Hallo @CoraKedo ,
herzlich willkommen im Forum! 
Es ist immer einfacher, ein Neumitglied zu kommentieren, wenn die Person sich selbst schon mit Komms unter Fremdtexten eingebracht hat: Daran kann man sehen, wie die Leute Kritik üben, was ihnen bei Textarbeit wichtig ist, wie sie dann vielleicht selbst mit Kritik umgehen würden. So betone ich mal vorab: Alles, was ich schreibe, bezieht sich auf deinen Text, nichts davon ist persönlich gemeint. Es soll keine Entmutigung, sondern Ansporn sein.
Du schreibst in deinem Profil, du möchtest KGs verfassen, die deine Stimmung nach dem Lesen bestimmter Bücher widerspiegeln. Damit kann man - grad, wenn man das Schreiben neu für sich entdeckt hat - Gefahr laufen, sich zu sehr auf die Wirkung des Buches zu verlassen und für Fremdleser wichtige Eckpunkte auszuklammern. Ich bin kein Fan von Goethe, Werther hab ich in der Schule gelesen, ist also verdammt lange her und ich hab keine Erinnerung mehr dran, ausser, dass es den Hype um Nachahmer-Suizide gab, die tatsächlich gar nicht passierten (vielleicht das erste Fake-Marketing der Literaturgschichte).
Dazu: Kein Genitiv-s bei Eigennamen - das siehst du ja schon am Originaltitel. 
Gehend im strömenden Regen steht sie plötzlich auf der Brücke und lässt ihr Leben Revue passieren
Ja, im Deutschen hat man eigentlich einen freien Satzbau, aber das Gerundium so an den Anfang zu stellen, klingt einfach total ungelenk, um nicht zu sagen falsch. Es klingt zudem (Leseeindruck, keine Unterstellung!), als ob der Schreibende nicht genau weiß, wie Pathos funktioniert, wo man es einsetzt, damit es wirkt.
Prota + Brücke + Leben überdenken ist natürlich schon ein arger Wink mit dem Zaunpfahl (-> Suizidgedanken). Willst du wirklich sofort die Katze aus dem Sack lassen? Danach ruderst du wieder zurück, zoomst raus in ihr "perfektes" Leben - vielleicht mit weniger starken Gegensätzen (herrje, wer hat schon ein perfektes Leben, und wenn: Will da wirklich jemand drüber lesen?) chronologisch beginnen? Den Leser mit auf die Reise nehmen, anstatt alles in den ersten Sätzen - zudem wie von aussen kommentierend - auszubuchstabieren? Anderen mag es anders gehen, aber zumindest ich möchte beim Lesen das Gefühl haben, auch etwas rausfinden zu müssen.
Wie eingefroren hält sie sich am Geländer fest und spult an den Tag zurück, an dem alles begann.
Stilistische No-Gos (hab ich mir am Anfang genauso sagen lassen müssen): wie ferngesteuert, wie automatisiert, wie eingefroren etc. Das sind einfach keine adäquaten Beschreibungen für innere Zustände und klingt faul.
Das wird verstärkt durch das noch mechanischere 'zurückspulen', das ausserdem Dramatik in flapsiger Umgangssprache erzählt und damit bestenfalls Ironie entstehen lässt (weil: Diskrepanz zwischen Stil / Register und Inhalt / Bedeutung des Gesagten).
Das kommt auch ein einer 'heiklen' Stelle, weil man wohl in den ersten Sätzen entscheidet, ob einen die Geschichte interessiert, und dann in dem ersten oder zweiten Absatz spätestens entscheidet, im negativen Fall rauszuclicken.
An dem sie das erste mal diesen stechenden Schmerz spürte, der nie wieder vergehen sollte.
Finde ich eine für den Aufbau und die Spannung sehr ungünstige Erzählhaltung: Hier wird zusätzlich zur Vergangenheitsform betont, dass das, was ich da eigentlich grad lese (also das ganze Drama) bereits in weiterer Vergangenheit liegt und dass der Erzähler weiß, wie das alles ausgeht - aber er teasert das nur und enthält es mir vor. Im Krimi / Thriller mag das gut funktionieren, in Texten, in denen man besser mit Cliffhangern arbeiten kann. Aber hier ist erstmal nix, was mich so teasern würde wie eine unbekannte Tote an einem geheimnisvollen Ort (z.B.) - hier steht eine beliebige Frau auf der Brücke und 'spult ihr Leben im Kopf zurück'.
Falls das nicht ihre Sicht ist, sondern die eines auktorialen, neutralen und ggfs. allwissenden übergeordenten Erzählers, der selbst nicht physisch anwesend ist, wäre das 'den Leser anlügen' noch verstärkt. Ich könnte mir vorstellen, dass es günstiger wäre, erstmal tiefer in die Prota einzutauchen, mehr relevante Vorereignisse und Entwicklungen zu erzählen, die zu diesem Konflikt führten.
Es war ein wunderschöner Frühlingstag. Die Vögel zwitscherten, als sie das Haus verließ und in das Auto ihres Geliebten einstieg.
Zu 'wunderschön' rate ich, das Prinzip
show, don't tell anzusehen. Auch Vorsicht: ausgenudelte Phrase.
