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Das Raucherbekenntnis
Ja, ich rauche. Und das ist noch nicht die scheußlichste Offenbarung, die ich ihnen an den Kopf werfe. Ich bekenne mich auch noch dazu! Und das in der heutigen Zeit? Wo doch jeder weiß, dass es gesundheitsschädigend ist. Grässliche Todesanzeigen prangen auf den Schachteln mit dem süchtig machenden Stoff. Zeitschriften schüren entweder Angst vor Lungenkrebs oder empfehlen in trendy Fitness-Artikeln mit dem Rauchen aufzuhören. Gehen Sie stattdessen lieber joggen!
Am liebsten fröne ich meinem gefährlichen Hobby in freier Natur. Was gibt es Schöneres als am Bachlauf zu wandern, die Natur zu genießen, sich ans Ufer zu setzen und eine zu rauchen? Viele meiner Geschichten – auch diese hier – fallen mir aus heiterem Himmel zu, während ich dem Plätschern des Wassers lausche und nichts weiter mache als zu rauchen. Aber genau da liegt das Problem. Nur Fleiß und harte Arbeit bringen dich vorwärts – behaupten Politiker und Fitness-Apostel. Ich sitze nur da und rauche. Warum? Weil ich gelernt habe zu beobachten und zu hinterfragen. Wenn mich Fleiß und harte Arbeit nach oben bringen, warum wird unser Land dann nicht von Maurern oder den Mitarbeitern eines Stahlwerks regiert? Diese Leute arbeiten mit Sicherheit hart, die meisten von ihnen sind wohl auch fleißig. Trotzdem sitzen diese Personen nicht in den Vorstandsetagen der Konzerne. Die Menschen, die uns tatsächlich regieren und Macht ausüben, schwitzen nicht. Im Gegenteil. Sie sind perfekt gestyled, kein Stäubchen befleckt den dunklen Armani-Anzug. Das, und die Tatsache, dass viele unserer leitenden Persönlichkeiten Kettenraucher sind, bringt uns zurück zu meiner Geschichte. Ginge es nach dem Diktat von Fleiß und Arbeit, dürfte ich mich gar nicht hier aufhalten. Als Autor müsste ich von frühmorgens bis spät abends vor dem Monitor sitzen, tränende, rot unterlaufene Augen bekommen und wie ein brav dressierter Hund täglich drei Erfolgsstorys ausspucken. Rauchen käme natürlich nicht in Frage. Dieser Qualm belästigt nicht nur meinen nicht vorhandenen Kollegen im Büro, er lenkt auch von der Arbeit ab und schränkt die Leistungsfähigkeit ein. Aha! Jetzt nähern wir uns dem Kern der Sache. Könnte es sein, dass gerade deswegen ein derart massiver Kampf gegen Raucher geführt wird? Weil sie weniger produktiv sind? Weil der Arbeitgeber aus einem Raucher nicht soviel Arbeitskraft herausquetschen kann wie aus dem joggenden Kollegen?
Drehen wir das Rad der Geschichte einmal zurück: Wie hat sie eigentlich angefangen, diese Raucherei? Die ersten Schwarzlungen dürften die Indianer gewesen sein. Den ganzen Abend saßen sie in ihren Tipis, palaverten und rauchten. Können Sie sich das vorstellen? In einem Tipi! Ohne Rauchabzug! Und auch noch in Anwesenheit von Kindern! Jedenfalls, nachdem wir den Rothäuten gezeigt haben wo der Hammer hängt und ihnen ihr Land unter dem Arsch weggeklaut haben – Oh Verzeihung. Das war politisch inkorrekt. Ich meinte natürlich: Nachdem wir die Vereinigten Staaten und StaatInnen mit den Segnungen der europäischen Zivilisation gesalbt hatten – gelangte das Teufelskraut mit irgendwelchen Schiffen zu uns. Jetzt musste nur noch jemand die Zigarette erfinden, die doch etwas handlicher ist als eine Friedenspfeife, schon konnte der Sündenfall beginnen.
