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Das Pianomann-Phänomen

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05.10.2007
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Das Pianomann-Phänomen

Die Verkäuferin des Dessousladens in der unteren Etage des Einkaufszentrums bemerkte schon den ganzen Nachmittag über diesen komischen Mann, der ständig vor ihrem Schaufenster auf und ab ging oder sich zur Abwechselung auch mal auf einer der vier gegenüberliegenden Bänke niederließ. Er wirkte auf eine Art und Weise extrem seltsam. Er trug einen dunkelbraunen Anzug, ein weißes gestärktes Hemd und dazu passend eine hellblaue Krawatte. Seine Augen waren grau-grün, das Haar war dunkelblond und er hatte bereits eine hohe Stirn, was darauf schließen ließ, dass er mittleren Alters war. Im Gegensatz zu seinem Erscheinungsbild wirkte er jedoch unsicher und erbärmlich. Seine Hände steckten tief in der Hosentasche und er schaute sich ständig um, als ob er etwas Bestimmtes suchen würde.
Er kam ihr nicht vor wie ein Spanner, der sich an der Auslage im Schaufenster ein wenig „Anregung“ holen wollte. Er schien eher desorientiert und nicht zu wissen, was er mit sich anfangen sollte. Sie überlegte, ob sie ihn ansprechen sollte, ob sie ihm helfen könne. Doch da sie zwischendurch immer wieder durch Kundinnen abgelenkt war, bemerkte sie nicht, dass er plötzlich weitergegangen war. Als sie erneut nach draußen blickte, konnte sie ihn nirgendwo mehr entdecken. Komisch, dachte sie bei sich. Sie vergaß den seltsamen Mann recht schnell und widmete sich wieder ihrer Arbeit.

Es war bereits 20:40 Uhr. Die Ladenbesitzer und Angestellten hatten ihre Verkaufsräume schon lange geschlossen und waren auch zum größten Teil bereits nach Hause gegangen. Nur vereinzelt waren sie noch in ihren Hinterzimmern mit der Buchhaltung beschäftigt oder trafen bereits Vorbereitungen für den nächsten Arbeitstag.
Fast eine dreiviertel Stunde nach Ladenschluss wurde der Mann mit den grau-grünen Augen vom Sicherheitsdienst des Einkaufszentrums angesprochen. „Entschuldigen Sie bitte. Sie müssten sich zu Ihrem Auto begeben. Die Parkgarage schließt um 21:00 Uhr.“ Der Mann starrte die beiden Wachmänner mit großen Augen an. Nachdem von dem Mann keine Reaktion zu kommen schien, frage der Ältere der beiden Wachmänner: „Verstehen Sie mich nicht? Do you speak english or another language? Parle-vous francaise?“ Jedoch auch auf diese Fragen erfolgte keine Antwort. Es war nun deutlich die Unsicherheit in den grau-grünen Augen zu erkennen. Auch die Schweißperlen auf der Stirn des Unbekannten blieben den Beiden nicht verborgen. Er wirkte wie erstarrt. Die Wachmänner schauten sich verdutzt an. Was war nur mit diesem Mann los? Stand er unter Drogen oder wollte er sie bloß „verarschen“? Vielleicht war er auch betrunken. Da sie jedoch recht nah bei ihm standen, konnten sie dennoch keinen Alkoholgeruch wahrnehmen. Er wirkte auch nicht gerade verwahrlost. Ganz im Gegenteil, er schien ein sehr gepflegtes Äußeres zu haben. „Haben Sie Schmerzen? Fehlt Ihnen etwas?“ So langsam schien wieder Leben in den Mann zurückzukehren. „Ich…, ich…. Wo bin ich hier?“ Der Wachmann mit den blonden Locken zog die Stirn in Falten und räusperte sich: „Sie sind im City-Center.“ Der Mann starrte ins Leere. Er schien die Worte des Wachmanns gar nicht richtig aufnehmen können. Was bedeutete das? Wo war er? Was machte er hier?

Die herbeigerufenen Rettungssanitäter verabreichten dem Mann ein Beruhigungsmittel. Da sie seinen desolaten Zustand erkannten und er ziemlich verwirrt zu sein schien, nahmen sie ihn mit ins Marienhospital. Dort sollte er fürs Erste zur Beobachtung verbleiben, bis genaueres zu seinem Zustand gesagt werden konnte.
Er blickte sich völlig wirr im Krankenwagen um. Das grelle Licht am Wagenhimmel blendete ihn und kratzte ihn auf. Bei jedem Schlagloch, durch das der Krankenwagen fuhr, schreckte er nervös auf. Er atmete aufgeregt durch seinen halb geöffneten Mund. Er schloss die Augen. Was geschah hier eigentlich mit ihm? War das alles nur ein Traum?

Es klopfte an der Tür seines Krankenzimmers. Herein trat eine sympathisch aussehende ältere Dame im weißen Kittel. Es war die Psychiaterin des Marienkrankenhauses. In der Hand hielt sie eine Akte mit seinen medizinischen Unterlagen. Bislang war die Akte noch sehr dünn, das würde sich jedoch in den nächsten Tagen und Wochen ändern. Zu seinen persönlichen Daten konnte er keine Angaben machen. Man schätze ihn auf Mitte vierzig, er war – zumindest sprachlich gesehen – deutscher Abstammung und nach dem Blutbild zu urteilen, war er physisch soweit gesund. Die Ärztin lächelte ihn an. „Guten Morgen. Wie geht es Ihnen heute?“ Sie zog den im Zimmer befindlichen Stuhl zu seinem Bett und nahm darauf Platz. Er lag apathisch da und starrte zu dem gegenüberliegenden Fenster. Das Beruhigungsmittel schien noch zu wirken. „Ich kann mir absolut nicht erklären, was hier los ist. Wie würden Sie sich fühlen?“ Sie legte ihre rechte Hand auf seinen Unterarm. „Das werden wir schon wieder hinbekommen. Eine Amnesie kann häufig nur eine vorübergehende Erscheinung sein. Genau deswegen bin ich hier. Ich möchte Ihnen helfen, wieder zu sich selbst zu finden.“ Er atmete tief ein und richtete seinen Blick auf sie. Seine Augen sagten „Danke“, doch er brachte kein Wort heraus.
An diesem Vormittag begannen sie mit seiner Therapie.

„Was ist das Letzte, woran Sie sich erinnern können?“ „Hm. Das… Das ist sehr schwer zu sagen. Ich glaube…“ Er versuchte krampfhaft, sich an irgendetwas zu erinnern. Aber das Letzte, was er sah, war das grelle und kalte Licht im Krankenwagen. Durch die Beruhigungsmittel konnte er sich nicht mehr an die Geschehnisse im Einkaufszentrum erinnern. Mit ruhiger Stimme und viel Geduld, versuchte die Ärzte seine Erinnerung zurück zu holen. Sie arbeiteten den ganzen Morgen. Als eine Schwester mit dem Mittagsessen kam, war er sehr erschöpft. Das viele Grübeln hatte an seinen ohnehin momentan nur spärlich vorhandenen Kräften gezehrt. Die Ärztin beendete für heute die Therapie. Nachdem sie gegangen war und er sein fades Mittagessen verspeist hatte, fiel er in einen unruhigen Schlaf.

Über den Traum der letzten Nacht zermaterte er sich den Kopf seitdem er aufgewacht war. Er musste seiner Therapeutin davon berichten. Er hielt diesen Traum für einen Fortschritt. Aber er klammerte sich an jeden auch noch so kleinen Hinweis, der ihm eventuell helfen könnte, sich wieder zu erinnern. Schließlich war seit seiner Einlieferung bereits fast ein halbes Jahr vergangen. Er wurde mittlerweile in der psychiatrischen Abteilung behandelt, da ihm physisch nichts fehlte. Inzwischen hat er zu seiner Therapeutin eine Vertrauensbasis aufgebaut, was nicht sehr verwunderlich war. Sie kannte seine Ängste und Träume und konnte auf seine Seele blicken. Außerdem erinnerte sie ihn an irgendetwas. Er konnte sich bislang jedoch nicht erklären, was es war. Er ließ den Traum erneut Revue passieren: In seinem Traum saß er draußen im Freien auf einem teakholzfarbigen Stuhl. Es war warm, er vermutet Frühjahr, denn er konnte sich an einen blumigen Duft erinnern. Er konnte in der Ferne ein helles Lachen vernehmen. Von der linken Seite kamen kleine Rauchschwaden. Wahrscheinlich von einem Grill. Ihm schräg gegenüber saß eine Person. Er konnte aber leider nur die Umrisse erkennen.
Das Klopfen an der Tür riss ihn aus seinem Tagtraum. „Herein!“ Die Therapeutin trat ein. „Guten Morgen.“ Sie hatte ihr berühmtes Lächeln aufgelegt. Sie setzte sich an sein Bett und setzte ihre Lesebrille auf. Aus der aufgeschlagenen Akte entnahm sie die zuletzt erzielten Resultate. Die letzten Monate Therapie hatten bislang relativ gute Erfolge erzielt. Er hat den erlitten Schock über einen Gedächtnisverlust ganz gut verarbeitet und arbeitete hart an seiner Erinnerung, auch wenn bislang der große Durchbruch noch ausgeblieben ist. Bislang!
Als sie so nah an seinem Bett saß, vernahm er den Duft ihres Parfums. So langsam meinte er zu wissen, woran es ihn die ganze Zeit erinnert hatte. Es hatte mit dem Traum der letzten Nacht zu tun. Der blumige Duft, der Frühling, das Grillen im Garten, das ferne helle Lachen seiner Kinder und die Person, die im gegenüber saß: Es war seine Frau Sabine. Es war, als wäre gerade ein mit Wasser gefüllter Ballon geplatzt und das Wasser strömte geradezu heraus. Er war von der Gefühlsflut überwältigt und die Tränen stiegen ihm in die Augen. Er hatte sich nach langer Zeit endlich wieder gefunden. Er war unendlich glücklich.

 

Hallo Schreibfeder,

fangen wir mal mit etwas Textkram an:

Die Verkäuferin des Dessousladens in der unteren Etage des Einkaufszentrums bemerkte schon den ganzen Nachmittag über diesen komischen Mann, der ständig vor ihrem Schaufenster auf und ab ging oder sich zur Abwechselung auch mal auf einer der vier gegenüberliegenden Bänke niederließ.

"bemerken" ist das falsche Verb für einen andauernden Vorgang. Ständig "auf und ab gehen" wiederspricht "niederlassen".

Im Gegensatz zu seinem Erscheinungsbild wirkte er jedoch unsicher und erbärmlich.

Verstehe die Kausalität nicht. Du beschreibst vorweg Äußerlichkeiten, was hat das mit Unsicherheit und Erbärmlichkeit zu tun?

Er blickte sich völlig wirr im Krankenwagen um. Das grelle Licht am Wagenhimmel blendete ihn und kratzte ihn auf. Bei jedem Schlagloch, durch das der Krankenwagen fuhr, schreckte er nervös auf. Er atmete aufgeregt durch seinen halb geöffneten Mund. Er schloss die Augen.

Er, er, er.

Mit ruhiger Stimme und viel Geduld, versuchte die Ärzte seine Erinnerung zurück zu holen.

versuchten


Nu und zum Inhalt? Ich hoffe ich missverstehe da deine Intentionen nicht, aber zusammengefasst scheint die Pointe zu sein: Nach monatelanger Therapie erinnert sich Patient mit Gedächtnisverlust an seine Frau. Und ist unendlich glücklich darüber.


Die Geschichte hinterlässt einen faden Nachgeschmack. Das liegt vor allem in der fehlenden Auflösung. Du baust einen Spannungsbogen auf, eine wesenltiche Motivation weiterzulesen ist es, um zu erfahren, was passiert ist. Genau das enthältst du am Schluss den Lesern vor. Koitus interruptus in Vollendung. Stattdessen erfährt man dass der Prot glücklich ist, na super.

Über den Realismus/Unrealismus der Begebenheit könnte man ebenfalls diskutieren. Da investiert man in monatelange Thearpie, ohne dass du Nachforschungen über Namen oder Herkunft des Patienten erwähnst. In Zeiten der Gesundheitsreform läuft soetwas anders ab ...

Und noch ein Punkt: Du investierst deine Energie an der falschen Stelle. Über mehrere Absätze geht es um die Dessousverkäuferin. Und dann verschwindet sie auf nimmerwiedersehen. Dann kommen die Wachleute ... und tauchen nie wieder auf. Die Therapeutin hält sich bis zum Schluss, um dann zu verschwinden und einer aus dem Nichts auftauchenden Ehefrau Platz zu machen.

Damit hinterlässt die Geschichte Absatz um Absatz ein Fragezeichen und endet, ohne wirklich viel erzählt zu haben.

Hast du dir eigentlich überlegt, was wirklich den Gedächtnisverlust ausgelöst hat? Was in dieser Familie geschehen ist? Wie er ohne Papiere in das Einkaufszentrum gekommen ist? Was in der verstrichenen Zeit Frau und Kinder getrieben haben?

Sorry für die klaren Worte,

Liebe Grüße,

AE

 

Hallo AlterEgo,

klare Worte sind gut. Das passiert in der Realtität leider doch häufiger als Du denkst. Dieses Thema finde ich so umfassend, dass es leider für eine Kurzgeschichte zu viel ist. Man hätte sicher eine Serie daraus machen können. Aber ich stehe noch am Anfang des Schreibens und möchte auf alle Fälle erst meinen Schreibstil verbessern und da bin ich dankbar für jede Anmerkung und Kritik, so hart sie auch sein mag.

Vielen Dank

Schreibfeder

 

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