Das Spiel
...er kleidet sich meist ganz in grau
er weiss, wer du bist und er kennt dich ganz genau
Nenn seinen Namen nie (der Kavalier, F.U.)
Er nahm die Pfeffermühle und würzte das Gulasch nach.
Danach schmeckte er es ab und befand es für gut.
Kai nahm den Topf vom Herd und stellte ihn auf die Warmhalteplatte.
Sandra hatte seit fünfzehn Minuten Feierabend und war nun auf dem Weg zum Kindergarten, um Tobi abzuholen. In etwa einer halben Stunde würden sie Zuhause sein.
Er holte den Putzeimer unter der Spüle hervor, gab einen Schuss Putzmittel hinein und ließ ihn mit warmem Wasser vollaufen. Nachdem er einkaufen gewesen war, hatte er gesaugt, die Blumen gegossen, das Essen vorbereitet und wollte nun noch kurz die Treppe abwischen.
Er stellte den Wasserkran ab und drehte sich um, denn die Putzlappen lagen im Küchenschrank neben der Tür.
Hinter ihm stand ein Mann.
Erschrocken erstarrte Kai in seiner Bewegung.
„Wer sind Sie? Wie sind Sie hier herein gekommen? Was wollen Sie? Wollen Sie Geld?“ stammelte er dem Mann entgegen.
Der Herr, der ihn gerade noch ausdruckslos angesehen hatte, lächelte ihn nun auffordernd an.
Irgendwie kam ihm der Mann bekannt vor, obwohl er sicher war, ihn nie zuvor gesehen zu haben.
„Weltliche Güter haben für mich keinen Wert, Kai“, sprach der düster wirkende Mann nun ruhig zu ihm und strich mit einer Hand seinen Anzug glatt. Er war ganz in grau gekleidet, sein dunkles Haar war kurz zurück geschnitten und seine schwarzen Schuhe schienen frisch geputzt zu sein. Alles in allem sah er überhaupt nicht so aus, wie man es von einem Einbrecher vermutet, sondern eher wie ein Versicherungsvertreter oder Bankier.
„Woher kennen Sie meinen Namen? Und was soll der Quatsch mit den weltlichen Gütern?“ fragte Kai den Mann nun und sah sich hektisch nach dem Telefon um.
„Das Telefon ist momentan außer Betrieb“, bemerkte der Mann ohne sich von der Stelle zu rühren. Er lächelte Kai immer noch an.
„Was wollen Sie denn von mir, mein Gott?“ Nervös fuhr sich Kai durch sein dunkelblondes Haar. Er versuchte, das Alter des Mannes abzuschätzen. Äußerlich wirkte er zwar wie Mitte zwanzig, dem Glanz in seinen Augen nach zu urteilen wirkte er allerdings so alt wie Methusalem.
„Kommen wir zur Sache“, sagte der Mann nun und rückte sich einen der Küchenstühle zurecht und nahm geschmeidig darauf Platz.
„Ich kenne dich, seit du im Uterus deiner Mutter fleißig mit der Zellteilung beschäftigt warst.
Ich war da, als du als Fünfjähriger beinahe ertrunken wärst, und als du mit sechzehn auf dem Hochhausdach balanciert bist, war ich auch anwesend und nun…“.
„Woher wissen Sie diese Sachen, verdammt wer sind Sie?“ unterbrach Kai den sonderbaren Mann zunehmend nervös. Er ahnte, wer der Mann war, es brodelte unter seiner Oberfläche, aber sein Verstand weigerte sich, es zu akzeptieren.
Das Lächeln des Herrn verschwand urplötzlich und er funkelte ihn wütend an.
„Zuerst einmal würde ich es wirklich sehr schätzen, wenn du mich nicht unterbrechen würdest, das ist äußerst unhöflich“.
„Tut mir Leid“, murmelte Kai spontan.
Warum entschuldigte er sich in seinem eigenen Haus, noch dazu bei einem mysteriösen Eindringling? Er fühlte sich in zunehmender Weise unwohl, seine Hände fingen an zu schwitzen, und er verspürte den Drang, seine Blase zu entleeren.
Die Gesichtszüge des Fremden entspannten sich wieder und er fuhr fort.
„Ich bin derjenige, den die meisten Menschen fürchten. Dennoch mag ich meine Arbeit.
Im Augenblick des Übergangs sieht man den Menschen so, wie er wirklich ist“.
Kai begriff mit einem Schlag, wer da vor ihm stand und dabei hatte er nie daran geglaubt, dass es sich dabei wirklich um eine Person handelte.
„Sie sind der…“, japste Kai.
„Pssst, nenn meinen Namen nicht“, sprach der Mann, während er seinen Zeigefinger über seine Lippen legte.
