Was ist neu

Das Spiegelbild

Mitglied
Beitritt
07.01.2005
Beiträge
53

Das Spiegelbild

Ich lege mein Gesicht an den glatten Spiegel.
Das kühle Glas beruhigt die hitzigen Gedanken. Die Hände gleiten über ihr seitenverkehrtes Gegenstück. Ich halte mich, ohne mich zu berühren.

Nach einer Weile, in der ich, ganz versunken in die vorgestellte Umarmung, am Boden verharrte, öffne ich die Augen. Mein Blick antwortet mir.
Fast wie ein reales Gegenüber wirft er mir einen Augenblick zurück, der wiederum von meinen Augen aufgefangen, reflektiert, auf das Spiegelglas zurückgeschickt und dort erneut empfangen und zurückgeworfen wird.
Das Spiel dauert nur ein paar Sekunden. Ich lächele über diese neckische Tändelei und auch er zeigt sich amüsiert. In völliger Übereinstimmung erheben wir uns, ich nähere mich dem Zauberfenster, dass mir auf so bezaubernd einfache Art Einblick in ein anderes Universum gewährt; vom selben Licht beschienen tritt auch mein Ebenbild an mich heran.
Ich verwandle mich in einen Zyklopen, der verschwommen aus dem Rahmen starrt und drollig mit dem Auge rollt.
So einfach wie die Metamorphose geht auch die Rückverwandlung vonstatten: sie kostet mich nicht mehr als einen Schritt zurück.
Doch sofort suche ich wieder die Nähe meines Abbildes.
Der gedachte Kuss drückt kühl auf meinen Lippen, lässt die Grenze für einen Augenblick verschwimmen. Ich fühle uns, Glas ist kein Hindernis, was ist die Grenze schon: Erdachte Seitenbegriffe, erfundene Prismengesetze.
In dem Augenblick, in dem ich meine Stirn von der glatten Oberfläche löse, ist der Moment verflogen. Ernst schaut er mich an, ein wenig Wehmut schleicht sich in meine Züge und findet auch in seinem Ausdruck ihren Platz.
Ein letztes Mal für heute springen unsere Blicke durch das Glas.
Dann wendet er sich ab. Ich hebe noch die Hand zu einem stummen Abschiedgruß, aber er blickt nicht mehr zurück. Ich sinke in die Dunkelheit, die sich drückend auf meine Ohren legt. Mich schaudernd macht in ihrer einsamen Schwärze.
Ungesehen werde ich warten, sehnsüchtig.
Bis er das Zauberfenster wieder öffnet und für neue Spiele das Licht in meine Welt lässt.

 

Was geht in einem Spiegel vor wenn niemand hinein blickt?
Ein sehr schönes, ich möchte sagen "ergreifendes" Bild welches du hier zeichnest.
Durch die Kürze des Ganzen kann man jeden Satz in Ruhe auf sich wirken lassen ohne in Eile zu geraten.
Wobei ich das Spiel der Blicke ein wenig unglücklich umgesetzt finde:

Fast wie ein reales Gegenüber wirft er mir einen Augenblick zurück, der wiederum von meinen Augen aufgefangen, reflektiert, auf das Spiegelglas zurückgeschickt und dort erneut empfangen und zurückgeworfen wird.
Es reißt einen irgendwie aus der Betrachtung der Szene, in die man so schön versunken war.
Einblick in ein anderes Universum gewährt; vom selben Licht beschienen tritt auch mein Ebenbild an mich heran.
Ist es wirklich das selbe Licht oder ist es nur ein gleiches Licht, will sagen handelt es sich in diesem fremden Universum nicht vielleicht um ein anderes Licht? Es scheint immerhin aus einer anderen Richtung...
Die Pointe fand ich sehr gelungen!
Ich habs gerne gelesen
Gruß
Nice

 

Hallo,

sehr fein sentimentaler Text. Hat mir gut gefallen und hab ihn gern gelesen.
Der vorangegangenen Kritik die beiden obigen Zitate betreffend kann ich mich anschließen. Nach dem ich über das Wort Universum gelesen hatte, hab ich erst mal nachgedacht, was wie wo ich übersehen habe. Wirft ein wenig aus dem Lesefluss.
NOch ein wenig nörgeln: Der Begriff Seitenbegriff ist mir, nicht dass man ihn nicht verstehen würde, zu schwammig. Prismengesetzte haben soweit ich weiß auch recht wenig mit einem Spiegel zu tun (so weit ich weiß). Ich würde es vielleicht ein wenig einfacher ausdrücken, nur mit Refexion oder so...

