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Das Schwert des Drachentöters
Das Schwert des Drachentöters
Leise und geräuschlos bewegte er sich durch das Unterholz. Der Mond schien hell diese Nacht. Doch das störte ihn nicht, denn er wusste, dass ihn niemand sehen konnte, da er sich nur in den dunkelsten Zonen des Waldes fortbewegte. Er musste behutsam vorgehen. Aller Wahrscheinlichkeit nach war das Anpirschen sinnlos, doch er wollte, dass diese Nacht alles stimmte. Ein paar vorausgeschickte Soldaten konnten sonst seinen genialen Plan schnell zunichte machen. Mit gedämpften Schritten näherte sich Glenn dem Pfad, der sich durch das Gehölz schlängelte. Er musste nur noch wenige Augenblicke dauern bis die Kutsche kam, doch die Zeit musste reichen. Nicht daran sollte das Vorhaben scheitern. Wie ein Raubtier, geduckt und lautlos, kam er auf den Weg zu und verharrte in einem Gebüsch. Er atmete innerlich auf, als er sah, dass er pünktlich war. Keine Soldaten, keine Kutsche, doch er konnte schon in einiger Ferne das Rollen mehrerer Räder hören.
Na bitte, da kommen sie schon, dachte er sich. Alles schien zu klappen. Doch mit zunehmendem Geräuschpegel wuchsen auch seine Zweifel. War wirklich alles perfekt geplant? Hatte er nichts vergessen? Ein Fehler im Plan konnte nicht nur sein Ende, sondern auch das Ende seiner Freunde bedeuten, und das war wirklich das Letzte was er wollte. Zudem beunruhigte ihn, dass die Bewachung doch stärker war, als er erwartet hatte. Im blieb keine Wahl mehr, er musste handeln, oder er würde zuschauen müssen, wie der Wagen und damit die größte Chance seines Lebens an ihm vorbei rollte. Endlich griff er unter seine Jacke und holte ein kleines Päckchen hervor. Er hoffte nur, dass die Wirkung des neunen, chinesischen Wundermittels wie erhofft war. Er stieß einen langen Eulenruf aus – das war das verabredete Signal – und nur wenige Sekunden später kam ein brennender Pfeil herangeschwirrt und landete genau inmitten des Weges. Sofort stoppte die Kutsche, während die Ritter fast synchron die Waffen zogen. Schnell warf er das Bündel neben den Brandpfeil und hoffte, dass das in schmierigen Tüchern verpackte Pulver auch tatsächlich Feuer fangen möge. Er hatte bestenfalls mit einer kleinen Explosion gerechnet, doch das Ergebnis war überwältigend. Mit einem lauten Knall flogen die Ritter, die das Pech hatten dem Pfeil am nahesten zu sein, von den Pferden. Die übrigen Rösser scheuten und nicht wenige gingen einfach mitsamt ihren Reitern durch, was Glenn zu einem Schmunzeln veranlasste. Doch selbst seine Ohren dröhnten und unter seinen Füßen konnte er die Erde beben spüren, doch er fing sich schnell wieder. Er sah wie von der gegenüberliegenden Straßenseite sein Komplize Erik herausstürmte, seine Axt über dem Kopf schwingend. Mit einer kraftvollen Bewegung hieb der rothaarige Riese ein Rad ab, rollte sich blitzschnell unter der kippenden Kutsche hindurch und verschwand fast geschmeidig wieder neben ihm in der Dunkelheit. Mit einem lautem Knarren stürzte die Kutsche nun vollends um und eine pechschwarze Kiste kullerte heraus. Nun war Dirk der Reihe. Mit einem halsbrecherischen Tempo stürmte er auf seinem Pferd heran, schwang ein Seil über dem Kopf und warf es zielsicher um die Kiste und ritt mit ihr in die sternklare Nacht davon. Am liebsten hätte Glenn einen lauten Jubelschrei ausgestoßen. Es war schon fast zu einfach gewesen. Glenn warf einen flüchtigen Blick auf die benommenen Ritter. Und was Glenn in ihren Augen sah, erschreckte ihn zutiefst. Nicht etwa Hass oder Zorn, wie man es erwartet hätte, wenn einem ein wertvolles Schmuckstück unter der Nase weggeschnappt wird, sondern einfach nur Fassungslosigkeit und ..., ja und Angst möchte man sagen. Aber warum? Nicht wenige Krieger schienen am ganzen Körper zu zittern. Kopfschüttelnd und fast ein wenig Mitleid habend schlich sich Glenn davon, bevor einer der Bewacher doch noch auf den Gedanken kam sie zu verfolgen.
Im Lager angekommen war die Feier im vollen Gange. Bier und Wein floss in Strömen und der Geruch von gebratenem Fleisch hing in der Luft. Erschöpft vom Fußmarsch lies er sich in die Hocke sinken und stellte staunend fest, dass die Kiste noch nicht einmal geöffnet worden war. „Wollt ihr sie denn nicht aufmachen?“ fragte er in die Runde
„Bitte, diese Ehre gebührt doch wohl dem, der diesen genialen Plan ausgedacht hat. Ein perfekter Raub, schnell, ohne Blutvergießen und mit wenigen Leuten durchführbar. Dass sind die Diebstähle von morgen“ grölte Erik lachend zurück. Glenn spürte wie sich eine Hand auf seine Schulter legte und sah in das fröhliche Gesicht von Gordon, denjenigen, der den Pfeil so zielsicher geschossen hatte. „Glenn, darf ich dich jetzt bitten. Und vergiss nicht. Es wird fair geteilt.“ Stolz über seinen meisterhaften Plan nahm er Eriks Axt und hieb auf das Vorhängeschloss ein, biss er aufging. Was wohl drin sein mochte? Gold? Juwelen? Mit einer feierlichen Bewegung öffnete er den Deckel. Doch zum Vorschein kam: Ein uraltes, verrostet Schwert. Augenblicklich verstummte die Runde. Ein Schwert? Alles nur wegen eines verdammten, rostigen Schwertes? NEIN! Das durfte nicht sein, dachte Glenn. Er suchte den Boden ab, überprüfte alles auf eine kleine, geheime Kammer. Doch dar war nichts. Nur dieses dumme Schwert. Glenn schien die Welt nicht mehr zu verstehen. Brauchte jetzt schon ein altes Schwert eine Eskorte? War es vielleicht die falsche Truhe? Doch nichts ergab in seinen Augen Sinn. Er stöhnte vor Frust und Enttäuschung laut auf und warf das Schwert zornig in den Wald. Er schaute Chris an, wollte ihm etwas sagen. Fluchen, vielleicht sich auch entschuldigen für die sinnlose Aktion, doch er brachte nichts hervor. Das lag allerdings nicht an dem gescheiterten Überfall, vielmehr irritierte ihn der Pfeilschaft, der aus Chris Hals ragte. Kurz darauf fiel Chris tot zu Boden. Danach brach die Hölle los. Von überall stürmten bewaffnete Männer in nachtschwarzen Rüstungen auf sie zu.
Sie wüteten wie Dämonen. Neben ihm fiel Dirk enthauptet zu Boden. Neben Glenn bohrte sich ein Pfeil in den Baum. Das schließlich erweckte ihn aus seiner Erstarrung. Schnell lies er sich zur Seite rollen und verschwand hinter einem Baum, den sogleich ein weiterer Pfeil zierte. Doch es gab keinen Ausweg. Es waren zu viele. Schließlich musste er mit ansehen wie Gordon starb, als er ebenfalls versuchte wegzurennen. Ein Pfeil durchbohrte seinen Bauch, ein weiterer schwarzer Ritter erledigte den Rest. Etwas an dieser ganzen Situation machte ihn stutzig. Er wusste nur nicht was genau es war. Plötzlich spuckte die Nacht neben ihm einen weiteren schwarzen Dämon aus. Bewaffnet mit einem mächtigen Langschwert. Gerade noch rechtzeitig konnte Glenn dem tödlichen Streich ausweichen, doch er spürte wie er stolperte. Er wusste, das war das Ende. In einer endlos langen Sekunde spürte er wie sein Körper zu Boden fiel. Gleichzeitig sah er aus den Augenwinkeln wie der Riese neben ihm zu einem weiteren Schlag ausholte, der diesmal sicher nicht sein Ziel verfehlen würde. Doch er sah noch etwas. Neben ihm im Gras lag, verrostet, alt, das Schwert. Rasch packte er die Waffe und hielt sie hoch. Doch der tödliche Schlag kam nicht. Beim Anblick des Schwertes schien der Ritter zu stutzen. Diese winzige Unsicherheit nutzte Glenn und rammte es dem Mörder seiner Freunde bis zum Griff in den Bauch. Der Ritter fiel zu Boden. Er war sofort tot. Doch da waren noch genug andere. Die meisten kümmerten sich allerdings gerade um Erik, der mit seiner Axt sämtliche Angreifer auf einmal in Schach hielt. Doch nicht mehr lange und er würde einen einzigen Fehler machen, der sein Ende bedeuten würde. Von allen hatte Glenn Erik immer am liebsten gemocht. Er musste ihm einfach helfen. Mit einem lauten Schrei stürzte er in die Menge und hieb einen weiteren Ritter nieder. Dadurch abgelenkt bekam auch Eriks Axt neue Nahrung. Drei weitere Ritter fielen. Rücken an Rücken kämpften sie. Nicht um ihr Leben, nur noch für Rache. Rache für Gordon, Rache für Chris, Rache für Dirk. Doch für jeden den sie niederschlugen schien die Nacht drei neue Barbaren freizugeben. Es war aussichtslos. Glenn spürte wie seine Arme begannen schwer zu werden. Er war nahe dran einfach aufzugeben.
Doch plötzlich kamen noch mehr Ritter aus dem Wald gestürmt. Keine schwarzen Ungeheuer, sondern erhabene Krieger mit mächtigen Schwertern und silbernen Rüstungen mit einer in Efeuranken gezierte Krone darauf, das Wappen des Königs. Sie hackten sich ihren Weg durch die Menge. Glenn spürte wieder Hoffnung in sich keimen. Er kämpfte nun mit doppelter Kraft weiter. Doch dann kam es wie es kommen musste. Ein Schwert durchbohrte seine Seite. Mit einem Ächzen sank er nieder, das Schwert in die Höhe haltend, bis zum Ende kämpfend. Doch das Ende kam nicht. Die Silbernen hatten sie erreicht. Sie waren gerettet! Erleichtert atmete Glenn auf. „Erik, sieh doch wir sind ...“ stammelte er. Weiter kam er nicht. Erik lag neben ihm im Gras, in ihm steckte eine Axt. Seine Axt! Sie haben ihm nicht einmal die Ehre gelassen durch ein fremdes Schwert zu sterben. Um ihn herum lag ein halbes Dutzend toter Krieger. Er spürte wie ihm Tränen aus den Augen schossen. Nein, nicht auch noch Erik. Auf einmal verspürte er einen solchen Hass gegen diese schwarzen Teufel, dass er sich auf sie gestürzt hätte, würden noch welche leben. Er wollte aufstehen, doch seine Wunde machte ihm nun doch ziemlich zu schaffen. Er sank auf die Knie. Vor ihm lag einer der Krieger in seiner dunklen Rüstung. Die Erkenntnis traf Glenn wie ein Schlag. Die Bewacher der Kutsche, die hatten keine schwarzen Rüstungen. Nein, sie waren silbern! Was war das für ein verteufeltes Schwert? Glenn hatte keine Kraft mehr einen klaren Gedanken zu fassen. Hatten sie ihn gerettet um ihn doch noch zu töten? Schließlich stand auf Diebstahl eines königlichen Eigentums immer noch die Todesstrafe. Nun gut, dachte er, wenn sie ihn töten wollten, dann sollten sie sich beeilen, denn er konnte die Schmerzen nicht mehr ertragen. Vor ihm verschwamm alles. Er wurde bewusstlos, alles um ihn herum wurde schwarz. Er fragte sich ob das der Tod war. Doch es war nicht der Tod. Die Welt brauchte ihn noch, auch wenn er das noch nicht verstand.