„Keine Bange, ich bin hier, um ein kleines Spielchen mit dir zu spielen“, sprach er beruhigend auf Kai ein.
„Was…Spiel? ...Wie wiewieso?“ stotterte Kai. Er wollte ganz und gar nicht sterben.
„Nunja, seit neustem genieße ich bei meiner Arbeit gewisse Freiheiten. Mit der Dauer bin ich tatsächlich etwas müde geworden und da ist es zu einigen kleinen Fehlern gekommen, auf die ich nun nicht genauer eingehen möchte.
Und damit ich wieder genügend Freude am Beruf habe, darf ich nun fünf Personen im Monat frei wählen“. Der grau gekleidete Mann holte aus der Seitentasche seines Anzugs eine Pfeife hervor und klopfte diese auf dem weißen Küchentisch aus. Mit dem Zeigefinger strich er die Asche zu einem kleinen Häufchen zusammen und schob diesen auf seine andere Hand.
Als er die Hand wieder öffnete, war diese leer.
„Kleiner Zaubertrick“, lächelte er und begann, die Pfeife neu zu stopfen.
Kai ließ sich auf den Fliesenboden sinken.
„Sie meinen also, ich müsste gar nicht sterben und aus lauter Spaß an der Freud kommen sie nun hier her, um mir das Leben zu nehmen?“ sagte Kai fassungslos.
Er dachte an seine Frau und sein Kind. Was sollte aus ihnen werden, wenn er nicht mehr da war? Sandra konnte das Haus unmöglich alleine tragen. Sie hatten es erst letztes Jahr gebaut und die Abzahlungsraten waren ziemlich hoch. Große Sprünge waren da zurzeit nicht drin.
Und der Kleine, sollte er denn ohne Vater…Er war unfähig, diesen Gedanken zu Ende zu führen, zu sehr schmerzte es ihn. Sein Sohn war alles für ihn.
„Nein, du musst nicht sterben, Kai“, sprach der Fremde „ das heißt - jedenfalls nicht, wenn du unser kleines Spielchen gewinnst“.
„Was für ein Spiel?“ wollte Kai nun endlich wissen. Es gab also noch Hoffnung für ihn.
Der Mann entzündete seine Pfeife und lachte ihn an.
„Hangman ist dir doch sicher ein Begriff, oder?“
„Ja, schon.“
Der Herr griff hinter sich und holte wie aus dem Nichts ein dickes Seil hervor und legte es auf den Tisch.
„Die Regeln kennst du ja sicher. Du musst ein Wort erraten, bei jedem falschen Buchstaben werde ich das Seil weiter am Treppengeländer anbringen. Solltest du gewinnen, lebst du, wenn du verliest…nun ja“, sprach er und warf einen vielsagenden Blick auf den Strick.
Kai bekam langsam Panik. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Er sollte mit einem bescheuerten Kinderspiel um sein Leben pokern, das konnte doch nur ein Alptraum sein.
„Und was ist, wenn ich nicht mitspielen will?“ fragte er vorsichtig.
„Nun“, sprach der Mann und paffte seine Pfeife, „darüber wäre ich wirklich sehr traurig und müsste mir zum Trost deinen kleinen Jungen holen…“
„Nein“, stieß Kai hervor, „nicht mein Kind, du Dreckskerl, du wirst die Finger von meinem Sohn lassen“, er wollte sich auf den Mann stürzen, aber seine Hände glitten einfach durch ihn hindurch, obwohl er ganz deutlich auf diesem Stuhl saß. Er fiel auf die Knie und begann zu schluchzen.
„Na na, wir wollen doch mal nicht ausfallend werden“, äußerte der Gefürchtete und lächelte ihn an, „es ist ein ganz faires Spiel. Wenn du gewinnst, bist du raus aus der Nummer. Und, wie ist nun deine Wahl?“
„Okay, okay, ich mache es ja“, stieß Kai schluchzend hervor.
„Gute Entscheidung“, sagte der Mann und stand von seinem Stuhl auf.
„Also, das gesuchte Wort hat auch nur fünf Buchstaben und du hast zwei Versuche frei, da das Gerüst ja quasi schon steht. Fang an, die Zeit läuft“.
Kai zögerte. Er versuchte, sich zu konzentrieren, sein Leben hing davon ab, dass er die richtigen Buchstaben sagte.
„Nun?“ fragte ihn der Herr etwas ungeduldig.
„E“, brachte Kai unsicher hervor.
„Leider nein.“
Der Schweiß stand ihm auf der Stirn.
Der Gefürchtete legte die Hände zusammen und sah ihn auffordernd an.
„R“, stammelte Kai.
„Tut mir Leid und damit sind deine Joker leider verbraucht“.
„Scheiße, Mist, das ist doch Wahnsinn“, keifte Kai verzweifelt und schlug die Hände vor sein Gesicht.