Gruß
Einmensch

 

Hallo Dornenkind,

deine kleine Geschichte hat mir sehr gefallen, wobei sie mir eher stilistisch als inhaltlich zugesagt hat.
Die Idee als solche finde ich nicht soooo toll, aber da du es so toll umgesetzt hast, bin ich trotzdem fasziniert von deiner Geschichte.
Könnte für meinen Geschmack gerne etwas länger sein und mehr Handlung besitzen.

Kleinigkeiten:

Ich halte mich, ohne mich zu berühren.

Die Aussage bzw. den Satz finde ich sehr stark. Nur das doppelte "mich" stört ein wenig.

Mich schaudernd macht in ihrer einsamen Schwärze.

Ich bin mir nicht ganz sicher, aber muss es nicht "schauern" heißen?

LG
Bella

 

Hallo ihr drei :)
Danke, dass ihr meine Geschichte gelesen habt und für euer Lob!
Nun zu eurer Kritik:
@Nice Der Satz mit den Blicken ist wohl etwas lang geraten, andererseits passiert das ganze ja in nur eine winzigen Sekunde, insofern erschien es mir nur logisch, es in einen Satz zu schreiben (auch so ein langer Satz..ahh..es ist wie ein innerer Zwang :D )
Ich denke, dass es sich schon um dasselbe Licht handelt, schließlich verschwindet es, als sich der Betrachter abwendet - außerdem klingt "selben" schöner als "gleichen", wie ich finde ;)

@Ein Mensch Da "Reflektion" eins der erster Worte ist, was einem so in Bezug auf Spiegel einfiel, habe ich versucht, den Begriff nicht allzu oft zu verwenden. Bei Prismen geht es doch um Lichtbrechung oder täusche ich mich da? :confused:

@Bella Nur wie soll der Satz ohne zweites "mich" aussehen..was mich viel mehr stört ist die Doppelung bei "Zauberfenster" und "bezaubernd", aber da weiß ich noch keine bessere Formulierung.
Es müsste wohl tatsächlich "schaudern" heißen, aber mit d gefällt es mir besser :D

Liebe Grüße
Dornenkind

 

Hallo nochmal,
Noch eine Sache (bin beim erneuten Lesen nochmal gestolpert;) ist mir durch die Sprachgewalt beim ersten Mal gar nicht aufgefallen)
ist es Absicht, dass die reale Person erst als "Schein-Gegenstand" und später als reale Person anerkannt wird? Das wirkt nämlich ein wenig unglücklich:

Fast wie ein reales Gegenüber wirft er mir einen Augenblick zurück,
hier ist er ein Ding ohne eigenen Willen, ohne Leben

Dann wendet er sich ab. Ich hebe noch die Hand zu einem stummen Abschiedgruß, aber er blickt nicht mehr zurück.
während er hier eine Person ist, die selbstständig und frei handelt...
Gruß
Nice

 
Zuletzt bearbeitet:

Nice, ich würde sagen, dieser Widerspruch ist gerade der Witz der Geschichte und wirkt in meinen Augen so ganz und gar nicht unglücklich. Dein Spiegelbild tut eben freiwillig alles, was du auch selbst tust.

Ich finde die Geschichte schön. Sie liest sich angenehm ruhig, wie ein stiller Teich. Der Verlauf der Erzählung erweckte in mir den Eindruck, als wollte sie auf Selbstverliebtheit hinaus, deshalb wurde ich am Ende überrascht. Das Ende und der Zyklop sind sehr süß.

 

Hallo Dornenkind,
eine schöne Geschichte! Zitat von TWP trifft es:

Der Verlauf der Erzählung erweckte in mir den Eindruck, als wollte sie auf Selbstverliebtheit hinaus, deshalb wurde ich am Ende überrascht.
Prismen ist völlig in Ordnung, schließlich ist ein Spiegel geschliffenes Glas.
Zitat von Nice: Ist es Absicht, dass die reale Person erst als "Schein-Gegenstand" und später als reale Person anerkannt wird?
Hat mich auch etwas verunsichert. Natürlich soll die Wende erst später erkannt werden, aber die Wortwahl schickt den Leser in die Irre. Ob Schwäche oder Stärke, kann ich nicht sagen. Ich glaube, eine andere Wortwahl hätte ich besser gefunden, finde es dann aber auch schwierig,es so zu erzählen.

