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Das Sommerloch
Ich möchte nach Los Angeles fliegen. Es dauert, glaube ich, von Hamburg aus, zwölf Stunden, weil die Stadt der verlorenen Engel an der Westküste Nordamerikas liegt.
Am Pazifischen Ozean. Ich sehe meinen alten Schulatlas vor mir, als mein Finger wanderte, über den ... Atlantik. Noch ein Meer, das ich nicht kenne. Vielleicht kann ich sogar vom Flugzeug aus Wale sehen. Die waren ganz klein eingezeichnet, obwohl sie doch so groß sind. Vom Flugzeug aus ist alles klein. Spielzeug auf Flickenteppich, hat Helmut gesagt. Der muss es wissen. Schließlich hat er im Krieg eine Ju geflogen. Er hat auch Wale gesehen, in Norwegen.
Disneyland. Mit dem Bus nach Paris. Gibt es dort auch Wale? Ach nein. Das ist eine riesige Maus. Meine Brille. Grauer Star, hat der Arzt gesagt. Die Stellenanzeigen. Deswegen habe ich die Zeitung schließlich aus dem Container gefischt. Was suchen die? Produktionshelfer, wenn du fit im Job bist. Herausforderung. Ja. Das ist es Vollzeit ... Na Mahlzeit ... bis fünfunddreißig. Ab sechsunddreißig haben die nichts? Oder ab achtundvierzig? Doch hier: Faszination Transatlantik. Mit der Queen Mary 2. Muss ich mir merken. Es gibt einen Informationsabend mit Filmvorführung und Bildern. Eintritt ist frei.
Und hier: Was für Helmut. Der liebt doch Militärisches. Sicherheitsseminar für Senioren auf hoher See! Ein Wor ...ein Wörkschop?, informiert über Trickbetrug und gibt umfassende Tipps über häusliche Sicherheit. Und warum machen die das auf einem Schiff? Die Kleinanzeigen sind weiter hinten. Igitt, meine Finger werden ganz schwarz. Reinigungskräfte werden gesucht. Einfach anrufen. 09005 ...komische Nummer. Wo soll das denn sein?
Suche Hilfe bei Gewichtsproblemen. Helmut sagt, ich bin pfundig. Vielleicht ist das der richtige Job?
Ach, in dieser Zeitung steht auch gar nichts drin. Nach der Fußballweltmeisterschaft gibt es wohl nichts zu schreiben. Das war schön. Die vielen Fahnen. Die Hupkonzerte. Mein Nachbar hat mich zum Bier eingeladen. Sonst redet er nicht viel.
Auf dem Hausflur mal ein Kopfnicken. Seine Freundin, oder Frau, Lebensabschnittsgefährtin heißt es, glaube ich, habe sie lange nicht gesehen, hat mir die Einkaufstasche hoch getragen. Das war am ersten. Am Monatsende schaffe ich das auch allein.
Alleinstehende alte Dame sucht Haushaltshilfe in Vertrauensstellung. Deutschkenntnisse erforderlich. Natürlich kenne ich meine Muttersprache. Was ist daran besonders, dass man es drucken muss. Wichtigmacher. Die Arme. Hat sie keine Kinder, die für sie sorgen? Fremde Leute muss sie sich ins Haus holen. Wenigstens habe ich Kinder. Helmut sagt, dass sie wohl geraten sind. Finde ich auch. Leider arbeitet der Hajo soviel. Eine Postkarte hat er mir geschickt. Mit einer schönen Backsteinkirche drauf. JVA Fuhlsbüttel steht drunter. Meine Tochter Renate hat mit ihren Jungs viel zu tun. Pubertät. Trotzdem. Sie könnte mich mal anrufen. Nachdem ich für ihren Kredit gebürgt habe, ist meine Rente weniger geworden. Ich habe nicht ganz verstanden, warum. Die Rentenanstalt hat geschrieben: Aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Harburg haben wir den pfändbaren Teil aus ihrer Rente abgetrennt. Ich habe dort angerufen, nachgefragt. Die haben gesagt ich soll zum Amtsgericht gehen. Was soll ich bei einem Richter? Richter sind in Amerika hochangesehene Leute. Das weiß ich aus dem Fernsehen.
Los Angeles. Wenn mein Karli noch wäre. Einen Straßenkreuzer hätten wir gemietet. Wären nach San Franzisko gefahren. Karl, jetzt werde ich sentimental. Deine Letzte Reise hast du dir bestimmt anders vorgestellt. Der Stein, gefällt er dir? Ich habe ihn auf Raten bekommen. Zwar kein Marmor, aber Granit ist doch auch viel natürlicher. Hier: Endlich habe ich was gefunden: Suche Tagesomi.
Da werde ich gleich mal anrufen. Führerschein? Nee, ich fahre noch immer mit dem Fahrrad.
Was die sich denken. Mehr Anzeigen sind nicht. Sommerloch. Ich gehe mal hoch zu Helmut. Sein Stumpf tut ihm weh, hat er letzte Woche gesagt. Moment. Die Nachrufe noch. Helmut Groot. Helmuut?