„Wir haben keine Zeit mehr für solche Ausbrüche Kai, wenn wir nicht fertig werden bevor deine Frau nach Hause kommt, stirbt Tobi“.
„Ja, ja, ja, ich sag ja schon, ich mache doch“, heulte Kai.
„A“
„Sehr gut, der letzte Buchstabe ist ein A. Weiter“, forderte der Dunkelhaarige.
Neue Hoffnung erfüllte Kai. Er könnte es schaffen.
„O“.
„Oh, oh“, der Dunkle schüttelte den Kopf, nahm das Seil vom Tisch und begab sich zur Treppe. Aufwendig verknotete er es am oberen Geländer.
„Aber es ist ja noch nichts verloren“, sprach er beruhigend.
„Bitte lassen Sie mich doch gehen“, flehte Kai nun. „Ich habe doch niemals was Böses getan“.
„Tut mir sehr Leid, aber das geht leider nicht. Dass auch Menschen sterben müssen, die nicht Böse sind, sollte dir klar sein. Dein nächster Buchstabe bitte.“
„Bitte, ich will nicht sterben“.
„Der nächste Buchstabe. Denk an deinen Jungen!“, sagte er nun bestimmt.
„I“.
„Geht doch. Der zweite Buchstabe ist ein I. Weiter!“
Kai versuchte in Gedanken bereits ein Wort zu formen. Mit zwei Buchstaben kam er da allerdings nicht sehr weit. Es war einfach zu wenig.
_i__a.
Linda vielleicht.
„L“ sagte er hoffnungsvoll.
„Leider falsch“, sprach der Mann und knüpfte eine Schlinge aus dem Seil. „Deine letzte Chance ist nun, das Wort zu erraten. Es ist wirklich ganz einfach“, sagte er aufmunternd.
Kai heulte nun. Sich zu konzentrieren war nicht mehr möglich. Er schwebte in Todesangst.
Seine Hände fühlten sich kalt an, sein ganzer Körper versteifte sich und er atmete nur noch Stoßweise.
„Bitte…“flehte er.
„Sag mir die Lösung“, mahnte der Mann.
„Ich… weiß es nicht“, heulte Kai.
„Du willst doch nicht etwa aufgeben?“ fragte der Gefürchtete erstaunt, „rate doch zumindest, nutz doch deine Chance“.
_I__A
_i__a
Limba, Rinda, Kinda...Zirka, ZIRKA, das war es, das Wort, das musste es sein.
„Zirka“ stieß er hervor.
„Das Wort ist Zirka“.
Der Unausgesprochene blickte ihn mitleidsvoll an.
„Wirklich, ich hätte dir gewünscht dass du es schaffst. Das R hatten wir doch schon. Die Lösung lautet Simba“
Kai krümmte sich zusammen. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Donnerschlag.
Simba. Das Lieblingstier seines Sohnes. Wie oft hatte er ihm schon den König der Löwen vorgelesen? Wie oft hatte er Simba, das Stofftier gestreichelt, als Tim es ihm mit seinen kleinen Händchen hingehalten hatte? Simba. Die Lösung wäre so einfach gewesen.
„Es wird Zeit“, sprach der Unbittbare und deutete bedeutungsvoll auf den Strick, der stumm am Geländer baumelte.
„Nein. NEIN, ich will nicht. Bitte, ich möchte doch meinem Sohn ein Vater sein, ihn aufwachsen sehen. Meine Frau…“, flehte er und wand sich bittend vor dem Mächtigen.
„Das finde ich nun wirklich schade“, sprach dieser ruhig. „Wir haben fair gespielt und du hast nun mal verloren. Also musst du nun auch deinen Einsatz einlösen. Ansonsten…“
Kai stand langsam auf. Er wollte nicht, dass sein Sohn sterben musste, und er glaubte dem Mann, dass er ihn mitnehmen würde, wenn er sich widersetzte.
Vor dem Galgen blieb er stehen und schaute den Mann noch einmal flehend an.
„Du musst es alleine tun. Schnell.“
Er hörte das Auto seiner Frau in der Auffahrt, sie war Zuhause.
Er stieg auf die höchste Stufe und legte sich die Schlinge um den Hals.
„Ich werde hier auf dich warten, bis du deinen Körper verlassen hast. Keine Angst, so schlimm ist es nicht“, sagte der Dunkle und lächelte ihn aufmunternd an.
Kai schluckte noch einmal. Seine Todesangst war nun vorüber, er war ganz ruhig.
„Los“, hörte er den Mann schreien, dann ließ er sich fallen.
Er hörte das Klicken im Schloss der Haustür. Er hörte Sandra noch schreien, als sich die Schwärze wie ein dunkles Tuch um ihn legte.
Der Mann im grauen Anzug lächelte zufrieden.