Tote. Überall lagen Tote. Der ganze Wald war voll davon. Und nicht wenige von ihnen waren seine Freunde gewesen. Doch er musste fliehen, um sein Leben rennen. Um ihn herum nahm die Dunkelheit immer mehr zu, die schwarzen Nebel engten ihn ein und versuchten ihn mit unsichtbaren Händen zu greifen. Dennoch rannte er weiter, immer weiter. Hinter sich hörte er eine verzweifelte Stimme schreien: „Hilf mir, Freund! Bleib da! Verlass mich nicht! Freund...“ der Ruf erstarb und endete in einer Stille, in der er seinen eigenen Puls hören konnte. Der Weg flog weiter an ihm vorbei, die Schatten kamen noch näher. Er sah rote, dämonische Augen in der Finsternis leuchten, und er konnte die Schemen von Männern erahnen. Es waren viele, Männer in schwarzen Rüstungen. Sie waren überall, sie waren im Nebel, denn sie waren der Nebel. Es konnte kein Entkommen geben! Plötzlich spuckte die Finsternis vor ihm einen Mann aus, dessen Größe die aller anderen Giganten in den Schatten stellte und das Feuer in seinen Augen schien der Hölle selbst zu entstammen. Er trug einen Helm in Form eines Bärenkopfes und seine Schultern waren durch einen mächtigen Pelz geziert. Obwohl man sein Gesicht nicht sah, konnte man doch sein irres Grinsen deutlich spüren. Dann streckte er die Hand aus und zeigte mit dem Finger auf Glenn und eine Stimme zerriss die Stille wie ein Blitz in der Nacht: „Tötet ihn! Bringt mir das Schwert! Diesmal kommt nichts dazwischen.“ Dann erwachte Glenn.
Schweißüberströmt und schwer keuchend richtete er sich in seinem Bettlager auf. Er hatte keine Ahnung wo er war und wie er dort hingekommen war, doch er befand sich in einem angenehm weichen Bett, das sich in einen kleinen, aber dennoch gemütlich eingerichtetem Zimmer befand, an dessen Wand ein Kamin gemütliche Wärme verbreitete. Das alles nahm er jedoch nur flüchtig wahr. Zu sehr war er noch mit seinem Traum beschäftigt. Er konnte die Stimmen noch immer in seinem Kopf nachhallen hören: Hilf mir, Freund! Verlass mich nicht! Er hatte sie im Stich gelassen. Während die anderen sich verteidigt hatten, hatte er hinter einem Baum Zuflucht gesucht und zugesehen wie seine Freunde starben. Er fühlte sich schuldig an ihren Tod. Er wünschte er wäre auch tot, aber das würde er vermutlich auch bald sein, wenn seine Vermutung sich als wahr erwies und er im Schloss des Königs war. Schließlich hatte er versucht ihn zu berauben.
Als er versuchte aufzustehen, bemerkte er einen stechenden Schmerz in seiner Seite. Hastig versuchte er nach seiner Wunde zu fühlen, stellte aber erstaunt fest, dass ein fachmännisch angelegter Verband sie umhüllte. Also wenn der König hier mit allen Dieben so umgeht, muss sein Königreich sehr arm sein, scherzte Glenn, obwohl im gar nicht danach zumute war. Doch es war nur ein verzweifelter Versuch sich von seiner Lage abzulenken. Neben seinem Bett waren frische Sachen bereitgelegt worden die er sich sogleich überstreifte. Noch während Glenn sich das Hemd überstülpte merkte er wie ein Mann, seinem Aussehen nach zu urteilen ein Diener, sein Zimmer betrat, beladen mit einem großen Tablett. Als er jedoch Glenn erblickte zuckte er so stark zusammen, dass er dieses mitsamt den Speisen und Getränken, die sich darauf befanden, fallen lies. Doch das schien ihn offensichtlich wenig zu kümmern, da er sich sofort an Glenn wandte: „Oh ich bitte Euch, bleibt liegen, bleibt liegen, wir bangten schon um euer Leben. Nicht Gewiss war lange Zeit ob ihr wieder erwachen würdet. Doch wie ich sehe, hat Hanna wieder einmal gute Arbeit geleistet. So legt euch doch hin!“ Der Diener eilte wieder aus dem Zimmer und verkündete lauthals: „Er lebt! Er ist wach und er lebt!“ Fragend blieb Glenn zurück. Wieso war der Dienstbote so froh ihn lebend zu sehen. Er hatte den Tod verdient, doch noch immer konnte er die freudigen Rufe des Mannes hören. Glenn tat der Kopf von den vielen Fragen, die er hatte, weh .Also tat er, was man ihm geraten hatte: Er legte sich wieder ins Bett.
Wenige Minuten später war sein kleines Zimmer voll. Er sah sich umringt von alten Männern in feinen Anzügen die gaffend um sein Bett standen und sich gegenseitig zu erklären versuchten, warum er noch lebte, aber zu keiner allgemein akzeptierten Lösung zu kommen schienen. Es konnten nur Ärzte sein. Glenn wurde die Situation immer unangenehmer. So war er schließlich erleichtert als eine junge Dame, er schätzte sie Mitte Zwanzig, das Zimmer betrat und mit herrischer Stimme die Gaffer aufforderte den Raum zu verlassen, sodass sie allein waren. “Wie ich sehe hast du es überlebt“, fing sie an, ohne sich vorzustellen oder sich gar mit einer Begrüßung aufzuhalten, doch er war sich ohnehin sicher Hanna vor sich zu haben. „Entweder bist du zäher als ich dachte oder du bist einer der Schwarzmagier. Aber du siehst eigentlich nicht wie einer von denen aus. Na ja, das ist ja auch egal, wichtig ist, dass du dich jetzt schonst. Kann sein, dass wir dich noch brauchen...“ Sie fuhr eine ganze Weile so fort, redete noch mehr als die Alten, aber das störte ihn nicht. Er hörte sie gerne Reden, auch wenn er kein einziges Wort verstand. So saß er einfach nur da und schaute den Bewegungen ihres roten Mundes nach, wie sie ihr blondes Haar während dem Reden immer wieder zurückstrich, am meisten jedoch hatten es ihm ihre Augen angetan, die blau waren wie ein See an einem schönen Sommertag. Plötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen als sie ihn anstieß. „Hallo! Ob du Schmerzen hast? Sag mal hörst du mir überhaupt zu, wenn ich mit die Rede? Aber du hast ja recht, ich sollte dich jetzt nicht mit fragen nerven, du brauchst Schlaf! Es wäre wohl das Beste, wenn ich dich alleine lasse.“ „Nein, bitte geh’ nicht“, sagte Glenn erschrocken. „Ich kenne hier ja niemanden, ich brauchte jemanden der mir alles erklärt. Wo bin ich und was wollt ihr eigentlich von mir?“ versuchte Glenn seinen Schreck zu vertuschen. „Das weißt du nicht? Du befindest dich im Schloss König Kelvins. Und was wir von dir wollen wirst du wohl noch früh genug erfahren. Eine Stunde mehr oder weniger macht doch jetzt wohl auch nichts mehr.“ Die Verbitterung in ihrer Stimme war deutlich zu hören. „Nun ja, ich werde dich jetzt allein lassen. Versuch noch etwas zu schlafen, wenn du kannst. Obwohl ich glaube, dass drei Tage gereicht haben dürften.“ Erstaunt blickte Glenn sie an. Drei Tage? Er fühlte sich so erschöpft, als wäre der Überfall erst eine Stunde her, als diese Bastarde seine Freunde getötet hatten. Wiederum wurde er von Hanna aus seinen Gedanken gerissen. „Wenn du einen Wunsch hast, dann kannst du dich an Karl wenden.“
„Karl?“
„Es ist mein Bruder. Er ist derjenige, der dich wach aufgefunden hat und, “ fügte sie lächelnd mit einem Blick auf das Tablett hinzu „den Boden gegossen hat, doch jetzt versuch noch ein paar Stunden zu schlafen. Es ist schon spät. Morgen wirst du mehr erfahren. Ich werde morgen noch einmal nach dir schauen. Träum schön.“ Sie blinzelte ihm zu und verließ das Zimmer. Kaum, dass die Tür hinter ihr zufiel schlief er auch schon wieder ein. Doch diesmal träumte er nicht von schwarzen Rittern mit glühenden Augen. Diesmal hatte er einen besseren Traum, einen sehr viel besseren. Er träumte von Hanna, ihrem blonden Haar und ihren blauen Augen, die ihn so verzaubert hatten.
Als er wieder erwacht war, war das Feuer im Kamin schon längst heruntergebrannt und die Sonne schien mit blendender Kraft durch da einzige Fenster im Zimmer direkt in sein Gesicht. Nachdem er einige Male geblinzelt hatte und sich seine Augen an die Sonne gewöhnt hatten, versuchte er sich aufzurichten. Diesmal gelang es ihm schon um einiges leichter. Er bemerkte, dass er während dem Schlaf wieder entgleitet und seine Wunde versorgt worden war. Sie war gut verheilt, doch es würde wohl noch einige Wochen dauern bis der letzte Schmerz aus seiner Seite gewichen war. Eine Narbe würde aber bleiben. Aber was war schon eine weitere Narbe gegen den Schmerz in seinem Herzen, der wohl nie wieder verheilen würde. Er hatte es nie leicht gehabt: Seine Mutter war früh gestorben, doch aus irgendeinem Grund war sie nie wie eine wahre Mutter für ihn gewesen, und seinen Vater hatte er erst gar nicht kennen gelernt. Lange Zeit war er von Königreich zu Königreich gewandert und hatte sich einen Ruf als Dieb, aber auch neue Freunde gemacht. Nein, leicht hatte er es nie gehabt. Doch der Tod seiner Freunde traf tiefer, als alles was er bis jetzt mitmachen musste. Doch jetzt war nicht die Zeit um an Vergangenes zu denken. Erst einmal musste er wissen, was hier vor sich ging, dass man einen ertappten Dieb aufnahm als wäre es der eigene Bruder. Aber noch größer als die Sehnsucht nach Antworten war im Moment die nach Nahrung. Er hatte die letzten vier Tage keinen Bissen zu sich genommen. Glücklicherweise stand neben seinem Bett ein neues Tablett mit Speisen und Wein bereit, über das er sich sogleich laut schmatzend hermachte.
