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Das Nichts
Das Sein und das Nichts
(Live aus dem Nachrichtenstudio) Berichtigung einer Meldung der dpa des gestrigen Tages:
Die wissenschaftliche Leitung des mit fünfzig Milliarden Euro von Bund und EU finanzierten ATLAS-Projekts teilte mit, dass die Bundesregierung, im Speziellen das Forschungsministerium, den Abschlussbericht der letzten Projektablaufphase nicht korrekt interpretiert habe. Nicht richtig sei, so Froschmoser, die Pressesprecherin von ATLAS, dass das multidisziplinäre Team nach achtjähriger Arbeit ‚nichts entdeckt habe‘; vielmehr sei richtig, man habe - das Nichts entdeckt.
Vor acht Jahren war im Atlas-Gebirge der bei weitem schnellste Teilchenbeschleuniger des Planeten (und vermutlich der Galaxis) in Betrieb gegangen, und dies mit der erklärten Absicht, die Teilchen so lange zu teilen, bis man das wirklich kleinste endlich gefunden habe (das ist kein Witz, obwohl manche sagten, das kleinste Teilchen sei auf jeden Fall ein Politikergehirn).
Modernen Theorien gemäß sei man zum Beispiel Teilchen auf der Spur, welche die letzten Mysterien des Universums aufklären sollten, zum Beispiel die alle Menschen gleichermaßen quälende Frage: Warum gibt es Schwerkraft? Vor allem, wenn es nach unten geht?
„Sicherlich sind fünfzig Milliarden Euro eine Stange Geld, die wir da ausgeben“, hatte der Bundeskanzler gesagt, „und wie immer, ohne es zu haben. Aber ich falle so oft auf die Schnauze, dass ich endlich mal wissen will, warum.“
„Wir hatten der Wirklichkeit die Kleider vom Leib gerissen, in der mittlerweile veralteten Schweizer Anlage schließlich die Haut abgezogen – nun gingen wir daran, ihr in Mark und Bein zu dringen“, sagte Froschmoser in einer heute einberufenen Pressekonferenz. „Das Atom galt so lange als kleinstes Teilchen, bis wir es in Neutronen, Protonen und Elektronen geteilt hatten – und dann haben wir einfach weitergemacht, verstehen Sie? Wir gingen der Wirklichkeit auf den Grund, und jetzt, nach der definitiv letzten Teilung des fast Unteilbaren ist dann sozusagen nichts mehr übrig geblieben – und damit meine ich gar nichts.“
Froschmoser lächelte und blickte sich mehrfach nervös um. „Wir wissen jetzt: Nichts ist nichts, wiegt nichts und... sieht aus wie nichts.“
Nach Bekanntgabe der ATLAS-Forschungsergebnisse suchten wir Professor Renobai auf, den führenden philosophisch-theoretischen Physiker der Welt und baten ihn um eine Stellungnahme:
„Um es einfach zu sagen, geht es darum, dass, wenn man annimmt, dass irgendwo... oder vielmehr an einem Ort, obwohl Ort nicht unbedingt im physikalischen, Dings, ich meine, wenn wir die Dimensionen nehmen, angenommen, ähm..., also vom Theoretischen abgeschnitten, nein, nein, ich denke, wenn wir, - nehmen wir doch einfach die Tatsache, dass eine Sache nicht gleichzeitig an zwei... oder vielleicht sogar drei, äh, Dings, verstehen Sie? An zwei Dings, wegen der Zeit... wollen Sie vielleicht ein belegtes Brot? Mit Gurken? Ich hab noch welche... in dem... aber die Teilchen, ja, die Teilchen...“, er schwieg kurz, blickte auf die Uhr, „aber wenn Sie mich fragen...“, er beugte sich grinsend vor, „ich finde, dass sie viel zu billig sind!“
Wir zitieren nun aus der Abschlussbemerkung des ATLAS-Berichts:
‚Was ist die Essenz? Es gibt Dinge, die es nicht gibt. Oder im Grunde genommen gibt es sowieso nichts, weil es eben einfach nichts gibt. Wir zogen der Wirklichkeit den Schleier weg, und dahinter, siehe da: nichts.
Der Fehler ist im sprachlogischen Bereich lokalisiert, welcher im dualen Denken wurzelt, in der Dialektik. Was Menschen erfahren, ist, dass sie sterblich sind – und in der Annahme, dass es für alles auch das Gegenteil geben müsse, konstruieren sie die Unsterblichkeit. Und so geschieht es auch mit Entfernungen... denn Entfernungen sind endlich (wenn sie auch weit sein können... zum Beispiel bis nach Alpha Centauri ist es weiter als bis zum Bäcker ums Eck), ihr Gegenteil muss also zwangsläufig die Unendlichkeit sein (obgleich dieses Wort im Gegensatz zur Endlichkeit kein sinnlich erfahrbares Äquivalent in der Realität besitzt, sondern lediglich eine Annahme ist, um dem Perfektionismus der Dialektik zu genügen).
Man erfährt eine zeitliche Begrenzung – und erfindet ihr Gegenstück, die Ewigkeit. Man erlebt die Grenzen eigener Macht – und als Gegenstück davon dient das Wort Allmacht. Unsterblichkeit, Ewigkeit, Unendlichkeit, Allmächtigkeit (alles absolute, unerfahrbare Begriffe) gibt es ebenso wenig in echt wie es den Anfang der Zeit gibt (oder das Ende) – weil es Zeit nicht gibt. Es handelt sich um Sprachkonstrukte; genau deshalb ist die Philosophie mit dem heutigen Tag am Ende. Weil wir bewiesen haben, dass auch die Worte Energie und Materie, operative Begriffe, nur funktionalen Charakter innerhalb einer Annahme haben. Denn deshalb ist alles nichts – wir existieren und existieren nicht, und konsequent zu Ende gedacht gibt es noch nicht mal nichts.`
Wir lassen nun die Pressesprecherin, live zugeschaltet, noch einmal zu Wort kommen: „Frau Froschmoser, was wollen Sie uns damit sagen?“
„Guten Abend. Damit sagen wir nicht mehr und nicht weniger, als dass die Existenz nicht eine Realität ist, sondern eine Entscheidung. Und zwar eine Entscheidung, die in jedem Moment neu getroffen wird, - eine Willkür des Nichts, etwas zu sein, und aus diesem Grund kann es jederzeit, und ich betone: jederzeit