Das Ritual
Es war keine Vorfreude vorhanden, als er den Raum betrat, obwohl doch feststand, was nun passieren würde. Es war nur die Routine die existierte. Still und dunkel war er, wie immer, wie gewohnt. Reflexartige Bewegungen taten das, was sie immer schon taten, die Gedanken sehr fern in ganz anderen Welten, ideenstrickend und –verwerfend. Etwa 2 Minuten des automatischen Schweigens brachten die Reflektion über das was kommen sollte; müsste es passieren? Die kurzschmerzliche Klarheit entfernte sich im Moment des Auflebens seines Gegenübers. Es gab selbstverständlich keine Begrüßungsrituale, nur ein paar wenige gedankenlose Handlungen, die er schon hunderte Male durchgeführt haben musste. Man verstand sich und ihm gab es Sicherheit. Keine besonders geborgene, aber zumindest war an diesem Ort alles wie erwartet. Nach minutenlangem Schweigen kam dann der Gedanke, auf den er schon gewartet hatte. Sekundenbruchteile herrschte Krieg und wiedereinmal sollte seine Gier,nach dem rettenden Morphium siegen. Sein Gegenüber erledigte nun, was er immer erledigte. Keine Sorgen müsse man sich an dieser Stelle machen, wusste er. Eine Sicherheit, ohne das Attribut sich darüber erfreuen zu können. Langsam fing seine Dosis nun an ihn weich, aber doch mit erprobter Hand, hinüber zu reißen, in die unterste Welt, in der alles, wie durch einen Filter verzerrt, an Schärfe verliert und in der nur noch die letztgültige Erfüllung des Seins einen festen Platz hat. Er driftete völlig in die ihm angebotene Kleinstrealität. Es gab keinen Ausweg mehr. Einmal begonnen, lieferte sein Gegenüber ihm einen unendlichen Nachschub, doch selbst ohne diesen, käme an dieser Stelle kaum etwas in Frage ihn zu stoppen. Er wusste, er war in Sicherheit.
Sein Ziel kam ihm schnell näher und er merkte, dass es auch diesmal wieder enden sollte wie immer. Wie eine Klinge die sich langsam, aber sicher, ihren Weg durch den Körper bahnt, wurde er sich der Konsequenzen bewusst, unfähig zu stoppen, sich zu befreien. Da war er, der kaum fassbar kurze, schmerzfreie Augenblick. In diesem Moment fühlte er nichts. Eine alles ausfüllende Leere, die sogar ihm selbst immer wieder das Gefühl gab, zu ihr zu gehören. Nichts zu sein, dass hieß für ihn sich nicht zu rechtfertigen, sich nicht entblößen, es niemanden erklären zu müssen. Er war in Sicherheit, alles war wie es sein sollte, wie er es tausendmal gemacht hatte. Den Schmerz vorahnend, befiehl er seinem Gegenüber schon einmal aufzuhören. Er fühlte sich immer weniger schlecht, wenn die Sache schnell und ohne Umschweife passierte und so konnte er durch auswendige Bewegungen das zermaternde Gefühl des inneren Sterbens, das sich kaum einen Herzschlag nach Beendigung der Prozedur einstellte, zumindest in seinen Grundzügen verlangsamen, wenn auch nicht stoppen. Es waren nur noch Trümmer in ihm, die sich langsam zu organisieren versuchten. Wie eine Wunde, die sich über Tage langsam schließt und mit ein wenig Glück nicht zu einer Narbe wird. Sein Gegenüber stand immer noch da, wo er die ganze Zeit über gestanden hatte. Ruhig und gelassen tat dieser das, was er immer tat, was er immer konnte. Es gab schon fast nichts mehr zu entdecken in der Dunkelheit des Zimmers, der Moment in dem es Zeit war. Es war später als er erwartet hatte. Sein Gegenüber war schon so gut wie aus seinen Gedanken verbannt. Er zog sich noch, wie er es immer zu tun pflegte, das Messer aus dem Körper, legte es an den Platz seines Vorgängers und gab sich der Ohnmacht hin. Einschlafen wollte er, sie dann besiegen, denn ohne all das wäre ihm die Leere genommen, sein bittersüßes Skalpell, sein stets erfolgsloser Versuch dem Halt ein wenig näher zu kommen.