„Es freut mich, dass es dir schmeckt“, ertönte eine Stimme hinter ihn. Er hatte gar nicht bemerkt, dass jemand in sein Zimmer gekommen war. Beim Ertönen der Stimme schrak er so fest zusammen, dass er sich verschluckte und einen Teil des Weines verschüttete. Das ganze war Glenn ziemlich peinlich, da er weder seine besten Manieren an den Tag gelegt hatte, noch angezogen war. Als sich Glenn umdrehte bemerkte er einen Mann, vielleicht zwei oder drei Jahre jünger als er selbst.
„Oh verzeiht, wenn ich euch verschreckt habe. Ich hätte mich bemerkbar machen sollen. Wenn ich mich vorstellen darf, ich bin Kelvin“, fuhr der Unbekannte fort. Glenn schaute ihn noch ein paar Sekunden an, bevor er begriff wen er da wirklich vor sich hatte. Er hatte den Fremden bis jetzt für einen weiteren Kammerdiener gehalten. Von neuem Schreck erfüllt schnellte er hoch, bedauerte dies aber sofort wieder, da er ja nichts anhatte und ließ sich sofort wieder auf sein Bett sinken „Kö ... Kö... König Kelvin?“ stammelte er. „Ich... ich kann alles erklären. Ich wollte euch noch bestehlen, wirklich nicht“ Er benahm sich wirklich wie ein Idiot. Was muss wohl der König jetzt für einen Eindruck von mir haben, dachte er. Leicht schmunzelnd, doch mit weiterhin ernstem Gesicht fuhr der fort: „Ich denke ihr seit euch der Lage nicht bewusst, junger Freund. Das alles ist ein wenig komplizierter. Doch ich sehe ihr seit hungrig. Esst, danach werden wir reden. Ich werde Karl sagen, er soll dich zu mir führen, wenn du fertig bist. Ich muss noch einige ...Vorkehrungen treffen“, sprach er und verließ das Zimmer, Glenn mit einer Ungewissheit und einem ungutem Gefühl im Magen zurücklassend.
Obwohl ihm der Appetit vergangen war, schlang er noch ein paar Bissen hinunter um seinen knurrenden Magen zu besänftigen und zog sich anschließend mit den Gewändern an, die gestern schon neben seinem Bett bereitgelegen hatten. Noch leicht schwindelig vom langen Liegen öffnete er die Tür, vor der auch schon Karl wartete „Ah, da seid ihr ja. Ich dachte schon ihr wäret wieder eingeschlafen. Seid ihr bereit? Der König erwartet euch in der großen Halle. Oh, verzeiht. Ich vergaß, dass ihr euch hier nicht auskennt. Ich werde euch hinführen.“ Er ging mit so schnellen Schritten voraus, dass Glenn Mühe hatte mit ihm mitzuhalten ohne zu rennen. Er blieb vor einer zweiflügeligen Tür stehen, auf der kunstvoll eine von Efeu umrankte Krone eingekerbt war.
„Da sind wir“, sagte er, machte aber keine Anstalten hineinzugehen. „ Der König will euch alleine sprechen“, fügte er hinzu als er Glenns zögern merkte. „Keine Angst. Ihr habt nichts zu befürchten. Doch rasch jetzt, König Kelvin wartet nicht gerne.“ Also schritt Glenn durch die Türe, die erstaunlich leicht aufging für ihr Gewicht. Als er eintrat stockte ihn für einige Momente der Atem, so schön war der Anblick. Vor ihm breiteten sich Marmorfließen aus, aus denen gewaltige, weiße Marmorsäulen hervorragten. Der Raum war riesig. Im hinteren Ende standen zwei goldene Throne, aus purem Gold. So prachtvoll, dass man nicht einmal wagte sie anzufassen. Als hätte man Angst sie könnten unter einer unwürdigen Berührung vergehen. Der Vollkommenheit des Raumes aber wurde man durch eine gewaltige Statue gewahr. Sie war komplett aus Stein gefertigt, wirkte aber so lebendig, als könnte sie jeden Augenblick aufstehen und davongehen. Sie zeigte einen Mann, der sich hinkniete. Seinen Händen jedoch fehlte das Schwert, das den gewaltigen Drachenkopf unter ihm durchbohrte. Glenn war so fasziniert von der Skulptur, dass er gar nicht bemerkte wie der König auf ihn zukam und ihn die Hand auf die Schulter legte. Glenn zuckte unter der Berührung zusammen und blickte in das Gesicht König Kelvins. „Ist sie nicht wunderbar? Sie zeigt Marron, den Drachentöter. Ich nehme an ihr kennt die Geschichte.“ Das war mehr eine Frage als eine Vermutung, doch Glenn musste verneinen. Er war weit umher gekommen, doch von Marron hatte er noch nichts gehört. „Ihm wurde alles genommen, was ihm etwas bedeutete, doch als seine Not am größten war, fand er Karthan, das Schwert der Wunden und Karthan fand ihn. Dieses war einst von den besten Schmieden in einem fernen Königreich geschmiedet worden sein und ein großer Magier soll es mit einem mächtigen Zauber belegt haben. Einem zu mächtigen. Keiner derer, die bei der Fertigung des Schwertes mitgewirkt hatten hat überlebt. Sie konnten es nicht kontrollieren. Es sucht sich stets selbst seinen Herrn. Einen unwürdigen Würde es sofort töten, würde er das Schwert auch nur berühren. Es gibt seinem Besitzer große Kraft, aber mit jedem Nutzen des Schwertes nimmt es seinem Herrn auch etwas. Große Wunden kann es zufügen, doch größer werden die Wunden sein, die es dir zufügt. Doch Marron konnte es kontrollieren. Sie waren eins miteinander. Das Schwert hatte ihn erwählt. Ganz allein soll er mit dessen Hilfe die Eindringlinge, die es auf dieses Land abgesehen hatten, zurückgeschlagen haben. Und das Schwert wählte die Familie Marron, immer den Erstgeborenen. Als die Leute die Macht Marrons bemerkten, wollten sie ihn zum König machen und eine Zeit des Reichtums und des Wohlstands brach unter seiner Führung an. Doch die Fremden gaben sich nicht geschlagen. Sie brachten eine Bestie aus ihrer eisigen Heimat mit: Bokar, den Drachenfürst. Er wütete entsetzlich und nicht einmal die Fremdlinge waren seiner Bosheit und Arglist gewachsen. Sie konnten ihn kontrollieren, aber nicht einsperren. Und dann kam sie, die große Schlacht am Hügel von Farhal. Es soll schrecklich gewesen sein. Der Drache auf der einen Seite – Marron mit Karthan auf der anderen.“ Er machte eine Pause. Glenn war von dieser Legende fasziniert wie entsetzt zugleich. Gut, dass es nur eine Sage ist, und es keine Drachen gibt, dachte er. Kelvin fuhr fort: „Karthan fand sein Ziel, der Drache wurde vernichtet und mit ihm die Fremden. Doch der Drache war zu stark, der Preis den das Schwert forderte zu hoch. Marron starb. Er hatte sein Land gerettet, doch war selbst vernichtet worden. Seit dieser Zeit ward Karthan nicht mehr gesehen, doch es hieß, es kehre zurück, wenn die Familie Marrons es benötigten.“ Beide schwiegen einige Zeit, bis Glenn schließlich fragte: „Warum erzählt ihr mir dass?“
„Folgt mir“, der König begab sich an eines der Zahlreichen Fenster, die die Halle mit einem sanften goldenen Schimmer erfüllten. Dahinter erstreckten sich grüne Wiesen und Felder und Höfe. Der Anblick war wunderschön und Glenn fühlte sich, das erste Mal in seinem Leben, wirklich daheim. Das ist das Land, dass Marron durch seinen Tod erschaffen hat. Ist es nicht bezaubernd hier. Dreihundert Jahre herrschte Frieden. Doch das ist vorbei, das ist vorbei“, die letzten Worte waren eher an sich selbst gerichtet. „Ich will es kurz machen“, fuhr Kelvin fort. „Marron ist keine bloße Sage, es ist wirklich geschehen. Doch sie sind zurückgekehrt. Ihr kennt sie. Hünen, in nachtschwarzen Rüstungen. Und sie haben einen Drachen bei sich, den letzten, den es noch gibt.“
„Ich glaube nicht an Drachen und solche Fabelwesen“, erwiderte Glenn, der immer noch keine Ahnung hatte, was das ganze mit ihm zu tun hatte. Er war in vielen Königreichen gewesen und hatte viele Kriege gesehen.
„Ich tat es auch nicht“, fuhr Kelvin ihn aufgebracht an. „Doch ich habe ich gesehen. Dieser unendlichen Hass in seinen Augen, diese grenzenlose Wut. Und ich habe die Horden des Feindes gesehen. Ja, wir haben Soldaten, tausende, aber wir können es nicht mit einem Drachen aufnehmen. Doch Glenn, du kannst es. Du und Karthan, ihr könnt ihn vernichten.“
„Ich verstehe nicht. Ich dachte es ist...“
„Fort? Es ist zurückgekehrt. Wir hatten große Mühe es zu transportieren, doch es ist uns gelungen. Dachtest du etwa ich bin der Erwählte? Nein, du bist es. Im Übrigen war die Kutsche nur ein Trick um dich anzulocken. Ich wusste die ganze Zeit von dir, doch wir mussten dich schützen, BRUDER.“
In diesem Moment wurde Glenn alles auf schreckliche Weise klar. Karthan. Das rostige Schwert.
„Aber, aber, ... Das bedeutet ja, ...“
„Ja, Glenn. Du konntest es berühren. In deiner Hand leuchtet seine neue Stärke auf. Benutze es, für dein Land. Du bist der Erstgeborene. Es ist dein Königreich. Mit Karthan in der Hand kann dir nichts passieren, doch wenn du den Drachen tötest wirst auch du sterben. Die Zukunft von uns allen liegt in deiner Hand, doch keiner von uns kann erwarten, dass du stirbst. Ich bitte dich, ziehe mit uns in den Krieg, gib den Leuten Hoffnung. Ich erwarte nicht von dir, dass du dein Leben lässt, aber es deine Wahl. Ich erwarte deine Entscheidung morgen früh. Mit ein bisschen Glück können wir den Drachen vielleicht vertreiben.“ Doch allein der Tonfall, in dem Kelvin sprach, machte Glenn klar, was er selbst davon hielt. Wortlos ging Glenn zurück in sein Zimmer. Endlich wusste er wer er war, endlich wusste er wo er herkam. Deswegen also hatte er seinen Vater nie kennen gelernt, weil er ihn hatte schützen wollen vor demselben Schicksal wie sein Vorfahr. Und er hatte einen Bruder. Jetzt wusste er alles. Doch er wünschte sich, er hätte es nie erfahren.