Aber was wäre eine Sünde ohne einen Moralapostel, der sich darüber aufregt? Das bringt uns zum ersten historisch erwähnten militanten Nichtraucher: Seine Majestät König Jakob I. von England sah sich selbst als Hüter der öffentlichen Moral. Bete und arbeite, lautete sein Credo. Für ihn selbst galt das natürlich nicht. Er vergnügte sich mit seinen Konkubinen während die Untergebenen im Schatten des Kruzifix malochten oder, zur allgemeinen Volksbelustigung, auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Letzteres war übrigens Jakobs zweite Leidenschaft. Wenn er nicht gerade als König regierte, folterte er als Großinquisitor tausende von rothaarigen Frauen zu Tode. Wahrscheinlich hat ihn ihre Haarfarbe an die rote Glut erinnert, die aufleuchtet wenn jemand an der Kippe zieht. So etwas in der Art hat er jedenfalls niedergeschrieben. „Eine Angewohnheit, abscheulich für das Auge“, lästert sich Jakob einen ab, „hassenswert für die Nase, nachteilig für das Gehirn, gefährlich für die Lunge, und mit ihrem schwarzen, stinkenden Rauch ähnelt sie dem schrecklichen stygischem Qualm des Höllenschlunds, der bodenlos ist.“ Sehen wir mal davon ab, dass Jakob offensichtlich farbenblind war – Tabakrauch ist nicht schwarz, sondern blau – finden wir hier die gleichen Argumente wie heute. Es ist gesundheitsschädigend und belästigt nichtrauchende Nachbarn – oder zumindest ihn. Eines hat er in diesem Pamphlet, das übrigens „Counterblast“ heißt, aber gemacht, was die heutigen Moralapostel nicht mehr tun. Er hat ehrlich hingeschrieben, was ihn wirklich ankotzt: „Rauchen heißt unverantwortlich handeln, es heißt seine Pflichten gegenüber König und Commonwealth zu vernachlässigen“. Das ist es, was Jakob auf die Palme bringt. Sie erinnern sich an sein Credo? „Bete und arbeite“, steht da. Nicht „Bete und zieh dir nebenbei eine Marlboro rein“. Wenn die Untergebenen rauchten, konnten sie nicht gleichzeitig für prall gefüllte Staatskassen sorgen. Und weil die Zigarette bekanntlich auch Gesundheit und sportliche Kondition schädigt, waren die Leute eben nicht mehr so arbeitsfähig, sprich ausnutzbar.
Springen wir nun zu den modernen Moralpredigern. Offiziell sorgen sie sich, wie Jakob, um unsere Gesundheit. An die Decke gehen sie aber erst, wenn ihr Untergebener nicht an seinem Arbeitsplatz sitzt. Fast in jeder Firma ist Rauchen verboten. Das wäre ja noch schöner wenn das Sklavenpack auf den Gängen herumsteht und qualmt. Marsch Marsch! Zurück an den Arbeitsplatz! Nur Fleiß und harte Arbeit bringt dich nach oben!
Verstehen Sie jetzt warum ich bekennender Raucher bin? Nein? Dann muss ich noch etwas deutlicher werden: Ich bin Revoluzzer. Ich vertrete die neue Boheme. Wenn ich rauche, arbeite ich nicht. Jedenfalls nicht körperlich. Damit widersetze ich mich den Plänen der Politiker, Vorgesetzten und Leuteschinder. Genau so wie es die Dichter und Denker im alten Paris gemacht haben. Die rauchten zwar nicht, kippten sich dafür aber Gläserweise einen Hustensaft namens Absinth hinter die Binde. Bereits am helllichten Nachmittag, während brave und redliche Bürger sich gehorsam ihren Hungerlohn verdienten, trafen sie sich in düsteren Spelunken, amüsierten sich über Moralapostel, die ihren Hustensaft verteufelten und schufen nebenbei und ohne Anstrengung die bedeutendsten Werke der französischen Literatur und Malerei. Nach einiger Zeit schwappte der giftgrüne Absinth über den großen Teich und zog Menschen wie Oscar Wilde und Ernest Hemingway in seinen Bann. Während wir begeistert die Werke bekannter Säufer wie Rene Descartes lesen, kennen wir nicht einen Namen von den tausenden braven Bürgern, die sich jeden Morgen um Sieben in die Fabriken schleppten – vorbei an der Absinth- Spelunke, von der aus ein zugedröhnter Paul Verlaine gerade den Heimweg antrat.
Zurück zum Rauchen – und zum Argument der Moralprediger, dass diese Beschäftigung vom Arbeiten abhält. Da ich, wie schon erwähnt, vorzugsweise beim Wandern rauche, sitze ich während dieser Zeit logischerweise nicht am PC. Würde ich das tun, wie es die Vorgesetzten fordern, sähe ich vermutlich gerade ein leeres Word-Dokument, das sich nicht füllen will, weil ich keine Idee habe. Was soll daran produktiv sein? Die Geschichte, die Sie hier lesen, entstand an einem einzigen Sonntagnachmittag. Auf meinem Raucher-Spa- ziergang wurde die Idee geboren. Titel, Konzept und Aufbau schuf ich, während ich am Bach saß und rauchte. Plötzlich war es da, dieses Kribbeln in den Fingern, das jeden Schriftsteller befällt wenn er eine neue Geschichte zu Papier bringen will. Ohne den barschen Befehl eines Vorgesetzten, ohne Angst vor einer drohenden Bestrafung sprang ich von selbst auf und beeilte mich nach Hause zu kommen. Jetzt wollte ich vor dem PC sitzen. Die Geschichte musste niedergeschrieben werden. Mit der Emsigkeit einer Ameise hämmerte ich die Story in die Tastatur. Welch erfreulicher Anblick wäre das für meinen Chef oder für Jakob den Hexenverbrenner gewesen!
Sollten Sie jemals vorhaben Schriftsteller, Maler oder irgendein anderer Künstler zu werden, gebe ich Ihnen einen guten Rat: Gehen Sie eine rauchen. Pfeifen Sie auf Verbote, Verordnungen und die Warnhinweise auf den Zigarettenschachteln. Ihre Nachfahren, die sich im Museum, der Kunstgalerie oder der Bibliothek am tiefen Sinn Ihrer unsterblichen Werke erfreuen, werden es Ihnen danken.
© Markus Hermannsdorfer 2007