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Das Schicksal läuft barfuß

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21.02.2003
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Das Schicksal läuft barfuß

Es war Samstag und meine Frau und ich hatten einen netten Abend mit Freunden verbracht. Obwohl es noch recht früh war, hatten wir uns abgesetzt. Zuhause rauchte ich noch eine Zigarette, schaute mir die Börsendaten auf Videotext an und ging dann nach oben, um mich hinzulegen.

Die Lichter brannten. Im Schlafzimmer, im angrenzenden Bad und im oberen Flur, welcher durch eine Wendeltreppe die untere mit der oberen Wohnungshälfte verband. Ich konnte nicht ins Bad, da Alex sich darin gerade für die Nacht zurecht machte.
Ich schnappte mir also ein Buch und legte mich ins Bett. Im Nachhinein glaube ich wirklich, ich habe mich in jenen 20 Minuten vor dem Anruf wohl gefühlt, geborgen im Schoße Gottes vielleicht.

Ich hatte noch kein Dutzend Seiten gelesen, als das Telefon klingelte. Nachdem es Samstag Nacht war, tippte ich auf meine Schwester, die nach dem Restaurantdienst am Wochenende oft anzurufen pflegte. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, ich kann mich noch an den Druck auf die Fußsohlen erinnern, an das Gefühl als sie den Teppich berührten; und ja, ich glaube ich war frohgemut aufgestanden, freute mich mit meiner Schwester zu telefonieren. Warum auch nicht?

Sollte Euch irgendwer einmal weiß machen wollen, daß sich das Unheil ankündigt, so glaubt ihm kein Wort. Schickt ihn zur Hölle, denn das Unglück trifft wie ein Blitz aus heiterem Himmel.

Wenn man die Treppe hinunter rannte, wie ich es damals getan habe, so gab es einen ganz bestimmten, dumpfer werdenden, Klang auf jeder Stufe. Die letzten drei Stufen sprang ich immer, also werde ich dies wohl auch damals getan haben. Sicher ist, im unteren Flur war kein Licht an. Dunkel aber war es trotzdem nicht wirklich; vom oberen Flur fiel ein Lichtkegel die Treppe hinunter und ich hatte keine Mühe den Hörer zu finden, abzunehmen, und mit der anderen Hand auf den Lichtschalter zu klatschen. Auch diesen Ton kann ich noch ganz deutlich hören, ich muß mich nicht einmal konzentrieren, nur einfach daran denken.

Ein ganz einfacher Klang, gar nichts besonderes, bestimmt habe ich den selben Klang schon ein paar tausend Mal gehört. An diesem verfluchten Klang war überhaupt nichts besonderes, er war weder lauter noch greller, weder länger noch nachhaltiger als an anderen Tagen. Nichts deutete auf eine Besonderheit hin. Wie gesagt, der Schrecken kommt auf leisen Sohlen.

Davon ausgehend, daß es meine Schwester sei, gab ich also ein schlichtes „Ja?!“ von mir.
Seltsam genug: Ich erwartete meine Schwester und irgendwie wurde meine Erwartung ja auch erfüllt. Hörte ich doch die Stimme der Schwester meines „Bruders“, per Definition also auch die Stimme meiner Schwester.

Der Teppich in der unteren Diele war hellgrau, es gab eine weiße Lampe, die ich nie richtig angeschlossen hatte (sie funktionierte zwar, allerdings hing ein Stück Kabel aus der Halterung), alle angrenzenden Türen waren braun, die Wände weiß und die Flurmöbel samt Telefonapparat schwarz. Ich schwöre, wenn ich heute an jene paar Minuten zurückdenke, alles war grün. Hellgrün, um genau zu sein. Selbst das Licht erscheint mir grün gewesen zu sein.

„Hallo Moi.“, waren vermutlich ihre Worte. Nur zwei Worte, aber die waren erstickt von Tränen. Bizarr. Ja, das ist das richtige Wort. Bizarr im Sinne von verzerrt. So erschien mir die grüne Welt um mich herum. Die Formen der Dinge, der Welt um mich herum, waren aufgelöst. Es gab weder Ecken, Kanten oder Geraden, noch gab es Rundungen. Alles war verzerrt, zersetzt und neu ineinandergefügt ohne einen Sinn zu ergeben. Obendrein war es grün. Alles.

Ich kann mich entsinnen, daß ich, als ich in den Hörer schrie: „Was ist los?“, mir selbst schon die Antwort gegeben hatte. Ich sagte mir, er hatte einen Unfall; schlimm zwar, aber nicht lebensgefährlich. Ich würde ein paar Stunden aufbringen, ein paar Beziehungen spielen lassen, mit Geld ein paar Türen öffnen und in kürzester Zeit hätte sich alles erledigt. Bestimmt würde er noch ein, zwei Monate humpeln und sein neuer Wagen war sicher weniger als Schrott, aber das kriegten wir schon wieder hin. Keine Frage.