Es war schon spät in der Nacht, als Glenn die Burg verließ. Viele Soldaten hatten diese Nacht Wache. Doch Glenn wäre nicht Glenn, hätte er sich nicht unbemerkt davonschleichen können, wie es sich für einen Meisterdieb gehört. Die Burg hinter sich zurücklassend fühlte er sich so schlecht wie noch nie in seinem Leben. Er lies einfach so seinen Bruder und sein Königreich im Stich. Und dann war da noch Hanna. Doch er wollte das Königreich seines Bruders nicht, er wollte nicht kämpfen und er wollte nicht töten. Er hatte genug Leid gesehen. Und das letzte was er wollte war ein Martyrertod. Er wollte leben.
Als Glenn eine gute halbe Stunde geritten war, stand der Mond kreisrund und hell am Himmel. Doch was sich unter ihm erstreckte war grauenhaft. Glenn war gerade eine kleine Anhöhe hinauf geritten, da sah er es. Im Talkessel unter ihm brannten tausende Feuer und er meinte noch viel mehr pechschwarze Rüstungen im Mondlicht erkennen zu können. Doch das schlimmste war der ebenso schwarze Drache der über den Lager kreiste. Es musste noch ein kleiner Drache sein, doch er hatte eine Aura von solchem Hass und solcher Vernichtungswut auf alles Lebende, dass Glenn Mühe hatte zu atmen und beinahe vom Pferd gestürzt wäre, dass er nur noch mit aller Mühe unter Kontrolle halten konnte. Es hatte keinen Sinn zu fliehen. Sie würden ihn doch finden. Der Drache in seinem Hass schien alles zu fühlen was atmete und auch jetzt meinte Glenn, dass er in seine Richtung blickte. Doch er machte keine Anstalten in seine Richtung zu fliegen. Das mochte vielleicht an der Gestalt mit einem Bärenkopfhelm liegen, die auf ihm ritt. Glenn wusste nicht welches Geschöpf schlimmer war. Ein so bösartiges Geschöpf konnte nur von jemandem in Zaum gehalten werden, der mindestens ebenso bösartig ist. Glenn wandte sich um. Er hatte genug gesehen. Müde und erschöpft kehrte er schließlich zum Schloss zurück. Doch die Angst folgte ihm.
„Dann sind sie also schon da! Und ich hatte gehofft uns bleibt noch etwas Zeit.“ Nachdem Glenn wieder im Schloss angelangt war, fühlte er sich unwahrscheinlich ausgelaugt und müde, als hätte der Drache bereits einen Teil in ihm besiegt. Dennoch suchte er zuerst Kelvin auf um ihn die Neuigkeiten zu überbringen und es waren gewiss keine guten. Nach anfänglicher Überraschung über seinen „Ausflug“ hatte sein Bruder sofort eine Krisenberatung einberufen, bei der die wichtigsten Männer der Burg, die ja eigentlich schon eine kleine Stadt war, zusammengekommen waren: Krieger, Strategen, Befehlshaber und alles was sonst noch Rang und Namen hatte. Auch Glenn war, auf Kelvins Bitten hin, geblieben. Einige der Männer, die mit ihm an dem großen Tisch saßen, hatte er bereits kennen gelernt, wie Arkon, der sich um die Verteidigung der Stadt kümmerte und jetzt das Wort erhob.
„Was bringst uns denn eine weitere Stunde, wenn wir uns dessen bewusst sein müssen, dass unser Verderben stetig näher rückt. Wir sollten die Zeit, die uns noch bleibt nutzen um unsere Verteidigung auszubauen und ...“ Doch weiter kam er nicht, da er von einem großen, breitschultrigen Mann mit grauem Bart und Muskelbepackten Armen, allen Anschein nach ein Krieger, unterbrochen wurde. Ihn kannte Glenn noch nicht.
„Verteidigung? Sagt, Arkon, was nützen die dicksten Mauern der Welt gegen so ein verdammtes Vieh, das darüber hinweg fliegen kann? Nein. Wir müssen das Pack überraschen, jetzt gleich. König Kelvin, übertragt mir das Kommando für die Männer. Wenn wir sie im Schlaf überraschen, dann können wir sie hart treffen, ja vielleicht sogar besiegen.“ Doch Kelvin schüttelte sofort den Kopf. „Wir können sie nicht überraschen. Habt ihr Glenn nicht zugehört. Ihr Drache schläft nicht, er braucht keinen Schlaf, genauso wenig die anderen Krieger Schlaf brauchen. Sie mögen aussehen wie Menschen, ja, aber wer weis was sie wirklich sind. Nein, Gorg. Arkon hat Recht, wir sollten auf unsere Verteidigung achten, um den Drachen kümmern wir uns wenn die Zeit dazu gekommen ist.“ Gorg lief dunkelrot an. „Ach ja, warten? Worauf? Bis wir alle Tod sind, bis diese verfluchte Bestie das ganze Königreich verbrannt hat?“ Er brüllte jetzt und schlug dabei mit der Hand so fest auf den Tisch, dass Glenns Becher umkippte, obwohl er am anderen Ende des Tisches saß. „Wir müssen jetzt zuschlagen, jetzt, wo wir noch können. Lasst mich es versuchen, es ist die einzige Chance die wir haben und ihr wisst das verflucht noch mal ganz genau.“
„Hütet eure Zunge, Gorg, “ fuhr Arkon dazwischen „vergesst nicht, dass ihr mit dem König sprecht und nicht mit irgendeinen ...Soldaten.“ Er sprach das Wort aus als wäre es eine Beleidigung. Gorg wollte schon auffahren, wurde aber von einem Mann, der neben ihm saß zurückgehalten. Doch bevor die Situation eskalieren konnte, ging Kelvin dazwischen. „Schon gut, wir sind alle ein wenig müde und ein gereizt. Doch Ihr wisst, Hauptmann Gorg, dass ich Euch den Befehl über die Truppen nicht erteilen kann. Das kann nur der Heerführer Letiel, und wir müssen seine Entscheidung abwarten, so sagt es das Gesetz. Selbst der König kann nicht willkürlich über das Leben seiner Soldaten verfügen, sondern...“
„...muss einen Heerführer ernennen, der die Armee anführt. Ja, wir wissen es, Ihr habt es uns schon oft genug gesagt. Aber was ist wenn ein Tölpel wie Letiel dieses Heer anführt? Ihr seht ja selbst, er hält es offenbar nicht einmal für nötig zu kommen.“ Gorg hatte sich mittlerweile zumindest äußerlich wieder beruhigt, mit Ausnahme seiner Hand, die immer noch ein wenig zitterte.
„Verzeiht, König, aber ich habe bereits nach ihm schicken lassen. Er sollte bald hier sein, “ fügte ein Mann, der sich bis jetzt geschwiegen hatte, der Diskussion bei. Auch er hatte – wie alle Anwesenden – tiefe Augenringe.
„Ja, Letiel. Er war einmal ein hervorragender Hauptmann, doch jetzt... Er ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Der viele Ruhm scheint ihm nicht gut bekommen zu haben. Aber Ihr sollt wissen, dass ich jetzt und zu jeder Zeit zu meiner Wahl stehe, ob sie nun gut war oder auch nicht.“ Noch während Kelvin sprach flog die Tür auf und herein kam...
„Letiel! Schön, dass Ihr uns auch noch die Ehre erweist.“ In Gorgs Stimme war nicht die geringste Spur von Spott zu hören, doch jeder der Anwesenden, bis auf den Angesprochenen selber, wusste wohl wie diese Worte gemeint waren. Doch dieser beachtete das Gesprochene nicht, sondern fuhr griesgrämig, aber mit monoton klingender Stimme, die Versammelten an: „Was? Warum? Wieso habt ihr mich geweckt? Ich schlief bereits. Was gibt es diesmal? Kann dies nicht warten. Morgen ist auch noch ein Tag. Doch sprecht, jetzt wo ich wach bin hat es eh keinen Sinn mehr.“
Kelvin erhob das Wort. „Es tut uns leid, dass wir Euch wecken mussten, doch auch wir werden diese Nacht keinen Schlaf finden.“ Gorg hingegen gab sich keine Mühe Freundlichkeit vorzuheucheln. Es war offensichtlich, dass Gorg und Letiel einander verabscheuten.
„Falls Ihr es noch nicht bemerkt habt, ein Heer rückt an, das diese Stadt morgen vernichten wird. Aber für Euch ist das ja sicherlich kein Problem: Die zehnfache Übermacht, der Drache, unsere miese Verteidigung,...“
„Fürchtet Euch nicht, Gorg, ich und meine Männer werden euch schon beschützen. Ihr braucht ja nicht mitkämpfen, wenn ihr nicht wollt. Wenn dieses Pack versucht die Stadt anzugreifen, werden wir uns ihnen entgegenstellen und sie besiegen. Ich werde mich nicht hinter einer Mauer verstecken, wie dick sie auch immer sein mag.“
„Ihr seid ja verrückt! Uns stellen. Wir werden alle draufgehen. Wie fliegen werden sie fallen. Da mach ich verflucht noch mal nicht mit. Ich werde nicht für Euren Heldenmut sterben.“ Mit diesen Worten sprang Gorg auf und verließ wutentbrannt den Saal, doch Letiel blickte ihm nicht einmal nach. „War das jetzt alles? Na schön, dann geh ich wieder schlafen. Ich hoffe ich werde nicht noch einmal wegen einer solchen Nichtigkeit geweckt. Gute Nacht meine Herren.“ Und so verließ auch er das Zimmer.
Damit war die Sitzung wohl beendet. Nur Kelvin und eine Hand voll anderer Männer blieben noch um die letzten Einzelheiten zu besprechen. Der Rest der Männer jedoch, so auch Glenn, folgte Letiels Beispiel und ging wieder zu Bett um noch zwei, drei Stunden einen Schlaf zu finden, den sie eigentlich nicht erwarteten. Denn als sie sich plötzlich der Lage bewusst waren, möglicherweise nur noch wenige Stunden am Leben zu sein, da hatten sie das Gefühl schon ihr ganzes Leben verschlafen zu haben. Auf den Gängen, die er auf seinen Weg zu seinem Schlafgemach durchqueren musste, herrschte jedenfalls Hochbetrieb. Menschen mit tiefen Augenringen liefen durch das mit Fackeln erleuchtete Schloss, dass man in dieser Nacht meilenweit leuchten sehen konnte. Endlich gelangte Glenn zu seinem Zimmer. Die Burg war riesig, machte selbst aber nur einen kleinen Teil des Schlossgeländes aus. Außerhalb der Burgmauern war noch ein kleines Dorf mit Schmieden, Bauern und Handwerkern angesiedelt die von einer zweiten Mauer geschützt wurden. Doch genau diese Größe konnte ihnen zum Verhängnis werden, da sie die zahlenmäßig überlegenen Gegner nicht von allen Seiten abwehren konnten.