Gruß, Elisha

 

Hallo
@TWP

Dein Spiegelbild tut eben freiwillig alles, was du auch selbst tust.
Natürlich! und noch mehr, wenn ich die Geschichte richtig verstanden habe, ist es eigentlich das Spiegelbild, was uns die Geschichte erzählt.
Und die reale Person wird von dem Spiegelbild als Ding klassifiziert...
Das ist mMn der Witz an der Sache...das uns das Spiegelbild erzählt was es von uns hällt.
Deswegen stösst mir dieser Wiederspruch ja auch so auf... am Anfang wird das Spiegelbild so dargestellt, dass es sich selber als Person bewusst ist und die Person eigentlich ein Ding ist.
Am Ende jedoch wird sich das Spiegelbild deutlich bewusst, dass es selbst ein Spiegelbild ist und die Person gegenüber die reale Person. An sich ist diese Erkenntniss, das Umdenken nicht weiter schlimm, wenn es den beschrieben, eingeleitet worden wäre.
So jedoch wirkt dieser Umstand wie nicht beabsichtigt, wie zufällig geschehen.
Und dass ist schade, weil die Geschichte dadurch an Tiefe verliert beim erneuten Lesen fällt es einem dann immer deutlicher ins Auge, deswegn würde ich unbedingt etwas ändern, @Elisha auch wenn dass sicherlich nicht einfach wird. Ja es wirkt alles so filigran, jedes Wort so überlegt plaziert, dass man Angst hat darin rumzu fuschen und die Seifenblase zerplatzen zu sehen.
Gruß
Nice

 

Hallo,

also bei Prismen denk ich primär an die Streuung (als Resultat der unterschiedlichen Brechung) des Lichts. Lässt sich allerdings beides mit dem Prinzip (von Huygens) wie bei einem Spiegel beshreiben, wobei das wohl eher nichts in der Geschichte verloren hat. Naja, ist ja auch nicht so furchtbar wichtig.

Gruß
EinMensch

 

Hallo :)

Hallo TWP, Danke für dein Lob .."wie ein stiller Teich", das ist wunderschön gesagt, Danke!
Zu euren Gedanken über den Hintergrund der Geschichte: Nice hat es eigentlich schon im ersten Posting gesagt: Was passiert in einem Spiegel, wenn niemand hineinblickt?
Oft werden Spiegel als Zugänge zu anderen Universen beschrieben, und allzu oft kriechen schrecklcihe Kreaturen daraus in unsere Welt.
Ich wollte ein anderes Bild zeichnen: Mit dem Blick in den Spiegel erschaffen wir eine neue Existenz. Das Spiegelbild empfindet eine zärtliche Zuneigung für uns, unser Blick in den Spiegel wird zu einem Spiel für es, die Zeit dazwischen ist leer.
Das Spiegelbild weiß nicht, dass es ein Spiegelbild ist, woher auch, es lebt und akzeptiert seine Wirklichkeit, so wie wir unsere Wirklichkeit leben und akzeptieren.

Von daher sehe ich in der Formulierung "Fast wie ein reales Gegenüber" kein so großes Problem, wenn das Spiegelbild von sich als Realität ausgeht (was es in seiner Wirklichkeit nur tun kann), warum sollte es sich mehr Gedanken über die Existenz oder Nichtexistenz des Gegenübers machen, als wir uns gewöhnlich Gedanken über das Leben unseres Spiegelbildes machen?
Das Auftauchen des Gegenübers (uns) ist eine feste Instanz in seinem Leben, so für uns der Sonnenaufgang o.ä., warum sollte es es in Frage stellen.
Deshalb auch keine "Vorbereitung" auf den Wechsel, die Gedanken des Spoegelbildes werden als Ausschnit seiner Realität abgeschildert und könnensomit eine langsame Hinführung auf den Umschwung nicht beinhalten.

Ok, :) das war ein ganz schön langer Kommentar, nochmal danke fürs Lesen
LG
Dornenkind

|Egal wie vorsichtig du dich an den Spiegel heranschleichst, dein Spiegelbild sieht dir immer direkt in die Augen| Akif Pirrinchi

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom