße
Quidam

 

ich bin sicher, du verstehst, was ich meine ;)


die geschichte (oder der anfangsteil deiner geschichte) ist ein konstrukt, dass in meinen augen nicht lebensfähig ist. das teil ist von vorne bis hinten von logiklöchern durchsetzt, die sich nicht dadurch stopfen, dass du mir versuchst was von verschüchterten menschen zu erzählen, denn deine geschichte tut das nicht. ein verschüchtertes mädchen wäre zum beispiel eine laue erklärung für ihr verhalten, okay, richtig umgesetzt könnte das auch funktionieren, deine geschichte deutet das nicht einmal halbherzig an, sie könnte angst vor allem haben, vor der mutter, ihrem vater, dem lieben gott, ihren träumen, dem dreck unter ihren zehennägeln, sie könnte stumm sein, schwachsinnig oder ein besucher vom planeten gontalia, der gerade einen deutschkurs belegt hat, es ist eine MENGE möglich. im gegensatz dazu trägt der junge ein schwarz-gelbes biene-maja-t-shirt, die details empfinde ich als unausgewogen und unpassend, und die interpretationsfreiheit kennt keine grenzen.


also MICH konntest du mit der geschichte und seinen pseudo andeutungen und erklärungen (?) in keinster weise überzeugen. das tut mir leid, echt, quidam, aber ich bin nun mal kein heuchler und auch kein schönreder.

malen nach zahlen nenne ich strukturgelaber nach dem wie-werde-ich-schriftsteller-abc.
der höhepunkt des anfangsteils ist der tod des jungen, der vater geht, die situation ist fertig, alle fragen sind offen.
für mich, ich sags nochmal, die anderen fandens ja gut.


ciao bella
hoover

 

naja, hoover, dann lassen wir es dabei. Ich kann keine Logikfehler erkennen, du schon. Was soll ich da anderes machen, als mit den Schultern zu zucken?

Und ich bleibe lieber bei meinem Schriftsteller-abc, als dass ich so schreiben würde, wie du vorgeschlagen hast. Das wäre mir nämlich zu blass, und ohne Rhythmus.

Grüße
Quidam

 

Hallo quidam,

"Karel! Komm zurück...."
trotzdem die Mutter von dem Missbrauch geahnt -gewusst?-, den Sohn über alles geliebt hat, ruft sie nach ihrem Mann.
Ein beklemmendes Gefühl bleibt bei mir nach dem Lesen der Geschichte zurück. Wenn man die Tochter hört, glaubt man, sie wollte den Missbrauch. Nur- erkannte sie ihn als solchen? Vielleicht suchte sie die Liebe, die die Mutter dem Bruder gab?
Die Geschichte spricht mich sehr an, der Schreibstil, diese bildhafte, lebendige Sprache, die gut beobachteten Details. In Momenten großer Angst oder Anspannung achtet man auf Nebensächlichkeiten -Fettfleck auf dem Pantoffel!- hält sich daran fest, um sich nicht mit der Hauptsache auseinandersetzen zu müssen.
Deine Geschichte hat meine Fantasie sehr angeregt, wohl auch deshalb, weil du einiges offenlässt.
Sehr schön und passend fand ich diesen Plüschmond, wobei egal ist, was es für ein Gegenstand ist. Kuschlig muss er sein, Emotionen aufnehmen können, so, als wäre er 'lebend'.
Diese Geschichte hat mich sehr berührt, in Bann gezogen und neugierig auf weitere Texte von dir gemacht.
Sehr gerne gelesen!
Jurewa

 

Hallo Jurewa,

das freut mich zu lesen. Die Mutter ruft nach dem Mann, weil sie alleine nicht mehr mit der Situation fertig wird und unbedingt seine Hilfe braucht. Egal, was er getan, oder nicht getan hat...

Danke für deinen freundlichen Kommentar, das baut auf!

Grüße
Quidam

 

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