Glenn tastete sich in seinem stockdunklen Zimmer zu seinem Bett vor und sank schwer keuchend darauf nieder. Seine Verwundung machte ihm immer noch schwer zu schaffen. Er brauchte Schlaf. Doch die Tür zu seinem Raum sprang auf und in der Finsternis konnte er nur eine Silhouette erkennen.
„Hanna?“ riet er.
„Ja, ich bin hier. Und ich bin froh, dass du auch hier bist.“ Sie klang ärgerlich aber auch irgendwie traurig. Glenn verstand nicht.
„Das ganze Schloss spricht von deiner Flucht. Warum wolltest du uns im Stich lassen. Wir brauchen dich!“
„Ich ... ich ...“ Es war sinnlos. Er brachte kein Wort hervor. Alle Gründe, die er sich zurechtgelegt hatte erschienen ihm jetzt sinnlos. Ja, er hatte Angst. Doch das hatten die anderen auch. Sie flohen nicht. Sie blieben um für etwas zu kämpfen woran sie glaubten. Glenn hatte sein ganzes Leben lang Angst gehabt. Doch jetzt war er hier. Daheim könnte man sagen. Und er glaubte, nicht an einen Sieg, aber er glaubte an dieses Königreich. Und wenn es fallen sollte, dann wohl mit ihm. Genau genommen war er ja der König. Die Leute brauchten ihn.
„Ich weis es nicht.“ Sagte er schließlich und es war die Wahrheit. Er weinte leise in die Dunkelheit hinein.
„Und wieso bist du dann zurückgekommen?“ fragte sie. Auch sie kämpfte mit den Tränen.
„Willst du die Wahrheit wissen? Wegen dir. Wegen dir und all den anderen Leuten hier. Aber vor allem wegen dir.“
„Warum? Warum bist du nicht früher gekommen. Ein Jahr oder auch zwei? Doch morgen schon wird alles vorbei sein.“
„Mag sein, aber lieber sterbe ich morgen auf dem Schlachtfeld, als das ich niemals gekommen wäre.“ Sie fiel ihm in die Brust und sie umarmten sich gegenseitig. Sie weinten und sie trösteten sich gegenseitig. Und es tat so gut! Und plötzlich wich alle Furcht von ihnen. Vielleicht war dies ja gar kein Ende sondern ein Anfang. So saßen sie lange da, bis sie einschliefen, in den Armen des anderen.
Es konnten nicht viele Stunden vergangen sein, als Glenn unsanft aus seinem Schlaf geweckt wurde und in das mittlerweile vertraute Gesicht Karls blickte. Hanna war nicht mehr bei ihm, er konnte aber noch ihren sanften Duft in der Luft riechen. Sie musste erst vor kurzem gegangen sein. Die vergangene Nacht erschien ihm wie ein Traum. Doch er hatte auch große Kraft aus der bloßen Umarmung schöpfen können. Kraft, die er heute sicherlich noch brauchen würde. Es war noch stockdunkel, nur ein blasser Lichtschein drang durch die offene Tür hinein, gerade genug um zu merken wie Karl zitterte. Es war unschwer zu bemerken, dass er Angst hatte, wie wahrscheinlich alle im Schloss. Mit Ausnahme natürlich von Letiel, der die Situation anscheinend nicht begriffen hatte. Doch gestern Abend war eine Veränderung in Glenn vorgegangen. Er fühlte sich befreit. Sicher, ein wenig Angst hatte er noch, aber angesichts der Situation war das mehr als verständlich. Er war froh, dass sein Schicksal ihn hierher gebracht hatte, an diesen Ort, zu dieser Zeit. Jetzt, das erste Mal in seinem Leben, hatte etwas was er tat Sinn. Er hatte Hoffnung! Er war sich plötzlich sicher, dass dies nicht das Ende war, selbst wenn er heute starb.
„Verzeiht, dass ich euch wecke, Herr, aber der König sagt, es sei an der Zeit.“
„An der Zeit? Für was?“
„Zeit uns Hoffnung zu machen.“ Glenn verstand nicht.
„Kommt mit. Ihr werdet schon sehen.“
Karl führte ihn in einen kleinen Raum mit noch kleineren Fenstern, durch die jetzt schon die ersten Sonnenstrahlen drangen, in dem schon Kelvin und sogar Gorg auf ihn warteten. Doch noch etwas war in diesem unscheinbar wirkenden Raum: Ein Schwert lag auf dem Tisch in der Mitte des Raumes. Es kam Glenn auf sonderbare Weise bekannt vor. Doch nicht alt und rostig war es, sondern es bestand aus reinem Silber, nur der Griff bestand aus Gold und war mit Diamanten verziert. Glenn fühlte sich angezogen, und fast ohne sein Zutun bewegte er sich auf das Schwert zu und nahm es in die Hand. Nichts geschah. Er durfte es berühren. „Karthan?“ fragte er knapp und der König antwortete ebenso knapp mit einem Kopfnicken. „Aber das ist unmöglich! Es war uralt. Dieses hier jedoch sieht aus als entstamme es gerade erst dem Schmiedeofen.“
„Oft bleiben die wahren Werte unter der Oberfläche verborgen. Und das nicht nur bei Schwertern, “ erwiderte Gorg zweideutig.
„Aber wie habt ihr das fertig gebracht. Ich dachte keiner außer mir kann es berühren.“
„Ja, aber es gibt doch Zangen und gegen ein richtig gutes Bad kann doch auch nicht einmal das Schwert der Wunden etwas haben.“ Glenn vermutete, dass Gorg es war, der den Auftrag hatte das Schwert wiederzubesorgen. Kelvin, der sich bis jetzt an der Wand angelehnt hatte, richtete sich nun auf. Erst jetzt bemerkte Glenn, dass er etwas in der Hand hielt.
„Ich möchte, dass Ihr das tragt. Ihr seid zu wertvoll für uns, als dass wir es verantworten könnten, dass ein verirrter Pfeil Euch trifft.“ Es war eine bronzene Rüstung, die matt schimmerte, jedoch erstaunlich leicht war, dafür jedoch umso härter erschien. Er kannte diese Rüstung. Es war dieselbe, die Marion auf der Statue anhatte. Als Kelvin seinen verwunderten Blick bemerkte, zwinkerte er ihm zu. „Ja, sie ist es. Doch ich denke, Ihr habt sie Euch verdient. Immerhin seid Ihr sein Nachfahre. Genau wie ich. Doch ich habe bereits eine. Außerdem denke ich, dass diese Rüstung eines Königs würdig ist. Ihr seid der Erstgeborene. Falls wir diese Schlacht überleben sollten, werdet Ihr der König sein, doch ich werde Euch dienen und helfen, wenn Ihr das wollt.“ Glenn wusste nicht was er antworten solle. Er fühlte sich überrumpelt. Er wollte kein König sein, und eigentlich hatte er gedacht, dass das spätestens seit seiner Beinahe-Fluch allen klar geworden wäre, doch Kelvin und Gorg schmunzelten nur.
„Nun gut, wir erwarten Euch im Hof. Beeilt Euch. Es gibt noch viel zu tun.“ Glenn blieb alleine im Zimmer zurück. Ein wenig verärgert zog er seine Rüstung an und band das Schwert an seine Seite. So gewappnet ging er hinaus, bereit sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen.
Er sah wie die beiden mit anderen Männern um einen runden Tisch standen um die letzten Feinheiten ihrer Taktik zu besprechen. Letiel war nicht darunter. Als Glenn sich näherte hörte er wie Kelvin den Männern erklärte: „...sollten uns hier solange wie möglich verschanzen und unsere Kräfte darauf konzentrieren das Tor zu halten. Ein offener Angriff wäre sinnlos. Ich habe bereits Verstärkung aus dem Landesinneren erbeten, doch es wird bis heute Abend dauern, bis sie hier sind. Wenn es uns gelingt solange durchzuhalten, dann ... Ahh, Glenn! Gut, dass Ihr da seid. Ich will, dass Ihr in den inneren Mauern bleibt. Ich will Euch da, soweit es möglich ist, raushalten.“ Das hatte Glenn nicht erwartet. Er hätte damit gerechnet, dass er sich ganz allein den Drachen vornehmen sollte und nach einem kurzen Kampf gestorben wäre. Glenn ging wieder zurück, erleichtert, aber auch ein wenig ärgerlich, weil er nicht wirklich gebraucht wurde. Doch da sollte er sich ein weiteres Mal geirrt haben.
„Ich hoffe zwar nicht, dass es soweit kommt, “ fuhr Kelvin fort „aber solltet ihr das Schwert benutzen, seid vorsichtig. Es heißt nicht umsonst Karthan. Die Wunden, die es einem zufügt, schließen sich nicht mehr. Und gebt es auf keinen Fall aus der Hand. Es würde jeden von uns, der es aus Unwissenheit berühren würde, sofort töten und ich weiß nicht über was für Magie der Feind verfügt. Auf jeden Fall weiß er über das Schwert bescheit, so viel ist sicher. Sonst hätte er nicht versucht Euch zu töten. Wenn alles nach Plan verläuft, haben wir eine reelle Chance. Gorg, habt Ihr den Drachen gesichtet?“
„Nein, mein König. Ich habe meine Falken ausgeschickt, doch keiner ist mit einer Spur vom Drachen zurückgekehrt. Bis auf einer, der dürfte jedoch auch bald zurückkommen.“
„Gut. Wenn wir Glück haben, ist er ihnen durchgegangen und schon wieder halb in seiner eisigen Heimat.“ Er wollte den Männern Mut machen. Es misslang kläglich. Jeder wusste, was der nicht zurückgekehrte Falke zu bedeuten hatte. Doch alles sah den Umständen entsprechend gut aus, wäre Letiel nicht in diesem Moment gekommen.
„Verzeiht, meine Herren, doch ich fand es unnötig schon so früh aufzustehen. Ich habe in meiner Heimat schon größere Heere gesehen und mit weniger Männern besiegt. Ich werde ihnen entgegen reiten und das Pack vernichten noch ehe es unsere Mauer berühren kann.“ Alle wurde still. Was Letiel da vor hatte war Wahnsinn. Als Gorg Einwand erheben wollte, rastete Letiel endgültig aus: „Jetzt reicht es mir aber. Das sind meine Männer Gorg, meine Männer! Und ich kann mit ihnen machen was mir gefällt. Doch damit jeder sieht wie großmütig ich bin, “ das Wort großmütig betonte er so, dass es auch wirklich jeder hören konnte „erlaube ich dir und allen anderen, die nicht den Mut haben den Feind ins Gesicht sehen zu können, hier zu bleiben.“ Mit diesen Worten machte er sich auf den Weg zum Stall.