Der zweite Teil hier weckt jetzt zum ersten Mal wirklich Interesse bei mir (wie ich später lese, weil ich falsche Erwartungen / Deutungen hatte): Ich las das hier - weil im Intro ja Tragik geteasert wurde - als schön gemachten Gegensatz: Es ist ein netter Frühlings-/Sommertag (Vögel), sie verlässt ihr Haus (da denke ich: Oha, und der Ehemann liegt noch schlafend im Bett, oder frührstückt mit den Kids und denkt, der Typ im Auto ist ein Kollege?) und es wird ganz subtil Spannung aufgebaut. Dann merke ich später - imA dann leider -, dass es der eine Liebste ist, den sie hat, kein Gegensatzpaar Geliebter / Festpartner.
Spürend den Fahrtwind an ihrem Körper empfand sie alles um sich herum, als makellos.
Nee, sorry, so geht das nicht. So redet Yoda.
Kein Komma nach 'herum' (hier: weil Vergleich mit
als). Ggfs. eher eines nach 'Körper', aber wegen der schrägen Syntax bin ich unsicher.
Ich finde auch hier wieder die Betonung des Perfekten uninteressant - vor allem drängt es sich auf, eine Körperempfindung zu bringen, weil du ja den Satz mit dem Wind am Körper beginnst und ich da nah dran bin - lieber nicht rauszoomen, was da alles um sie rum ist. Ganz zudem, weil ich gar nicht weiß: Ist da schöne Architektur (und wenn, was ist das? Des einen Reihenhaustraum ist des anderen Alptraum), Natur, Wald, Wiesen, Gärten ...? Das 'alles makellos' vermittelt auch immer eine starke Naivität, ggfs. sogar Ignoranz - möchtest du das?
Ihr Leben war nahezu perfekt. Einser Studentin, aus guten Elternhause mit dem perfekten Mann an ihrer Seite.
Einserstudentin
Elternhaus (Du schreibst hier nicht im Stil des 18. Jahrhunderts, also raus mit solchen Einsprengseln.)
Schon wieder perfekt - es ist nicht nur generell uninteressant (weil man ja weiss: nix ist perfekt, bzw. empfindet jeder was anderes als perfekt), sondern ganz einfach, egal, wie man dazu steht, die 3. Wiederholung einer Aussage. Und das an einem Punkt, an dem du den Leser immer noch in die Geschichte ziehen solltest.
Ausserdem: 'nahezu perfekt' existiert nicht, genauso wenig wie die Steigerung perfekt / perfekter / am perfektesten. Perfekt ist perfekt. 'Fast perfekt' ist eben ... naja, suche ein schönes Wort für 'sehr schön'. ;-)
Woher sollte sie wissen, dass es nur der trügenden Schein war und bald alles dem Bach runter gehen würde?
Falschen Kasus da reingemogelt: Es war nur der trügende Schein. Besser: der
trügerische und eigentlich gar nix davor, weil
Schein bereits
trügerisch impliziert. Aber das noch besser ganz raus, weil auch das eine hohle Phrase ist, Tausend Mal gelesen, sagt nix aus.
Bach runtergehen: falsches Register i.e. Stilbruch. Und hier entsteht wirklich Komik.
Ihr Geliebter sah nicht das in ihr, was sie in ihm sah.
Hier führt unpräszise Sprache tatsächlich zu einer (möglicherweise) falschen Aussage. Du sagst implizit: Sie könnte in ihm den erfolgreichen, aber dennoch liebevoll-zugewandten Geschäftsmann sehen und er sieht in ihr nicht den erfolgreichen, aber dennoch liebevoll-zugewandten Geschäftsmann. Da hier eine unendliche Anzahl von Erwartungen stehen könnte, die eine Person an eine andere stellt: lieber Butter bei die Fische und sagen, um was es hier geht: sie erwartet x, er erwartet aber y ...
Das gehört nicht auf die Ebene des Textes, weil: Erzähler = Textebene ist nicht Autorenebene.
Sie ließ sich fallen, und riss mich gleich mit, in das ewige Fegefeuer dieser Art von Liebe.
Wenn du Pathos schreibst: Nicht drumrumreden. Pathos entsteht nur durch harte, direkte Aussagen bzw. Behauptungen.
Er riss mich hinab ins Fegefeuer der Liebe. (Hui, Kitschalarm natürlich, das macht die Emotionen immer billig, aber wenn du das so wolltest.)
Fegefeuer ist wohl eh als
ewig gedacht: besser keinen schwarzen Rappen schreiben.
Jetzt verstehe ich aber eines nicht: Wer ist da mittig plötzlich das erzählende
Ich? Ich ging von einem übergeordenten (auktorialen) Erzähler aus, der physisch nicht anwesend ist. Es ging anfangs ja nur um er/sie, da hab ich nicht den Eindruck, in denen Szenen wäre noch eine Person anwesend.
Abgesehen von der Irritation: wieder Problem, das Register durchzuhalten: 'riss mich gleich mit' = Alltagssprache, Umgangssprache vs 'ewige Fegerfeuer der Liebe' - gehobenes Register / altmodisches Pathos. Wie gesagt lässt das Ironie entstehen, Komik.
An dieser Stelle höre ich mal auf, vielleicht hast du ja einen Eindruck bekommen, warum der Text so leider (noch) nicht funktioniert.
Konkrete Tipps:
- Ein einziges Register verwenden: das, in dem du dich sicher fühlst und das du ohne Brüche durchhalten kannst
- Plotstruktur noch mal überdenken
- Erzählhaltung ggfs. näher an die Prota ran
- Chronologisch erzählen, keine Vorschau / Teaser
Ich wäre gespannt, was du aus dem Text noch machen magst und wünsche dir viel Spass hier, bei der Textarbeit, beim Kommentieren anderer Texte (Geben & Nehmen und du lernst selbst noch viel dazu).
Herzlichst,
Katla