Nichts dergleichen. Und obwohl ich mich wirklich an diesen Gedanken erinnern kann, ihn sicher genau so gedacht habe, mein rasendes Herz ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Ihre Stimme hatte mich erschreckt. Ich schrie meine Frage ein zweites Mal in das unselige Telefon (der Telekom-Teufel möge es holen!).

Warum meine Frau nicht herunterkam, weiß ich nicht. Vermutlich war es aber besser so, denn höchstwahrscheinlich wäre auch sie grün gewesen; genauso grün wie das weiße Treppengeländer.
Bestimmt lag es auch daran, daß alles grün war, weshalb ich – entgegen meinem Usus – mit dem Gesicht zum Wohnzimmer, wo es dunkel war, stand als ich telefonierte. Die Dunkelheit war nicht ganz so grün, wie der Rest. Eigentlich viel weniger. Ich hatte mich im Türrahmen angelehnt.

Seine Schwester stammelte, man habe sie angerufen. Aus dem Ort wo ihr Bruder wohnte. Dem Ort in dem er nun schon seit bald acht Jahren lebte. Spitzfindigkeit: Gelebt hatte! Grammatik ist grausam, aber das hatte ich in jenem Augenblick noch nicht erkennen können; drei Sekunden später war ich schlauer.

Ob mein Herz dann noch genauso schnell schlug, weiß ich nicht mehr. Ich hatte gesagt, ich käme sofort und aufgelegt hatte ich auch. Ich ging nach oben, aus dem Badezimmer kam grünes Licht und die Pflanzen im Schlafzimmer hoben sich seltsam duneklgrün von der Umgebung ab. Ich öffnete den Kleiderschrank und griff mein Lieblings-Sweatshirt und eine Jeans heraus. An die Hosen kann ich mich nicht mehr genau erinnern, das Sweatshirt jedenfalls habe ich seither nicht mehr getragen. Irgendwie ist es immer noch viel zu grün für seine graue Farbe.

Ich war mir sicher, daß ich mir unsicher war. Mehr kann ich über meine Gedanken nicht sagen. Einerseits glaubte ich stark an ein furchtbares Mißverständnis, andererseits konnte ich die Endgültigkeit der Nachricht nicht ignorieren.
Meine Frau erschien im Zimmer, während ich mich anzog und ich wagte nicht mich umzudrehen. Auf ihre Frage sagte ich, daß seine Schwester am Telefon gewesen war, er tot sei und man nicht genau wisse weshalb. Außerdem, fügte ich hinzu, würde ich zu seinen Eltern fahren. Sie gab ein verständnisloses „Was?“ von sich, worauf ich sagte, ich käme schon zurecht, sie solle nur hier auf mich warten.

Erbärmlich muß ich ausgesehen haben, ließ sie mich doch – wie sie sagte „in meinem Zustand“ – nicht fahren. Wir stiegen in unser grünes Auto (es war wirklich grün, mein Farbsinn hatte sich vielleicht inzwischen wieder eingekriegt) und fuhren zur Tankstelle. Sie fuhr und ich versuchte meine Gedanken zu ordnen. Bis zur Shell-Station waren es drei Minuten, höchstens.

Sie ging tanken, ich blieb im Wagen zurück, nahm mein Mobiltelefon und wählte. Zuerst rief ich meinen Vater an. Warum, keine Ahnung. Bestimmt war er der Letzte mit dem ich reden hätte wollen, und doch. Merkwürdigerweise sagte ich ihm nur, daß mein bester Freund gestorben sei und ich mich wieder melden würde. Ich war immer noch alleine im Wagen.
Als nächstes wählte ich Sein Mobiltelefon an. Es klingelte, doch nahm niemand ab.

Alex war mit dem Tanken fertig und schon wieder losgefahren. Ich atmete kurz durch und sie war so taktvoll mich nicht zu fragen was ich mit dem Mobiltelefon in meiner Hand anstellte. Ich gab mich nicht geschlagen, er war immer so schusselig, hatte sein Handy so oft im Auto liegen lassen. Ich hatte ihn oft deswegen angemault, weil ich ihn nicht erreichen konnte. Als nächstes wählte ich seine Privat-, dann die Büronummer. Seltsam genug war, daß sich in keinem Fall ein Anrufbeantworter einschaltete.

Wir fuhren auf einer meiner Lieblingsstraßen als ich es verstand. Es sicher wußte, meine ich.

Ich sollte seine Stimme nie wieder hören, auch nicht vom Anrufbeantworter.

 

eine gute gechichte, mit ein paar schwachstellen, die die stakre schilderung kaputt machen:

"(der Telekom-Teufel möge es holen!)"
find ich unpassend.

"(es war wirklich grün, mein Farbsinn hatte sich vielleicht inzwischen wieder eingekriegt"
auch hier ist der humor zu aufgesetzt. das kann man homogener in die story packen.

"Shell-Station"
find ich unpassend, eine bestimmte marke zu nennen.


ansonsten ein respektable, authentische geschichte. nicht affektiert, aber punktgenau.

respekt, schumpo the kaka kaladze.

 

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