Einige Zeit später hatte sich eine große Anzahl berittener Reiter um Letiel gesammelt. Doch Glenn sah von seinem Punkt aus – er befand sich nämlich auf den inneren Mauern, von wo aus man den gesamten Innenhof und auch das heranrollende schwarze Heer gut sehen konnte – auch viele Soldaten, die es wie Gorg ablehnten oder Angst hatten gegen so eine Übermacht zu reiten. Schließlich war es so weit. Letiel ließ das Tor öffnen und zum Abschied sprach es so laut, das es sogar Glenn hören konnte, folgende Worte: „Beherzigt meine Worte. Wenn ich zurückkehre werde ich von jedem einzelnen Rechenschaft verlangen für seine Feigheit. Doch einstweilen, Männer, auf zu neuen Ruhm!“ Jeder Soldat, der auf einem Pferd saß jubelte Letiel zu und folgte ihm durch das Tor, der aufgehenden Sonne und dem schwarzen Heer entgegen.
Es war ein überwältigendes Bild, das Glenn da sah. Hanna hatte sich zu ihm gesellt und zusammen standen sie Hand in Hand da und beobachteten die Reiter. Die Silbernen waren zahlenmäßig unterlegen, aber das hieß gar nichts. Glenn hatte gesehen, was wenige der Ritter gegen die Bastarde in Schwarz ausrichten konnten. Und damals hatten sie keine Pferde. Ja, es sah beinahe so aus als ob ... Die Kräfte waren gleichmäßig verteilt. Vom Drachen war keine Spur zu sehen. Glenn spürte Hoffnung, er spürte wie seine Finger vor Aufregung kribbelten. Konnte es denn sein? Hatte Letiel etwa Recht und es war nur die Angst, die sie von einem möglichen Sieg trennte? Er hatte nicht. Das schwarze Herr bewegte sich ganz langsam auf die heranpreschenden Reiter zu. Es waren nur noch wenige Sekunden bis zur Kollision. Letiel zog sein Schwert und damit auch alle anderen Reiter. Und dann – ein Sekunde vor dem Aufprall – schoss ein Drache, schwarz wie die Nacht, mit Höllenfeuer in den Augen und blaue Flammen spuckend, aus dem Wald hervor. Hanna schrie vor Schreck auf. Er packte Letiel mitsamt des Pferdes mit seinen Krallen, schleuderte sie hoch, sodass er sie mit den Mund packen konnte, und schmetterte sie dann mit voller Wucht in den nahe gelegenen Waldrand, sodass sie vom Blickfeld verschwanden. Dann setzte er sich am Boden ab und verbrannte die Hälfte der Krieger mit seinem eisigen Feuer. Die restlichen schleuderte er durch die Luft, wie es ihm beliebte. Der Anblick faszinierte und erschreckte Glenn zugleich. Der Drache hatte etwas bestialisches, aber auch etwas Majestätisches. Nur ein einziger Soldat überlebte die ersten zehn Sekunden. Er konnte sich vor Schreck nicht rühren. Er hatte sein Pferd verloren und stand vor dem Drachen. Der schaute ihn noch einen Augenblick lang an bevor er auf ihn niederfuhr und ihn mitsamt seiner Rüstung verschlang. Dann war es vorbei. Letiels Heer hatte den Feind nicht einmal berührt. Jetzt konnte Glenn auch erkennen, dass ein Mann auf dem Drachen saß. Ein mächtiger Krieger mit einem Bärenkopfhelm. Und in demselben Moment, in dem er ihn sah, war es Glenn als ob der Hüne ihn direkt anblicken würde. Dann fuhr der Drache herum und kam genau auf ihn zugeflogen. Glenn bekam Panik, Hanna stürzt sich vor Schreck zu Boden. Doch soweit kam er nicht. So wehrlos wie sie aussah war die Burg noch nicht. Nicht alle waren draußen gefallen. Ein Pfeilhagel regnete von der äußeren Mauer aus auf den Drachen nieder und von weit her hörte er Kelvin brüllen: „Schießt! Schießt auf seine Flügel!“ Einen Moment schwebte der Drache noch über der Mauer in der Luft, dann drehte er ab, mit einem wütenden Brüllen und einen Feuerstrahl spuckend, der den Männer jedoch schaden konnte, da sie sich hastig hinter die dicken Mauern bückten. Sie konnten den Drachen zwar nicht nennenswert verletzen, aber hinderten ihn so doch auch am Überqueren der Mauer. Patt!
Im Laufe des Vormittags hatte der Drache noch einige Male versucht die gewaltigen Mauern des äußeren Ringes zu überfliegen – immer mit demselben Ergebnis. Auch das Heer hatte einige Male einen Vormarsch auf das Tor gewagt, einmal sogar mit einem gewaltigen Rammbock, war jedoch sofort von den tapferen Verteidigern mit siedend heißem Pech und Öl überschüttet worden. Die schwarze Armee hatte sich übrigens seit dem frühen Morgen verdoppelt. Und auch jetzt kamen noch vereinzelte Gruppen in das gewaltige Heerlager marschiert, dass sie errichtet hatten. Die meisten Männern waren des langen Stehens und Wartens müde und mussten sich so abwechselnd auf den Mauern einfinden, so dass zumindest ein paar Schlaf finden konnten. Glenn stand immer noch auf seinen Aussichtsposten auf der inneren Mauer, Hanna hatte sich allerdings zurückgezogen. Viele der Männer, die mit Letiel gestorben waren, hatte sie gut gekannt. Das war zuviel für sie gewesen. Dafür war allerdings Kelvin einmal gekommen, wenn auch nur kurz um ihn über die Lage zu informieren. Er hatte einen sehr müden Eindruck gemacht und auch der sonst so gewohnte Mutmachende Blick in seinen Augen fehlte ihm. Glenn konnte das gut verstehen. Mehr als die Hälfte aller Soldaten war in dem Massaker vor dem Tor gefallen. Es war nur noch eine Frage der Zeit bis sie die Mauer durchbrachen. Doch auch Kelvin war jetzt schon seit einer Weile weg und Glenn stand seit geraumer Zeit alleine auf der Mauer. Seine Beine taten weh und er sehnte sich nach ermutigenden Worten. Schließlich hielt er es nicht mehr aus. Er stieg von seinem zugewiesen Posten herab und begab sich in den äußeren Ring. Gorg, Kelvin und andere standen um den Tisch bei den sie sich schon am Morgen getroffen hatten. Glenn gesellte sich zu ihnen, sehr zur Überraschung der anderen. Arkon fuhr ihn sogar an: „Ihr habt hier nichts zu suchen. Begebt euch sofort auf Euren Posten zurück. Das ist eine Kriegsrat, und kein Kinderspielplatz.“ Doch Gorg ging schlichtend dazwischen: „Na dann, Arkon, hättet ihr beide kein Recht hier zu sein.“ Arkon funkelte ihn an, sagte aber nichts mehr. Die unterbrochen Versammlung wurde von Kelvin fortgeführt. „Wir können also nicht hinaus und sie nicht herein. Doch es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein bis unsere Verteidigung fällt. Die Übermacht ist einfach zu groß.“
„Sie sind zu ruhig. Das gefällt mir nicht. Ich will ein Schaf sein, wenn die nicht etwas im Schilde führen, “ sagte Gorg.
„Ach was, “ wurde er von Arkon unterbrochen „Sie haben einfach gemerkt, dass sie nicht durch diese Verteidigung gelangen können. Ist ja auch nicht weiter verwunderlich. Schließlich habe ich zehn Jahre meines Lebens damit zugebracht dieser Stadt einen Schutz zu geben, die ihrer würdig ist und ...“ Doch weiter kam er nicht. In diesem Moment tauchten nämlich vor dem Tor fünf Gestalten auf. Sie waren in schwarze Mäntel gehüllt und eine finstere Aura umgab sie. Obwohl keiner der Ratsherren sie sehen konnte blickten alle zugleich zum Tor. Auch Glenn. Die Torwache stand noch einen Moment auf den Beinen, dann brach sie zusammen. Tot. Die übrigen Soldaten blieben reglos und brachten kein Wort heraus. Dann fiel noch einer, und noch einer. „Was zum Teufel ...“ begann Gorg und wollte bereits wieder fluchen. Mit wenigen Schritten erklomm er die nahe gelegene Mauer und warf einen Blick auf die Gestalten vorm Tor. Dann wich ihm alle Farbe aus seinem Gesicht und er rief so laut wie Glenn noch nie einen Menschen rufen gehört hatte: „Schwarzmagier!“ Damit war der Bann gebrochen. Die Soldaten erwachten aus ihrer Starre und rannten so schnell sie konnten. Die Vermummten jedoch bewegten sich nicht, ja sie schienen nicht einmal zu atmen. Sie starrten nur auf das Tor. Allein ihre Lippen bewegten sich im Einklang, doch kein Wort war zu hören. Und plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, explodierte das Tor. Gorg, der noch relativ weit weg stand, wurde von den Füßen geworfen und fiel die Stufen der gut zehn Meter hohen Mauer hinunter. Doch er hatte Glück und holte sich nur ein paar Prellungen. Nicht so wie die Soldaten, die direkt hinter der Mauer standen. Sie wurden von der Explosion erfasst und starben auf der Stelle. Arkon zitterte am ganzen Leib. „Was? Das kann nicht sein. Meine Mauer... Mein Tor...“. Doch Kelvin behielt den Überblick. Er brüllte: „Schnell. In die inneren Mauern. Schnell!“ In Gorg, der schon wieder auf den Beinen war, erwachte der Krieger. Nachdem er sichergegangen war, dass auch wirklich jeder, der nicht der Armee angehörte, in den inneren Ring gegangen war, so auch Kelvin, humpelte er zu seinen Männern um sie zu sammeln. Dann stürmten auch schon die ersten Barbaren durch das Tor. Glenn rannte in den sicheren inneren Hof, dicht gefolgt von Arkon. Er jedoch schaffte es nicht. Wenige Meter vor dem Tor wurde er von einem schwarz gefiederten Pfeil durchbohrt. Glenn schaute erschrocken zu, doch schon wurde rasselnd das Fallgitter vor ihm heruntergelassen. Er fand jedoch keine Zeit um Arkon zu trauern. Durch die Eisenstäbe konnte er ein Bild sehen, das ihm vor so viel Mut den Atem raubte. Gorg und der Rest der Soldaten warf sich todesmutig der vielfachen Übermacht entgegen. Er wollte mehr sehen, hastig stieg er die Stufen zu seinem Posten wieder hoch. Der äußere Hof war brechend voll, die meisten jedoch waren in Schwarz gekleidet. Aber wie wollte Gorg mit seinen Männern da je wieder rauskommen? Und dann begriff er es plötzlich: Sie hatten es gar nicht vor. Deswegen also waren nur die Soldaten geblieben. Es war ihr Beruf das Schloss mit ihrem Leben zu verteidigen, auch wenn es keine Hoffnung mehr gab. Heiße Tränen schossen Glenn über die Wangen. Konnte er denn nur Tod und Verderben bringen, wo immer er auch hinkam. In den letzten Stunden war ihm Gorg richtig ans Herz gewachsen mit seiner etwas rauen, aber doch auf seine Weise herzlichen Art. Und jetzt musste er sterben, für die Dummheit und Selbstverherrlichung eines anderen. Sie schlugen sich einstweilen ganz gut, aber schon nach kurzer Zeit wurde das Silber im Getümmel weniger und die Finsternis nahm zu.
Nur noch wenige waren am Leben, unter ihnen Gorg. Doch er konnte nicht mehr lange aushalten, sah er sich doch bereits von einem Dutzend Schwarzer umringt. Glenn wandte den Blick vom Getümmel ab. Er wollte nicht sehen wie Gorg starb, für alle hier, auch für ihn. Er ging die Stufen hinab und ging in Richtung Burg. Karl rannte ihm entgegen. Hatte er heute Morgen schon gezittert, war er jetzt ganz außer sich. Sein ganzer Körper bebte und er stotterte: „Sie... sie werden uns ... werden uns alle töten. Ich ... ich will nicht sterben. Bitte beschütz mich. Ich ... ich kann nicht kämpfen ... nicht töten. Ich habe noch ...noch nie ein Schwert ... ich meine ... ich kann es nicht.“ Glenn antwortete: „Du bist nicht allein. Wenn das Tor fällt, werden wir zusammen bleiben. Wir werden nicht sterben.“ Doch im Geheimen dachte er, dass sie eigentlich beide schon tot waren. Sie wussten es nur nicht. Es war nur noch eine Frage der Zeit. Draußen, vor dem inneren Tor, waren längst alle gefallen, zuletzt auch Gorg. Der schwarze Drache stieg bereits wieder über dem Himmel auf und die Schwarzmagier näherten sich, bereit ihre Magie ein weiteres Mal zu benutzen. Nein, es gab keine Hoffnung. Trotzdem wurde im Innenhof jeder, der ein Schwert halten konnte, bewaffnet. Karl hatte bereits ein rostiges Schwert in der Hand und Glenn fragte sich, was er wohl gedenke damit auszurichten. Die Männer formierten sich vor dem Tor, diesmal jedoch mit einigem Abstand, da sie wussten, was die Magier ausrichten konnten. Dann kam der Drache, im Sturzflug auf das Tor, das, als um ich den Weg freizumachen vor ihm zerbarst. Das war der Moment in dem beide Gewalten in ihrer vollen Wucht aufeinander prallten. Die Männer hatten nicht vor ihre Heimat herzuschenken. Sie kämpften mit der Kraft der Verzweiflung. Der Drache stürmte durch das Tor und versuchte einige der Bauern, die sich da versammelt hatten um seinen Sieg streitig zu machen, zu packen. Die bückten sich aber hastig und der Drach musste mit lehren Klauen eine Wende machen um es noch einmal zu versuchen. Glenn zog sein Schwert. Rechts neben ihm hatte sich Kelvin platziert, links neben ihm Karl. Mit gezogenen Schwertern rannten sie der Dunkelheit entgegen.
Dem ersten stieß Glenn das Schwert bis zum Heft in den Leib. Und wie beim ersten Mal spürte er die Macht, die in seiner Hand lag. Nichts, kein Stoff, kein Fleisch konnte der zweischneidigen Klinge widerstehen. Glenn kam es vor als würde nicht er das Schwert führen, sondern das Schwert ihn. Mit einer nie gekannten Schnelligkeit zog er das Schwert aus dem Leib des anderen und drehte sich im Schwung um, als hätte er gewusst, dass einer der Dämonen in Menschengestalt hinter ihm stand und auf ihn einschlagen wollte, und hieb ihm den Kopf ab. Dann parierte er ein, zwei Schläge der Angreifer mit seiner Waffe, bevor er mit einem nach oben geführten Schwung dem einen den Bauch auftrennte, dem anderen die Kehle. Dann entdeckte er Karl zitternd unter sich am Boden. Die Gegner mussten ihn als tot angesehen haben, das war der einzige Grund, warum er noch am Leben sein konnte. Er reichte ihm die Hand und richtete ihn auf. Dann duckte er sich schnell um einen Hieb zu entgehen, der ihm den Kopf von den Schultern hauen sollte und drehte gleichzeitig sein Schwert nach oben, sodass der andere genau hineinlief. „Alles OK?“ fragte er Karl gebunden. Der nickte, Glenn konnte jedoch an seiner Kleidung sehen, dass er sich übergeben hatte. Um Glenn herum kämpfte alles. Links von ihm machten sich gerade Sechs der Schwarzen an einem der Bauern, nur mit einer schäbigen Axt bewaffnet, zu schaffen. Schnell sprang Glenn ihm zur Seite und währte einen Hieb ab, der den Bauern sofort enthauptet hätte. Dann schlug er demjenigen die Faust ins Gesicht, dann fuhr Karthan durch seinen Bauch. vier der anderen gingen sofort auf Glenn los, der jedoch einem nach den anderen niederstreckte. Als er den Blick wieder hob, sah er noch wie der Bauer mit seiner Axt auf den sechsten einhieb. Sie nickten sich kurz zu, dann wurden sie auch schon wieder im Schlachtgetümmel getrennt.
Doch auch Kelvin hatte seine Gegner gefunden. Nachdem er sich den Weg zu den Schwarzmagiern freigekämpft hatte, hieb er mit einem Hass auf sie ein, dem keine Magie widerstehen konnte. Vier der Fünf lagen bereits tot am Boden, doch der letzte schien sich besser auf das Kämpfen zu verstehen als seine Gefährten und machte Kelvin ganz schön zu schaffen. In diesem Augenblick kam der Drache zurück. Glenn konnte das Rauschen schon von weitem hören. Doch in genau demselben Moment, als er über Glenn war und seinen Rachen bereits zum tödlichen Feuerhauch geöffnet hatte, geschah das Unglaubliche. In den Augenwinkeln konnte Glenn erkennen wie der letzte der Schwarzmagier durchbohrt wurde. Und im gleichen Moment, als der sein düsteres Leben aushauchte, schien der Drache sein Interesse an Glenn zu verlieren. Stattdessen versuchte er den lästigen Reiter von seinem Rücken zu schütteln. Jetzt verstand Glenn wie es den Fremden gelingen konnte den Drachen zu zähmen. Der Riese viel von seinem Rücken und stürzte auf das Schlachtfeld. Glenn konnte nicht erkennen wo er hingefallen war, aber er war sich ohnehin sicher, dass dieser tot war. So einen Sturz konnte kein Mensch überleben. Anderseits ... Aber Glenn verwarf diesen Gedanken. Auch die Barbarenkrieger waren Menschen, wenn auch ohne jede Emotionen.
Der Drache flog noch ein paar Runden über dem Schlachtfeld und machte sich einen Spaß daraus wahllos diesen oder jenen durch die Luft zu schleudern oder zu verbrennen. Dann flog er wieder Richtung Wald davon. Der kurze Moment jedoch, in dem Glenn den Drachen beobachtet hatte, hätte im fast das Leben gekostet. Seine Rüstung konnte jedoch den größten Teil der Wucht abfangen, die der beidseitig geführte Hieb nach ihm verursachte. Es war eine gute Rüstung. Glenn versuchte den nächsten Hieb zu parieren, was ihm aber missglückte. Der Angreifende traf sein Schwert knapp über der Hand, sodass es wegflog und er waffenlos dastand. Durch die große Wucht war dessen Schwert jedoch zu Bruch gegangen und beide standen entwaffnet gegenüber. Die ganze Situation hätte beinahe lustig wirken können, würden beide nicht wissen, dass nur einer von ihnen überleben konnte. Und dann machte der Fremde einen schreckliche Fehler: Er hob Karthan auf. Was Glenn jetzt mit ansehen musste, empfand er schlimmer als alles was er bisher gesehen hatte. Der in schwarz gekleidete nahm das Schwert und wollte auf ihn einschlagen. Doch soweit kam er nicht. Als würde eine fremde Macht ihm etwas anderes befehlen, konnte er das Schwert nicht zum vernichtenden Schlag führen. Plötzlich kam es Glenn vor, als ob ein mattes, kaltes Licht von dessen Körper ausgehen würde. Im nächsten Augenblick zerriss dessen Rüstung auf Bauchhöhe und ein Schwall frischen Blutes quoll hervor. Der Fremde öffnete den Mund um zu schreien, doch bevor er auch nur einen Ton herausbringen konnte fiel er zu Boden und war tot. Glenn schauderte es. Deswegen also hieß es Schwert der Wunden. Was wäre mit ihm damals passiert, wenn er nicht der rechtmäßige Erbe gewesen wäre. Glenn nahm das Schwert wieder an sich, jedoch mit großem Unbehagen. Nein, dieses Schwert würde er nie mehr benutzen, nie mehr missbrauchen. Dieses Schwert sollte das Land beschützen und nicht sein Leben. Nicht auf diese Weise. Es war nicht fair. Glenn fragte sich, ob das Schwert auch von Schwarzmagiern verzaubert worden war, oder von einer anderen, finsteren Kunst. Er nahm einem der zahllosen Toten auf dem Boden ein Schwert ab. Doch mit Karthan wolle er niemanden mehr töten. Diesen Blick in den nachtschwarzen Augen des Fremden konnte er nie wieder vergessen, als ob er etwas gesehen hatte, dass schlimmer war als noch der Tod. Kein Mensch oder auch Unmensch hatte so etwas verdient.
Glenn merkte erst jetzt wie viele schon gefallen waren. Die meisten waren Bauern und Kinder, die niemals in ihrem ganzen Leben eine Waffe in der Hand gehalten hatten, ja sogar einige Frauen konnte er unter der den Boden bedeckenden Schicht erkennen. Bis zum Schluss wollten sie es verhindern, doch es war ihnen nicht gelungen. Unschuldige mussten in dieser Schlacht ihr Leben lassen. Doch auch der Verlust der Angreifer war groß, wenn man bedachte, dass die Burg fast nur noch mit alten Schwertern, Äxten und sogar Mistgabeln verteidigt wurde. Doch die Flut der Angreifer schien grenzenlos zu sein. Immer neue kamen durch das Tor gestürmt. Immerhin war es schon gelungen den äußeren Ring weitgehend zurückzuerobern. Doch immer noch tobte der Kampf in vollem Maße. Glenns Arme taten weh, seine Füße spürte er schon gar nicht mehr. Er musste zu Kelvin vordringen, der es einfach nicht lassen konnte an der vordersten Reihe zu kämpfen. Doch ohne Karthan ging es sehr viel schwerer, dennoch, allein die Tatsache, dass das Schwert an seiner Seite hing, gab ihm die Kraft und den Mut sich vorwärts zu kämpfen. Und nicht wenige die sich ihm in den Weg stellen mussten es mit dem Leben bezahlen. Doch auch er selbst bekam die ein oder andere Schnittwunde ab, zum Glück keine wirklich schlimme, aber als er bei Kelvin ankam blutete er aus ein Dutzend Stellen. Als Kelvin ihn so sah und danach, dass er das Schwert nicht mehr benutzte schaute er einen Augenblick lang verblüfft, dann nickte er nur stumm, doch Glenn kannte ihn nun gut genug um zu wissen, dass er in Wirklichkeit gehofft hatte, dass Glenn das Schwert nicht ausnutzen würde. Glenn bemerkte, dass auch Karl hier war, doch er war der einzige, dessen Schwert noch nicht rot vom Blut war. Glenn wollte sich gerade ärgern, da er der Meinung war, dass auch Karls seinen Teil dazu beizutragen hatte, wenn er wollte, dass die Burg und er selbst diesen Tag überlebten. Doch dann sah etwas womit er überhaupt nicht gerechnet hatte. Hinter Kelvin befand sich auf einmal ein Mann, der ihn um gute zwei Köpfe überragte, das Gesicht konnte er jedoch nicht erkennen.
Es war durch einen seltsamen Helm verdeckt. Einen Bärenhelm. Sonderbarerweise schien der Riese seinen Sturz ohne einen Kratzer überstanden zu haben. Ob es jedoch Zufall war oder nicht, dass alles zählte jetzt nicht mehr, denn der Barbar hatte einen Dolch in der Hand, der für viele andere schon ein Schwert hätte sein können, und rotes Feuer glomm in seinen Augen. Jeder Ruf, jeder Aufschrei, jede Warnung kam zu spät. Kelvin versuchte sich noch zu Boden zu werfen, doch es war sinnlos. Der Dolch durchbohrte seinen Körper wie ein Stück Stoff, eine Handbreite neben seinen Herzen. Glenn hörte sich selbst aufschreien, riss sich den Helm vom Kopf und rannte zu Kelvin. Der sank auf seine Knie nieder und blickte ihn aus glasigen Augen an. Das Sprechen fiel ihm schwer, nur ein Wispern, doch seine letzten Worte waren: „Mein Bruder! All die Jahre waren wir getrennt, und nun ... nun werden wir schon wieder getrennt. Ich wünschte wir hätten mehr Zeit gehabt. Nimm...“, er hustete. „...Nimm meinen Ring. Du bist der ... bist der ...“ Glenn wollte irgendwas erwidern, irgendwas sagen, doch er merkte schon wie der Körper in seiner Hand kalt wurde. Der König war tot! Sein Bruder war tot. Jetzt war alles verloren. Vor Glenn baute sich ein über zwei Meter großer Schatten auf. In der einen Hand einen Dolch, in der anderen ein mächtiges Schwert. Glenn schloss die Augen und erwartetes das Ende. Doch es kam nicht. Einen Moment bevor das Schwert den Kopf von seinen Schultern trennen konnte, sprang irgendwer vor und stieß ihn beiseite, so dass Glenn nur den Luftzug am Halse spüren konnte. Es musste entweder ein sehr guter oder ein besonders dummer Kämpfer sein, der sich da auf einen Kampf mit dem Hünen einließ. Doch wahrscheinlich würde auch er es nicht überleben. Als Glenn jedoch die Augen wieder öffnete sah er den Giganten am Boden liegen. In ihm steckte ein Schwert, es sah rostig aus und ziemlich abgenutzt, doch es tat sein Wirkung. Das rote Leuchten in den Augen erlosch. Wer oder was immer dieser Mensch im Leben gewesen sein mochte, im Tode unterschied er sich nicht im Geringsten von den anderen. Doch erst jetzt sah Glenn seinen Retter.
Es war niemand anderes als Karl. Und Glenn musste an die Worte Gorgs denken: „Oft bleiben die wahren Werte unter der Oberfläche verborgen...“. Alle übrigen jedoch waren von Karls Mut auf zutiefst beeindruckt. Sie konnten mit ansehen, wie er vorsprang und den tödlichen Hieb mit seinem Schwert abfing. Der Riese, ganz überrascht durch so viel Gegenwehr, versuchte Karl damit aufzuspießen. Er führt einen Hieb nach Karls Bauch, der jedoch wich aus, drehte sich um die Achse bis er hinter ihm war und fügte ihn einen tiefen Schnitt im Rücken zu. Der Riese schien große Schmerzen zu haben, sagte jedoch keinen Ton. Er kippte nach hinten um und Karl rammte ihm das Schwert in den Bauch. Dann öffnete Glenn die Augen. Der vollkommen veränderte Karl sagte noch: „Das ist für den König!“ Dann brach er zusammen. Sofort jedoch kümmerten sich ein gutes Dutzend Soldaten um den Helden. Diese tat änderte alles. Durch den Tod ihres Anführers fielen die Eindringlinge immer weiter zurück. Glenn kniete noch einmal vor den Leichnam Kelvin nieder, küsste seine Stirn und nahm den Ring. „Ich werde ein guter König sein. Ich verspreche es.“ Kaum hatte er den Ring angezogen umgab ihn etwas wie eine Aura. Er spürte wie sein Mut stieg, und der SEINER Männer. Auch die schienen die Veränderung zu spüren, denn immer, wenn Glenn einen von ihnen anblickte, senkten sie demütig das Haupt. Und plötzlich, von fern her, drang ein Horn und ein Donnern war zu spüren. Glenn eilte zum Tor hin und sah wie eine ganze Kavallerie in silbernen Rüstungen den Hang hinunter geritten kam und durch das Heerlager der Belagerer ritt als wären sie gar nicht vorhanden. Und auf einmal fiel Glenn wieder auf, dass die Sonne schien. Auch wenn der Himmel mittlerweile Wolkenverhangen war, die Sonne schien trotzdem und ihr warmes Licht berührte sein Haut. Sie hatten tatsächlich gesiegt! Doch jetzt, wo es hätte Vorbeisein können, Vorbeisein sollen, kam der Drache zurück. Doch Glenn hatte keine Angst. Er wusste, was zu tun war. Wie vor einigen Stunden flog der Drache im Sturzflug auf die Reiterei. Doch dabei musste er über die Burg fliegen. Glenn stand bereits auf der Mauer und erwartete ihn. Er wusste, der einzige Weg den Drachen zu töten war den Drachen das Schwert in sein Herz zu rammen. Doch würde auch er beim Stoß sterben. Aber er hatte nicht vor das Schwert zu führen. Ein letztes Mal zog er Karthan aus der Scheide. Der Drache rauschte über ihn hinweg und Glenn warf das Schwert. Der Drache schien zu spüren was Glenn im Sinn hatte, denn mit einem eisigen Schrei versuchte er die eigene Bewegung zu wenden um dem Schwert auszuweichen. Doch Glenn wusste, dass er treffen würde, treffen musste. Denn er hatte nicht geworfen um sein oder das Leben irgendeines anderen zu bewahren, nein, er hatte geworfen um es endlich zu Ende zu bringen. Nicht für sich, sondern für Kelvin, für Gorg, für Chris, für Erik, für Dirk, für Gordon und für alle anderen die für eine Sache gestorben waren, die sie selbst nicht miterleben konnten. Das mindeste was er tun konnte war ihren Traum zu verwirklichen: Frieden.
Der Drachen breitete noch einmal seine gewaltigen schwarzen Schwingen aus um nach oben auszuweichen, doch so schnell und kraftvoll er auch war, es reichte nicht. Das Schwert bohrte sich mitten sein Herz und er stürzte in inmitten der Burg. Doch der Hassstrom, der aus dem Drachen kam, traf ihn nicht. Er kam in Form von Feuer, roten Feuers. Ein letztes Mal öffnete der Drache sein Maul um alles in seiner Umgebung zu vernichten, doch das einzige, was er vernichten konnte, waren einige Handwerks- und Bauernhütten, in denen sich glücklicherweise keiner befand. Es wurde totenstill im ganzen Burghof, alles blickten zum sterbenden Drachen, der im Hof lag und ein Schwert im Herzen stecken hatte. Nach zwei, drei endlos langen Sekunden begann es zu tröpfeln. Erst sachte, dann immer lauter und heftiger. Der Hassstrahl des Drachen wurde gelöscht und der Drache hörte auf zu Atmen. Seine Augen wurden fahl und der hass darin erlosch. So starb der letzte Drache dieser Welt, und mit ihm vielleicht sogar die letzte Magie dieser Welt, die letzten Wunder. Es war ein trauriges Bild ein so starkes wie erschreckendes Geschöpf sterben zu sehen. Doch das war der Preis. Glenn stand auf der Mauer, schloss die Augen und genoss das Gefühl den Regen auf seinen Wangen zu spüren, aber dennoch zu wissen, dass die Sonne trotzdem schien. Sie hatten es geschafft! Als er die Augen wieder öffnete, sah er wie alle vor ihm niederknieten. Sie huldigten ihrem König. Er war jetzt der König. Es war vorbei. Und doch war dies alles nur der Anfang.
Unter Glenns Führung erlebte das Reich eine Zeit der Blüte, wie sie es nie davor und auch danach nicht mehr gegeben hat. Nie wieder wurden die Fremden gesehen und bis heute weis niemand wer sie wirklich waren und wo sie herkamen. Ein Jahr nach diesen Ereignissen nahm er Hanna zur Frau. Sie wurden glücklich und bekamen einige Söhne und Töchter. Seit der großen Schlacht wurde Karthan nicht wieder gesehen, doch keiner vermisste es. Glenn ersetzte Marrons detailvolle Statue durch einen schlichten Felsblock, auf dem jeder Name der Gefallenen verzeichnet war, damit sie nie in Vergessenheit geraten sollten. Karl wurde erster Minister und enger Freund und Berater Glenns. Die Gedenkfeier dauerte fünfundfünfzig Tage, danach erst bauten sie die Burg wieder auf. Viele Länder kamen und halfen mit, so dass die Burg größer und schöner wurde als davor. Alle Gefallenen wurden begraben, auch die Fremden. Für jede Leiche wurde ein Stein auf das Grab gelegt. Der Steinhaufen wurde über zehn Meter hoch und von der Burg aus gut sichtbar. Nur der Drache wurde aus der Burg geschafft. Da wo einst seine Knochen lagen wuchs nie wieder etwas, wo sein Blut jedoch den Boden bedeckte rankte sich tiefgrüne Efeu entlang bis hin zu den Gemächern des Königs. Jeder, der die Schlacht miterlebt hatte, dachte nachher anders über vieles. Doch das einzige Ereignis, das jedem im Gedächtnis blieb wurde zum Sprichwort. Wenn die Menschen über jene Zeit des Umdenkens reden, dann sagen sie meist nur: „damals, als der letzte Drache starb.“